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Land, Land! Schon steht, hoch in
die Lüfte ragend,
Libertas da, die Fackel in der
Hand,
Und ich betrete, Dank den Göttern
sagend,
Des Dollars und der Freiheit goldnes
Land.
Der Aufenthalt auf einem Schiff während einer längeren Reise hat einige Ähnlichkeit mit dem Aufenthalt in einem Gefängnis. Man genießt auf dem Schiff, zumal wenn es ein großer Dampfer ist, in vielerlei Beziehung, besonders auch in der Auswahl der Speisen, viel mehr Freiheit, und außerdem sind die Räumlichkeiten, in denen man den Tag und die Nacht zubringt, eleganter ausgestattet, aber etwas Gefängnisartiges hat das Ganze doch. Man kann nicht fort, wenn man möchte, die freie Bewegung ist nur bis zu einer gewissen Grenze gestattet, und man ist auf eine bestimmte Gesellschaft angewiesen. Das kann zuweilen etwas drückend erscheinen, hat aber auch seine guten Seiten: die Abgeschlossenheit giebt auch wieder etwas von Freiheit, wonach mancher auf dem Lande umsonst sich sehnt. Und dann stiftet ein wenn auch nur zwölftägiges Beisammensein auf dem Schiff manche angenehme Bekanntschaft. Dessen wurden wir uns bewußt, als auf dem »Großen Kurfürsten« das Abschiednehmen vor sich ging. Männer schüttelten einander die Hände, Frauen umarmten und küßten sich. Irre ich nicht, so sind auch einige Thränen geflossen. Wir vergaßen nicht, unserem wackeren Kapitän Lebewohl zu sagen, und waren sehr erfreut darüber, daß der Herr Obersteward uns aus freien Stücken versprach, uns seinem Kollegen auf der »Bremen«, mit der wir nach Europa zurückfahren sollten, empfehlen zu wollen.
Während das große Schiff sich mit der Unbehilflichkeit, die solchen Kolossen, wenn sie nicht ganz in ihrem Element sind, eigen ist, an den Pier heranarbeitete, suchten unsere Augen unter den unten stehenden Leuten umher nach einem bekannten Gesicht und konnten keins finden. Es steht aber auf dem Pier ein Gebäude, nach dessen zweitem Stockwerk hinüber vom Schiff aus die Landungsbrücken geschlagen werden, und dort in einem Fenster dieses zweiten Stockwerks zeigte sich das erwartete bekannte Gesicht. Ja, es erschien uns noch bekannt, obwohl wir es seit mindestens zwanzig Jahren nicht gesehen hatten. Nachdem wir die Inhaberin dieses Gesichts begrüßt hatten, begaben wir uns mit ihr an die Stelle der großen Ankunftshalle, wo wir unserem Gepäck zu begegnen erwarten konnten, d. h. nach dem Buchstaben T. Es stehen dort in zwei Reihen Tafeln mit allen Buchstaben des Alphabets, auch X und Y, so viel ich weiß, und wenn man nicht in der Aufregung des Augenblicks vergessen hat, wie man heißt, kann man leicht den Platz finden, wohin einem das Gepäck geschafft wird. Wir waren noch auf dem Wege zu unserem Platz, als einige deutsche Herren, die von Berlin aus über uns und unser Schiff unterrichtet worden waren, uns begrüßten. Es giebt nichts Angenehmeres für einen, der nach langer Fahrt in einer Stadt fremdredender Männer anlangt, als in der Sprache der Heimat willkommen geheißen zu werden. Man glaubt sofort wieder auf festem Boden zu stehen. Außer diesen Landsleuten, die uns in liebenswürdiger Weise bei unseren Verhandlungen mit den noch einmal wieder auftretenden Zollbeamten unterstützten, erschienen noch zwei Herren vom Neuyorker deutschen Preßklub, um mich als Kollegen zu begrüßen. Sie teilten mir mit, daß am folgenden Tage Deputierte des Klubs mich in meinem Hotel aufsuchen würden, und an diese Mitteilung knüpfte sich die Anfrage, ob ich bei dieser Gelegenheit eine Rede über deutschen und englischen Humor zu halten geneigt sein würde. Ich entgegnete, daß ich die Herren Deputierten gern empfangen würde, eine Rede aber über deutschen und englischen Humor zu halten nicht die Absicht hätte. Unglücklicherweise gehörte mein Frack zu den Sachen, die ich von Berlin auf die Reise mitzunehmen vergessen hatte, und ohne dieses Kleidungsstück eine feierliche Rede zu halten, getraute ich mich nicht; dagegen würde mir ein ungezwungenes Beisammensein und ein gemütliches Gespräch mit den Herren sehr willkommen sein. Damit erklärten sie sich dann auch einverstanden. Es war aber auch noch ein englischer Interviewer da, der mich anredete. Was er eigentlich von mir wollte, wurde mir nicht ganz klar, ich begnügte mich daher damit, ihm zu wiederholten Malen zu versichern, daß ich sehr froh wäre ihn zu sehen. Ob er den Lesern seines Blattes davon Mitteilung gemacht hat, habe ich nicht erfahren.
Ich will vorausnehmen, daß die deutsche Presse von Neuyork mich, abgesehen von diesem persönlichen Entgegenkommen, auch noch auf andere Weise begrüßt hat. Die Ankunft des prachtvollen deutschen Schiffes, das seine erste Fahrt vollendet hatte, war auch für die Hauptstadt Nordamerikas ein Ereignis. Schon im Mittagsblatt der »Neuyorker Staatszeitung« fand ich einen Bericht darüber, der außer einigen Notizen über einige der Passagiere erster Kajüte und über mich selbst das Porträt des Kapitäns Reimkasten sowie mein eigenes enthielt. Fürwahr, eine imponierende Leistung der dortigen Presse. Sie hatten, so wenig Zeit ihnen auch zum Nachforschen gegeben war, in Neuyork ein nach einer alten Photographie gemachtes Bild von mir aufgetrieben und dieses, so gut es ging, reproduziert. Verschiedene Abendblätter brachten weitere Notizen über mich, die einiges Richtige enthielten. Großer Gott – in Canada darf man diesen Ausruf, der einem so leicht entschlüpft, in Gegenwart frommer Leute nicht gebrauchen, wenn man nicht die Geistesgegenwart hat »save the Queen« oder nun »the King!« hinzuzufügen – großer Gott, so etwas hätte ich mir nicht träumen lassen, und an meiner Wiege ist es mir, wenn ich mich recht erinnere, nicht gesungen worden. Das ist auch sehr gut, denn ich wäre sonst nie die Furcht los geworden, daß ich einmal etwas Schreckliches, das allgemein von sich reden nachte, begehen könnte.
Unsere deutschen Landsleute waren so freundlich, uns von dem Landungsplatze durch ein Stückchen Hoboken, dann auf die Dampffähre, die über den einen Arm des Hudson, den North-River, hinüber nach Neuyork geht, und weiter mittelst der elektrischen Bahn nach dem von uns gewählten Hotel, dem »Belvedere-House«, zu bringen, das an der Ecke der 4. Avenue und der 18. Street, unweit des Madison-Square und des Broadway gelegen ist. Man ist dort gut aufgehoben, der Wirt ist ein Deutscher, Dr. C. S. Wehrle, ein liebenswürdiger Mann, immer bereit, seinen Gästen mit gutem Rat an die Hand zu gehen.
Nachdem wir einen Lunch eingenommen, berieten wir mit unserer Landsmännin, die auf dem Pier uns empfangen hatte, und einer anderen deutschen Dame, der wir auf dem Schiff näher getreten waren, was nun zu unternehmen sei. Wenn man in eine große Stadt kommt, die einem neu ist, soll man gemeinlich alles sehen, was da zu sehen ist, und zwar sofort. Dabei wird nicht bedacht, daß die Augen zwar viel sehen, aber nicht viel mitnehmen können, besonders dann nicht, wenn fremdartige Eindrücke auf die Seele wirken. Ich sträubte mich hartnäckig gegen das Besichtigen von Gebäuden und Sammlungen und war sehr zufrieden damit, daß die Beratung zu dem Beschluß führte, dem Centralpark einen Besuch abzustatten. Dabei blieb man doch in freier Luft und hatte die Aussicht, etwas von dem Gesamtbilde der Stadt zu erhaschen.
Wir begaben uns also nach dem Centralpark, der mitten in der Stadt liegt und die größte Parkanlage Neuyorks ist. Der Boden, den jetzt der Centralpark einnimmt, bestand vor der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, wie der größte Teil der Insel Manhattan, auf der Neuyork steht, aus Fels und Sumpf. Der Sumpf ist in größere und kleinere Wasserbecken verwandelt worden, und was an Gestein sich vorfand, lieferte, soweit es nicht gesprengt wurde, die Felspartien, durch die dieser Park einen so originellen Reiz erhalten hat. Alte Bäume fehlen selbstverständlich, wenn auch um die Zeit der Anlage mit den jungen auch ältere Bäume, wie schon damals die Gartenkunst es verstand, dort eingesetzt wurden; was aber den Park so schön macht, ist dies, daß er die ganze Fülle der Laubholzarten, an denen das nördliche Amerika so reich ist, enthält. Mit der Besichtigung dieser Holzarten hatte ich so viel zu thun, daß ich mir die zweite Nadel der Kleopatra – eine Schwester der in London befindlichen – die 1877 von Ismail Pascha der Stadt Neuyork geschenkt und von dieser im Centralpark aufgestellt worden ist, für die Rückreise aufsparen mußte. Eben sah ich mir einen schönen Baum an, da flog an mir ein Vogel vorüber, bei dessen Anblick ich erschrak. Bis auf die schwarzen Flügel war er leuchtend scharlachrot. Träumte ich oder war es ein wirklicher Vogel? Ja, es mußte ein wirklicher Vogel sein, denn er zerging nicht einfach und wurde auch nicht zu einer Blume, sondern setzte sich auf einen Baumzweig nicht weit von mir, so daß ich ihn noch eine Weile beobachten konnte. In Neuyork wußte mir keiner zu sagen, was für ein Vogel das war, nachher aber kam ich dahinter. Es ist der Scarlet Tanager (Piranga erythromelas) oder Feuervogel, einer der schönsten Vögel Nordamerikas, der leider schon recht selten geworden ist. Von ihm sagt ein amerikanischer Ornithologe, Heltje Blanchan, dessen hübsch illustriertes Buch über einheimische Vögel später in Kanada in meine Hände gekommen ist: »Seine glänzende Färbung ist ihm zur Falle und zum Verderben geworden. Das dichteste Immergrün kann ihn nicht vor der Büchse des Sportsmanns verbergen, die zu oft auf ihn abgefeuert wird auf Anstiftung der städtischen Millionäre. ›Feine Federn machen feine Vögel‹: grausame und einfältige Weiber mögen sich das Sprichwort zum gelegentlichen Gebrauch angeeignet haben. Dank ihnen ist dieser wunderschöne Tanager zu einem seltenen Aufblitzen von Schönheit auf den Straßen unseres Landes geworden.« Der amerikanische Vogelfreund drückt sich ein wenig stark aus, doch das mag er mit der Damenwelt seines Landes ausfechten. Mir erschien es als ein besonderes Glück, daß an dem Tage, an dem ich die Neue Welt betrat, dieser schöne und seltene Vogel mir begegnete. Ich nahm das als ein Handgeld für mehr Schönes noch, das mir begegnen sollte.
Wir sahen noch manches Hübsche. Auf den Grasplätzen bemerkte ich viele Vögel von der Art, die in Amerika »Robin« genannt wird. In England heißt das Rotkehlchen so, mit dem dieser Vogel indessen nichts zu thun hat, nur der Name ist auf ihn übertragen, weil er auch eine rote Brust hat, sonst gehört er zu den Drosseln und ist beinahe so groß wie unsere Schwarzdrossel oder Amsel. Dieser große Robin ist in den Vereinigten Staaten sehr häufig, und auch in Canada sah ich ihn als Gartenvogel jeden Tag und hörte ihn auch. Er läßt seine Stimme besonders in der Morgenfrühe und am Abend erschallen und singt, wie sein amerikanischer Beschreiber sagt, so gut er kann. Lieber Himmel, das thun wir ja auch, und wenn sein Gesang nicht allzu sehr zu rühmen ist, bin ich der Letzte, der ihm einen Vorwurf daraus macht. Im übrigen wimmelt es im Centralpark wie überall in Neuyork von Sperlingen, von diesem Vogel aber und davon, wie die Amerikaner, unter denen er auch einen Anwalt hat, über ihn denken, soll später die Rede sein.
Der Centralpark war erfüllt von Lustwandelnden, und an Kinderwagen fehlte es so wenig wie auf den Schmuckplätzen Berlins, zuletzt aber kamen wir auf die große Straße, die von der Fifth Avenue, wo die Geldmänner wohnen, in den Park hinein und durch ihn hindurchführt. Auf dieser Straße fahren sie am Nachmittag spazieren. Da kamen sie, einer hinter dem anderen in prächtigen Wagen ein-, zwei- und sogar vierspännig mit ihren Frauen und Kindern angefahren, alle mit ernster und wichtiger Miene dreinschauend. Daß sie eine solche Miene aufsetzten, ist ihnen wahrlich nicht zu verdenken. Was hätten diese Unglückspilze von einem Leben, dem so viel, was es angenehm machen kann, abgeht, wenn sie nicht, außer der Aussicht auf ein glänzendes Begräbnis, das stolze Bewußtsein hätten, so und so viel Millionen ihr Eigen zu nennen? Nachdem wir die Parade über sie abgenommen hatten, kehrten wir in die Stadt zurück und brachten den Abend vergnügt in Lüchows deutschem Bierhause zu, wo man außer dem guten Essen und Trinken auch noch Musik bekommt. Diese erhält man umsonst, Essen und Trinken dagegen muß teuer bezahlt werden, wie denn Neuyork überhaupt nicht als der billigste Platz der Welt anzusehen ist. Ein Dollar hat dort nicht viel mehr Wert als in Berlin eine Mark, er giebt sich im Umsehen aus, und ich kann nur ermahnen: Thu Geld in deinen Beutel, wenn du in dieser Ortschaft einige Zeit zu verweilen gedenkst!
In der Nacht schlief ich nicht ganz ruhig, ich hatte immer noch das Gefühl, als zitterte unter mir der Boden, und wenn ich aufwachte und hörte von unten das Geheul heraufschallen, das die Wagen der elektrischen Straßenbahnen verursachen, dachte ich, das wäre der Wind, und mußte mich eine Zeit lang besinnen, bis mir klar wurde, wo ich war und daß ich nicht mehr auf dem Schiff war.
Am anderen Tage sah ich mich zunächst nach einem Stiefelputzer um, den ich auch bald gefunden hatte. Der Sessel, auf den ich hinaufsteigen mußte, erinnerte mich lebhaft an die Drehscheibe, auf der ich gethront hatte, als mein verehrter Freund, der Bildhauer Harro Magnussen, meinen armen Kopf modellierte. Während der Blankmacher erst den einen, dann den anderen meiner Füße mit Ernst und Sorgfalt behandelte, kam mir in den Sinn, was der Mann wohl früher gewesen sein möchte. Vielleicht einer, auf den große Hoffnungen gesetzt waren, vielleicht ein Löwe der Salons, der hoch in der Gunst der Damen gestanden hatte. So mancher, der mit seinen zu großen Ansprüchen in Europa gescheitert ist, schätzt sich schon glücklich, wenn er in Amerika eine bescheidene Stellung findet, in der er satt zu essen hat. Besonders unter den Beamten der Straßenbahnen soll der europäische Adel stark vertreten sein. Ach, und nicht jeder der Gescheiterten hat eine solche Stellung in der Neuen Welt gefunden! Man braucht auch in Deutschland in nicht vielen Familien nachzufragen, ohne daß einer genannt wird, der, in der Heimat aufgegeben, über das große Wasser gegangen ist und hat niemals wieder geschrieben. Er ist irgendwo liegen geblieben, und seine Mutter weiß nicht, wo sein Grab ist und ob überhaupt seine Gebeine in der Erde liegen.
Als ich wieder in sauberen Schuhen stand, machten wir einen Spaziergang durch die Straßen und widmeten vor allem dem Broadway, der berühmten Haupt- und Geschäftsstraße Neuyorks, unsere Aufmerksamkeit. Es ist wahr, daß diese Straße viele auch nach europäischen Begriffen ansehnliche Gebäude hat und auch viel schöne Läden, aber die Blumenläden können sich an Pracht bei weitem nicht mit denen Berlins messen. Ich fand auch in ihnen nichts von Blumen, die mir nicht von der Alten Welt her bekannt waren. Den Verkehr fanden wir nicht so stark, wie er in Berlin in der Leipzigerstraße und anderen großen Verkehrsstraßen ist, doch das mochte daran liegen, daß wir nicht in der Hauptgeschäftszeit auf dem Broadway waren.
Wie sehr würde das ganze Straßenbild dadurch gewinnen, wenn nicht überall und auch in dieser Prunkstraße hier und da einer der abscheulichen speicherartigen Wolkenkratzer, die alles tot machen, stände. Über diese Häuser habe ich einem Freunde geschrieben:
Ich hab' der Städte viele doch gesehn,
Berlin, Wien, Leipzig, die ich acht' und schätze,
Allein Neuyork, ich will es nur gestehn,
Erinnert mich an keinen dieser Plätze.
Und was ich sonst von großen Orten sah,
Nicht einer läßt sich mit Neuyork vergleichen;
Wie steht es stolz mit seinen Häusern da,
Die hoch hinauf bis an den Himmel reichen!
Von solchen zählt' ich wenigstens ein Schock,
Die höher sind als unsre höchsten Säulen;
Das höchste Haus hat zweiunddreißig Stock,
Stell' Dir es vor – Du wirst mein Staunen teilen.
Ganz oben dort ein Stübchen wäre traun
Ein Idealquartier für einen Dichter,
Der gerne möcht' von seiner Werkstatt schaun
Hinunter auf das übrige Gelichter.
Dort oben wär' er frei von alle dem,
Was unten muß der Mensch hinunterschlucken,
Und, was hier noch besonders angenehm,
So hoch hinauf vermag kein Mensch zu spucken.
Da spürte man vom Staub und vom Geruch
Der Straße nichts, da könnte man gesunden,
Niemals gestört durch lästigen Besuch,
Der uns so oft verdirbt die besten Stunden.
Der Steuerbote selber würde kaum
Den Mut besitzen, sich empor zu schleppen
Bis zu des Wolkenkratzers höchstem Raum
Die einunddreißig fürchterlichen Treppen.
Das wäre schön in Wahrheit, aber ach
Ein Traum nur ist es, und ich muß es sagen:
Ein Fahrstuhl trägt Dich leicht bis unters Dach,
Der würd' hinauf zu Dir auch andre tragen.
So ist es nichts damit! Was sollte auch
Ein Dichter wohl, frag' ich vor allen Dingen,
In einem Lande, wo der Lerche Brauch
Ist, sich zu nähren, aber nicht zu singen?
Manchmal steht neben einem solchen Ungeheuer von Haus eine an sich recht hübsche und auch gar nicht kleine Kirche, die durch ihre garstige Nachbarschaft völlig erdrückt wird. Es fehlt den Straßen, was sie den Augen gefällig machen könnte, etwas unerträglich Unruhiges ist in ihrer Physiognomie. Ich hatte den Eindruck, als hätte ein Kind zum Geburtstag eine riesige Schachtel voll verschiedenartiger Häuser geschenkt bekommen und diese nun in kindischer Laune nach Willkür und ohne Rücksicht auf den guten Geschmack, der sich doch manchmal auch bei Kindern schon zeigt, zu einer Stadt zusammengestellt. Doch war etwas da, das dem Straßenbilde einen Zug von Freundlichkeit verlieh, das war die Vegetation im Glanze des Maimonats. An vielen Häusern Neuyorks ist eine wilde Weinart, die Ampelopsis Veitchii – wir haben sie auch an einigen Stellen in Berlin – angepflanzt, deren graziöse Zweige sich dicht an die Mauern anlegen, so daß sie die architektonischen Linien erkennbar lassen. Mit dem Grün dieser Kletterpflanze waren viele Gebäude, auch Kirchen darunter, bis oben hinauf in reizender Weise bekleidet. Auch andere Schlingpflanzen, wie der gewöhnliche wilde Wein und die Wistaria oder Glycine fanden sich zur Bekleidung von Mauern verwendet, und auch in den Straßen der großen Stadt merkte man es, daß es die Zeit war, da Flieder und Kastanien in Blüte standen.
Nachdem wir das Rathaus (City Hall), das Astor-Hotel, dem der Turm zu Babel sehr ähnlich gewesen sein muß, und andere merkwürdige Baulichkeiten angestaunt hatten, kamen wir zu der Stelle des Broadway, wo noch der Triumphbogen stand, durch den am 30. September des vergangenen Jahres Admiral Dewey als Triumphator seinen Einzug in die City hielt. Es ist ein kolossaler Gelegenheitsbau. Auf jeder Seite führt zu dem mächtigen Hauptbau eine Reihe von sechs, zu je dreien einander gegenüberstehenden Säulenpaaren, deren Piedestale mit allegorischen Figuren geschmückt sind. Das Ganze ist flott und keck entworfen und nicht übel ausgeführt, aber auch nicht für die Dauer berechnet. Noch eine Zeit lang nach dem Einzuge Deweys bestand die Absicht, dieses Ruhmesdenkmal in dauerhaftem Material für die Nachwelt ausführen zu lassen, was freilich einen guten Schilling gekostet haben würde, indessen ist man, nachdem sich der Besieger Spaniens durch einige Privatgeschäfte um die Volksgunst gebracht hat, von diesem Vorhaben zurückgekommen und überläßt das stolze Bauwerk dem Zahn der Zeit.
Nach unserer Rückkehr empfing ich den Besuch der Abgesandten des deutschen Preßklubs, mit denen ich mich eine Stunde bei deutschem Wein aufs angenehmste unterhielt. Die deutsche Presse ist in Neuyork durch eine ganze Anzahl von Blättern vertreten, und selbst einzelne deutsche Volksstämme haben dort ihr eigenes Organ. So giebt es eine »Pfälzische Zeitung« und eine »Plattdütsche Post«, in der man mit Vergnügen Nachrichten aus kleinen mecklenburgischen Orten findet. Ich erfuhr von den Herren manches, was mich interessierte. Es war in den Tagen, als in Neuyork die Abgesandten Transvaals erschienen. Daß sie etwas erreichen würden, wurde als aussichtslos betrachtet, wie es denn in der That auch war. Im übrigen, hörte ich, fehlte es in den Vereinigten Staaten nicht an Sympathien für die Boeren, und nicht allein auf seiten der Deutschen und der Holländer waren solche zu finden, sondern auch in alten Neuyorker Familien, die sich ihrer holländischen Abkunft erinnerten. Mehr freilich als Sympathien war nicht zu haben.
In diesen selben Tagen war in den Neuyorker Blättern die Rede davon, daß die deutsche Einwanderung stark nachgelassen habe, woraus man schloß, daß die Deutschen sich in ihrem Vaterlande ein gut Teil wohler fühlten als früher. Dagegen habe die Einwanderung aus dem Süden und Osten Europas in hohem Grade zugenommen und sei in diesem Jahre so stark, wie sie lange nicht gewesen. Italiener gäbe es in Neuyork schon in großer Menge, und sie hätten ihr eigenes Blatt. Aus Ungarn und Polen kämen immer mehr, unter den Ungarn wären viele, die als Musiker ihr Brot verdienten, von den Polen aber ließen sich die meisten als Schneider nieder; dazu käme nun noch ein immer mehr anwachsender Zufluß aus dem weiteren Osten Europas.
Die Herren bedauerten es, daß ich mich so kurze Zeit nur in Neuyork aufhalten wollte. Auf meiner Rückreise müßte ich länger in der Stadt verweilen, dann wollten sie mir vieles zeigen, das mich interessieren würde. Auch müßte ich noch wirklich amerikanische Städte kennen lernen, denn eine amerikanische Stadt sei Neuyork nicht, sondern eine internationale, deren Bevölkerung aus allen Völkerschaften der Erde zusammengesetzt sei. Das Letztere, dachte ich bei mir, ist wohl richtig, aber sollte es wirklich eine Stadt geben, die man mit mehr Recht als Neuyork amerikanisch nennen könnte? Von den Urbewohnern Amerikas gegründete Städte existieren nicht mehr, und an allen in neuerer Zeit gebauten größeren Orten dieses Landes wird doch auch wohl die Einwohnerschaft aus verschiedenen Volksarten zusammengemischt sein. Doch ich will nicht urteilen darüber, ehe ich nicht in Amerika noch vieler Männer Städte gesehen und ihren Charakter kennen gelernt habe.
Die Herren vom deutschen Preßklub brachten mir einen freundlichen Gruß von einem Landsmann, dessen ich mich aus alter Zeit her erinnerte. Er heißt Julius Krause und ist ein Sohn Eduard Krauses, in dessen Druckerei in der Französischen Straße zu Berlin früher die »National-Zeitung« und auch der »Kladderadatsch« gedruckt wurden. Er ist jetzt » City Editor« am Abendblatt der »Neuyorker Staats-Zeitung«. Nachdem ich mich bei meinen Herren Kollegen, die der Dienst an den Redaktionstisch zurückrief, für die mir erwiesenen Aufmerksamkeiten bedankt hatte, empfahl ich mich ihnen mit dem Versprechen, sie bei Gelegenheit meiner Rückreise in ihrem Klub besuchen zu wollen.
Den Nachmittag dieses Tages benutzten wir zu einem Besuch des » American Museum of Natural History«, damit wir doch etwas von den Sammlungen der großen Stadt zu sehen bekämen. Das Museum befindet sich in der Nähe des Central-Parks. Es ist ein mächtiges Gebäude, das in seinem Innern eine Fülle für den Naturfreund in hohem Grade sehenswerter Dinge birgt. Hier warfen wir rasch noch einen Blick auf die Tierwelt Amerikas, die an anziehenden Gestaltungen so reich ist. Auch in den anderen Naturreichen uns noch umzusehen, erlaubte die Kürze der Zeit nicht. Zu bald schon mußten wir ins Hotel zurück, um unsere Sachen zu packen, denn wir wollten an demselben Tage noch weiter reisen, und um acht Uhr abends saßen wir in einem Wagen der »Central and Hudson River Railway«, um dem Lande Canada entgegen zu fahren. Unsere Herzen eilten in der Erwartung eines frohen Wiedersehens uns voraus.