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15.
Die Roßtrappe.

(Bodetal.)

Lange, bevor unsere Altvorderen in die dichten Waldungen des Harzgebirges eindrangen, um auf zackigen Felsenklippen ihre Altäre zu errichten, auf denen sie Wodan heilige Opfer brachten, bevölkerten gar gewaltige Riesen die Gaue vom Rhein bis tief in den Böhmerwald. Viele von ihnen waren böse Zauberer und mit urgewaltiger Kraft versehen, der Schrecken ihrer Zeit.

Die in den wilden Klüften des Harzes hausenden Riesen wurden von einem König beherrscht, der der stärkste von ihnen war. Der hatte eine liebliche Tochter, Emma mit Namen. Als Riesenfräulein und als Kind ihrer Zeit war sie geübt im Reiten und Jagen. Ja, die Jagd auf Auerochs und Bär war ihr das schönste Vergnügen. Tag für Tag streifte sie mit ihrem Zelter durch die Wildnis.

Da begab es sich, daß sie sich verirrt hatte und bis an den Böhmerwald kam, wo Bodo, der wildeste aller Riesen dieses Landes, sich als mächtiger Zauberer selbst die bösen Geister untertan gemacht hatte. Er war von hünenhafter Gestalt, hatte feurig sprühende Augen, pechschwarzes Haar und einen struppigen Bart. Als er Emma sah, entbrannte er in heißer Liebe zu ihr und folgte ihr heimlich nach der väterlichen Burg; sogleich hielt er um des Mädchens Hand an, die der König ihm auch zusagte, weil er einen so furchtbaren und mächtigen Freier nicht abzuweisen wagte.

Alle Bitten Emmas, deren Herz schon für einen Ritter aus ihrem Volke schlug, halfen nichts, noch am selben Abend sollte die Vermählung sein. All der schönen reichen Brautgeschenke Bodos achtete die Jungfrau nicht, nur ein stattlicher milchweißer Zelter erregte ihr Wohlgefallen. Das schöne Tier aber war ein Zauberpferd und Bodo hatte seiner Braut alle geheimen Sprüche verraten, durch die es ihr gehorchen mußte.

Kaum hatte Bodo den Rücken gewandt, da durchzuckte Emma der Plan zur Flucht. Flugs bestieg sie ihr neues Roß, und in wilder Jagd gings dahin. Doch der Rappe des bösen Bodo erhob, als er seinen weißen Gefährten davonjagen sah, ein so lautes Wiehern, daß sein Herr aufmerksam wurde und das Ereignis sogleich entdeckte. Wütend schwang er sich auf sein Roß und hatte Emma bald auf hundert Pferdelängen eingeholt. Die Fliehende trieb das Tier noch mehr an, so daß sie wie mit des Sturmwinds Brausen dahinflog. Der rasende Verfolger gebrauchte nun all seine Zaubermacht und schoß, einem Pfeile gleich, hinter der fliehenden Braut daher, von Herzschlag zu Herzschlag den Zwischenraum verkürzend. In atemberaubender Flucht geht es in der Richtung des Hexentanzplatzes, der auf jenseitigen Höhen winkt, geradewegs auf den furchtbaren Abgrund zu, in dessen Tiefe wild ein Flüßlein erbraust. Jäh stemmt der schäumende Zelter die Hufe auf schwindeligem Felsrand, ein heranheulender Sturm wirft seine Mähne und das Gewand seiner Reiterin wild vornüber. Die schaut entsetzten Blickes zurück: in rasenden Sätzen verschlingt der Rappe den letzten kargen Abstand, ein markerschütterndes, gurgelndes Hohnlachen aus dem Munde Bodos füllt die Schlucht mit hundertfachem Widerhall!

Lieber tot da unten, zerschmettert am Fels, als lebend in Jenes Armen! Und mit scharfem Ruck reißt sie den gehorsamen Zelter zurück, schreit ihm das mächtige Zauberwort in die Ohren und fliegt voll Todesverachtung dem Abgrund entgegen.

In das befestigende Gefühl des Hinübergleitens über gähnende Tiefe schneidet das Krachen und Klirren der mächtigen Glieder und eisernen Rüstung des Verfolgers, der mit seinem abgehetzten Rappen scharf hinter der vermeintlichen Beute den Sprung getan, der ihn hinabwarf in den reißenden Fluß, während Emmas Roß drüben mit gellendem Aufschlag auf die Felsplatte sprang.

Der Fluß im Tal heißt nach dem böhmischen Reiter Bode. In wildem Strudel, dem Bodekessel, ist die Krone des Riesenfräuleins versunken, die ihr bei dem Sprung vom Haupte fiel. Roßtrappe heißt die Stelle, wo heut' noch im Fels die Hufspur zu sehen ist, die der Zelter eingrub, bei dem gewaltigen Sprung über den Abgrund beim Bodekessel. Das Harzflüßchen Holtemme mag wohl seinen Namen von Emma, der kühnen Reiterin, bekommen haben.

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