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45.
Der Barbier von Sachsa.

Man kann verschiedener Meinung sein über das Herkommen der Zwerge und Gnomen, wohin sie verschwunden sind und warum das geschah. Aber ein Streit über ihre Redlichkeit und Hilfsbereitschaft dem Menschengeschlecht gegenüber dürfte wohl müßig sein. Selbstverständlich haben diese kleinen Erdwesen sich auch gegen Uebergriffe in ihre alten Rechte mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln zu wehren gewußt. Das mußte auch der Barbier erfahren, der seinerzeit viel gutes von diesem Völkchen hatte und es schließlich doch gründlich mit ihm verdarb. Thaddäus war seines Zeichens Bartscherer von Sachsa und erfreute sich des seinem Verschönerungsgewerbe entsprechenden guten Rufes.

Diesem verdankte er nicht zuletzt seine vorzüglichen Beziehungen zu den Zwergen, die in der Nähe von Sachsa und Ellrich ihre unterirdischen Wohnungen hatten. Thaddäus hatte durch einen günstigen Umstand den Eingang zu jenen Höhlen schon als Knabe entdeckt und an verträumten Sonntagen, wenn er das Erdvölklein heimlich belauschte, beobachtet, daß die kleinen Männlein große Sorgfalt auf ihre Barttracht verwendeten. Und da des Völkleins eine große Zahl war und alle ein bärtiges Antlitz hatten, war schon früh sein Entschluß gereift, sich als Barbier in Sachsa niederzulassen. So hatte er nun seine bestimmten Zeiten, zu denen er durch die ihm bekannten Zugänge in die Berge hineinging und den Zwergen die Bärte schnitt. In einem Anfall von gewiß nicht bös gemeintem Uebermut besorgte er einmal an einem der ältesten und angesehensten Gnomen diese Arbeit in der Weise, daß er die eine Hälfte des Bartes völlig wegnahm und die andere unverändert stehen ließ. Obwohl viele seiner Gevattern das bemerkt hatten, ließen sie den Barbier unbehelligt von dannen ziehen. Ja, sie hatten sogar ihren Spaß mit dem Gefoppten, der dadurch erst merkte, was Thaddäus mit ihm angerichtet hatte.

Schließlich aber waren sie darin einig, daß diese Unbill nicht ungestraft bleiben dürfe. Zu einem Hochzeitsfest im Zwergenland luden sie den Bartscherer besonders höflich ein und überließen ihm einen ausdrücklich ehrenvollen Platz an der reich gedeckten Tafel. Einer seiner ältesten Kunden beredete den Gast, er möchte von ihm eine Tarnkappe tragen, während die großen Extraportionen aufgetragen würden. Damit könne er seinem gewiß nicht geringen Appetit weit mehr die Zügel schießen lassen, als es sonst unter gesitteten Menschen wohl Brauch sei, denn er sei durch die Tarnkappe für alle anderen unsichtbar. Thaddäus nahm den Vorschlag gern an. Von den saftigsten Bratenstücken langte er sich kräftig zu und belauschte mit Vergnügen die Entrüstungsrufe der Tischgenossen über das rätselhafte rasche Verschwinden des Bratens. Während der Unmut sich steigerte, zog der Zwerg jedoch leise dem Barbier die Tarnkappe hinweg. Da Thaddäus nicht wissen konnte, daß er bereits wieder für die ganze Gesellschaft sichtbar geworden war, hielt er nicht ein in seinem unverschämten Treiben. Umso verdutzter mag er gewesen sein, als ihn nun plötzlich mehr als hundert kleine Fäuste von allen Seiten wie ein Geschoßhagel überfielen, pufften und zausten. Den als letzten auserwählten besten Happen mußte er liegen lassen, während das wütende Völkchen ihn mit allen Kräften von der Tafel riß und durch einen langen Gang an die frische Luft beförderte.

Er eilte voll Verzweiflung nach Hause, wo er Muße genug hatte, in einer schlaflosen Nacht über den Sinn dieses Strafgerichts nachzudenken. Mit welchen Mitteln der Barbier von Sachsa sich das Vertrauen des Zwergenvolkes zurückgewann, wissen wir nicht. Schon lang ist es jedenfalls her, daß überhaupt noch ein Mensch Umgang mit den Zwergen hatte, deren Wohnungen wir nur noch vermuten können, hinter den zahlreichen Zwerglöchern in jener Landschaft.

* * *


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