Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
(Bei Harzburg.)
Das also ist der sagenhafte Brunnen, darin so viele und seltene Schätze verborgen, die Krone des vierten Kaiser Heinrich und ein goldner Kaisersarg versunken sind. Schaut hinab, wie es ganz tief unten blitzt und schimmert, höret nur, wie es kluckst und rauscht und raunt. Selbst Kaiser Friedrich, der Rotbart, taucht zuweilen herauf mit leisem Augenblinzen. Husch! schwebt die weiße Jungfrau über den Brunnenrand und wandelt über Ruhsacks Wiese an den Osthang des Berges. Dort steht sie an einem Twisselbeerbaum, hinaus ins Land schauend. Am Krodobrink hat man sie oft das hohe Gras mähen sehn. Obwohl ein wildes Brausen vor ihr herweht, ist sie doch nicht schrecklich, zumal wenn sie als Spitz verwandelt munter herumspringt. Besonders der Freitag ist ihr Tag und meistens sind die Wiesen um Schulenrode ihr Tummelplatz.
Sie will den Armen und Schwachen helfen mit den Schätzen im Brunnen, darin sie wohnt. So gab sie einem Köhler auf dem Sintinnigsplatze eine Blume und führte den Mann in eine Höhle im Berg, wo sie ihm den Holster füllte. Er sollte aber sein Gepäck nicht öffnen, ehe er übers Wasser sei. Der Tölpel hat es doch getan, sodaß es nur Pferdemist war, als er hineingriff; auch konnte er nicht mehr zurück, weil er die Wunderblume in der Höhle hat liegen lassen. Mit diesem Manne hatte sich die weiße Jungfrau nutzlos um sein Glück bemüht; dadurch wird man wohl von dieser Geschichte gehört haben. Die Verständigen, die gut bei ihr wegkamen, werden schweigen.
Einmal ist sie gar in drei Freitagsnächten hintereinander in Schulenrode vor das Fenster eines jungen Burschen gekommen, den sie nach dem Schöppenstedtergrund hat mitnehmen wollen, ihm dort einen Schatz zu zeigen. Auch dieser dumme Tropf getraute sich nicht, ohne seinen Bruder Valentin mitzugehen. Die Jungfrau hat einen rechten schweren Seufzer getan vor dem Fenster und ging fort mit den Worten, daß nun das Kindeskind noch nicht geboren sei, den großen Schatz zu heben.
Wie mancher Jüngling wollte heute gerne auf die Gesellschaft des Bruders verzichten, wenn die weiße Jungfrau käme, ihn zur Hebung des wunderbaren Schatzes auf dem Burgberg zu holen.
* * *