Ludwig Tieck
Fortunat
Ludwig Tieck

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Siebente Szene

Palast.

König, Reymund, Leibarzt, drei Doktoren.

König: Nun wißt ihr, meine Herrn, die ganze Sache,
Die unglückselge Tochter saht ihr selbst,
Die Art der Krankheit habt ihr scharf geprüft,
Nun sprecht, was man für Hülfe soll erfinden.

Leibarzt: Zuerst der edle Mann, mein Lehrer hier,
Dem Ältesten gebührt die erste Stimme.

Erster Doktor: Sosehr ich langer Praxi mich berühme,
So seltne Wunden, Schäden, Gliederkrankheit,
Verrenkung, unnatürliche Verhärtung
In Magen, Leber, Milz ich auch gesehn,
Ist mir doch dieser Fall nie vorgekommen.
Man liest, wie es wohl schon geschehen sei,
Daß sich die Knochen erst in Knorpel lösen,
In Gallert dann, und daß ein Mensch, der erst
Sechs Schuhe maß, zu zwein zusammenfällt;
Mag sein, daß die Natur wohl auch einmal
Das Wunder umkehrt, und die weichen Teile
Die Flüssigkeit in harte erst verwandelt,
Und allgemach in Horn, das wächst und wächst,
So daß vielleicht nach einer Anzahl Jahre
Die gnädige Prinzeß in Hörnermasse
Von vielen Klaftern oder Ruten schwände.

König: Das wär ein Elend; doch klingt's paradox.

Erster Doktor: Es nährt der Mensch zuzeiten wie der Baum
Schmarotzerpflanzen, so erscheint dies Horn,
Es darf nicht bleiben, teils als ungehörig,
Teils, weil's gewiß die besten Kräfte zehrt:
Dabei muß nun Diät das meiste tun,
Nahrhafte Speisen werden streng vermieden,
Auch alle Schärfen, alles was erhitzt,
Nur Wasser, wenig Brot, ein Habersüppchen,
So lösen wir vielleicht die Härtung auf,
Wenn starke, wiederholte Medizin
Den Trieb erregt, nachher ihn unterstützt.

König: Doch kann die Kranke daran nicht verscheiden?

Erster Doktor: Wenn's lange währt, gewiß, drum ist es besser,
Es gehn zu lassen, und nur zu beachten
Wohin Natur strebt, ob zur Rindesart,
Für Lebenszeit das Horn, ob die Prinzeß
Es wie der Hirsch mit jedem Jahre wechselt;
Fällt künftgen Frühling das Geweih, so ist's
Die beste Zeit, die Kur dann zu beginnen.

König: Wir sind so klug noch immer, wie zuvor.

Zweiter Doktor: Höchlich verehrt ist mein gelehrter Freund,
Doch machen ihn die Jahre etwas ängstlich:
Soll man das Neue nimmermehr versuchen,
Verliert das Alte auch den Sinn und Geist.
Wir schneiden, brennen, wo es nötig tut,
Wir stechen Star mit Glück, und amputieren
Den Menschen oft halb weg, ihn ganz zu retten,
Wir nehmen Zähne aus, sie einzusetzen,
Und sehn den Körper vor uns, wie ein Beet
Zu ackern drein, zu säen nach Belieben;
Oft sieht ein Mensch, der einge Jahr bei uns
Die Schule frequentiert, kaum noch mehr ähnlich
Dem Bilde, das Natur zuerst erschuf,
Ist wie Kunstpräparat mehr zu betrachten:
Ich ließ noch kürzlich einen von mir, dem
Der Kopf aus Silber halb bestand, die Beine
Aus Holz, der eine Arm von Leder,
Das wenige, was von ihm übrigblieb,
Das übertrug geschickt die andre Hälfte.
Ich bin einmal sehr fürs Maschinenwesen,
Ein Mensch, so umgeformt, ist edler stets
Als jenes wild gewachsene Produkt.

König: Wo will denn Eure Meinung nun hinaus?

Zweiter Doktor: Ich zeige nur, daß wir's hier leichter haben,
Denn hier ist ja kein Mangel zu ersetzen,
Vielmehr ein Überfluß nur wegzuschneiden,
Wir trepanieren etwas nur im großen,
Bohren das Horn weg, doch ein Teil der Schale
Des Kopfs muß auch mit fort, daß wir die Wurzeln
Zusamt dem Baum ausreuten, sonst von neuem
Wächst er empor, wie auch Versuche zeigten.

König: Kann bei der Kur mein Kind nicht Schaden nehmen?

Zweiter Doktor: Ist's tief gewurzelt, hart verwachsen, kann
Freilich der Kopf dabei in Trümmer gehn.

König: Ei, Bagatell! – Was soll man dazu sagen?

Dritter Doktor: Der Jüngste hier, erlaube man mir nun,
Nach den verehrten Herren auch zu sprechen,
Es scheint wohl, daß der Majestät des Herrn
Die Meinung unsrer Freunde nicht behagt,
Mit Unrecht nicht, denn sicher ist der Schaden,
Die Hülfe ungewiß. Ich muß nur bitten,
Nil admirari, ruhig zuzuhören.
Denn alles, was jetzt alt, war auch einst neu.
Die Fürstin hat zwei große, starke Hörner,
Das ist der Fall: wo, frag ich, ist das Unglück?

König: Wo, Bester? Auf dem Kopf, Ihr saht es ja.

Dritter Doktor: Nicht so ist es gemeint. Wo ist das Unglück?
So frag ich wieder. Ward nicht alles Wesen
Aus Schleim zuerst und Wurm? Polypen, Schlangen
Entstanden dann und Fische, aufwärts stieg es
Zum Tier und Vogel, endlich sprang der Affe
Fast schon vollendet hin, und siehe da,
Die neue Mißgeburt, der Mensch, erhub sich.
So schuf auf ihrem Gange die Natur.
Doch soll es dabei bleiben? Lang auf Lauer
Lag ich, wohin der Strom der Zeiten gehe,
Ob wir zum Fliegen uns erhöben, Schnabel
Und Klaue sich wo zeigten, erst natürlich
Als Monstrum, dann zu wahrer Art gereift.
Jetzt seh ich aber, daß die Menschheit mehr
Sich mit dem Tier verbinden, stärken will,
Und grüße froh die neue Morgenröte.
Ein alter Weiser sang: es gab Natur
Dem Manne Waffen und dem Vogel Schwingen,
Dem Pferde Hufen und dem Stier die Hörner;
Was gab sie Weibern denn zum Kampfe? Schönheit!
Ist's nun zu klagen, wenn sie mit der Schönheit
Zum Kampf zugleich der Gemse Horn erhalten?
Man sagt sich heimlich, daß ein großer Herr
Mit diesem Wunder ebenfalls begabt;
Ist meine Anmaßung nicht allzugroß,
Wenn ich in Politik zugleich mich mische,
So riet' ich, beide zu vermählen gleich,
Damit die neue Menschheit sich verbreite,
Die doppelt dann bewehrt, mit Schwert und Horn
Unüberwindlich wird. Ist wahr die Meinung,
Daß Äpfel diese Umwandlung geschaffen,
Schiffsladungen von diesen Früchten sollte
Man holen, um das Volk auch zu veredlen,
Dann würden wir Kraft, Kühnheit, Tapferkeit,
Gesundheit, Freiheit blühen sehn im Lande.

König: Kurios! Nach Eurer Meinung müßte man
Sich zu dem Unglück gar noch gratulieren:
So wäre denn Collegium medicum
Und Ratschlag drüber leere Tändelei;
Das ist am allermeisten mir entgegen.
Wie? Vogel, Affe, Stier zu werden wünschen?
Wie's Euch beliebt, doch ist's nicht mein Geschmack.

Leibarzt: Es scheint, daß gar nichts Euren Beifall hat.

König: Auf keinen Fall; sprecht Ihr nun was Gescheiters

Leibarzt: Darf ich es wagen frei, ganz frei zu sprechen,
So schmeichl' ich mir, wohl ohne Operation,
Und ohne schwere Kur, ein sichres Mittel
Zu der Prinzessin völligen Genesung
Nach reifem Sinnen, Herr, entdeckt zu haben.

König: Sprecht frei, es soll kein Mensch Euch darum schelten.

Leibarzt: Mein König, werte Herrn, es ist bekannt,
Daß viele Übel epidemisch sind,
Daß einer sie vom anderen empfängt;
Noch andre erben auf die Kinder fort;
Ja selbst der Fall ist öfter vorgekommen,
Daß von des Vaters Weh sein Erbe frei,
Im zweiten Glied der Enkel es empfängt.
Im Kind entwickelt sich der Eltern Geist,
In ihm kommt oft ein schwach Talent zur Reife,
In ihm wird auch das Übel offenbar,
Ein scharfer Blick sieht den Zusammenhang.
Wir wissen jetzt, daß unser Schädel jede
Anlage zeigt, durch klein' und größre Hügel:
Betrachten Sie genau Herrn Reymunds Kopf,
Den spitzen Schädel, der Theosophie
Und Schwärmerei verrät, besitzt er nicht,
Doch ist der Mann von Schwärmerei durchdrungen:
Das Haupt der Majestät ist oben flach,
Und doch ist sie zur Schwärmerei verleitet;
Was ihm entgeht, hat an der Tochter Kopf
Sich hoch erst und dann höher stets gebildet,
Des Vaters Wunderglaub im Übermaß,
Im Wachsen endlich sich als Horn gestaltet;
Auch von Herrn Reymund ist es sympathetisch
Hinüber täuschend auf sie abgesprungen,
Und wie sich die Extreme stets berühren,
Steht da Theosophie im Tiereszeichen:
Denn weil bei ihr, der Armen, zartere
Organe die Verirrung fand des Geistes,
Ward langes Horn, was bei dem Mystiker
Und bei des Königs Majestät Erhöhung
Des Schädels, Beulen, nur geworden wäre.
Geruht nun unser Herr zum Wohl der Tochter,
Warum wir ihn demütig flehend bitten,
Der Schwärmerei sich völlig abzutun,
Läßt er den Laboranten arretieren,
Und wenn es sein muß, falls er sich nicht bessert,
An seinem Leben kürzen, bin ich sicher,
Daß jene übertriebnen theosophschen
Organe der Prinzessin schwinden werden.

König: Doktor, Ihr seid in Ungnade gefallen! –
Das war faustgrob. Ich sollte eigentlich
Nach Eurer Meinung selbst die Hörner – hier
Mein Freund und Lehrer hingerichtet werden –
Und Ochs und Rind wär auch am End nur Schwärmer –
Das heißt Naturphilosophie verdrehn!
Ihr seid entlassen: und hiemit das ganze
Collegium medicum auch aufgelöst.
Ich bin erzürnt, ich will es nicht verschweigen.
Kommt von den Hörnern was ins Publikum,
So seht euch nur nach neuen Köpfen um.

Er winkt; alle bis auf Reymund gehn ab.

Ein Kammerherr tritt ein.

Kammerherr: Es lassen sich von Zypern der Gesandte
Und auch von Spanien der Herzog melden.

König: Ich wußte, daß sie unterwegs. Wo ist,
An dem der Dienst heut ist, denn Theodor?

Kammerherr: Er liegt zu Bett und läßt sich sehr entschuldgen.

König: Schon gut – Kammerherr ab. Was, Bester, fangen wir nun an?
Ich weiß, sie kommen meiner Tochter wegen;
Zeigt sie sich nicht: was wird man davon denken?
Und sieht man sie, fängt erst das Denken an.
Man hat schon lang von ferne mich sondiert,
Die jungen Könge wollen sich vermählen.
Wißt Ihr in Eurer Kunst, in Euren Büchern,
In den Gestirnen, nirgend, nirgend Rat?

Reymund: Da kommt mir ein Gedanke, sonderbar
Und neu vielleicht –

König:                             Er sei auch, wie er wolle!
Gelingt es Euch, die Not von mir zu nehmen,
So seid mein nächster Stellvertreter hier,
So mächtig wie ich selbst.

Reymund:                                 So kommt hinein,
Und laßt den Haarkräusler der Fürstin holen.

König: Den Windbeutel?

Reymund:                         Tut nichts zur Sache, Herr,
Hab ich es Euch erklärt, seht Ihr es ein,
Daß wir uns nur auf diesem Wege retten.

Sie gehn ab.

 


 


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