Ludwig Tieck
Fortunat
Ludwig Tieck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiter Teil

Ein Märchen in fünf Aufzügen

1816

 

Erster Akt

Erste Szene

Zimmer.

Ampedo, Daniel.

Daniel: Nun, mein junger Herr, warum denn so traurig, aller Mut fort, so in die Winkel weggekrochen und geheult, wie ein altes Weib?

Ampedo: Du weißt es ja selbst, mein guter Daniel, daß mein Vater krank ist und mit jedem Tage schwächer wird, so daß die Ärzte nicht mehr viele Hoffnung haben.

Daniel: Ja, das ist wahr; es scheint wohl, daß der gute alte Herr Fortunat bald sein letztes Brot wird gekaut haben, er sieht miserabel aus und läßt die Flügel recht hängen: weil er aber wie ein Hänfling in der Mauße, wie ein Huhn ist, das den Pips und alle Federn aufgestrobelt hat, müßt Ihr denn darum aussehn, wie eine gebadete Maus? Alte Leute müssen sterben, junge müssen leben, das ist nun einmal seit uralten Zeiten der Lauf der Welt. Trinkt ein Glas Wein, seid wohlgemut, er läßt Euch ein tüchtiges Vermögen zurück, der alte Goldfink, Euer Leben muß noch erst angehn.

Ampedo: Laß mich traurig sein, guter Mensch, es tut mir besser.

Daniel: Wenn's Euch kommoder ist, in Gottes Namen, heult und greint, bis Euch die Augen aus dem Kopfe fallen, mir kann's recht sein, mich kostet's nichts.

Andalosia kömmt mit Dienern.

Andalosia singt:
    Feinsliebchen rief: ich küß dich nicht,
    Du hast noch keinen Bart!
    Der Jüngling sprach: mein Schatz, mein Licht,
    Das ist so meine Art,
    Die Jugend ist so lieb,
    Das Alter ist ein Dieb,
    Wächst erst Vernunft und Bart so dicht,
    Mag ich dich nicht, mag ich dich nicht.

Da; Caspar, trag den Falken fort, das Vieh hat sich heut elend aufgeführt, er ist gar nicht mehr, was er war, und wird mit jedem Tage schlechter, bald gut genug, ihn der Katze zum Fressen vorzuwerfen.

Diener ab.

Daniel: Da seht nur den Junker, der ist von ganz anderem Faden gedreht, wie Ihr, der reinste, feinste Flachs, so rund und drall, und Ihr seid nur aus Werg, aus dem Abgang gesponnen. – Ist's aber recht, junger Herr Andalosia, so zu schreien und zu singen, nichts als Falken und Pferde im Kopfe zu haben, wenn der alte Herr Vater so krank und schwach ist, und bald das ganze Lebenslicht ausniesen wird? Das denkt doch auch an gar nichts, als so weit ihm gerade die Nase steht, aus der Hand in den Mund, aus dem Becher ins Bett, aus dem Bett auf die Jagd! Sapperlot! es gibt doch auch Tugend und Vernunft, Moral und Religion in der Welt! Beißt da doch auch ein Bißchen hinein, Wildfang, vielleicht kommt Euch der Appetit dazu im Essen.

Andalosia: Was so ein alter, abgewitterter, verschimmelter Domestik sich herausnimmt, wenn er so ein dreißig Jahr im Hause geklebt hat! Bist du, verdorrtes Schafsfell, mein Hofmeister, mein Onkel, meine Gouvernante, mein Vormund, daß dir so schäbige Redensarten aus dem Munde stäuben dürfen?

Daniel: Sacht! sacht! ich dachte, ich wäre ein würdiger alter Mann.

Andalosia: Ein altes Trommelfell, das nicht eher moralisch knurren sollte, bis man mit den Trommelstecken über dich käme.

Daniel: Schon gut, ich habe mich wohl mehr in der Welt umgesehn, als so ein Wildfang sich träumen läßt. – Da bringen sie den alten Herrn, seht nur, wie kaduk er ist, und laßt Euch rühren.

Fortunat am Stabe, von zwei Dienern geführt.

Fortunat: Setzt mich in diesen Sessel – sacht – nun geht,
Stellt noch das Kästchen hier erst neben mich –
Nun alle fort; – da seid ihr, liebe Söhne,
Ich wollt euch rufen lassen: – schließt die Türen!
        Diener ab.
Geh nun auch, Daniel, mit den andern fort.

Daniel: Wird wohl nicht nötig sein, Ihr braucht ja Hülfe,
Umstände macht nur nicht mit unsereinem.

Fortunat: Ich sage du sollst gehn, ich habe viel
Mit meinen lieben Söhnen abzusprechen.

Daniel: Strengt Euch nicht ohne Not die Lungen an,
Was nutzt das viele Reden? Ihr wart nie
Ein Freund davon, der Ruhm bleib Euch zum Tode.

Andalosia wirft ihn hinaus:
Im schlimmen fort, willst nicht im guten gehn! –
Der alte Mensch wird toll; verschlossen ist
Die Tür, mein teurer Vater.

Fortunat:                                   Liebe Söhne,
Ich fühle, wie die letzte Stunde naht.

Ampedo: Ihr seid noch wohl, nein, nein, verlaßt uns nicht.

Fortunat: Das Leben ward uns nur geliehn zum Sterben,
Wir gehn durch diese Welt zur höhern ein.
Es bleibt mir keine Zeit, geliebte Kinder,
Euch zu ermahnen, Lehren euch zu geben,
Das tat ich viel und oft in bessern Tagen,
Ich hoffe wohl, nicht alles sei verloren;
Auch findet ihr in meinem Schreibezimmer
Verzeichnet meinen Lebenslauf, die Reisen,
Mit vielerlei Vermahnung, vor Gefahr,
Vor schlechten Menschen euch zu hüten, Regeln
Der Klugheit, die ich bitter lernen mußte.
Lest diese Schriften mit Verstand und merkt
Was keiner mir in harter Jugend sagte.
Ich seh in euch den Spiegel meines Lebens,
Und sonderbar scheint mein Gemüt, so Schwächen,
Wie Tugend, unter euch verteilt. Vernehmt
Den letzten Rat denn, den ich euch geben kann.

Ampedo: Ich hoffe nicht zu straucheln, lieber Vater,
Ein einsam stilles Leben kennt nicht Not.

Fortunat: Dir hat das fromme stille Wesen ganz
Von deiner selgen Mutter sich vererbt,
Mein Erstgeborner du, doch seh ich auch
In dir die Blödheit und den schwachen Sinn,
Der mancherlei Gefahr mich bloßgestellt;
Du wirst dich schwerlich wagen, weder Meer
Noch fernes Land, noch Neugier, Trieb zu reisen,
Noch Übermut wird dich mit Not bedrängen,
Du lebst am liebsten heut wie morgen fort,
Du kennst nicht Langeweil und nicht Entzücken,
Doch, naht Gefahr, wo dann die Hülfe suchen?
Der alte Leopold ist längst gestorben;
Der König liebt und schützt uns, die Verwandten
Sind dankbar und befreundet, darauf trau ich.

Ampedo: Wenn ich nur keinem in den Weg was lege,
So wird auch keiner mich zum Stolpern bringen.

Fortunat: Der Himmel füg es so. Du, Andalosia,
Der Jüngere, bist fast mein Ebenbild,
Dieselbe Lust, die mich als Jüngling trieb,
An Pferden, Falken, Hunden, Spiel und Jagd,
Oft hast du mir von Reisen schon gesprochen,
Dein heftger Sinn treibt dich ins Weltgewühl,
Du bist im Stechen, im Turnier fast immer
Der Erste; Reiten, Springen, Tanz, die Zier
Des jungen Edelmanns ist deine Freude:
Allein in deinem Sinn ist Übermut
Und Wildheit, die mir immer fremd geblieben;
Du hast Verstand, ja Scharfsinn, doch ich sah,
Wie du ihn oft nur dazu brauchen mußtest,
Dich loszuwickeln aus Verdrüßlichkeit,
Die unbesonnen Tun dir zugezogen,
Drum hüte dich, daß nicht dein Lebenslauf
Nur ein Verstricken und Entstricken sei.

Andalosia: Ich werde immer nur der Ehre folgen,
Sie steht als Rat mir bei in Kampf und Not.

Fortunat: Bewahrt euch klug vor eurem Oheim hier,
Dem schlimmen Nimian von Limosin,
Ich löst ihn von Verbannung, Armut, Schande,
Und glaubte mich in Lieb ihm zu verbinden;
Doch gibt es Herzen, die der Dankbarkeit
Nicht fähig sind in tierischer Verstarrung,
Und schützt' euch auch der König, reizt ihn nicht:
Doch kömmt es, daß ihr je den Widerwärtgen,
Daß ihr sonst jemand, wer es sei, beleidigt,
Wähnt nicht, daß er der Kränkung je vergesse,
Entfernt euch ihm, zieht ihn nicht zu euch an,
Am besten Land und wüstes Meer dazwischen;
Denn das hab ich im Leben oft gesehn:
Leichtsinniges Vertraun dem Feinde leihn
Ist schlimmer, als mit giftgen Nattern spielen.

Andalosia: Man soll sich vor Beleidigungen hüten,
Kann man es nicht, den Gegner so bestrafen,
Daß er uns selbst gern aus dem Wege geht.

Fortunat: Ich laß euch, Söhn, ein schönes Gut im Lande,
Diesen Palast mit seinen prächtgen Gärten,
Ihr findet vieles Gold in meinem Zimmer
In jenen festverwahrten Eisentruhen,
Allein das Köstlichste, das Seltenste,
Mehr wert als Schloß und Land, als diese Insel,
Das findet ihr in diesem Kästchen hier:
Die Todesstunde zwingt mich, das Geheimnis,
Das lang verhehlte, zu entdecken. Öffnet
Das Schloß und höret aufmerksam mir zu.

Andalosia: Von dunklem Leder nur ein kleiner Säckel,
Ein grauer alter Hut von schlechtem Filz?
Dies die Juwelen? Scherzt Ihr nicht, mein Vater?

Fortunat: Zu ernst ist diese Stund! In Todesnot,
Verschmachtet schier, arm, ausgestoßen, elend,
Verzweifelnd schon an jeder Hülf und Rettung,
Erschien mir wunderbar als wie im Traum
Ein leuchtend Bild, ein glänzend hohes Weib,
Die Göttin war es selbst, Fortuna war's;
Sie stellte mir die Wahl, ich wählte Reichtum,
Und diesen Säckel reichte mir die Hand,
Den unerschöpflichen, doch findet ihr
Des weitern dies erzählt in meinem Buche.

Andalosia: Ist's möglich?

Ampedo:                           Ei, das klingt wie Zauberei.

Fortunat: Mit diesem Wundersäckel war ich glücklich
Und reiste weit umher durch alle Lande,
Der Lust genugzutun, die um mich trieb:
Doch kam ich oft in tödliche Gefahr,
Bis mir gelang, nachdem ich schon vermählt,
Nachdem ihr beide mir schon wart geschenkt,
Das zweite Wunderkleinod aufzufinden.
Es führte mich mein Weg einst nach Ägypten,
Des Landes Sultan war mein alter Freund,
Dem ich manch reiches Kleinod schon geschenkt,
Mit seinen Briefen ging ich dann nach Syrien,
Und Palästina, Persien, bis zum Ganges;
Im traulichen Gespräch zeigt' er mir froh,
Was er an Schätzen, Kleinoden, Juwelen,
Und Silbers Fülle, Goldes Glanz besaß,
Genug die Augen Sterblicher zu blenden;
Ich pries sein Glück, da führt er mich, geschmeichelt,
In sein verriegelt einsam Schlafgemach,
Zieht diesen Filz, unscheinbar, alt, vertragen,
Aus seinem Busen; spricht: mein größter Schatz
Ist dieser Hut, denn deckt er meinen Kopf,
Und nenn ich nur den Ort, sei's nah, sei's fern,
So bin ich mit Gedankenschnelle dort;
Ich staunt ihn an, er lacht', als glaubt ich nicht,
Da kam es wie ein Blitz in meinen Sinn,
Vielleicht, so sprach ich, ist er schwer, gewichtig,
Und drückt das Hirn mit seiner Wunderkraft;
Der Tor darauf: nicht schwerer als jedweder
Gemeine Hut! und setzt' ihn selbst mir auf;
Ich wünsche mich sogleich zu meinem Schiff,
Der Anker wird gelichtet, wie hieher,
Da prob ich gleich das märchenhafte Wunder,
Und richtig, wie er sagte, ohne Qual
Und Kosten, unermüdet, bin ich bald
In Indien, dann in Grönland, Spanien,
In wüsten Inseln, was mein Kopf nur sinnt –
Nun gab es keine Kraft mich festzuhalten,
Ich lachte jeglicher Gefahr: der arme Tor
Bot mir Millionen für den Wunderhut,
Ich schlug sie aus, er härmte sich im Zorn,
Daß er nach einger Zeit gestorben ist.

Ampedo: Der arme Mann!

Andalosia:                           Warum auch schwieg er nicht?

Fortunat: Ich bin erschöpft. Nur noch beschwör ich euch,
Sagt keinem Sterblichen von diesen Wundern,
Nicht euren Fraun, wenn ihr einst seid vermählt,
Wie eure Mutter nichts davon erfahren,
Auch keinem Freund, es gibt so treuen keinen,
Der nicht darnach mit allen Kräften stellte;
Und zweitens, trennt die Wundergaben nie,
Nach festbestimmten Zeiten wechselt um,
So kann euch keineswegs Gefahr bedräun,
Ein halbes Jahr besitzt sie Ampedo,
Dann Andalosia: versprecht mir dies.

Ampedo: Gewiß, mein Vater, denn es ist vernünftig.

Andalosia: Wie Ihr es wollt, Ihr seid der Weisere.

Fortunat: Verwahrt sie fest, seid schweigsam. Hebt mich auf,
Führt mich dort hin zu meiner Lagerstatt,
Ruft meine Diener nochmals zu mir her,
Den Priester auch, ich fühle jetzt die Hand
Des kalten Todes, und mein Geist enteilt
Den trüben Wolken dieser Zeitlichkeit.

Gehn ab.

 


 << zurück weiter >>