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3.
Der lange Matthies.

(Bei Halberstadt.)

Die Zeit des wilden Faustrechts war gekommen. Der Sturm, mit dem das Mittelalter schied, trug Mord und Brand durch alle Lande. Auch in den Harzgauen horsteten gar arge Räuber in den Burgen. So auch die Schwichelte in ihrer Harzburg, die sie von Herzog Otto von Braunschweig erhalten, der sie durch nächtlichen Überfall dem Grafen von Wernigerode verräterisch entrissen hatte. Die Schwichelte raubten bis weit nach Aschersleben hin, insonderheit hatten sie es auf Rinderherden abgesehen, womit sie die Mannschaften ihrer Burgen versorgten. Andere Schnapphähne streiften zwischen der Oker und dem Bruche, auch in der Grafschaft Reinstein, wurden aber bei Hornburg und dem Hessendamm geschlagen. Selbst in den Städten gab es in dem unruhigen Volk verwegene Leute genug, die versuchten, auf eigene Faust das Regiment an sich zu bringen.

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In Halberstadt war es ein Krämer, der seiner Größe wegen »der lange Matthies« genannt ward. Vom Bürgermeister Ammendorf war er schon einmal anno 1420 aus der Stadt als unverbesserlicher Störenfried ausgewiesen, ward aber auf seine Bitten und gegen das Versprechen, sich fürderhin ruhig zu verhalten, später in Gnaden wieder aufgenommen. Nun mußte er oft der erlittenen Demütigung gedenken, fand auch keinen besseren Anhang, als zu ihm paßte, und schürte insgeheim neue Unruhen. Jeder, der mit mehr oder weniger eigener Schuld unter die Unzufriedenen und Mißgünstigen geraten war, stellte sich zu Matthies, dem in solcher Umgebung der Kamm schwoll.

»Brüder, seht euch die großen Herren an! Was tun sie für euch? Nichts! Sie führen ein Leben herrlich und in Freuden, während ihr euch in saurem Schweiß quälen müßt und dennoch darbt. Wenn aber wir erst die Herren sind, dann sollt ihr sehen, daß alle Not ein Ende hat. Dann könnt ihr leben, wie es euch gefällt, und die Patrizier und Schlemmer sollen für euch die Arbeit tun!«

Wann wäre wohl jemals die breite Menge der Dürftigen und Scheelsüchtigen nicht gründlich auf solche Locktöne hereingefallen? Und so auch hier.

An einem kalten Nebeltag, dem 23. November 1423, brach die Revolte aus. Alle Häuser der Ratsherren wurden gestürmt und geplündert, Bürgermeister Lohbeck, Kämmerer Alsleben und die Zinsherren Bertram und Quenstedt gefangen gesetzt. Bei Fackelschein ward am Roland auf dem Markt das Blutgericht gehalten, bald darauf wurden den Ratsherren die Köpfe abgeschlagen und ihre Leichen nahe bei den Türmen an der Martinikirche verscharrt. Nun war die Herrschaft der Stadt in der Hand des langen Matthies und seiner Anhänger, die nach Gelingen des Umsturzes immer zahlreicher wurden, da sich darunter auch viele fanden, die vorher zum alten Regiment gehalten hatten. Besonders unter dem Einfluß dieser charakterlosen Elemente, die stets im Trüben fischen, und immer den Mantel nach dem Winde hängen, kamen zu den neuen Mängeln wieder die alten und die schlimmsten Zeiten über Halberstadt.

Der Kaiser tat die Stadt in die Acht, die Tore wurden geschlossen, und Elend und Not gingen Hand in Hand mit Bestechung, Ämterkauf, Unfähigkeit und Gewalt.

Der Bischof Johann von Hoym, der allein vergeblich die Stadt zu retten versucht hatte, wandte sich nun an Braunschweig, Magdeburg, Goslar und viele andere Städte um Hilfe. Endlich, am 29. Juni 1425 rückte ein großes Heer vor die Stadt und rüstete zum Sturm. Gleich der zweite Schuß aus einer Donnerbüchse der Magdeburger traf den Petershof. Eine ungeheure Erregung bemächtigte sich der Einwohner, die ihren Führer riefen, aber Matthies entfloh. Doch wurde er bald in Dernburg von einem Fuhrmann erkannt, der ihn dem Grafen von Reinstein auslieferte. Der wußte aber mit diesem Helden nichts anzufangen und schickte ihn zurück ins Heereslager. Als Flucht und Gefangennahme des Anführers bekannt geworden waren, verloren auch seine Helfer den Mut und jeder suchte sich zu retten. Die unterdrückte Bürgerschaft aber öffnete die Tore und übergab die Stadt dem Bischof, der sie und ihre Herrschaft wieder in die geübten, sauberen Hände der überlebenden Ratsherren legte, die etliche ehrliche, tatkräftige Meister, die in der Schreckenszeit an Recht und Sitte festgehalten hatten, mit in ihre Reihen stellten.

Noch am selben Abend hat man das Halsgericht über Matthies und seine Genossen abgehalten und ihnen die Köpfe vor die Füße gelegt. Sie wurden im Felde verscharrt und lange Steine an diesen Stätten aufgerichtet, wovon der längste »langer Matthies« genannt wird.

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