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Die Gefahr einer Erhebung war im Keime erstickt, Grabesruhe herrschte in mexikanischen Landen. Cortes war jetzt in den Stand gesetzt, sich von einem Teil seiner Kampfgenossen zu trennen, sie als Pfadfinder, als fahrende Ritter – wie Ordas es bezeichnete – in die Welt hinauszusenden, um sie den Brunnen der Verjüngung und andere verborgene Erdschätze suchen zu lassen. Die Entfernung des Pazifischen Ozeans sollte dabei festgestellt und Umschau gehalten werden nach neuen – vielleicht günstiger als Vera Cruz gelegenen – Hafenplätzen am Atlantischen Ozean. Der Bergmann Ortiz hatte nicht gefeiert und hatte eine Liste zusammengestellt über Fundstätten von Gold, Silber, Magneteisen, Zink, Kupfer sowie von Türkis, Opal, Smaragd und Saphir. Und Montezuma beschenkte Cortes mit farbig auf Agavepapier gemalten geographischen Karten, auf denen außer Bergen, Tälern, Seen, Flüssen auch Städte, Dörfer, Bollwerke nebst Wegen und Brücken verzeichnet waren.

Der Hauptmann Andrés de Tapia erhielt den Auftrag, bis an die Meeresküste der Südsee vorzudringen und nach Edelmetallen in der Umgegend der Stadt Tequantepec zu suchen. Der Bergmann und Tanzmeister Ortiz brach in das nördlich von Huexotzinco sich erstreckende Goldland Cacatlan auf. Ordas ritt in den Nordwesten des Hochtals von Mexico, wo es einen kleinen Ort gab, Tollan oder Tula geheißen, wie die Stadt Quetzalcoatls. Diego Pizarro, ein erst zwanzig Jahre alter Neffe des Cortes, erbat sich die Erlaubnis, das südwestliche an die Tabascoküste grenzende Zapotekenland zu erforschen, und nahm als Begleiter den alten Heredia, den jungen Escalona und den Narren Madrid mit. Velazquez de Leon aber zog mit hundertundfünfzig kastilischen Soldaten nach Cholula, um der heiligen Stadt zur Strafe für den Überfall eine Kontribution aufzuerlegen und von dort aus im benachbarten Tlascala den Fürsten Fichtenzweig wegen des Mordes an der Als-Schlange-Lebenden dem Scharfrichter zu überantworten.

Auch die gegen La Azteca-Perlmuschel eingegangene Verpflichtung zu erfüllen, war Cortes jetzt in der Lage, nachdem durch die Einkerkerung des Edlen Traurigen der Thron von Tezcuco erledigt war. Als durch die Schwarze Blume am Chalcosee La Azteca ihm zugeführt worden war, hatte er ihren Pflegling und Adoptivbruder Menschen-Puma drei Erziehern – dem weißhändigen Sanchez Farfan und dessen zwei Ehegattinnen – mit dem Auftrag übergeben, sie sollten ihm königliche Manieren, die Haltung und das Gehaben eines christlichen Potentaten beibringen, er hatte es aber verschieben müssen, ihm die Krone aufs Haupt zu setzen. Das nachzuholen, war nunmehr die Zeit gekommen. Die anderen Brüder des Edlen Traurigen hatten ihr Erbrecht verscherzt: Ohrring-Schlange war mit den vier Königen an eine Kette geschmiedet, und dank dem Verrat des Königs von Matlatzinco war Cortes in Kenntnis gesetzt, daß auch die Schwarze Blume an der Verschwörung teilgehabt hatte. Cortes ließ sich nicht anmerken, daß er darum wußte, behandelte die Schwarze Blume nach wie vor mit ausgesuchter Zuvorkommenheit, schloß ihn jedoch von der Nachfolge aus. Da der Schein aufrechterhalten werden mußte, als wäre Montezuma Alleinherrscher und immer noch das Haupt des Drei-Städte-Bundes, wurde ihm nahegelegt, den unmündigen Menschen-Puma zum Großen Chichimecatl, zum Herrscher der Acolhuas, zu ernennen. Und Montezuma berief Königswähler aus Tezcuco, welche wählten, wie befohlen war. Nachdem der kleine König in einen mit Totenschädeln und Knochen bemalten Frauenrock gekleidet, nachdem die Nasenscheidewand ihm durchbohrt worden war und er auf der Tempelpyramide Unseres Herrn des Geschundenen geräuchert hatte, band eigenhändig Montezuma die Türkismosaikbinde um seine Stirn, gab ihm den blauen, an der Spitze gebogenen Herrscherstab in die Hand und thronte ihn neben das heilige Feuer, den Türkisherrn, »der der Vater aller Götter ist«.

Schuldig fühlte sich Cortes vor La Azteca. Nicht nur, daß er ihrer überdrüssig war, nicht nur, daß er am Dock gezeigt hatte, wieviel mehr wert die Brigantinen ihm waren als sie, seine Geliebte. Er hatte dem Sohn Montezumas, dem Vom-Himmel-Gestiegenen, als dieser La Azteca zum Lohn für die Auslieferung der Verschwörer forderte, die Prinzessin nicht abgeschlagen. Und wenn er für Menschen-Puma den Thron erwirkte, so bewog ihn – neben anderen, politischen Gründen – auch der Wunsch, sich dadurch von einer Schuld zu entlasten.

Fortgewiesen, hohnvoll hinausgestoßen von der Herrin von Tula, war La Azteca ins kastilische Quartier zurückgekehrt, den Tod mißachtend, ja den Tod herbeisehnend. Doch in jener Nacht hatte Cortes Gold verteilen lassen – und die Meuterei war bald ausgebrannt und erloschen wie ein Strohfeuer. Keiner der Schreier entsann sich mehr, daß er der Prinzessin Kopf gefordert hatte. Sie wurde nicht behelligt und kaum beachtet.

Fortan war ihr Leben ohne Hoffnung, ohne Ziel. Menschen-Puma trug den Smaragdpflock in der durchbohrten Nase. Ihr toter Gemahl, Prinz Grasstrick, Montezumas grausam geschlachteter Bruder, und der Blütenbaum von Yuquane bedurften keiner Rache mehr. Und ihre tote Liebe rief nicht nach Rache, klagte nur sich selbst an.

Rabenblume, Alvarados Gattin, erbarmte sich der Bedauernswerten und wurde ihre Freundin. Auch mit Prinzessin Maisblüte hatte Rabenblume Freundschaft geschlossen. Und eines Tages überbrachte sie eine Botschaft von Maisblüte an La Azteca: sie solle sich vom Grünen Stein nicht verschenken lassen, der sie gern los wäre, dem Vom-Himmel-Gestiegenen habe er sie verkauft für seinen Verrat. Bereits habe der Vom-Himmel-Gestiegene sich taufen lassen, um sie, die Getaufte, zu ehelichen. Doch sei den Christen nur ein Eheweib gestattet. Und noch sei die Geschwisterehe des Prinzen nicht geschieden. Und Perlmuschel solle nicht fürchten, daß Maisblüte je in die Lösung der Ehe einwilligen werde. Denn sie hasse ihren Bruder und Gemahl und werde ihm die Freiheit nicht zurückgeben.


Trockenen Auges trat La Azteca vor Cortes und fragte ihn, ob das möglich sei, daß er sie an den jämmerlichen Sohn Montezumas verhandelt habe.

Er wich ihrem trauervollen Blick nicht aus.

»Hat der Prinz dir das gesagt?« fragte er leichthin.

»Nein, ich weiß es von Prinzessin Maisblüte, der Tochter Montezumas.«

»So – also Maisblüte war es ...« Und Cortes' Augen wurden hart. »Sie ist eine Christenfeindin wie ihr Vater. Sie lächelt immerzu und ist im Herzen verstockt wie er. Geweigert hat auch sie sich, die Taufe zu empfangen. Was hast du mit der Heidin zu schaffen! Wie kannst du ihren Worten Glauben schenken!«

»Maisblüte ist zu stolz, als daß sie fähig wäre zu lügen!« sagte La Azteca.

Cortes war weniger stolz. Er log, weil er sich schämte. Nichtig sei sein dem Prinzen gegebenes Versprechen. Er habe ihm, um die Namen der Verschwörer zu erfahren, mit gutem Gewissen die Erfüllung seines Wunsches in Aussicht stellen können, denn ihm sei sofort klar gewesen, daß unübersteigbare Hindernisse der Vollziehung der Ehe entgegenstünden.

Welche Hindernisse es seien, fragte La Azteca.

Der Prinz habe die Taufe empfangen, erklärte Cortes. Und die christliche Religion verdamme die Tat des Prinzen, die Verführung der eigenen Schwester, als eine Todsünde. Daß der Prinz in ehelicher Gemeinschaft mit seiner Schwester gelebt, sei ein so unsühnbares Verbrechen, daß bloß der Heilige Vater in Rom Ablaß davon zu erteilen vermöchte. Die schmachvolle Geschwisterehe dürfe nicht länger geduldet, müsse möglichst bald geschieden werden – dafür werde er Sorge tragen. Jedoch nicht, um den Prinzen mit La Azteca zu verheiraten, vielmehr um ihn auf einem kastilischen Schiffe – sobald ein solches den Hafen von Vera Cruz anlaufen werde – nach Europa, nach Rom zum Papst zu senden. Fraglich erscheine es ihm allerdings, ob ein indianischer Königssohn bis nach Rom gelangen, den Papst sprechen, Verzeihung für seine tödliche Sünde erlangen könne. Doch sollte ihm das auch gelingen, so würden Jahre darüber hingehen – und bis dahin werde La Azteca längst eines anderen Mannes Weib sein.

»Ich war die Geliebte des Grünen Steines«, erwiderte die Prinzessin, darum bin ich zu hoch und zu niedrig für einen rechtschaffenen Mann. Doch irrst du, wenn du glaubst, du könntest die Geschwisterehe lösen. Maisblüte wird sich weigern, ihren Gatten freizugeben.«

»Die Tochter Montezumas wird sich fügen, wenn ich befehle!« sagte Cortes.

Indes bald erfuhr Cortes, daß der Trotz der Prinzessin Maisblüte härter war als sein Wille. Genötigt, den Beweis zu liefern, daß er der Herr in Mexico sei, ließ er durch Pater Olmedo die erfolgte Scheidung feierlich verkünden. Damit erreichte er wenig. Die Prinzessin blieb bei ihrer Weigerung, belächelte alle Drohungen. Allmächtig war der weiße Gott, doch seine Allmacht zerbrach am Lächeln dieses Mädchens wie Meeresbrandung an einem Riff. In seiner Wut beschloß er, sie zu strafen. Zufällig kam ihm eine der zahllosen Bittschriften des red- und schreibseligen Querulanten Alonso de Grado in die Hand. Obgleich ihm bekannt war, daß Alonso de Grado ein Schnapphahn und ein Wüstling war, verlobte er ihn mit der Tochter Montezumas. Und nicht schwer fiel es ihm, des Königs Zustimmung zu erlangen, da dieser bereits vor längerer Zeit beim Patolli-Spiel dem Redegewandten seine liebste Tochter halb und halb versprochen hatte.


Einen Trost und eine letzte Freude hatte La Azteca: ihr Liebling Menschen-Puma war König von Tezcuco. Auch um diese Freude wurde sie gebracht durch die Rachsucht des Hauptmanns Avila.

Er hatte sich von Cortes den Auftrag erteilen lassen, die Stadt Tezcuco zu brandschatzen, die Adelshäuser nach Gold zu durchforschen, ob vom Hort des Herrn des Fastens nicht ein Teil zurückgeblieben sei. Mit sechzig Kastiliern und einigen hundert Tlascalteken setzte er über den Schilfsee. Und er nahm Menschen-Puma mit, als Geisel gewissermaßen, damit das Volk Tezcucos aus Rücksicht auf den kleinen König sich nicht zusammenrotte. Sanchez Farfan, der Königserzieher, begleitete seinen Zögling.

In Tezcuco langte ein Schnellbote Montezumas an, nahm Menschen-Puma – der eben erst der königlichen Galeere entstiegen war – beiseite und flüsterte ihm einen Befehl Montezumas zu, er solle den Christen alle Wünsche erfüllen und nicht etwa versuchen, Gold zu verheimlichen, Montezuma sei daran gelegen, daß die Gelbhaarigen befriedigt nach Tenuchtitlan zurückkehrten.

Avila hatte dies heimliche Gespräch beobachtet. Gehört hatte er nichts, behauptete aber, der Knabe habe vor, das Volk Tezcucos zu den Waffen zu rufen. Sanchez Farfan wagte nicht einmal den Versuch, den kleinen König in Schutz zu nehmen, welchen Avila in rohester Weise schlug. Und ohne Kriegsgericht ließ Avila Menschen-Puma an einen Zedernast hängen.

Sanchez Farfan schnitt nachts die Leiche des gehenkten Knaben ab und brachte sie seinen beiden Frauen.

Zwei Tage darauf verließ Perlmuschel den Tecpan des Königs Wassergesicht. Mit einigen ihrer Juwelen erstand sie sich eins der vielen Schwitzbäder Tenuchtitlans. Und sie, die in Yuquane eine goldgekrönte Königin gewesen, hauste dort mit einer Dienerin, und jedem Mexikaner, der das Bad betrat, mochte er reich oder arm, jung oder alt sein, gab sie sich hin, nachdem sie sich von ihm hatte schwören lassen, daß er, sein Leben nicht schonend, helfen werde, das Christentum auszurotten und die Christen dem Wunderbaren Huitzilopochtli darzubringen.


Velazquez de Leon befand sich seit mehr als einer Woche in Cholula, als die Ankunft eines aus Vera Cruz von Sandoval abgesandten Kastiliers ihm einen Vorwand gab, gegen den Fürsten Fichtenzweig einzuschreiten, ohne ihn ahnen zu lassen, daß er in Mordverdacht stehe.

Jener Kastilier hatte durch Tlascala ziehend bei Atlihuetza – dem Wasserfallschloß – einen Streit mit einem Untergebenen des Fürsten gehabt. Der von ihm gezüchtigte Mann eilte in die Felsenburg, sich bei seinem Herrn zu beklagen. Und Fichtenzweig, begleitet von einem Haufen Schildträger, holte den weißen Gott ein und züchtigte ihn, Gleiches mit Gleichem vergeltend. Als Gefangener sollte der Kastilier ins Felsenschloß geschleppt werden, als es ihm gelang, sich durch Preisgabe von Gold, das er bei sich trug, loszukaufen. Ohne sein Gepäck, welches er gleichfalls hatte zurücklassen müssen, langte er gänzlich ausgeraubt in der heiligen Stadt an.

Nach einem nächtlichen Marsch erschien Velazquez de Leon mit seinem kleinen Heere überraschend vor Atlihuetza, umzingelte die Burg und stürmte sie. Fichtenzweig wurde überwältigt und in Ketten gelegt, und auch jene vier Diener wurden ergriffen, von denen die Als-Schlange-Lebende in die Kaktuswildnis hinabgestoßen worden war. Smaragd-Puppe entwich während des Kampfes aus der Burg.

In der Stadt Tlascala, wohin die Verhafteten gebracht worden waren, ließ Velazquez de Leon Fichtenzweig den Prozeß machen – anfänglich bloß wegen Beraubung eines Christen. Die Leitung des Prozesses lag in den Händen des Richters Moreno Madrano. Er kam aus Tenuchtitlan nach Tlascala und brachte das Protokoll der Aussagen Kreideschmetterlings mit.

Zwei Tage nahm es in Anspruch, einen Weg durch die Kaktuswüste zu bahnen. Eine weibliche Leiche fand sich an der vom Eremiten und von Kreideschmetterling bezeichneten Stelle, Gesicht und Körper waren von Geiern zerhackt und halb verwest, doch die Kleider und Schmucksachen ließen sich als die der vermißten Frau feststellen. Auf Grund dieses Fundes befahl Moreno Madrano, die vier Diener zu foltern. Sie legten ein Geständnis ihrer Schuld ab, gaben an, Fichtenzweig habe sie zum Mord verleitet. Als ihnen mitgeteilt wurde, Fichtenzweig leugne seine Mitschuld, klagten sie ihn an, außer seiner Gattin auch seinen ältesten Sohn, den Kleinen Pfeil, getötet zu haben, – man solle im fürstlichen Tecpan in der Götterkammer nachgraben, dort werde man die Überreste des Kindes finden.

Der Richter veranlaßte nun den Prior des christlichen Klosters in Tlascala, Juan de las Varillas, die jüngeren Brüder des Kleinen Pfeiles, die mit anderen Adelskindern eine spanisch-katholische Erziehung erhielten, auszufragen, ob sie vom Kindesmord wüßten. Bisher hatten die Knaben aus Furcht vor ihrem Vater geschwiegen. Jetzt sagten sie aus. Sie hatten in der Mordnacht nicht geschlafen, und als sie gellende Schreie ihrer Mutter vernommen hatten, waren sie heimlich auf die Dachterrasse emporgestiegen, und durch eine Lichtöffnung in das Gemach ihres Vaters hinabblickend, hatten sie das Martyrium des armen Kindes mit angeschaut. Sie beschrieben alle Einzelheiten und wiederholten sie später vor dem Richter, der bei ihrem Bericht – ebenso wie vor ihm Juan de las Varillas – in Tränen ausbrach. Die Anklage der Kinder besiegelte des Fürsten Geschick.

Als die Kastilier in der Götterkammer des Tecpans nachgruben, stießen sie auf den verscharrten Knaben. Als ein Wunder des Himmels deuteten sie es, daß des Kleinen Pfeiles Antlitz wachsgelb, doch lieblich wie schlummernd aussah und – wohl infolge von Ausdünstungen im vulkanischen Boden, gleich den tepanekischen Leichen der Toteninsel – kaum eine Spur von Vermoderung aufwies. Beim Leichenbegängnis in der Kapelle des Klosters nannte der Prior ihn den ersten Blutzeugen der Neuen Welt.

Zum Tod durch den Strang wurde der Fürst verurteilt. Er nahm die Urteilsverkündigung mit erstaunlichem Gleichmut hin.

Velazquez de Leon glaubte es wagen zu können, den Galgen inmitten der Stadt Tlascala zu errichten. Fern, in Tenuchtitlan, weilte Prinz Kriegsmaske, seine und des Fürsten Fichtenzweig Anhänger waren führerlos. Seit Montezumas Gefangennahme triumphierten die Christenfreunde Tlascalas. Und selbst die Tetrarchen und die anderen Stammeshäupter im Hohen Rat billigten die Hinrichtung des stolzen Tlascaltekenfürsten, – nicht, weil er ein Gatten- und Kindesmörder war, sondern weil er anders dachte als sie und die Mehrheit des Volkes.

Unter dem Galgen hielt Fichtenzweig eine Rede an die Tlascalteken:

»0 ihr tapferen Tlascalteken, ihr meine Oheime und Brüder! Seid ihr gekommen zuzuschauen, wie der letzte Tlascalteke stirbt? Oder seid ihr waffenlos gekommen, mich mit Tränen vom Tod zu befreien? Denn Feiglinge seid ihr, sonst stünde ich nicht hier, sonst stünde ich an der Spitze eurer Adler und Jaguare und würde mit Schnabel und Klaue das Fleisch der Gelbhaarigen zerhacken. Doch wo sind eure Adler und Jaguare? Ist dies noch Tlascala? Schaut zu, wie der letzte Tlascalteke stirbt, und erzählt es euren Enkeln, daß er lachend ins Land der Sonne ging und zum funkelnden Schwirrvogel wurde, froh im Herzen, die Schmach Tlascalas nicht mehr zu sehen!«


Die Verlobung der Prinzessin Maisblüte mit Alonso de Grado war bekanntgegeben worden. Ganz Mexico entsetzte sich darüber, daß die Tochter des Herrn der Welt mit einem christlichen Soldaten das Bett teilen sollte. Für das Adelsgefühl der Azteken war das eine ruchlose Entweihung, eine Schändung, eine Prostitution.

In einer Nacht wurde Maisblüte in den Garten des Huei-Tecpan hinausgerufen. Der Alte Wickelbär hatte sich von seinem blinden Knaben heranrudern lassen. Als sie ans Ufer der Lagune trat, stieg er ans Land und setzte sich mit ihr in einen kleinen Lorbeerhain, wo sie unbelauscht reden konnten.

»O Prinzessin«, sagte der Greis. »Einst kamst du dir Rat von mir holen, suchtest mich auf in meiner armseligen Zauberwohnung. Seitdem hat der Zornige Herr meine Wohnung niederreißen lassen bis auf den letzten Stein, so daß das Wasser des Sees dort flutet, wo die Grundmauern einst gestanden. Du könntest mein Haus nicht finden, selbst wenn du zu den Wasserjungfrauen hinabstiegest. Und da ich weiß, daß du in Not bist, komme ich zu dir.«

»O Zauberer«, sagte die Prinzessin. »Bald werde ich zu den Wasserjungfrauen hinabsteigen, daß sie mich retten vor dem Gelbhaarigen, dem ich angelobt ward. Sterben werde ich vor dem Tag der Hochzeit.«

»Auch damals sprachst du, du müßtest sterben. Doch dann befolgtest du meinen Rat ...«

»Weißt du einen Rat für mich, Alter? Die Blume der Liebesgöttin hat den Herabstoßenden Adler und mich berührt. Ihm bin ich verloren, wenn der weiße Gott mich schändet! ...«

»Mein Rat ist derselbe wie damals: vollbringe eine Schreckenstat, die deine Reinheit dartut vor aller Welt!«

»Mein Tod wird sie dartun!«

»Nein – sein Tod! Du hast ein steinernes Herz ...«

»Ja, und mein Messer ist scharf – meine linke Brust bezeugt es. Doch vermag ich Weib ein wildes Tier zu töten? Mein Verlobter geht nie ohne Waffen aus. Seine Brust deckt ein Panzer. Mein Messer könnte zu seinem Herzen nicht hinfinden.«

»O Prinzessin, wilde Tiere fängt man in Fallen. Locke ihn in ein Schwitzbad. Und sobald er sich dort entkleidet und sich seiner Waffen entledigt hat, mache ihn nieder wie ein schändliches Tier.«

»O kluger Zauberer, einst sagtest du, die Weisheit der Sterne habe keinen Preis. Und du batest mich, meine Dankbarkeit zu verwahren, sie aufzuheben für dich.«

»Nicht vergessen habe ich es, o Prinzessin. Und jetzt will ich den Dank von dir fordern.«

»Was begehrst du, o Greis?«

»Sage dem Zornigen Herrn, daß ich bereit bin, seinem Ruf zu folgen. Den Spinner soll er nach Zacatzin senden, wenn er meines Rates bedarf.«

Maisblüte versprach, es ihrem Vater auszurichten. Und der Alte Wickelbär stieg ins Boot und ließ sich vom blinden Knaben zur Toteninsel heimrudern.


Schon am folgenden Tage sandte Montezuma den Spinner nach dem alten Zauberer. Denn ratlos war Montezuma: von Cortes war ihm eröffnet worden, er und seine aztekischen Vasallen müßten dem großen König des Ostens den Lehnseid leisten, und er selbst solle zur feierlichen Ablegung des Schwures die Fürsten Anahuacs in den alten Tecpan laden. Zugesagt hatte er, wie er jeden Wunsch seiner Peiniger bewilligte. Doch er sträubte sich diesmal, sein Treuwort einzulösen, da er klar erkannte, daß der Eid die Besiegelung seiner Schmach werden würde, daß auch der letzte Schein seiner Oberherrschaft damit hinschwinden würde. Hoffnungslos richtete er – nachdem Maisblüte sich heimlich ihres Auftrages entledigt hatte – eine letzte schwache Hoffnung auf die Klugheit des alten Zauberers, der die Gabe hatte, zu geißeln durch mannhafte Worte, aufzupeitschen, zu ermannen, aufzurichten. Zurückgewünscht hatte er letzthin oft den Geächteten, den er fürchtete, haßte und beinahe liebte ...

Am Nachmittage kam der Zauberer. Seinem Wunsche gemäß empfing ihn der Zornige Herr in seinem Schlafgemach ohne Zeugen.

»O großer Zauberer, du Kluger! Einst habe ich auf den Herrn des Fastens nicht gehört, als er, der sechshundert Zauberkünste und Zauberzeichen kannte, mir die Schrift der Sterne gedeutet hatte. Und auf dich habe ich nicht gehört, als du mich ins Land der Nebeltoten hinabführtest zu Huemac, dem ich vier Menschenhäute überbringen ließ durch dich. Nun aber, o Greis, will ich auf dich hören, wie man dem Schicksalsspruch der Götter lauscht.«

Und er legte ihm dar, was sein Herz bedrückte.

»O großer König, o Herrscher!« sagte der Alte Wickelbär. »Sende heute noch Boten an die Fürsten Anahuas und lade sie ein als Eideshelfer in den alten Tecpan. Tun mußt du das, damit die weißen Götter keinen Verdacht schöpfen. Doch den Treueid wirst du nicht leisten!«

»0 Zauberer«, sagte Montezuma bitter, »ich wohne bei meinen Freunden. Freiwillig zog ich zu ihnen als Gast. Wie kann ich meinen Freunden eine Bitte abschlagen!«

»0 großer König, o Herrscher! Heute nacht wirst du in den Huei-Tecpan zurückkehren!«

Freude und Schrecken verzerrten das Gesicht Montezumas. Mit beiden Händen faßte er die Schultern des Zauberers, starrte ihm entgeistert in die Augen.

,0 Greis, was redest du! Vermagst du die Pforte zu öffnen ...?«

»Nein,« sagte der Alte Wickelbär. »Nicht die Tore des Tecpans werden sich dir auftun. Aber öffnen werde ich die Mauer dieses Schlafgemachs – an jener Wand dort, die an die Straße grenzt. Mit meinen Freunden werde ich gegen Mitternacht die Steine herausbrechen ... Wo pflegt der Krieger zu stehen, der dich nachts bewacht?«

»Auf dem Gang draußen vor der Tür.«

»Von dort aus kann er die Wand hinter dem Vorhang des Bettes nicht sehen. Und er kann draußen auch das Geräusch der ausbrechenden Steine nicht hören. Laß ihn nicht in dein Gemach treten – sonst ist die Mühe vieler Wochen verloren. Fast jede Nacht kamen meine Freunde und ich, und wir lockerten die Mauersteine. So leise taten wir es, daß dein Schlummer nicht gestört ward.«


Überaus gesprächig und aufgeräumt war Montezuma beim Patolli-Spiel mit den kastilischen Kavalieren und vergeudete Goldbarren mehr als sonst. Je näher die Nacht heranrückte, um so ausgelassener war seine Heiterkeit, um so quälender aber auch seine heimliche Rastlosigkeit.

Früh begab er sich zur Ruhe. Wie gewöhnlich scherzte er mit dem Pagen Orteguilla und den Sklaven, die ihm beim Entkleiden halfen. Er entließ sie. Und kaum allein geblieben im Schlafgemach, band er selbst sich die Türkissandalen wieder an die Füße, kleidete und schmückte sich von neuem. Unschlüssig, teils freudescheu, teils sorgengehetzt fing er an, auf und ab zu gehen. Doch dann fiel ihm ein, daß dem Wachtposten draußen sein Hinundherschreiten auffallen könnte. Und er legte sich angekleidet auf das königliche Bett.

Fieberhaft jagten die Gedanken, jagten Schreckensbilder durch sein Hirn. Er sah die Befreiung mißglückt, sah sich auf der Flucht, verfolgt, eingeholt, wieder eingefangen. Angstschweiß näßte seine Stirn.

Das Schlafgemach war von einem irdenen Öllämpchen, einem Geschenk Alvarados, dämmrig erleuchtet. Herrliche Federteppiche, von Cortes an die Wände gehängt, sollten über die Traurigkeit des königlichen Kerkers hinwegtäuschen. Dumpf und eintönig hallte der schwere Tritt des Wachtpostens draußen vor der Tür.

Den Wachtdienst beim König hatte in dieser Nacht Alonso de Ojeda – der Bruder Isabels de Ojeda, der olivenbleichen –, ein hübscher, kaum neunzehnjähriger Bursche. Montezuma kannte ihn und mochte ihn gut leiden. Jüngst hatte er eine seidene, noch nicht in Gebrauch genommene Geldbörse mit vielen kleinen Täschchen in den Händen des Jünglings gsesehen, hatte sie sich zeigen lassen, sie bewundert und sie sich ausgebeten. Und da Ojeda nicht gezögert hatte, sich mit einer artigen Redewendung vom hübschen aus Sevilla stammenden Seidenbeutel zu trennen, hatte er ihm als Entgelt zwei außerordentlich schöne Mädchen aus dem Haus der Vierhundert Frauen und eine Ladung Kakao zum Geschenk gemacht.

Immer wieder lauschte Montezuma an der Wand hinter dem Pfühl, auf dem sein Kopf ruhte. Doch noch regte sich nichts. Eine halbe Stunde mochte es vor Mitternacht sein. Das Fieber seiner Angst stieg und stieg.

Und plötzlich kam eine Erschlaffung über ihn, und er dachte: Wozu noch hoffen! Wozu sich ängstigen! Daliegen, regungslos, gedankenlos daliegen ist besser! Schlummern, tot sein – nur das wäre Befreiung, nur das!

Und seine Mutlosigkeit empörte sich gegen die unerbetenen Befreier. Ein Feind war der Zauberer immer gewesen; – Gutes konnte von ihm nicht kommen. Unheimlich wie er mochten wohl auch seine ungenannten Helfer sein. Wer waren sie? Warum verschwieg der Zauberer ihre Namen? War der Herabstoßende Adler einer von ihnen? und andere Verbannte, die in Schlupflöchern hausten ...? Hatten sie vor, sich seiner zu bemächtigen, um ihn nicht minder zum Schattenkönig zu machen, als es die Christen taten ...? Nein, lieber im Ballspielhaus mit krankem Herzen lachen Tag für Tag, als die Freiheit erlangen durch die Geächteten, die Erzfeinde!

Doch dann verwarf er seinen Kleinmut. Für Mexikaner, selbst wenn sie ihn haßten, war er ja der Herr der Herren, ein Gott von Fleisch und Bein. Und er jubelte, daß sie ihn retten kamen. Einerlei durch wen – nur wieder frei sein! Herrschen, strafen, sich rächen ... Und er malte sich seine Rückkehr in den Huei-Tecpan aus und wie alles dann sein werde wie ehedem ...

Wieder lauschte er gespannt ... Nein, noch war kein Laut zu hören.

Und plötzlich wurde er inne, daß nichts mehr sein könne wie ehedem, daß es Selbstbetrug gewesen war, wenn er bisher auf das Orakel des Schlangenbergs gehofft und gewartet hatte. Er wußte tief und klar, daß er in den Huei-Tecpan niemals zurückkehren konnte, daß sein Leben an das Leben seiner neuen Freunde, der Christen, gebunden war. Nur noch mit ihnen konnte er Herrscher sein, mit ihnen mußte er untergehen.

Nein, er durfte nicht fort, das Schicksal hatte ihn in einem unzerreißbaren Netz gefangen. Ein Fisch kann im Netz leben, solange das Netz im Wasser bleibt. Wer das Netz ans Land zieht, vernichtet den Fisch.

Montezuma erhob sich vom Bett, ging an die Tür, rief den Wachtposten in das Schlafgemach herein.

Erstaunt sah Ojeda, daß Montezuma angekleidet war. Sofort auch fiel ihm auf, wie fieberhaft des Königs Augen flackerten, wie seine Knie und Hände bebten.

Ob Seine Majestät aus einem bösen Traum erwacht sei, fragte Ojeda in fehlerhaftem Mexikanisch.

Ja, er habe einen furchtbaren Traum gehabt, sagte Montezuma. Und hastig erzählte er einen erfundenen Traum. Ein riesenhafter Adler habe sich auf sein Bett niedergelassen, habe ihn gepackt, habe ihn durch die Lüfte getragen. In eine Grotte habe er ihn getragen, ihn wie einen Leichnam auf den Boden gelegt und sich dann in einen Mann verwandelt, der auf einem steinernen Sessel thronte und zu Gericht saß über ihn ...

Gleich als er zu reden begonnen hatte, war sein Gesicht wie von einem Blitz durchzuckt worden. Das längst erharrte Geräusch an der Wand – nun endlich hatte er es vernommen. Ganz leise klang es, ein Rascheln, ein Bröckeln und Rieseln von gelockertem Mörtel. Um es zu übertönen, hatte er dann immer schneller und lauter gesprochen, unbekümmert darum, daß der Wachtposten kein Wort verstand. Eisiger Schweiß überdeckte ihn. Denn obgleich er Ojeda ins Schlafgemach gerufen hatte, um sich selbst die Flucht unmöglich zu machen, grauste ihm vor dem Augenblick, wo das Geräusch deutlicher werden und von Ojeda vernommen werden mußte. Er wollte es und wollte es auch nicht. Darum erhob er die Stimme und schrie wie ein Kranker im Fieberschauer. Und plötzlich – mitten in einem Satz – verstummte er. Seine und Ojedas Augen erstarrten aufeinandergerichtet. In die jähe Stille hinein fiel dumpf und unverkennlich das schreckliche Geräusch. Ojeda hob die Hand, wies mit dem Zeigefinger auf die Wand. Flüsternd sagte er:

»Das muß ich dem General-Kapitän melden, Majestät!«

Und er eilte zur Tür. Doch ehe er sie erreichte, blieb er stehen. Ein Loch war jetzt in der Wand und vergrößerte sich geschwind. Unsichtbare Hände rissen Steine heraus. Länger durfte Ojeda nicht warten, er stürmte davon.

Durch die nur wenige Fuß hohe Öffnung kroch der Zauberer herein.

»O großer König! Du hast meinen Rat nicht befolgt, du hast den Gelbhaarigen hereingelassen! Doch noch ist Zeit – darum schnell, schnell, komm! ... Der Huei-Tecpan erwartet dich!«

»Flieh, Alter! Flieh, ohne mich!« rief Montezuma. »Gleich werden sie hier sein und draußen den Palast umstellen. Rettet euer Leben. Ich aber bleibe. In den Huei-Tecpan will ich nicht zurück!«

»O unser Herr, warum nicht?«

Da richtete sich Montezuma mit müder Lässigkeit auf, als würde er sich ein letztes Mal seiner einstigen Herrlichkeit bewußt. Und mit stolzer Feigheit sagte er:

»Ein König schreitet durch offene Tore. Ich bin kein Schakal, der durch Löcher kriecht!«

Da verließ ihn der alte Zauberer.

Und Montezuma vernahm von der Straße her die Stimme seines verbannten Vetters, des Herabstoßenden Adlers:

»Von jetzt an hofft Mexico nicht mehr auf dich, verlorener König!«


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