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Toronto hat eine Universität, die vier oder eigentlich fünf Fakultäten besitzt. Aber Art und Science gehören zusammen und bilden zusammen etwa das, was bei uns die philosophische Fakultät genannt wird. Die übrigen Fakultäten sind wie in Deutschland die theologische, die juristische und die medizinische. Die Zahl der Studierenden beträgt etwa zwölfhundert. Ganz genau ist die Zahl nicht anzugeben, weil nicht wenige Farmerssöhne sich als Studenten einschreiben lassen, um nachher sagen zu können, daß sie sich einmal Studierens halber in Toronto aufgehalten haben. Wenn sie aber damit fertig sind, lassen sie sich nicht exmatrikulieren und werden in der Liste der Studierenden fortgeführt. Ich habe von den Studenten nichts gesehen, weil sie den ganzen Sommer über Ferien haben. Das Studienjahr hat nur ein Semester. Das Universitätsgebäude, in normannischem Stil gebaut, steht im Queenspark. Es enthält in seinem Innern zahlreiche Auditorien, eines darunter für Damen. Eine Aula ist nicht vorhanden. Ein Turm ziert es, von dessen Höhe man eine Aussicht auf die Stadt, den See und das grüne Land genießt. Die Universität besitzt ein zoologisches Museum und eine Bibliothek von vierzigtausend Bänden, die in einem feuersicheren Raum untergebracht ist. Vor zwölf Jahren verbrannte mit dem Universitätsgebäude die Bibliothek, die damals nicht so gut verwahrt war, vollständig und mußte neu gegründet werden. Dazu steuerten deutsche Buchhändler zusammen fünfzehntausend Bände bei. Ich fand in dieser neuen Bibliothek die ältere deutsche Litteratur stark vertreten. Es waren verschiedene Ausgaben von Goethes Werken da und Schriften über Goethe in großer Zahl. Von neueren deutschen Autoren bemerkte ich Wildenbruch und Sudermann. Ob die deutschen Bücher eifrig und mit Nutzen studiert werden, kann ich nicht sagen. Zur Universität gehört eine Anzahl von Instituten oder Colleges für einzelne Fächer, besonders für solche der Medizin, in eigenen Gebäuden. Eines davon enthält den anatomischen Hörsaal, Räume für praktische Übungen und eine Sammlung anatomischer Präparate. Mit der Universität verbunden ist eine Art von Polytechnikum ( School of Practical Science).
Es giebt in Toronto eine große Anzahl von Schulen, die zum Teil bestimmten Religionsgemeinschaften angehören. Man unterscheidet High schools, die unseren höheren Schulen entsprechen, und Public schools, denen unsere Gemeindeschulen zu vergleichen sind. Zu den Unterrichtsgegenständen der High schools gehört auch die deutsche Sprache. Ja, unterrichtet wird darin, daß dies aber mit besonderem Erfolg geschieht, davon habe ich mich nach dem, was mir davon zu Ohren gekommen ist, nicht überzeugen können. Um fließend deutsch sprechen oder gar Schiller und Goethe im Urtext lesen zu können, dazu, heißt es, gehört zu viel, die Sprache ist zu schwer zu erlernen. Und zu einer Reise nach Deutschland bedarf man ihrer Kenntnis nicht, denn dort versteht und spricht fast jedermann Englisch. So eignen sich denn die Canadier, die längere Zeit in Deutschland verweilen, in der Regel nur wenig von der deutschen Sprache an. Ausnahmen aber kommen vor, und eine solche bildete mein Großtöchterchen, das als es im vorigen Jahr im Alter von drei Jahren fast ganz ohne Kenntnis der deutschen Sprache zu uns auf Besuch kam, in einigen Monaten vollkommen fließend deutsch sprechen lernte und zugleich ihr Englisch vergaß. Die jungen Leute aber, die »draußen« gewesen sind, bringen häufig wenigstens ein oder das andere deutsche Lied zurück, das meist aus Studentenkreisen stammt und das sie richtig hersagen und singen. Man traut seinen Ohren nicht, wenn es plötzlich in einer Gesellschaft aus englischem Munde erklingt: »Was kommt dort von der Höh?« oder ein junger Mann mitten unter Temperenzlern am Klavier stehend und singend die Behauptung aufstellt, es gäbe »kein schöneres Leben als das Burschenleben, wie es Bacchus und Gambrinus schuf«. Wenn er dann fortfährt und es als einen herrlichen Beruf preist, in die Kneipen zu laufen und sein Geld zu ver – – nein, ich kann es nicht aussprechen, so zittert man davor, daß das ganze Auditorium ihn verstehen könnte. Die ihn nicht verstehen, halten das Lied vielleicht für eine Hymne, denn Hymnen werden in Canada und im englischen Amerika überhaupt nach den weltlichsten deutschen Melodien gesungen.
Aber auch manches deutsche Lied, das sich wohl hören lassen kann, ist in die englischen gesellschaftlichen Kreise eingedrungen und wird hie und da von jungen Damen vorgetragen. Ihr Gesanglehrer hat es sie gelehrt, und so singen sie es, ohne sonst vielleicht auch nur ein Wort Deutsch zu verstehen. Gegen die German songs erhebt sich kein Widerspruch wie sonst gegen deutsches Wesen. In meine Hände ist zufällig eine neue Nummer der in Toronto erscheinenden belletristischen Zeitschrift » Acta Victoriana« gekommen. Darin veröffentlicht ein kanadischer Dichter Duncan Campbell Scott, der in Ottawa lebt, ein Gedicht, das » Stone Breaking« überschrieben ist. Er schildert, wie deutsche Arbeiter in einem Syenitsteinbruch beschäftigt sind. Es ist harte Arbeit in hartem Gestein bei rauhem Märzwind. Da fängt ein junger Deutscher zu singen an und singt ein Lied von der Heimat, vom Vaterland, dann heißt es:
»Syenite hard,
Weary lot,
Callous hand,
All forgot. –
Toil is long,
But dear God
Gives us song.«
Das Departement für Erziehung in Toronto besitzt ein großes Gebäude, das von schönem parkartigen Garten umgeben ist. In dem Garten ist die Statue Egerton Ryersons aufgestellt, eines Mannes, der sich um das canadische Schulwesen verdient gemacht hat. In dem Gebäude aber befindet sich die Normal school zur Ausbildung von Lehrern und Lehrerinnen bestimmt und mit einer Model school verbunden, in der die Ausgebildeten ein Jahr lang zu unterrichten haben. Daneben enthält das Gebäude eine Fülle von Lehrmitteln. Man findet dort eine Bibliothek, die das Erziehungswesen umfaßt, eine Sammlung von Gipsabgüssen nach der Antike, zahlreiche Abgüsse von Büsten berühmter Männer überhaupt und berühmter Amerikaner im besondern, eine Galerie, die Gemälde alter europäischer Schulen in mehr oder minder guten Kopien enthält, eine Auswahl alter Kupferstiche, allerhand für die englische Kulturgeschichte Bedeutsames, ein zoologisches Museum und endlich ein reichhaltiges Museum indianischer Altertümer. Als ich diese unzähligen Lanzen- und Pfeilspitzen, diese Steinhämmer und Äxte, diese vielen Thongefäße betrachtete, die unseren in Westpreußen und anderwärts ausgegrabenen Thonurnen gleichen, mußte ich an meinen verehrten Freund und Landsmann, den Professor Conwentz in Danzig denken. Mit welchem Vergnügen hätte ich ihn auf dieses und jenes aufmerksam gemacht – nein, ich wäre von ihm auf vieles aufmerksam gemacht worden, denn er kennt das alles natürlich längst. Und wie ist das alles untergebracht! Wie verschwenderisch ist man dabei mit dem Raum umgegangen! Wie beneidenswert erscheint das, wenn man daran denkt, mit welchen engen Räumlichkeiten sich in Deutschland nicht selten die kostbarsten Sammlungen begnügen müssen.
In demselben Gebäude ist ein Saal, in dem ein städtischer Kunstverein fortdauernd Ausstellungen von Bildern veranstaltet, die von lebenden canadischen Malern herrühren und verkäuflich sind. Ich fand dort manches recht Hübsche und zumal unter den Gemälden, die Heimatliches in Landschaften und im Genre zu Motiven hatten. Moderne Bildhauerarbeiten, kleine Gruppenbilder, Scenen aus dem nordamerikanischen Volksleben darstellend, fand ich in einem anderen Saal. Wenn aber von den Malern und Bildhauern die Rede ist, muß auch der Architekten gedacht werden, die in der so rasch emporwachsenden Stadt in kurzer Zeit eine ungeheuere Arbeit zu bewältigen hatten. Dabei ist nicht nur an die öffentlichen Gebäude zu denken, sondern vor allem auch an die vielen kleinen Privathäuser, die so verschiedenartig sind und zum großen Teil so reizend. »Anderwärts«, hörte ich sagen, »nimmt man an, daß ein kleines Haus, das nicht viel kosten soll, nichts anderes sein kann als ein viereckiger Kasten mit Fenstern, hier aber baut man für 5000 Dollar schon ein Häuschen, das geschmackvoll und eigenartig erscheint. Ist das nicht etwas Gutes und ein großer Vorteil? Wird nicht einer sein kleines Heim um so lieber haben, je hübscher es aussieht?« Dagegen kann man nichts einwenden, wenn man in Toronto die vielen kleinen Privathäuser gesehen hat. Auch im Innern pflegen sie nett und behaglich ausgestattet zu sein und enthalten manchmal etwas, das man gar nicht erwartet. Ich habe in Privathäusern Bibliotheken gefunden, die nicht nur zahlreich an Bänden waren, sondern auch viele kostbare Werke enthielten. In manchem der traulichen und schattigen kleinen Bibliothekszimmer hätte ich tagelang weilen mögen, um jeden Tag neues Vergnügen zu finden. In Berlin sind Leute, die eine größere Bibliothek besitzen, selten. Viele Bücher sind eine große Last für einen, der alle zwei oder drei Jahre umziehen muß. Ich weiß das aus eigener Erfahrung.
Toronto besitzt verschiedene öffentliche Bibliotheken. Außer der Universitätsbibliothek habe ich Free Library angesehen, die von jedermann ohne Schwierigkeit benutzt werden kann, schöne Räume und eine stattliche Anzahl von Bänden besitzt. Sie hat einen prachtvollen Lesesaal, in dem eine große Anzahl von amerikanischen Zeitungen zur Lektüre aufliegt. Unter den Blättern sind auch ein paar in deutscher Sprache geschriebene.
Zu den Einrichtungen von erziehlichem Charakter, die sich in der Stadt vorfinden, sind seit zwanzig Jahren etwa einige Kindergärten hinzugekommen. Das Wort »Kindergarten« ist unverändert in die englische Sprache aufgenommen worden.
Von öffentlichen Denkmälern haben vier im Queenspark Aufstellung gefunden. Davon sind zwei den Söhnen des Landes errichtet worden, die seine Grenzen gegen den Feind verteidigend gefallen sind, die einen 1866 bei einem Feniereinfall, die andern 1885 im Kampf mit den Indianern des Nordwestens. Von den beiden anderen Denkmälern stellt eins George Brown dar, der, ein Mann des Volks und der Freiheit, durch Mörderhand fiel, das andere den ehemaligen Minister Macdonald, der sich durch seine ausgezeichnete Amtsführung große Volksbeliebtheit erwarb. Eines berühmten Deutschen wird auch in Toronto gedacht: eine Straße heißt Bismarck-Avenue.
Im Queenspark steht das Regierungsgebäude, in dem der Provinziallandtag der Provinz Ontario seine Sitzungen abhält. Der Reichstag oder das große Parlament von Canada versammelt sich in Ottawa, der Stadt, die im Frühling 1900 durch eine Feuersbrunst zum Teil in Asche gelegt worden ist. Das Parlamentsgebäude von Ontario ist ein gewaltiger Steinbau, errichtet in einem Stil, der, wie ich nach langem Herumfragen erfuhr, der neubyzantinische genannt wird. Wie mir scheint, ist es kein guter und empfehlenswerter Baustil. Zu Seiten des Haupteinganges des Parlamentshauses liegen zwei von England im Kriege eroberte russische Geschütze, welche die Königin Victoria der Stadt Toronto zum Geschenk gemacht hat. Im Innern ist das Gebäude zweckmäßig eingerichtet und hübsch geschmückt mit Landschaftsbildern und den Bildnissen einheimischer Staatsmänner. Der Sitzungssaal wird allen Ansprüchen gerecht, die an einen solchen Raum gestellt werden können. In den Korridoren ist eine Mineraliensammlung aufgestellt, durch deren Anblick die Abgeordneten, wenn sie einmal nicht Lust haben, die Reden ihrer Kollegen anzuhören, sich unterhalten und belehren können.
Das Rathaus oder die City Hall befindet sich in einer der Hauptstraßen, der Queen Street, und ist von Edward James Lennox in einem Stil erbaut worden, der, wenn ich recht gehört habe, der gemischte genannt wird. Das Rathaus hat einen hohen Turm, in dem man bequem mittelst Fahrstuhls hinaufbefördert wird, um sich oben an einer herrlichen Aussicht zu erfreuen. Das Gebäude war, als ich es sah, noch neu, im Innern noch nicht ganz fertig und kostete bereits ein gut Stück Geld mehr, als der Voranschlag aufwies und als den sparsameren Bürgern der Stadt lieb ist. Dafür ist es aber auch ein Prachtbau geworden. Die hohe Eingangshalle ist verziert mit zwei Wandgemälden, die sich auf die mitten im Urwalde vollzogene Gründung Torontos beziehen und mit einem großen Glasfenster, das in bunten Farben die Union des Handels und der Industrie darstellt. An Marmor und kostbaren Hölzern ist nichts gespart worden, und ein kleiner Wald von Säulen ist vorhanden. Die Versammlungssäle der verschiedenen Körperschaften, die in diesem Gebäude ihre Sitzungen abhalten, sind geräumig und luftig, so daß es eine Lust sein muß, darin zu sitzen und zu beraten oder ein Schläfchen zu halten. Das neue Rathaus ist erbaut auf Beschluß der Munizipal- und richterlichen Behörden – es finden auch Gerichtssitzungen darin statt – der Grundstein ist gelegt am 21. November 1891 und die feierliche Eröffnung hat stattgefunden am 18. September 1899.
Unter den öffentlichen Bauten von Toronto sind die vier großen Hospitäler hervorzuheben, von denen eines für kranke Kinder bestimmt ist. Die Hospitäler werden als ausgezeichnet in ihrer Einrichtung und Verwaltung gerühmt. In eines derselben begiebt sich nicht selten eine Frau auch aus den besten Familien, um daselbst hinter einer Gardine zu verschwinden und nach einiger Zeit mit einem Kindlein auf dem Arm wieder zum Vorschein zu kommen. So etwas wäre bei uns unerhört, an einem Ort aber, wo es so sehr an dienenden Geistern fehlt und gute Pflegerinnen schwer aufzutreiben sind, erscheint es als durchaus wohl angebracht und richtig. Der Hausvater braucht sich dann nicht um seine Eheliebste Sorgen zu machen, er weiß, daß sie der besten Pflege genießt. Musterhaft ist auch das Waisenhaus eingerichtet, das zum größten Teil aus Privatmitteln erhalten wird. Der Staat hat auch hier für gemeinnützliche Anstalten nicht allzuviel übrig. Die Herren von der Universität klagen darüber, daß dieses Institut von oben herab sehr knapp versorgt wird und genötigt ist Schulden zu machen. Aber es finden sich häufig wohlhabende und wohlwollende Privatmänner, die für Zwecke des gemeinen Nutzens und der Wohlthätigkeit bedeutende Summen hergeben. Darin kann Amerika der Alten Welt als ein Vorbild dienen.
Toronto gilt nicht für einen großen Geschäftsplatz, viel mehr von einem solchen hat Montreal, und von dem Hasten und Drängen Neuyorks weiß die schöne Stadt am Ontariosee erst recht nichts. Sie hat einen ruhigen Pulsschlag. Immerhin sind auch in ihr Handel und Industrie nicht ohne Bedeutung. In Sonderheit versorgt sie die Farmer mit landwirtschaftlichen Maschinen, und zu dem Landbau stehen auch sonst größere Geschäfte in Beziehung. Die Steele Briggs Sead Co. handelt mit aller Art Saat für die Landwirtschaft und sendet ihre Reisenden über das ganze Land zwischen dem Atlantischen und dem Stillen Ocean aus. Dies Geschäft betreibt auch Handel mit Blumensamen und gewinnt ihn zum Teil in einer großen, an der Peripherie der Stadt belegenen gärtnerischen Anlage, die ich mit Vergnügen besucht habe. Eine besondere Bedeutung hat in Toronto die Teppichfabrikation aus dem Grunde, weil die Stadt selbst Teppiche in Massen verbraucht. In jedem guten Hause ist alles, was Fußboden heißt, vom Hausflur bis unter das Dach, mit Einschluß der Treppen, vollständig mit Teppichstoff belegt. Die Teppiche sind festgenagelt und werden für gewöhnlich nur mit dem auf Rollen laufenden »Sweeper«, der auch bei uns bekannt ist, gesäubert. Ein- oder zweimal im Jahr aber macht man sie los und nimmt sie auf, um sie ausklopfen zu lassen. Das ist dann in Toronto das große Reinmachen, das man sich wohl nicht furchtbar genug vorstellen kann.
Auch in den Kirchen ist der Fußboden ganz mit Teppichen belegt, sicher zum Vorteil der Gläubigen, die dadurch vor Erkältung bewahrt werden. Und da in den Kirchen viel gesessen wird, erscheint es auch recht nützlich, daß die Sitze sämtlich gepolstert sind.
Die Herstellung von musikalischen Instrumenten, besonders von Klavieren, wird in Toronto in verschiedenen Fabriken betrieben, deren eine, die Pianofortefabrik Gerhard Heintzmanns, eines Deutschen, ich mir angesehen habe. Ich hatte schon früher etwas davon gehört. Als ich vor einigen Jahren bei dem Fürsten Bismarck in Friedrichsruh war, sah ich dort ein wunderhübsches Pianino und erfuhr, daß es ein Herr Heintzmann in Toronto, dessen Firma es auch auf der Innenseite des Deckels trug, dem Fürsten als Geschenk gesendet habe. Den Namen merkte ich mir, weil ich damals schon Aussicht hatte, einmal nach Toronto zu kommen. Als ich aber dort war, dachte ich nicht daran, und erst als ein englischer Arzt mich in die Fabrik führte, um sie mir zeigen zu lassen, fiel mir wieder ein, wer der Heintzmann war. Ich habe dann im Hause des liebenswürdigen Mannes, der auch ein gewaltiger Nimrod ist und oben im Norden Bären und Elche schießt, mit ihm und seiner Familie manche angenehme Stunde verlebt. Bei einem Gange durch die Fabrik wurde ich darauf aufmerksam gemacht, daß dort viel deutsches Nußbaumholz verarbeitet wird. Mit den großen deutschen Nußbäumen ist aber, wie ich selbst auch an der Mosel wahrgenommen habe, durch den starken Verbrauch schon bedenklich aufgeräumt, und man kehrt jetzt zu den Stümpfen der gefällten Bäume zurück und sucht auch diese noch, so weit es möglich ist, zu verwerten. Fourniere, aus deren Form hervorging, daß sie von Baumstümpfen herrührten, sah ich in Bündeln auf dem Lager der Heintzmannschen Fabrik. Ich hörte weiter noch, daß bei der Herstellung von Klavieren in Toronto in besonderer Beziehung mit lokalen Verhältnissen gerechnet werden muß. In den Wohnungen findet um die Winterszeit ein starker Temperaturwechsel statt. Sie werden am Tage sehr heiß gehalten, in der Nacht aber verfliegt die Hitze, und es wird in den zum Teil nur leicht gebauten und vielfach einzeln stehenden kleinen Häusern überaus kalt. Ein solcher Temperaturwechsel setzt die Klaviere der Gefahr des Zerspringens aus, und dieser Gefahr wird begegnet durch geschickte Verbindung verschiedener Hölzer und dadurch, daß zwei Fourniere kreuzweise übereinander gelegt werden. In Berlin sind es die neuen noch feuchten Häuser, die den auch dort so beliebten und durch alle Etagen der hohen Mietshäuser verbreiteten Klavicymbeln eine ähnliche Gefahr bereiten.
Der Putz des schönen Geschlechts ist in Toronto eine Sache von nicht geringer Wichtigkeit. Nun, das ist überall so in der civilisierten Welt, stellenweise auch in der uncivilisierten, und es fällt mir nicht ein, deshalb die Damen dieser Stadt in auffallendem Grade putzsüchtig zu nennen. Für das aber, was sie dringend nötig haben, wird durch zahlreiche Geschäfte gesorgt. Es giebt auch zwei riesige Warenhäuser, Eaton und Simpson, in denen alles zu haben ist, was das Herz sich nur wünschen kann, und noch etwas mehr. Die Verkaufsräume sind aufs glänzendste ausgestattet, und wer vom Sehen, Wählen und Kaufen müde geworden ist, findet auch einen Erfrischungsraum, wo bei Ice cream und anderen köstlichen Dingen neue Kräfte gesammelt werden können. Beide Warenhäuser haben einen starken Zulauf. Als einmal ein Ausverkauf bei Eaton angekündigt war, konnte man am Morgen nur schwer einen Platz auf den Wagen der Straßenbahn erwischen, und ehe noch das Geschäft geöffnet war, standen die Schönen schon dichtgedrängt vor dem Hause, als wollten sie es stürmen.
Für die geistige Kost sorgen zahllose Buchläden, ich erinnere mich kaum in einer anderen Stadt so viel Buchläden gesehen zu haben. In den Schaufenstern dieser Geschäfte bemerkt man neben gediegenen Werken eine Menge von Oktavbänden, die sich durch den Titel und ein buntes Bild auf dem Umschlage als Unterhaltungslektüre kennzeichnen. »Schaukelstuhllektüre« möchte ich sie nennen, denn ich stelle mir vor, daß sie meist in Schaukelstühlen gelesen und rasch beseitigt werden, wenn die beiden Hauptpersonen, um die es sich darin handelt, entweder sich gekriegt haben oder zusammen ins Wasser gesprungen sind. Unter den Buchhändlern giebt es viel Antiquare, große und kleine. Der Kleinste, dem ich begegnet bin, ist ein Schuhflicker im Norden der Stadt, der nicht nur altes Schuhwerk ausbessert, sondern auch Schaukelstuhlbücher aus zweiter Hand zu niedrigen Preisen verkauft. Aus zweiter Hand, sagt er, aber die Bücher sahen aus, als kämen sie schon aus dritter bis siebenter Hand. Vor einem der großen Antiquariate, das draußen vor dem Hause eine Auslage hat, habe ich manchmal eine Zeit lang gestanden. Ich hatte nämlich bemerkt, daß dort unter anderen Büchern auch ein großes englisches Lexikon mit Worterklärungen auslag, und da mir mitunter ein Wort aufstieß, das ich mir nicht zu erklären wußte, so benutzte ich diesen Umstand, um in dem besagten Wörterbuch den mir dunkel gebliebenen Ausdruck nachzuschlagen. Dabei that ich ganz harmlos und unbefangen, als ob ich die Bücher musterte mit der Absicht, eins oder das andere zu kaufen, eines Tages aber war das für mich so wertvolle Wörterbuch verschwunden. Entweder war es verkauft, oder der Antiquar war hinter meine Schliche gekommen und hatte es entfernt, um sich nicht ohne jeden Vorteil auf seiner Seite andauernd von mir ausnutzen zu lassen. Das wäre ihm eigentlich nicht ganz zu verdenken gewesen.