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I. Überfahrt nach der Neuen Welt

Wer die Neue Welt besuchen will, soll das nicht bis auf das Alter verschieben, denn das Alter neigt zur Bequemlichkeit, und mit bequemen Leuten ist drüben nichts Rechtes mehr anzufangen. Dieses ist meine Meinung gewesen lange Zeit. Als ich aber hinübergefahren und ein paar Tage drüben gewesen war, sah ich ein, daß ich mich in einem großen Irrtum befunden hatte. Ich erkannte, daß in allem, was die Bequemlichkeit und den Komfort des Lebens betrifft, die Neue Welt der Alten um vieles voraus ist, und da auch die Überfahrt selbst nur noch ein Katzensprung ist, wie man zu sagen pflegt, ohne Anstrengung sich ausführen läßt und dabei viel Vergnügen gewährt, so bin ich mir ganz klar darüber geworden, daß das Alter kein Hindernis mehr sein kann für einen, der Lust hat, die Neue Welt zu besuchen und ein bißchen Geld dafür auf die hohe Kante gelegt hat. Für meine Person habe ich das Alter überhaupt nicht als ein Hindernis betrachtet, weil bei mir die Lust zu Abenteuern und das Bestreben, den Anschauungskreis zu erweitern, mit den Jahren eher zugenommen als sich vermindert hat. Es lag aber bei mir noch ein besonderer Grund vor, die Fahrt über das große Wasser zu machen, und dieser besondere Grund hatte seine tieferen Wurzeln in der Liebe zweier Menschen zu einander.

Vor längerer Zeit hatte sich etwas begeben, worüber in den ersten Versen eines alten niederdeutschen Volksliedes berichtet wird. Der Anfang dieses Liedes lautet:

»Et wassen twee Künigeskinner,
De hadden enanner so leef,
De kunnen to nanner nich kummen,
Dat Water was all to breed.«

Es war aber nicht die Breite des Wassers allein, die die beiden Liebenden verhinderte, zu einander zu kommen, sondern auch noch andere Hindernisse lagen vor. Zum Glück erging es dem Paar, von dem die Rede ist, besser als den anderen beiden, deren trauriges Schicksal im weiteren Verlauf des alten Liedes erzählt wird. Alle Hindernisse wurden durch die Liebe überwunden. Es kam ein Tag, an dem durch das Kabel zwischen Europa und Amerika das Wörtchen »Komm« lief, das im Englischen » Come« geschrieben wird, und so kamen sie »to nanner«. Die einst am Strande der Ostsee in dem kleinen Wustrow auf dem mecklenburgischen Fischlande zu einander »Du bist mein und ich bin Dein« gesagt und sich Treue für immer gelobt hatten, bauten sich nun ein Schloß oder Nest, wie man es nehmen will, am Ontariosee in Canada und waren zufrieden. Als aber ein paar Jahre vergangen waren und drüben schon ein Prinzeßchen angekommen war, dachten die Eltern des einen der beiden Königskinder daran, ob es nun nicht an der Zeit wäre, dem jungen Haushalt auf der anderen Halbkugel einen Besuch abzustatten, überlegten hin und her und wurden endlich eins in dem Entschluß, hinüberzufahren.

Nach dieser Einleitung gehe ich von der dritten auf die erste Person über. Nachdem wir beide, meine Ehefrau und ich, die wenigen Sachen, die wir zur Reise brauchten, zusammengepackt, unser kostbarstes Gut, die noch zum Hause gehörenden Kinder, sicher untergebracht und Anweisung gegeben hatten, die Blumen auf dem Balkon während unserer Abwesenheit regelmäßig zu begießen, traten wir am 4. Mai des Jahres 1900 die Reise nach Bremen an.

Unterwegs erfreuten sich meine Augen noch an dem jungen Maiengrün der schlichten heimatlichen Landschaft. Wie anmutig standen die Birken da mit ihren schneeweißen Stämmen und dem zarten Laube! Auf der Heide, die im ganzen noch winterlich braun war, glänzten hie und da die in goldigem Knospenschmuck stehenden Büsche der Myrika hervor. Diese kann ich drüben wiedersehen, dachte ich, nicht aber das Heidekraut, das nur an wenigen Orten in Canada zu finden ist und nicht in den Gegenden, wohin ich komme.

In Bremen gaben wir unser großes Gepäck für das Schiff auf und meldeten uns auf dem Hauptbureau des Norddeutschen Lloyd. Dann nahm ich die Gelegenheit wahr, meiner Lebens- und Reisegefährtin die Sehenswürdigkeiten der prächtigen Stadt zu zeigen, die mir von früher her bekannt waren. Wir besuchten auch die Wallanlagen und erfreuten uns an den mannigfaltigen Farbentönen des jungen Laubes der schönen Bäume, an den vielen blühenden Magnolien und den reizenden Blumenbeeten. Für seine Anlagen und Schmuckplätze thut der Bremer viel, und die reichen Handelsherren der Stadt sehen es als eine Ehre an, für ihre Erhaltung, Verschönerung und Vermehrung Summen herzugeben, über die man anderwärts erschrecken würde. Das könnte sehr wohl für manche andere Stadt – im Augenblicke fällt mir keine ein – zum Vorbilde dienen. Nachdem wir uns das alles angesehen hatten, legten wir uns selbstverständlich im Ratskeller vor Anker.

Die Flutverhältnisse, die »Tiden«, brachten es mit sich, daß unser Schiff, der »Große Kurfürst«, erst am Nachmittag des anderen Tages abgehen konnte. Ich wandte den noch freien Morgen dazu an, einen Blick auf den Wochenmarkt zu werfen, der auf dem schönsten Platze der Stadt, vor dem Rathause und dem Dom, um das Denkmal Kaiser Wilhelms und des Roland herum, abgehalten wird. Im hellen Sonnenschein dieses Tages war das ein entzückender Anblick. Bei den Blumenhändlern fiel mir auf, daß sie fast alle Kästen mit schon bewurzelten Ablegern von Hortensien, Fuchsien und Pelargonien hatten, die einzeln verkauft wurden. Das verdient Nachahmung. Eine solche junge Pflanze, die der Käufer selbst weiter aufzieht, gewöhnt sich leichter an den Ort, an den sie gebracht wird, und erweist sich »dankbarer«, wie der eigennützige Mensch sagt, als diejenige, die in voller Blüte stehend vom Markt genommen wird und gewöhnlich die Ortsveränderung nicht gut verträgt.

An diesem Morgen und schon am Nachmittage vorher waren die Straßen in der Nähe des Bahnhofes voll von Leuten aus dem Osten. Männer und Frauen waren es, die Frauen trugen meist farbige Röcke und bunte Kopftücher. Wir fanden sie nachher als Passagiere des Zwischendecks wieder und erfuhren, daß es größtenteils Ungarn, Slovenen und Russen waren, die in der Neuen Welt das Glück suchen wollten, das ihnen die Heimat verweigert hatte. Nun waren sie noch damit beschäftigt, sich die nötigen Papiere für die Fahrt ausstellen zu lassen und kleine Einkäufe zu machen.

Um halb zwölf Uhr ging ein Extrazug des Lloyd mit uns nach Bremerhaven ab. Auf dem Bahnhof erhielten wir ein gedrucktes Verzeichnis der Passagiere der ersten und zweiten Kajüte, deren im ganzen etwas über hundert waren. Das erscheint als eine geringe Zahl, wenn man bedenkt, daß die erste Kajüte 270 und die zweite 170 Fahrgäste aufnehmen kann. Aber der »Große Kurfürst«, der in meiner Vaterstadt Danzig auf der Schichauschen Werft gebaut ist und eben erst vollendet worden war, machte seine erste Fahrt, und es giebt viele Leute, die sich vor der ersten Fahrt auf einem neuen Schiff wie vor der auf einer neuen Eisenbahn scheuen. Nun, die erste Fahrt ist so glücklich verlaufen, wie nur irgend gewünscht werden konnte, und daß die Zahl der Mitfahrenden nicht allzu groß war, trug entschieden zu den Annehmlichkeiten der Reise bei. Zwischendeckspassagiere waren gegen tausend an Bord, es ist aber Platz für die doppelte Zahl vorhanden, wenn alle Räumlichkeiten des Zwischendecks zur Benutzung kommen.

Als wir auf dem Lloydbahnhof in Bremerhaven ankamen, sahen wir dicht vor uns den »Großen Kurfürsten« mit seinen gewaltigen beiden Schornsteinen auf dem Wasser liegen. Rasch begaben wir uns mit unserm Handgepäck auf das Schiff und hatten bald die für uns bestimmte Kabine oder Kammer, wie es jetzt heißt, gefunden. Was für ein allerliebstes Bauer, nicht übermäßig geräumig, aber groß genug für zwei Wandervögel. Die Wände von weißlackiertem Holz und getäfelt, der Fußboden mit einem Teppich bedeckt. An der Innenwand zwei Betten, eins über dem andern, und seidene Bettvorhänge. Zur Ersteigung des oberen Bettes dient eine Leiter. In die Betten hineinzuturnen erscheint zuerst etwas schwierig, lernt sich aber leicht und wird dann mühelos bewerkstelligt. Das übrige Mobiliar besteht aus einem Kleiderschrank, zwei Waschschränken mit einigen Schubladen, einem Sofa und einem Klappstuhl. Vom Bett aus läßt sich eine elektrische Lampe durch einen Griff anzünden und löschen. Am Tage giebt ein rundes Fenster Licht genug und gestattet die Aussicht auf das Wasser. Alles glänzt von Neuheit.

Nachdem wir unser Quartier für die nächste Zeit uns angesehen hatten, begaben wir uns wieder auf Deck. Auf dem Pier fanden noch Abschiedsscenen statt, bald aber waren die letzten Gepäckstücke durch den Schiffskran an Bord gehoben und weggestaut, bald wurde hinter dem letzten Passagier die Landungsbrücke, mit ihr zugleich die Verbindung mit der Alten Welt, abgebrochen, und unter den Klängen eines flotten Marsches, den die Schiffskapelle spielte, setzte das stolze Fahrzeug sich in Bewegung. Es war ein bedeutender Augenblick für einen, der zum erstenmal die Fahrt macht, und mancherlei ging mir dabei durch die Seele. Nun lebe wohl, Europa! Zunächst verlieren wir dich noch nicht ganz aus den Augen, aber unsere Füße werden dich erst nach zehn Wochen wieder betreten. Unterdessen wachse und reife dein Korn, wie der Landmann es hofft, habe der Weinstock eine gute Blüte und bleibe Friede im Lande!

Der »Große Kurfürst« ist nach dem »Kaiser Wilhelm« und dem »Kronprinzen Wilhelm«, wie jetzt hinzuzufügen ist, der größte Dampfer der Flotte des Norddeutschen Lloyd und der nach den neuesten Erfahrungen am vollkommensten gebaute. Er hat eine Länge von l77 Metern und wo er am breitesten ist, eine Breite von 18,9 Metern. Gebaut ist dieser Riesendampfer nach dem sogenannten Barbarossa-Typ und besitzt wie die Fahrzeuge dieser Art ein mittschiffs stehendes, zwei Etagen hohes Deckgebäude, das den größten Teil der Kabinen erster Kajüte, den großen Speisesaal, ein Gesellschaftszimmer und ein Rauchzimmer enthält. Die Räume sind mit höchster Eleganz ausgestattet. Den Speisesaal zieren zahlreiche Bollhagensche Gemälde, die auf den Großen Kurfürsten und seine Zeit Bezug haben. Längs des Deckgebäudes laufen auf jeder Seite zwei Promenadendecke, eins über dem anderen, und auch das obere ist mit einem Schutzdach versehen. Dort lustwandeln die Passagiere, sitzen auf den Bänken oder liegen – vornehmlich die Damen – hingegossen auf für diesen Zweck besonders konstruierten Stühlen. Auf diesen Promenaden kann man so weite Spaziergänge machen, wie man will. Auf dem hinteren Teil des Schiffes befindet sich die zweite Kajüte, die ebenfalls mit einem geräumigen Speisesaal, mit einem hübschen Gesellschafts- und Rauchzimmer versehen ist. Das Vorderdeck dient den Passagieren dritter Klasse zum Aufenthalt in freier Luft während des Tages. Ihre Schlafräume befinden sich in verschiedenen Abteilungen des Hauptdecks. Außer den großartig eingerichteten Küchen enthält das Schiff eine Bäckerei und Konditorei, Badeanstalten, eine Frisierstube, eine Apotheke und ein Hospital. Auch eine kleine Druckerei ist an Bord. Drei Lindesche Kühlmaschinen sind vorhanden und drei Dampfdynamomaschinen zur Speisung von etwa tausend Glühlampen. Das Schiff ist ausgerüstet mit wasserdichten Schotten und mit vorzüglichen Vorrichtungen zur Feuerlöschung. Für den Fall der Not sind zweiundzwanzig Rettungsboote an Bord, mit Proviant und Wasser und allem sonst Notwendigen versehen. Die Besatzung beträgt zweihundertundsechs Mann, worunter siebzig Stewards sind. Zwei Ärzte besorgen den Krankendienst.

Der »Große Kurfürst« ist kein Schnelldampfer, er braucht für die Überfahrt zehn Tage, und etwas kommt noch dazu, wovon bald die Rede sein wird. Bei dem Rotesander Leuchtturm kamen wir in die Nordsee, bis dahin wird das Wasser noch als Weser gerechnet. Wir bekamen dann zur linken Hand die kleinen nordfriesischen Inseln und passierten, als es dunkel wurde, das Borkumer Feuerschiff. Am anderen Tage kam um Mittag auf der rechten Seite die hohe englische Kreideküste in Sicht mit dem grauen Heideland darüber, das ich mir in Gedanken mit goldenen Ginsterblumen ausschmückte, und auf dem linken die niedrigere französische Küste. Wir fuhren zwischen Dover und Calais hindurch und kamen in den Kanal. Die französische Küste verschwand bald wieder, die englische blieb weiterhin sichtbar. Wir kamen vorüber an Dungerneß und Eastbourne. Von der schönen Insel Wight, auf die wir uns gefreut hatten, war leider wenig zu sehen, denn der Himmel war trübe geworden und es hatte sich Sprühregen eingestellt. Vorübergehend aber klärte es sich doch ein wenig auf, und ich sah während einer kurzen Zeit die Küste in der Gegend von Osborne und Cowes deutlich vor mir mit ihren Landhäusern, Schlössern, Türmen und hohem Baumwuchs in den zartesten Tönen zwischen Weiß und Grau, wie mit Silberstift gezeichnet. Vor Southampton, das in einiger Entfernung sichtbar wurde, warfen wir Anker, setzten einige Passagiere aus und nahmen andere auf, auch eine Anzahl Kisten mit eßbaren Dingen wurden an Bord genommen. Darunter befanden sich, wie ich schon erwartet und gehofft hatte, köstliche Hummer, die an den folgenden Tagen unsere Tafel zierten. Nach einer Stunde fuhren wir weiter und erreichten, als es schon dunkel geworden war, die Felsriffe, die Needles genannt sind und eine Fortsetzung der Insel Wight bilden. Viele weiße und rote Leuchtfeuer, die zum Teil weithin ihren Schein über die See warfen, sahen wir auf beiden Seiten; das letzte ging von dem auf der letzten der Needles stehenden Leuchtturm aus. Von den Needles an wird die Zeit der Überfahrt gerechnet, die Strecke von Bremerhaven bis zu den Needles zählt nicht mit, wie etwa bei den neuen Häusern im Westen Berlins die unterste Treppe, die doch auch ihre zwanzig Stufen hoch ist, nicht mitgerechnet wird. Von Bremerhaven bis zu den Needles sind es 479 Seemeilen, von dort bis Newyork 3103 im mittleren Kurs. Wir nahmen aber einen etwas südlichen Kurs, wie es in dieser Jahreszeit geschieht, um der Gefahr des Zusammenstoßens mit etwa von Norden kommenden Eisbergen zu entgehen.

Am folgenden Tage war das Bild, das sich uns darbot, wieder ein anderes. Der Himmel war hell, der Wind wehte wie von Anfang an aus Südwest, war aber stärker geworden. Die See war voll weißer Schaumkämme. Am frühen Morgen wurde der berühmte Leuchtturm von Eddystone passiert, dann kam die felsige Küste von Cornwall mit dem Kap Lizard in Sicht, dann kamen wir an den Scilly-Inseln vorbei, die sich als gelbliche zerklüftete Felsgruppen und einzelne Felsen aus dem Meer erheben. Man konnte sehen, wie die weiße Brandung hoch an ihnen emporstieg. Der letzte Felsen, dessen man ansichtig wird, ist der Bishop Rock, auf dem ein Leuchtturm steht. Damit ging es in das offene Weltmeer hinein. Nun konnte unser Schiff fahren wie ein Wagen auf der Heide, wo, soweit man sehen kann, rechts und links alles Fahrweg ist.

Wir wurden nicht müde, uns am Anblick der See zu erfreuen. So ein großer Schraubendampfer durchpflügt recht eigentlich das Wasser, indem er, auch wenn es nur wenig bewegt ist, nach beiden Seiten hin hohe Wellen aufwirft, wie durch den Pflug der Boden aufgeworfen wird. In dem von der Höhe der Wellen aber durch den Wind zurückgewehten Wasserstaub erscheinen im Sonnenlichte dem Blick zahllose rasch vorübergleitende Regenbogen.

Der Tag, an dem wir in den Ozean einfuhren, war Montag, der 7. Mai. Am Dienstag blieben die Möwen aus, die uns bis dahin schreiend umflogen hatten, nicht ohne Grund darauf rechnend, daß für sie vom Schiff etwas abfallen würde. Es fiel manches für sie ab, denn alles, was von den Mahlzeiten auf dem Schiff übrig bleibt, wird in die See geworfen. Von diesem Dienstag an bis zum vorletzten Tage unserer Fahrt habe ich keine Vögel wieder gesehen, weder Möwen noch Seeschwalben noch Mutter Careys Hühnchen, von denen ich als Kind so viel in Campes Reisebeschreibungen gelesen hatte. Das hing mit der Jahreszeit zusammen. Alle diese Vögel brüten auf dem Lande und können sich dauernd erst auf der hohen See aufhalten, wenn ihre Jungen flügge geworden sind.

Am Mittwoch nahm der Wind sich gegen Abend stark auf und blieb die Nacht so. Es war noch kein Sturm, aber doch eine steife Brise, die uns gerade entgegenwehend die Wellen mit Heftigkeit gegen das Schiff warf. Es gab gewaltige Stöße. Manchmal schien es, als müßte das Schiff auseinanderbrechen, aber aus festem Stahl gebaut, wie es war, hielt es zusammen. In der Nacht träumte mir, der Weltuntergang stände bevor. Bei Karlikan in Westpreußen waren viele Menschen versammelt, um ihn zu erwarten, und ich war mit dabei. Es war aber vorher die Rundfrage ergangen: »Wie denken Sie über den Weltuntergang?« Darauf hatten viele geantwortet und ich auch. Die Antworten lagen in Kuverts zusammen unter einem Baum. Ich las eine Anzahl von ihnen, die in Prosa und Versen abgefaßt und zum Teil sehr drollig waren. Da fiel mir ein, wie thöricht doch diese Beantwortung der Rundfrage sei. Wenn die Welt wirklich unterginge, so gingen dabei ja auch diese Schriftstücke unter, die zum Andenken an das große Ereignis verfaßt waren. Darauf suchte ich meine Antwort unter den anderen heraus und steckte das Blatt in die Tasche. Zum Weltuntergang aber kam es nicht, da ein besonders heftiger Stoß, den das Schiff bekam, mich aufweckte.

Weder damals noch später hat uns beide, meine Gefährtin und mich, irgend etwas von Seekrankheit angewandelt. Diese richtete aber sonst auf dem Schiff bedeutende Verheerungen an, besonders unter den Zwischendeckspassagieren. Wie fröhlich waren sie noch in den ersten Tagen gewesen. Sie hatten ein paar Ziehharmoniken und eine Geige bei sich, spielten, tanzten, rangen miteinander und sangen Lieder in ihren Sprachen bis in die Nacht hinein. Der starke Seegang aber machte sie plötzlich still. Nur wenige von ihnen waren am 10. Mai auf Deck zu sehen, unten aber, wo sie krank zusammenlagen, muß es fürchterlich gewesen sein. Es waren auch alte Personen dabei und halberwachsene und nicht wenig kleine Kinder. Viele der Frauen und Mädchen hatten die Schuhe, die sie sich für die Reise gekauft hatten, wieder abgelegt und erschienen barfuß. Worauf konnten diese Leute in der Neuen Welt rechnen, nachdem sie ihr geringes Eigentum für die Überfahrt verkauft und nur so viel Geld behalten hatten, als der Einwanderer nach amerikanischem Gesetz bei der Landung vorzeigen muß? Sie rechneten auf das Glück, aber was werden sie gefunden haben! Harte Arbeit in den Minen und Petroleumwerken und vielleicht mehr Entbehrungen, als sie in ihrer Heimat zu ertragen hatten.

Die Passagiere des Zwischendecks machten sich selbst Musik und das thaten auch einzelne von denen der ersten und zweiten Kajüte, die dazu veranlagt waren. Im Gesellschaftszimmer der ersten Kajüte stand ein schöner Bechsteinscher Konzertflügel und ein Ibachsches Pianino im Speisesaal; ein ebensolches war auch im Salon des Hinterdecks zu finden. Dort waren drei Ungarn, von denen zwei trefflich die Geige und einer die Flöte spielten. Sie gaben eines Nachmittags ein Konzert, an dem auch ein paar andere durch Gesang sich beteiligten. Die Ausführung, die zum Besten der Seemannskasse des Lloyd stattfand, erwarb sich vielen Beifall. Im übrigen sorgte für musikalische Unterhaltung die Schiffskapelle, die aus zehn Mann von den Stewards bestand. Sie gaben vormittags ein Konzert auf dem Promenadendeck mit Blaseinstrumenten, spielten zum Mittagessen mit Streichinstrumenten und konzertierten am Abend auf dem Hinterdeck. Die beiden Sonntage, die in die Zeit der Überfahrt fielen, bliesen sie in der Frühe mit einem Choral ein. Außerdem forderten sie durch eine Fanfare zu den drei Hauptmahlzeiten des Tages auf, und zwar zu jeder zweimal, eine halbe Stunde vorher und dann noch einmal, wenn alles fertig war und es zu Tisch gehen sollte.

Die drei Hauptmahlzeiten, die eine große Rolle auf dem Schiff spielten, waren folgende: um 8 Uhr das Breakfast, um 12½ der Lunch und um 6 das Dinner. Außerdem wurden zwischenein noch einige Erfrischungen gereicht. Meine Frau und ich, die wir zu den wenigen Frühaufstehern gehörten und um 7 Uhr schon auf Deck zu sein pflegten, bekamen um diese Zeit durch Güte eines Steward schon einen kleinen Vorkaffee. Um 10 Uhr vormittags gab es Bouillon mit Brötchen, um 4 Uhr nachmittags Limonade, aus Citronen und Apfelsinen bereitet, mit Kuchen, und abends um zehn Uhr wurden noch einmal belegte Brötchen angeboten. Die Mahlzeiten waren einfach lukullisch. Der Oberkoch Herr Uhlig verdient fürwahr das größte Lob und die höchste Anerkennung. Er brachte eine Mannigfaltigkeit von Speisen auf den Tisch, und alles war auf das leckerste zubereitet. Er erwies sich als ein Künstler in seinem Fach, er dichtete die Menüs zusammen. Sein Breakfast war ein lyrisches Gedicht, sein Lunch eine Ballade, sein Diner, das acht Gänge umfaßte, ein Epos. Sogar Spickaal ( smoked eel), Hahnenkämme und Berliner Pfannkuchen, von den Engländern dough-nuts – Teignüsse – genannt, kamen auf die Tafel. Für die Teignüsse allerdings gebührt der Preis nicht dem Koch, sondern dem Konditor, der sich gleichfalls als ein Meister seines Faches erwies. Als größte Leistungen seiner Kunst sind mir ein Schweizerhaus, eine Bismarckeiche, eine lebensgroße Ente und ein mit Chinesen verzierter Baumkuchen in Erinnerung geblieben. Ja, auch er war ein Künstler, und ein Bildhauer konnte etwas von ihm lernen. Besonders erwähnen muß ich noch die Früchte, die den Nachtisch bildeten: köstliche Birnen, die, ich weiß nicht woher kamen; Äpfel diesjähriger Ernte von Tasmanien, frische Weintrauben aus den Treibhäusern der Insel Guernsey und Ananas von den Azoren, die von ausgezeichnetem Wohlgeschmack waren. Nur die von Pernambuco sollen noch besser sein. Ich glaube, ein richtiger Gourmand würde nicht übel daran thun, ein paar Jahre hindurch, bis er die Gicht bekommt, sämtliche Reisen, die der »Große Kurfürst« ausführt, mitzumachen. Natürlich müßte er der Seekrankheit gegenüber immun sein.

Für jede Mahlzeit gab es eine mit einer hübschen Illustration gezierte, in der Schiffsdruckerei hergestellte Tischkarte, deren oberer Teil abzuschneiden und als Ansichtspostkarte zu verwenden war. Die Tischkarte für das Dinner enthielt auch das Konzertprogramm, und aus den von mir aufgehobenen Programmen geht hervor, daß die tapferen Musikanten auch vor schweren Sachen von Mozart und Wagner nicht zurückschreckten. Die leichteren aber gelangen ihnen im ganzen besser.

Wir hatten am Tisch unsere Plätze neben dem Kapitän Herrn Reimkasten, den wir bald sehr lieb gewannen. Er erwies sich als ein Mecklenburger, Landsmann meiner Frau und Schulgenosse meines Freundes, des Dichters Heinrich Seidel. Er ist ein Mann von Vertrauen erweckendem Aussehen und von fröhlicher Gemütsart, nur liebt er es nicht, von Schiffs- und Wasserangelegenheiten zu reden und nach Walfischen gefragt zu werden. Das begreife ich. Die ewige Nachfrage nach Walfischen, in die sich, wenn durchaus keine in Sicht kommen wollen, etwas von Vorwurf mischt, muß zuletzt auch den geduldigsten Mann zur Verzweiflung bringen. Und wenn die Schiffskapitäne nicht gern von Fachsachen reden, so haben sie das mit den Förstern gemein und unterscheiden sich dadurch vorteilhaft von den Juristen und meisten Dichtern.

Auf dem Hinterdeck ging es lustiger und ungezwungener her als bei uns in der ersten Kajüte. Man sang und tanzte dort viel, übte sich im Springen übers Tau und verkehrte miteinander wie Mitglieder einer Familie. Aber auch wir machten bald eine Anzahl von Bekanntschaften und unterhielten uns mit nicht wenigen der Passagiere auf die angenehmste Weise. Mit der Zeit erfuhr man doch so ziemlich, woher ein jeder der Mitfahrenden war und wohin er wollte. Die Frauen besitzen in so hohem Grade die Kunst, all dergleichen herauszubringen, und das Leben auf einem großen Schiff hat einige Ähnlichkeit mit dem Leben in einer kleinen Stadt. Dazu vergnügte man sich auf die verschiedenste Weise, spielte shuffle board und setzte sich zu den Karten und zum Schach hin. Eine ansehnliche Bibliothek war an Bord und wurde von manchem benutzt. Auch lagen auf den Tischen des Gesellschaftszimmers ältere Unterhaltungsblätter, aus denen man sich über die Behandlung des Meerschweinchens in der Gefangenschaft, über die Kunst, liebenswürdig zu sein, über den Kaffeeverbrauch auf der Erde und andere interessante Gegenstände unterrichten konnte. Endlich wurde der Versuch gemacht, eine Schiffszeitung herauszugeben, die mittelst der Schreibmaschine hergestellt wurde, das Unternehmen scheiterte aber bald daran, daß einige der Hauptveranstalter desselben von der Seekrankheit ergriffen wurden.

Unter den Passagieren befand sich eine Anzahl Deutscher, darunter drei Schwaben, die anderen waren Engländer und Amerikaner deutscher und englischer Zunge, die meist aus Deutschland zurückkehrten. Von allen diesen konnte man das Lob unseres Vaterlandes und besonders unserer Reichshauptstadt hören. »Deutschland steht jetzt doch ganz anders in der Achtung des Auslandes da als einstmals,« das war die wiederholt gegebene Versicherung, die ein Deutscher nicht ungern hört.

So verging rasch ein Tag nach dem anderen, wie es beim Nichtsthun so geschieht. Man schämte sich ordentlich, wenn man sah, wie die Schiffsmannschaft dagegen unaufhörlich beim Arbeiten war. Fortwährend wurde gewaschen und gefegt, alles, was am Schiff von Messing oder vernickeltem Eisen ist, immer aufs neue geputzt und gescheuert von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Keine Hausfrau kann, was Reinlichkeit betrifft, ein solches Luchs- oder Adlerauge haben wie der Kapitän. Er geht auf dem Deck umher und sieht da ein Stück Papier oder einen Strohhalm liegen oder bemerkt einen Flecken. Seine Stirn runzelt sich, in seinem Antlitz malt sich Entsetzen. Er ruft den Bootsmann und macht ihn mit ernsten Worten auf den schrecklichen Fund aufmerksam. Der Bootsmann ruft einen von der Mannschaft herbei und spricht zu ihm noch viel ernster. Im Nu ist Remedur eingetreten. Oft hätte ich zu all den Dienstmädchen, die wir schon gehabt haben, sagen mögen: »Kinder, hier könntet ihr lernen. Dies ist die hohe Schule der Sauberkeit.«

Am 11. Mai passierten wir das Teufelsloch ( devils hole). Hier kommt, so heißt es, aus der Davis-Straße heraus von Norden, ein kalter Wasser- und Luftstrom. Wenn diese beiden auf den Golfstrom, in dem das Schiff fährt, und auf den Westwind stoßen, sollen sie sich unangenehm fühlbar machen. Wir haben davon nichts gemerkt. Am folgenden Tage aber wurde es plötzlich kalt, und am 13. Mai mußten wir unsere Wintersachen hervorsuchen. Wir fuhren unter Neufundland hin, das nur zweihundert Seemeilen in nördlicher Richtung von uns entfernt war.

Am Montag, dem 14. Mai, kamen zwei Walfische in Sicht in nicht großer Entfernung vom Schiff. Sie ließen ihre Fontänen steigen, folgten eine Zeit lang dem Schiff und gaben dann das unnütze Wettrennen auf. Mit dem Anblick der Meerungeheuer war ein Herzenswunsch vieler erfüllt, und die liebe Seele hatte nun auch darüber Ruhe.

Zwei amerikanische Möwen flogen über das Schiff hin. Wir konnten nicht mehr weit von unserem Ziele sein. An diesem Tage, den 14. Mai, fand das voraussichtlich letzte Dinner auf dem Schiff statt. Diese Mahlzeit heißt captaindinner, weil dabei dem Kapitän eine Ovation dargebracht zu werden pflegt. Die Tafel hatte ein festliches Aussehen, sie war geschmückt mit kunstvoll aufgebauten hohen Baumkuchen, die mit Fähnchen in den deutschen, amerikanischen und bremischen Farben besteckt waren. Oben auf jeden der Kuchen stand eine kleine Nachbildung des Standbildes der Freiheit im Neuyorker Hafen. Ehe aber die Kuchen herumgereicht wurden, mußte die Göttin von dem süßen Postament, auf dem ihr vielleicht wohler zu Mut war als auf dem im Wasser stehenden steinernen, heruntersteigen. Gegen Ende des Mahles erhob sich ein Amerikaner und gedachte in englischer Sprache und in Prosa des wackeren Schiffsführers. Auf denselben brachte ich darauf ein Hoch aus in deutschen Versen, die also lauteten:

Nun hat der »Große Kurfürst« bald
Die erste Fahrt beendet,
Und bald weithin die Kunde schallt,
Daß glücklich sie vollendet.

Des Meeres Gott, der manchmal grollt,
Man weiß nicht recht weswegen,
War uns und unserm Fahrzeug hold
Und gab ihm seinen Segen.

Es ging so wie auf ebner Bahn
Bis auf ein wenig Schwanken,
Und nun wir unserm Ziele nahn,
Schickt sich's dafür zu danken.

Und wem nächst Gott der Dank gebührt,
Das ist vor allen Dingen
Der Mann, der unser Schiff geführt,
Dem soll ein Hoch erklingen.

Dem jetzt zu Ehren soll's geschehn,
Daß wir das Glas erheben.
Wohlan, der gute Kapitän,
Der wackre Mann soll leben!

Deutsche und Angelsachsen stimmten gleich freudig in das Hoch ein. Der Gefeierte war bei diesen Ehrungen leider nicht zugegen, ein plötzlich einfallender Nebel hatte ihn auf die Kommandobrücke gerufen und hielt ihn dort fest.

Am Nachmittag des 15. Mai sollten wir landen. An diesem Tage wurde es sehr warm, und nachmittags war die Hitze drückend geworden, das Thermometer zeigte dreißig Grad Celsius. Nach der bitteren Kälte der vorhergegangenen Tage wirkte das in hohem Grade überraschend. Von früh an herrschte unter den Passagieren eine nicht geringe Aufregung. Die Zwischendeckler hatten sich so sauber gewaschen, wie sie konnten, und das Beste angezogen, was sie hatten. Bloße Füße waren nicht mehr zu sehen, einige der jungen Mädchen hatten sogar blumengeschmückte Hüte aufgesetzt. Harmonika und Geige erklangen noch einmal wieder. Um 12 Uhr mittags kam ein bunter Schmetterling an Bord und bald darauf eine Libelle oder Wasserjungfer. Die holden Boten, die uns die Neue Welt schickte, wurden mit Freude empfangen. Um 2 Uhr wurde Land gesehen. Der Leuchtturm von Fire Island wurde passiert, und Long Island kam in Sicht. Wir konnten deutlich die Häuser am Strande erkennen, und ein großer Badeort bot sich unseren Blicken da. Zugleich zeigten sich auf der See einige Fischerboote. Auf eine weniger angenehme Weise machte sich jedoch zugleich die Nähe Neuyorks bemerkbar. Das Meer bedeckte sich mit dem ganzen Müll der großen Stadt, das durch den Hudsonstrom hinausgespült wird. Überall schwammen im Wasser leere Kisten und Körbe, Blechgefäße, Flaschen, Matten, Kränze, Kopfkissen, Stuhlbeine und Zeitungen. Um 4 Uhr kam der Lotse an Bord und brachte die neuesten Neuyorker Zeitungen mit. Aus dem vergnüglichen Schmunzeln auf englischen Gesichtern erkannte ich, ehe ich noch ein Blatt in die Hände bekam, daß sie nichts Gutes über die Boeren enthielten. Im übrigen waren sie voll von Klagen über die Hitze, unter der die Bürger Neuyorks schon eine Reihe von Tagen empfindlich gelitten hatten. Wir fuhren nun zwischen dem flachen Long Island und dem hohen mit Villen geschmückten und mit Wald gekrönten Staten Island hin. Die Kastanienbäume standen in Blüte. Auf der rechten Seite sahen wir das Fort Hamilton und auf der linken das Fort Tompkins und das Fort La Fayette, das mitten im Wasser auf einer kleinen Felsinsel erbaut ist. In der Ferne wurde die Göttin der Freiheit sichtbar. In dem Eingang zum Hafen, den Narrows, warfen wir Anker, und die Neuyorker Sanitätspolizei kam an Bord. Sie nahm die vorgeschriebene Visitation vor, und – o Schrecken! – im Zwischendeck fand sich ein pockenkranker Knabe, der übrigens fast schon wieder genesen war. Das Kind war am zweiten Tage nach unserer Abfahrt von Bremerhaven erkrankt, die Sache aber, wie es ja auch das Beste war, geheim gehalten worden. Jetzt wurde sofort angeordnet, daß unser Schiff zunächst liegen bleiben sollte, wo es war. Wir mußten die gelbe Flagge, die Quarantäne-Flagge, aufziehen. Allgemein herrschte Bestürzung, und die Aussicht, wer weiß wie lange vielleicht vor unserem Reiseziel liegen bleiben zu müssen, erschien keineswegs erfreulich. Nun, wir lagen wenigstens an einer schönen Stelle fest. Ringsum war das Wasser bedeckt mit Dampfern und Segelschiffen, und unmittelbar vor uns hatten wir das schöne Staten Island. Mit seinen hübschen Häusern und Gärten am Strande und den bewaldeten Hügeln dahinter erinnerte es mich an Zoppot, und wenn es das amerikanische Zoppot genannt wird, ist damit nicht zu viel gesagt. Als es dunkel wurde und die Küste weithin mit Lichtern wie mit Glühwürmchen überstreut war, sah es erst recht hübsch aus.

Wer sich am ersten faßte, war unser Oberkoch. Unerschrocken ging er mit seinen drei Unterköchen ans Werk, noch einmal erklangen die Fanfaren, und zur rechten Zeit wurde uns ein Dinner vorgesetzt, das den vorhergegangenen in nichts nachstand. Die Stimmung belebte sich wieder, eine Art verzweifelter Lustigkeit bemächtigte sich der Passagiere. Nach dem Essen spielte die Schiffskapelle auf Deck, und es wurde sogar getanzt. Dazu schien der Mond, der eben erst voll geworden war, so tröstlich und streute sein wundervolles Licht wie glänzende Blätter und Blättchen auf das Wasser.

Es kam besser, als wir befürchteten. Am Abend spät noch wurde das kranke Kind mit seinen Angehörigen nach dem Quarantäne-Hospital abgeholt. In der Nacht mögen wohl außer den jüngsten nur wenige der Passagiere geschlafen haben, dazu war schon die Hitze zu groß. Am anderen Morgen aber erschienen die Sanitätsbeamten wieder auf dem Schiff und gaben die Einfahrt in den Hafen frei. Die gelbe Flagge sank nieder, die Anker wurden aufgewunden, und unter allgemeinem Jubel setzte sich der »Große Kurfürst« wieder in Bewegung. Vorher, als wir noch still lagen, hatten wir einen interessanten Anblick. Der »Oceanic«, der zur White Star Line gehört und von Liverpool kam, dampfte an uns vorbei. Es ist, so wurde gesagt, das größte Schiff der Welt und noch zwanzig Fuß länger als der »Große Kurfürst«. Der »Oceanic« dampfte vorbei, ohne uns durch Aufziehen einer Flagge zu grüßen. »Wenn er es nicht thut,« sagte unser Kapitän, »thue ich es auch nicht. Es ist die Pflicht des Ankommenden, zuerst zu grüßen.« Bald darauf fuhren wir an der Göttin der Freiheit vorbei und konnten sie etwas genauer mustern. Sie ist nicht so schön, wie ich sie mir vorgestellt habe. Sie steht zwar hoch, sieht aber ein wenig massig und plump aus und macht den Eindruck, als könnte sie sich nicht recht frei bewegen. Ihr fehlt das Ideale, das sie nach unserer Ansicht doch haben müßte. Aber die Ansicht über das, was unter Freiheit zu verstehen sei, ist bei den verschiedenen Völkern eine sehr verschiedene.

Schon kamen einige der himmelhohen Gebäude Neuyorks, der skyscrapers, in Sicht, da mußten wir uns leider in die Kajüte begeben, weil die Zollbeamten unsere Anwesenheit verlangten, und nachdem die Verhandlung mit diesen glücklich ein Ende erreicht hatte, war auch schon das Schiff am Pier des Lloyd in Hoboken. Die Neue Welt war erreicht.


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