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Toronto ist eine junge Stadt und hat sich mit außerordentlicher Schnelligkeit zu einer Großstadt entwickelt. Es mögen noch genug Leute leben, die ihre Eltern von der Zeit haben erzählen hören, als die ersten Häuser des heutigen Toronto gebaut wurden. Toronto hieß ursprünglich die Landschaft im Norden des Ontariosees, in der jetzt die Stadt liegt. Dort stand seit 1749 ein französisches Fort Namens Rouillé, so genannt nach dem französischen Kolonialminister Antoine Louis Rouillé. Dieses Fort nahm im Volksmunde allmählich den Namen Fort Toronto an. Das ist ein indianisches Wort und soll einen Ort bedeuten, wo viele Leute zusammenkommen. Dies paßt auch im Sinne der Indianer, die bei »vielen Leuten« doch nicht gleich an Tausende von Menschen dachten, recht gut als Bezeichnung eines Platzes, an dem Jäger ihr Stelldichein hatten und wo schon früh ein kleiner Handelsposten bestand. Am Ende der fünfziger Jahre des achtzehnten Jahrhunderts ging Canada mit dem Fort Rouillé oder Toronto aus französischen Händen an die Krone von England über. Im Jahre 1793 wurde beschlossen, an Stelle des Forts Toronto eine Stadt zu gründen, die bestimmt war, die Hauptstadt der Provinz Ontario zu sein, und in demselben Jahre noch die Gründung vorgenommen durch den Leutnant Governor Simcoe, dem zu Ehren ein im Norden von Toronto gelegener See Lake Simcoe genannt worden ist. Die Gründung fand zunächst auf dem Papier statt, es dauerte noch eine kleine Zeit, bis die Stadt anfing aufzugehen. Zuerst wurde von Norden her ein Weg durch die Wildnis, die noch voll jagdbarer größerer Tiere war, gebahnt. Aus diesem Wege ist die Hauptstraße der Stadt, die Yonge Street, hervorgegangen. Die Stadt aber erhielt den Namen York nach dem Herzog von York, dem zweiten Sohne des Königs Georg III. 1815 besaß sie dreihundert Gebäude und zweitausendfünfhundert Einwohner. Unter dem Namen York hat sie bestanden bis 1834. Im Jahre 1834 wurde sie – damals hatte sie schon zehntausend Einwohner – von einer Kleinstadt ( town) zu einer Großstadt ( city) erhoben, erhielt die Rechte einer solchen und wurde umgetauft aus York in Toronto. Die Stadt ist schön gelegen an der Nordwestseite des Ontariosees und hat einen guten Hafen. Vor Toronto liegt im See eine Insel, das Island oder der Lido von Toronto, wie man mit Stolz dort sagt, ein beliebter Ausflugs- und Vergnügungsort der Stadtbewohner, deren viele dort ihre Landhäuser haben. Kleine Dampfboote fahren den Tag über zwischen der Insel und dem Festlande hin und her. Der See ist so groß, daß man an seinen Ufern stehend auf das Meer zu schauen glaubt und geht, wenn ein kräftiger Wind weht, in hohen Wellen. Von dem Seeufer, das ihre Basis bildet, breitet sich die Stadt, durch deren Gebiet ein kleiner in den See mündender Fluß, der Don River, strömt, weit nach Osten, Westen und Norden hin aus. Es ist schade, daß Toronto keine Straße am See besitzt; die ganze Wasserseite nehmen, wie auch in Montreal, Hafenanlagen und Fabriken ein.
Was bei der Stadt, wenn man sie näher anschaut, sehr auffallend erscheint, ist der im Verhältnis zu ihrer Einwohnerzahl außerordentlich bedeutende Umfang. Sie war in der glücklichen Lage, sich nach Gefallen ausbreiten zu können, und hat davon den weitesten Gebrauch gemacht. Von ihrem raschen Wachstum zeugt es, daß der schöne Queenspark, der vor noch nicht langer Zeit im Norden an ihrer äußersten Grenze gelegen war, sich jetzt mitten in ihr befindet. In dem schnellen Anwachsen erinnert sie an Berlin, und ich glaube, daß sie jetzt eine ebenso große Bodenfläche einnimmt wie unsere Reichshauptstadt, wenn nicht eine noch größere. Sie hat gewiß längere Straßen als irgend eine andere große Stadt. Die Queen Street hat eine Länge von zehn englischen Meilen, und die Yonge Street, die freilich weit in das offene Land hineinreicht, ist noch länger. Dabei hat sie etwas durchaus Gefälliges an sich. Nichts von den himmelhohen Häusern Neuyorks ist in ihr zu finden und auch nichts, was den Berliner Mietskasernen ähnlich sieht. Bis zu vier Stock hohe Häuser hat sie in den Haupt- und Geschäftsstraßen. Diese alle sind Geschäftshäuser mit Läden oder gehören den verschiedenen Banken und Versicherungsgesellschaften an oder sind öffentliche Gebäude, dazwischen aber finden sich einzelne zweistöckige und einstöckige Häuser, und wenn man in eine der Seitenstraßen abbiegt, stößt man auf Häuschen, die ganz aus Holz, oder auch aus dünnen Latten mit Lehmbewurf hergestellt, aber nett ausgeputzt sind. Hie und da nur ist der Lehmbewurf abgesprungen, und dadurch kommt dann das Geheimnis der einfachen Bauart zu Tage.
Öffentliche Gebäude, darunter sehr ansehnliche, sind über die ganze Stadt verstreut. Die Privathäuser sind alle nur klein, wenige haben mehr als zwei Stockwerk, alle sind dazu bestimmt, nur von einer Familie bewohnt zu werden. Sehr viele von diesen Häusern, zumal die in äußeren Stadtteilen, sind zum Teil aus rotem und grauem Sandstein erbaut und mit Vor- und Hintergärten versehen. Auch der Arbeiter kann für geringen Mietspreis ein kleines Haus haben, das er allein mit den Seinen bewohnt. Im Verhältnis zu den Mietspreisen in Berlin sind auch diejenigen, die in Toronto für sehr schmucke kleine Häuser oder Villen gezahlt werden, niedrig zu nennen.
Aus der Kleinheit der meisten Häuser erklärt sich der große Umfang der Stadt Toronto, außerdem aus der Breite der Straßen. Diese sind, mit Ausnahme einiger Hauptstraßen, ungemein breit. Zwischen dem Trottoir und den Häusern liegen grüne Rasenflecke, über die mit Holz belegte Steige zu den Hausthüren führen, und zwischen dem Straßendamm und dem Bürgersteig ist auch noch ein grüner Streifen. Alle diese grünen Streifen und die Rasenplätze in den Parks waren, als wir in Toronto ankamen, mit den Blütenköpfen des Dandelions übersät. Dandelion, entstanden aus dem französischen Dent de lion, ist der Name des Löwenzahns ( Leontodon), der bei uns gewöhnlich Butterblume genannt wird. Nie habe ich so viel Butterblumen im Frühling beisammen gesehen wie in Toronto. Diese Pflanze ist verbreitet in Canada wie in den ganzen Vereinigten Staaten, und die Indianer schätzen sie als ein Nahrungsmittel, wie denn auch bei uns und mehr noch in Frankreich die jungen Blätter des Löwenzahns als Salat und Gemüse Verwendung finden. Die zierlichen Federbälle aber, die nach dem Abblühen der Blumenkronen entstehen und bei uns Pustblumen heißen, sind wie bei unseren Kindern auch bei den englischen beliebt, die sie » clocks« nennen. Auf Grasplätzen in Toronto ist die Butterblume im Frühling die herrschende Blume, ja die Alleinherrscherin, denn von keiner anderen wird ihr Konkurrenz gemacht. Das Maßlieb oder Gänseblümchen, das bei uns neben ihr auftritt, fehlt in Amerika. Ich habe es, ebenso wie die Schlüsselblume und den Waldmeister, die auch in der Neuen Welt nicht heimisch sind, an einigen Stellen angesät und hoffe, mich nach einigen Jahren davon überzeugen zu können, was daraus geworden ist. Ich habe außerdem auch einige tausend Körner vom Cymbelkraut ( Linaria Cymbalaria) ausgestreut, obgleich ich es hier auf mehreren Stellen schon vorfand.
Die Rasenplätze mit dem Dandelion sind eine kleine Zierde der Stadt, eine größere sind die zahllosen Bäume. Alle großen Straßen sind auf jeder Seite mit einer einfachen oder auch mit einer doppelten Baumreihe geziert. Dazu kommen noch Gärten, Parks und viele Schmuckplätze. Der ganze nördliche Stadtteil macht den Eindruck eines einzigen Parks, und in Beziehung auf den Reichtum des Baumschmucks ist Toronto mit Paris verglichen worden. Es kommt aber noch etwas Eigenartiges hinzu. In so manchem Garten findet sich ein starker Baum, der aus der Urwaldszeit herstammt. So sehr alt braucht darum ein solcher Baum nicht zu sein. Die ganze Wildnis wurde nicht mit einem Male ausgerottet, große Teile davon blieben längere Zeit noch bestehen, und in diesen Teilen wurde noch gejagt, als Toronto schon eine aufblühende Stadt war. Die Parks von Toronto sind Überreste der ehemaligen Wildnis. Frei gewachsene, aus alter Zeit stammende und zum Teil schon überständige Bäume finden sich in den zur Stadt gehörenden Parks neben neu angepflanzten. Die ungewöhnlich großen und alten Bäume aber, die einstmals dort standen, hat die Axt gefällt. Von ihnen sind nur zahlreiche Stümpfe übrig geblieben, die sich in mehr oder minder vorgeschrittenem Zustande der Vermoderung befinden.
Die Bäume, die den Schmuck Torontos bilden, gehören verschiedenen Arten des Laub- und Nadelholzes an. Von Laubhölzern sind besonders häufig die Ahorne zu finden, und unter diesen nimmt ein besonderes Interesse eine Art, der Zuckerahorn, in Anspruch. Maple heißt der Ahorn im Englischen, diese besondere Art, die wie andere in den Wäldern zu Hause ist, heißt Sugar maple. Die Gewinnung von Ahornzucker ist alt und wird noch heutzutage von den Farmern betrieben. Im Frühjahr bohren sie den Stamm des Ahornbaumes an, wie bei uns die Birke angebohrt wird zur Gewinnung des bekannten Birkenwassers. Aus dem Ahorn fließt dann ein wasserheller Saft heraus, der zu einem braunen Sirup eingekocht wird. Ich habe den Ahornsirup wiederholt gekostet und ihn wohlschmeckend gefunden. Er erinnert im Geschmack an den Bienenhonig. Aus dem Sirup wird dann weiter ein fester brauner Zucker hergestellt, der in Stücken zu kaufen ist. Dies ist der praktische Wert des Ahornbaumes, wozu noch zu rechnen ist, daß er ein gutes Holz für den Tischler abgiebt; er hat aber außerdem auch eine ideale Bedeutung. Das Ahornlaub ist das Wahrzeichen von Canada. Es bildet das Wappen der Provinz Ontario und kommt auch vor im Wappen von Nova Scottia. Es giebt ein patriotisches Lied, das die Überschrift hat » The maple leaf for ever«. Ebenso lautet der Refrain der einzelnen Strophen. In der ersten Strophe des Liedes heißt es von Wolfe, dem furchtlosen Helden, der 1759 in einer entscheidenden Schlacht gegen die Franzosen fiel, daß er von Englands Küste kam, die britische Flagge in Canada aufpflanzte und die schottische Distel, den irischen Klee und die englische Rose mit dem Ahornlaub in Liebe zusammenband.
In einem anderen canadischen Liede »Das Land des Ahorns« ist die Rede von dem Sonnenlicht, das im murmelnden Strom glitzert, und der süßesten Melodie, die von gefiederten Sängern aus dem schattenden Ahornbaum ertönt. Weiter werden dann genannt die Rose, die Distel, der Klee und die Lilie, die alle zusammen in demselben Garten unter dem Ahorn blühen. Wie hübsch ist es, daß den drei Blumen von Großbritannien auch noch die Lilie beigefügt wird, die Wappenblume des alten französischen Königtums, aus zarter Rücksicht natürlich auf die Franzosen, die in nicht geringer Zahl etwas wider ihren Willen Anschluß an das canadische Staatswesen erhielten! Endlich giebt es noch ein lateinisches Lied der Studenten von Toronto, in dem auch die Lilie von Gallien, die Distel von Schottland und die irische Harfe – die Harfe des irischen Wappens tritt hier an die Stelle des shamrock und die Rose wird nicht erwähnt – als durch die frons acerna, das Ahornlaub, miteinander verbunden genannt werden. Außer im Liede hat das Ahornlaub auch sonst vielfach Verwendung gefunden. Man begegnet ihm überall: die Policemen haben es auf ihrem Helm, als Geschäftsmarke erscheint es sehr häufig, die canadischen Briefmarken zeigen es und als Briefbogenschmuck ist es zu finden. Ein Kranz von Ahornblättern ist auch auf den canadischen Münzen angebracht, und es gewährte mir ein kleines Vergnügen, einige Canadier, denen davon nichts bekannt war, darauf aufmerksam zu machen. Jeden Tag war das Geld durch ihre Hände gegangen, und sie hatten nie darauf geachtet. So sieht der Fremde in einem Lande manchmal etwas mehr als der Einheimische. Das kommt »draußen« vor und auch hier.
Auf den vielen Bäumen, die es in Toronto giebt, wohnt natürlich auch eine große Anzahl von Vögeln, aber mit der »süßesten Melodie«, die von den Zweigen des Ahorns tönen soll, ist es nicht weit her. Gefreut habe ich mich über ein Vogellied in Amerika nur einmal, das war, als ich auf einer Wanderung im Norden an einem kleinen Ort in der Morgenfrühe eine Schwalbe singen hörte, genau so, wie sie bei uns singt. Dabei ging mir ordentlich das Herz auf. Es war aber nicht unsere Schwalbe, von der dieser Gesang kam, sondern eine andere Art, die Scheunenschwalbe ( barn swallow). Schwalben habe ich auch in Toronto am Wasser gesehen und sonst viel andere Vögel. Die hübschen Robins kommen auch in kleine Gärten hinein und zeigen sich sehr zutraulich, am häufigsten aber ist überall in dieser Stadt, wie auch in anderen canadischen Städten unser Haussperling zu finden. In der Häufigkeit seines Vorkommens und auch in seiner Herkunft ist er zu vergleichen den Proletariergewächsen, der Melde, der Klette, dem Vogelknöterich, dem Wegeblatt und anderen aus Europa eingewanderten Unkräutern, die überall an Straßenrändern und Zäunen sich angesiedelt haben. Der Sperling heißt in Nordamerika der englische Sperling, und darüber muß man sich füglich wundern, weil sonst alles, was nicht angenehm ist, mit Vorliebe den Deutschen angehängt wird, es erklärt sich aber wohl daraus, daß der Sperling am Anfang für einen Mustervogel gehalten wurde. Er ist nicht wie die Unkräuter ohne Zuthun des Menschen nach der Neuen Welt gekommen, sondern dorthin gebracht worden, weil er im Ruf stand, ein Freund des Landwirts und des Gärtners zu sein und besonders mit größtem Appetit die gefürchtete Bärenraupe, den Caterpillar, zu verspeisen, der von anderen Vögeln nicht angerührt wird. Über seine Einwanderung berichtet Mc Ilwraith in seinem Buch » The birds of Ontario« Genaues.
Im Jahre 1850 importierte der Direktor des Brooklyn-Instituts ein Paar Sperlinge, das nach einiger Zeit einging. Weshalb es sich nicht hielt, erfahren wir nicht, vermutlich, weil es zu gut behandelt wurde. 1852 wurde eine größere Anzahl bezogen, im Winter in Gefangenschaft gehalten und im Frühjahr ausgesetzt auf dem Greenwood-Kirchhof. Sie vermehrten sich stark, und rasch breitete ihr Geschlecht sich aus. Im Jahre 1875 wurden die ersten Sperlinge in Hamilton im südlichen Canada beobachtet und mit Jubel begrüßt. Man hatte sonderbare Vorstellungen von ihrem Charakter und ihrer Lebensweise. Auf Beschluß des City-Councils wurde ihnen ein hübsches Häuschen im Stadtpark zu Gebot gestellt und Futter für sie beschafft. Sie aber, ungewohnt solcher Liebenswürdigkeiten, hielten das wohl für eine Falle oder witterten Gift im Futter, genug, sie verschmähten das Häuschen, wählten sich selbst ihre Nistplätze und holten sich ihre Nahrung von der Straße. Mc Ilwraith schildert dann die Erfahrungen, die er selbst mit den Sperlingen gemacht hat. Das Erste, wodurch sie sich bei ihm einführten, war dies, daß sie ein Schwalbenpaar aus seinem Nistkasten vertrieben. Dazu muß bemerkt werden, daß es Baumschwalben waren, für die man Nistkästen anbringt, um sie beim Hause zu halten, weil sie sonst gewohnt sind in hohlen Bäumen zu brüten. Die Sperlinge holten die jungen Schwalben aus ihrer Behausung heraus, warfen sie auf den Boden und bezogen selbst die Wohnung der traulichen Vögel. Im nächsten Jahre nisteten sie unter der Veranda am Hause. Mehrere Paare wurden getötet, aber es waren sofort neue da. Diese griffen eine Zaunkönigsfamilie an und vertrieben sie aus ihrem Häuschen. Noch konnte man denken, daß die Sperlinge wenigstens den Früchten nicht nachstellten. Als es aber Herbst wurde, kam ihre ganze Schändlichkeit an den Tag: sie fielen über die Weintrauben her und pickten die Beeren aus. Die leeren Schalen ließen sie übrig. Zugleich kamen von allen Seiten Klagen über den Unfug, den die Spatzen verübten, und den Schaden, den sie anrichteten. Die allgemeine Meinung gab sich dahin kund, daß sie wieder fort müßten. Seitdem haben sich Sperlingklubs zu ihrer Vertilgung gebildet, Preise sind in verschiedenen Staaten auf ihre Köpfe gesetzt, Fallen sind erfunden, um sie zu Hunderten zu fangen, und Gift wird ihnen gelegt. Das Department of Agriculture in Washington hat einen langen Bericht über ihre Schädlichkeit herausgegeben. Im canadischen Vogelschutzgesetz von 1897 wird der englische Sperling unter den Vögeln aufgeführt, die keines Schutzes genießen und von jedermann gefangen und getötet werden dürfen. Mc Ilwraith schließt seine Betrachtung mit dem Bemerken: ein Nutzen sei dem Sperling doch nachzurühmen, er habe gelehrt, die Eulen und Habichte, denen er zur Speise dient, für besser zu halten und höher zu schätzen, als es früher geschehen sei.
Während dieser canadische Ornithologe am Sperling, so zu sagen, keine gute Feder läßt, urteilt ein anderer, Charles W. Nash in seiner Schrift: » The birds of Ontario in relation to agriculture« bei weitem milder über ihn. Es giebt Leute, sagt er, die sich Beobachter nennen und behaupten, daß der Sperling niemals Insekten verzehrt, und doch kann jeder, der im Sommer durch unsere Parks geht, bemerken, daß der Sperling eifrig Insekten nachstellt, um seine Jungen mit ihnen zu füttern. Nicht nur ihre Jungen ernähren die Sperlinge mit Insekten, sondern sie verzehren um diese Zeit selbst solche. Es ist wahr, daß sie die Bärenraupe auch nicht mögen, aber sonst verzehren sie allerhand Würmer, Käfer und Larven, die der Landwirtschaft und dem Gartenbau schädlich sind, darunter die Larve der den Bäumen so schädlichen Vanessa antiopa und die des gefürchteten Kohlweißlings. Nash schließt damit, daß seiner Meinung nach jetzt noch der Nutzen, den der Sperling gewährt, den von ihm angerichteten Schaden aufwiegt. Weiter anwachsen aber dürfe das Sperlingsvolk allerdings nicht. Hic haeret aqua, möchte ich zu der letzteren Äußerung des vogelkundigen Mannes bemerken, denn was er ausspricht, ist leicht gesagt, aber schwer gethan, da alle bisher zur Verminderung der Sperlinge angewendeten Mittel nichts genützt haben.
Durchaus günstig äußerte sich über den Sperling der Gärtner des Herrn Nordheimer, deutschen Konsuls in Toronto, mit dem ich mich auf der reizenden Besitzung seines Herrn unter einem Kirschbaum über den Sperling unterhielt. »Vom Sperling«, sagte er – er ist ein Deutscher – »wird viel behauptet, was nicht wahr ist. Darüber darf man sich nicht wundern. Lesen Sie die Zeitungen, und Sie werden finden, daß hochgestellten Personen dasselbe begegnet, und der Sperling ist ja doch nur ein Straßenjunge. Er soll Kirschen essen – nein, er ißt aus Prinzip keine Kirschen, die Blackbirds und die Orioles und die Stare, die sind die Kirschenesser. Nein, der Sperling ist ein nützlicher und verdienstvoller Vogel, wenn er auch nur einfach aussieht. Wenn er bunter wäre, würde er mehr geachtet werden. So fällt alles über ihn her, und keiner will seine Verdienste anerkennen. Aber so geht es ja,« fügte er mit einem Anflug von Bitterkeit hinzu, »auch manchem armen Menschen.« Den Sperling selbst kümmert es nicht, was für und wider ihn gesagt wird. Er verfolgt ruhig seine Zwecke, nährt sich so ehrlich, wie es eben in dieser schlechten Welt möglich ist, und freut sich, in ein Land gekommen zu sein, wo Korn- und Fruchtbau in so hoher Blüte steht. Vielleicht – das wäre ja so menschlich, hätte ich bald gesagt – bildet er sich ein, selbst diese Blüte veranlaßt zu haben. Dabei gewinnt er immer mehr an Boden und in Toronto wie in anderen Städten Kanadas beherrscht er das ganze Straßennetz.
Das Straßennetz Torontos ist so einfach angelegt wie das der meisten nordamerikanischen Städte. Alle Straßen führen entweder von Süd nach Nord oder von Ost nach West und das erleichtert es dem Fremden sehr, sich mit den Verhältnissen der Stadt vertraut zu machen. In Hildesheim und Parchim, die doch um vieles kleiner sind, kann man sich nicht so leicht zurecht finden wie in Toronto. Die Hauptstraße, die Yonge Street, hat südnördliche Richtung und teilt das Ganze in Ost- und West-Toronto. Das wird benutzt, um die Lage der Häuser in den diese Hauptverkehrsader kreuzenden Straßen genauer zu bestimmen. So erhalten z. B. die zu der King Street gehörenden Häuser die näheren Bezeichnungen King East und King West, was auch nur durch die Buchstaben E und W angedeutet wird. Die Spieltische werden so gestellt, daß von vier Spielern je einer im Norden, im Süden, im Osten und im Westen seinen Platz hat, und danach heißt es: »Nord giebt!« oder »West spielt aus!« Die Straßen Torontos, auf denen außer den Sperlingen auch die Menschen ihren Verkehr haben, sind zum großen Teil in gutem Zustande. Das will bei einer Stadt, die so straßenreich ist und sich so rasch in die Breite gelegt hat, viel sagen. Sie sind teils asphaltiert, teils macadamisiert, teils chaussiert, teils mit Holz gepflastert, und an den Grenzen des Weichbildes giebt es auch einige, die in rohem Zustande erhalten geblieben sind. Das Holzpflaster besteht aus Rundstücken von Cederholz, cedar aber wird die Thuja occidentalis genannt, die bei uns Lebensbaum heißt. Dieses Holzpflaster hat sich ganz und gar nicht bewährt und kann als abschreckendes Beispiel dienen. Die so gepflasterten Straßen sind durch den Gebrauch dermaßen holprig geworden, daß etwas ähnliches an Holprigkeit wohl kaum in den kleinsten deutschen Städten aufzufinden sein möchte.
Alle Straßen haben Trottoirs, die in einer Anzahl der Hauptstraßen aus Steinfliesen oder Cementplatten bestehen. Die übrigen sind aus hölzernen Bohlen hergestellt, wie solche Holztrottoirs in kleinen canadischen Städten ausschließlich gefunden werden. Auf dem Holz geht es sich gut, so lange es noch neu und wohl erhalten ist, es leidet aber bald durch das Klima, und wenn einzelne Bohlen morsch geworden sind oder ganz fehlen, nehmen die hölzernen Steige einen fußbrechenden Charakter an. Es hat wenigstens etwas Beruhigendes, daß diejenigen, die sich auf der Straße ein Bein brechen, wie man sagt, die Stadt deswegen belangen und sich auf dem Wege Rechtens, wenn sie ihre Nüchternheit zu beweisen im stande sind, einen Schadenersatz, der zur Bezahlung des Arztes hinreicht, sowie auch, falls das Bein abgenommen werden muß, einen ihnen gratis zu liefernden Stelzfuß erstreiten können. Man geht in Toronto damit um, sämtliche Holzsteige nach und nach durch Cementplatten zu ersetzen. Das hat seinen Grund nicht nur in der größeren Haltbarkeit des Cements, sondern auch in den immer mehr gestiegenen Holzpreisen; das Holz aber ist so teuer geworden durch die Waldverwüstung, die sich immer weiter nach Norden erstreckt.
Dem Straßenverkehr dienen zahlreiche elektrische Bahnen, Pferdebahnen sind seit längerer Zeit gänzlich abgekommen. Der Fahrpreis ist etwas höher als in Berlin, man kann aber auf ein Billet eine weite Strecke fahren und erhält, wenn man auf eine andere Bahn umsteigen will, einmal ein Übergangsbillet. Die Wagen sind gut und enthalten bequeme Querbänke. Eine Bank am vorderen Ende des Wagens ist für Raucher bestimmt.
Das Fahrrad spielt auf den Straßen Torontos eine große Rolle. Alles radelt, Groß und Klein, Männlein und Weiblein. Das Kind fängt damit an, sobald seine Beinchen dazu fähig sind, und das findet fast noch eher statt, als es gehen kann. In das Geschäft, in die Schule, nach der Kirche wird geradelt. Es fiel mir auf, daß im Innern der St. James-Kirche, der größten Kirche Torontos, eine Vorrichtung zum Einstellen von Fahrrädern vorhanden ist. Es darf aber nicht in die Kirche hineingeradelt werden, und auch auf den Kirchhöfen ist laut einer an den Eingängen angeschlagenen Bekanntmachung das Radeln nicht gestattet. Wo wegen einer Terrainschwierigkeit das Radfahren bedenklich erscheint, wird durch eine Warnungstafel darauf aufmerksam gemacht. Die Radfahrer verstehen geschickt auszuweichen und zeigen fast durchweg beim Fahren eine gute Haltung. Man sieht nur schlankgebaute Personen auf dem Rade, wie es denn überhaupt in Toronto mit Ausnahme weniger Bierbrauer und Schlächter keine fetten Leute geben soll. Begegnet man auf der Straße einem dicken Menschen, so heißt es, das ist ein Deutscher. Ich fühlte mich dadurch nicht getroffen, zumal nicht, seitdem ich durch eine Fußwanderung in den Wäldern des Nordens siebzehn englische Pfund von meinem Körpergewicht verloren hatte.
Es gibt sehr wenig Droschken oder Cabs in Toronto. Die Wagen, die man auf der Straße sieht, sind meist Geschäftswagen oder Privatfuhrwerke, gewöhnlich Einspänner, die von ihren Besitzern gefahren werden. Steigt der Wagenführer unterwegs aus und wünscht, daß das Pferd stehen bleiben soll, bis er zurückkehrt, so legt er es mit einer Leine an einen zu diesem Zweck mitgenommenen handlichen eisernen Klotz, der auf das Pflaster gestellt wird.
Hie und da auf den Straßen sieht man kleine Trinkbecken für Hunde und größere zum Tränken von Pferden. Auch für dürstende Menschen, die nach Wasser verlangt, ist auf nachahmenswerte Weise gesorgt. Auf allen öffentlichen Plätzen und auch in den äußeren Parks und an den Vergnügungsorten der Umgegend der Stadt sind Brunnen mit angeketteten Trinkgefäßen zu finden, die zur Sommerszeit stark in Anspruch genommen werden. Mit Wasser für den Hausbedarf wird die Stadt durch eine Leitung versorgt. Das Wasser, das rein und kühl ist, wird dem Ontariosee entnommen und in ein in schöner Parkgegend gelegenes großes Reservoir gehoben.
Briefkästen sind in reichlicher Zahl in den Straßen angebracht. Größere Streifbandsendungen, die sich nicht einstecken lassen, legt man ruhig oben auf den Briefkasten. Da liegen sie, bis der Postbote sie wegnimmt, vollkommen sicher, weil es allgemein und auch bei halbwüchsigen Jungen nicht für fair gilt, sich dergleichen Dinge anzueignen. Die Postämter, in denen gewöhnlich eine junge Dame den Dienst versieht, befinden sich nicht selten in einem Laden. Die Post ist prompt und findig. Ein Brief, der in den ersten Tagen meines Aufenthalts dort aus Italien für mich ankam allein mit meinem Namen und der einfachen Ortsangabe »Toronto« als Adresse, ging mir mit geringer Verspätung zu. Die Bestellung von Paketen besorgt auch eine Privatgesellschaft. Ein Mann fährt gegen Abend durch die Straßen und wirft Pakete, die nichts Zerbrechliches enthalten, vom Wagen aus mit großem Geschick vor die Haustüren.
Die Straßen werden durch elektrisches Licht und Gaslicht mit Eintritt der Dunkelheit beleuchtet. Die schönen Schlagschatten der gezackten Ahornblätter anzusehen, die das weiße Licht auf die Straße wirft, ist ein Vergnügen. Die Feuerwehr soll gut organisiert sein, die Straßenpolizei ist musterhaft. Die Policemen zeichnen sich durch Höflichkeit aus. In der Frühe des Sonntagmorgens, wenn man in Toronto fast keinem Menschen als ab und zu einem Polizeibeamten begegnet, bin ich manchmal auf der Straße gewesen und erhielt von diesen Herren stets ein freundliches » Good morning!«. Doch das mochte auch mit davon kommen, daß sie sich so einsam fühlten.
Die Zahl der Kirchen in Toronto beträgt über zweihundert. Davon gehören über hundert der englischen Kirche an, die übrigen sind im Besitz zahlreicher anderer Religionsgemeinschaften, der Presbyterianer, der Methodisten, der Baptisten, der Römischkatholischen, der Apostolischkatholischen, der Lutherischen und verschiedener Sekten. Der Zahl der Kirchen nach müßten die Bewohner von Toronto wohl die frömmsten Leute der ganzen Welt sein. Ob sie das wirklich sind, weiß der Himmel allein, und mir, einem Fremden, der nur kurze Zeit in der Stadt war, steht es nicht an, ein Urteil darüber zu fällen. Ich will nur sagen, daß die Stadt etwas von puritanischem Charakter hat. Mit der Sonntagsheiligung wird es sehr ernst genommen. Die Läden sind den ganzen Tag über geschlossen, der Postdienst ruht gänzlich, von den Straßenbahnen setzen einige ihre Fahrten aus, die anderen beginnen sie ein paar Stunden später als an den Wochentagen. Das hat nicht so viel zu sagen, da man allgemein dort bis tief in den Sonntag hinein zu schlafen pflegt. Der Morgengottesdienst findet deshalb erst um elf Uhr statt, dann wird noch einmal abends um sieben Uhr gepredigt, und beide Gottesdienste zu besuchen gilt vielen für Pflicht. Der Verkauf geistiger Getränke am Sonntag ist bei hoher Strafe verboten, die Brunnen aber werden nicht zugedreht. Die größte und schönste aller Kirchen der Stadt ist die in gotischem Stil gebaute St. James' Cathedral, aber auch unter den anderen Gotteshäusern befindet sich manches ansehnliche und schmucke Bauwerk. Eine Kirche haben die Franzosen, die Italiener, die Deutschen und auch die Neger. In der letzteren predigt ein schwarzer Pastor. Der größte und schönste Kirchhof ist der von Mount Pleasant im Norden der Stadt, ein wundervoller Park mit herrlichen Bäumen, Berg und Thal und Wasser, in dem ich mich gern ergangen habe. Ach, auch da ist reichlich Raum vorhanden! Die Toten liegen bequem, nicht so dicht aneinander gedrängt, wie auf den Berliner Friedhöfen, wo sie miteinander um das bißchen Platz zu streiten scheinen. Die Gräber sind nur handhoch. Das scheint uns etwas zu niedrig zu sein, aber praktischer angelegt erscheinen sie doch als die hohen und schmalen Grabhügel in Berlin, die rasch auseinander fallen, wenn sie nicht sorgfältig gepflegt und stets ausgebessert werden. An Blumenschmuck ist nicht viel zu sehen. Nur wenige Kreuze bemerkte ich, und diese waren von Stein. Sonst fand ich in großer Zahl steinerne Tafeln und Säulen oder Obelisken, gewöhnlich mit einer freistehenden oder halb oder ganz verhüllten Trauerurne gekrönt. An manchem Grabe stand ein zierlicher Sessel, aber nirgends ein Schaukelstuhl.