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Um von der geistigen auf die leibliche Nahrung zu kommen, so bemerke ich zunächst, daß in Toronto die Konditoreien noch dichter gesät sind als in meiner Vaterstadt Danzig, die auch sehr das Süße liebt. Die Bewohner von Toronto sind große Kuchenesser und sehr eingenommen nicht nur für Ice cream und Ice cream soda, sondern für Süßigkeiten aller Art. Damit hängt auch wohl die große Zahl der Ärzte und besonders der Dentisten zusammen, die in dieser Stadt zu finden sind. Beinahe an jedem zehnten Hause sieht man das Schild eines Zahnkünstlers. Dem entsprechend muß die Masse des Goldes sein, das zum Plombieren der Zähne verbraucht wird. Schwerlich fördert Klondyke allein so viel zu Tage. Wenn das britische Reich einmal in großer Geldnot wäre und es wendete sich bittweise – denn anders ginge es nicht – an die Damen von Toronto und sie brächten ihm das Gold aus ihren schönen Mündern zum Opfer, ich glaube, daß es genug wäre, um einen Teil der englischen Staatsschuld zu tilgen.
Männern, die den Genuß alkoholischer Flüssigkeiten abgeschworen haben, bietet das gewohnheitsmäßige Kuchenessen vielleicht ewigen Ersatz für das entbehrte Getränk. Solcher Männer giebt es viele Tausende in Toronto. Man unterscheidet total abstainers und moderate drinkers. Mit letzterem Namen werden diejenigen belegt, die hin und wieder ein Glas Bier oder sonst etwas Geistiges zu sich nehmen. Die Ärzte behaupten, daß die moderate drinkers gesünder sind und länger leben als die total abstainers. Darauf erwidern die Methodisten, die unter allen Temperenzlern die strengsten sind: »Es kommt nicht darauf an, daß einer gesund sei und lange lebe, sondern darauf, daß er nicht in die Hölle komme. Aber auch der moderate drinker kommt gewiß in die Hölle, ganz zu schweigen von dem unmäßig Trinkenden, den der Schwarze schon bei lebendigem Leibe abholt.« Bei der großen Macht, die in Toronto das Temperenzlertum ausübt, muß es Wunder nehmen, daß in dieser Stadt so viel Bierbrauereien existieren. Mehrere davon sind in deutschen Händen. Reinhardt, ein Deutscher, braut ein Bier, das gut ist und Toronto vielleicht noch berühmter gemacht hat als Schlitz Milwaukee. Man sagt, daß Reinhardt durch sein Bier in kurzer Zeit ein reicher Mann geworden ist, und das ist ihm zu gönnen, weil er gutes Getränk aus Gerstenmalz und Hopfen herstellt. Sonst wird in Amerika zur Bierbereitung häufig Mais verwendet, der von der Natur zu diesem Zweck nicht bestimmt ist.
Die verschiedenen Biere werden ausgeschenkt in den über die ganze Stadt verstreuten Hotels, die nicht Hotels sind in unserem Sinne des Wortes, sondern Schankwirtschaften. Sie bestehen im wesentlichen aus dem Bar room, dessen Hintergrund schön mit bunt etikettierten Flaschen und Reklamebildern verziert ist. Man tritt an die Bar und läßt sich ein »Lager« geben, das sofort bezahlt und stehenden Fußes ausgetrunken wird. »Lager« für Lagerbier ist von der englischen Sprache übernommen wie »bock« von der französischen. Für ein Glas, das ungefähr 3/10 Liter faßt, zahlt man fünf Cents oder zwanzig Pfennige nach unserem Gelde. Das ist ziemlich viel, man kann aber zu seinem Bier gewöhnlich einen kleinen Imbiß umsonst bekommen. Auf der einen Seite des Schenktisches stehen meist ein Paar Schüsseln, die Brotstückchen, Fleischhäppchen, zerschnittene Gurken oder Zwiebeln und ein Etwas enthalten, das man für zerbröckelten Torf ansieht, bis man erfahren hat, daß es Käse ist. Da kann man hineinlangen und hat nichts dafür zu bezahlen. Auch wenn einer in das Hotel kommt, der in der kurzen Zeit, während er sein Glas leert, zugleich umfangreiche Verwüstungen unter dem Inhalt der Schüsseln anrichtet, hat das nichts zu sagen. Der Mann hinter der Bar sieht dem zu, ohne eine Miene zu verziehen, und zeigt sich überhaupt als ein höflicher Mann. Tritt an die Bar einer wie ich z. B., dem er den Fremden ansieht, so versäumt er nicht leicht, zu ihm »A nice day!« zu sagen oder sonst eine Bemerkung zu machen, die sein Wohlwollen und seine heitere Lebensanschauung bekundet. An der Bar werden außer dem gewöhnlichen Bier, das übrigens alkoholhaltiger als unser deutsches Bier erscheint, und dem stärkeren Ale auch andere noch ernsthaftere Getränke verkauft, und da ist es wieder auffallend, daß in einer Stadt, in der die Temperenzler die Herrschaft führen, so viel verschiedene Arten von Whisky zum Ausschank kommen. Es muß aber dazu bemerkt werden, daß der Whisky nicht als ein gemeiner Branntwein betrachtet wird, sondern als etwas Besonderes für sich, als ein Edelschnaps, der auch in vornehmen Kreisen Zutritt hat, wie unser reiner Kornbranntwein etwa. Für die Flasche alten Whiskys werden Preise bis zu neun Mark bezahlt. So viel kostet der Antediluvian Whisky. Diesen kenne ich nicht aus eigener Erfahrung, den nicht ganz so alten aber, der erst nach der Sündflut gebrannt ist, habe ich, von Wißbegier getrieben, ein paarmal gekostet. Der Whisky ist ein Getränk, an das man sich erst gewöhnen muß, ob es aber wirklich gut ist, sich daran zu gewöhnen, will ich dahingestellt sein lassen.
Neben dem Bar room befindet sich gewöhnlich eine Art Herrenstübchen, wo man auch sitzend trinken kann. Aber auch dort herrscht dieselbe freudlose und irrationelle Art des Zechens, wie an der Bar. Alles wird eilfertigst hinabgegossen oder hinuntergestürzt, und da es sich manchmal um schwere Getränke handelt, und, wenn sechs Gentlemen in einem solchen Raume versammelt sind, leicht jeder von ihnen, auch ohne daß sie einen Geburtstag oder ein Jubiläum feiern, sich dazu verpflichtet fühlt, die anderen fünf zu traktieren, so geraten im Handumdrehen die Gentlemen in einen Zustand, der sich dadurch charakterisiert, daß sie sich nicht mehr deutlich ihrer Beine erinnern. Die unholde Art des Trinkens hat gewiß nicht wenig zum Aufschwung des Temperenzlertums beigetragen und läßt dieses nicht ganz unberechtigt erscheinen. Es ist hervorgegangen aus der Erfahrung, daß in diesem Lande nur zu leicht aus einem moderate ein immoderate drinker wird, und aus dem Anblick der Opfer, welche die Trunksucht fordert.
Das vornehmste aller Nahrungsmittel ist das Brot, und gerade mit dem Brot der Neuen Welt habe ich mich nicht recht befreunden können. Das Weißbrot kommt auf den Tisch in großen vierkantigen Laiben und ist lange nicht so schmackhaft wie unsere niedlichen kleinen Semmeln, nach denen ich mich umsonst umsah. Ein ordentliches Schwarzbrot oder Grobbrot fehlt ganz. Was brown bread genannt wird, ist aus einer Mischung von Weizen und Roggen hergestellt, nicht besonders schmackhaft und dabei nicht fest gebacken, sondern krümelig, was sehr ins Gewicht fällt in einem Lande, wo diejenigen Messer, die nicht als Waffe dienen, sondern zu friedlichen Zwecken bestimmt sind, nur selten die nötige Schärfe haben. Deutsches Brot und deutscher Wein sollen doch gelten.
Das canadische Fleisch ist an sich gut und auch gut zu essen, wenn es durch Braten oder Kochen in den Zustand versetzt wird, in dem es sich zerschneiden und zerbeißen läßt. In diesem Zustande wird es leider nicht überall aufgetragen, und damit hängen wohl die zahlreichen Todesfälle durch Ersticken beim Essen zusammen, von denen die amerikanischen Blätter in ihrem stets so reichhaltigen Verzeichnis schrecklicher Begebnisse zu berichten wissen. Im übrigen sind alle Arten von Fleisch zahmer Tiere in Toronto ein gut Teil billiger als in Berlin. Von der vortrefflichsten Rinderzunge kostet das englische Pfund, das etwas kleiner ist als das deutsche, nur eine Mark zwanzig Pfennige nach unserem Gelde. Die Zunge wird daher auch nicht in so dünne Scheibchen geschnitten wie bei uns. Wild gelangt selten auf den Markt, weil Eichhörnchen nicht zu essen sind So schrieb ich, später aber stießen mir in Bezug auf die Ungenießbarkeit des Eichhörnchens Zweifel auf, und ich wandte mich um Auskunft an meinen leider seitdem verstorbenen Freund Oberförster Lange, den Hüter des Sachsenwaldes. Sofort erhielt ich von ihm Bescheid. Nachdem er die Vermutung geäußert hatte, daß ich beabsichtigte, mich auf die Eichhörnchen des Berliner Tiergartens zu stürzen, stellte er Folgendes fest: »1. Das Eichhörnchen ist ein nicht jagdbares Tier, Sie brauchen also keinen Jagdschein. 2. Es ist sehr schädlich als Vogelräuber, Rindenbeschädiger und Cotyledonenfresser. 3. Es schmeckt vortrefflich als Rehbraten und Hasenpfeffer. Ich habe schon viele Eichkatzen gegessen. Vielleicht verdanke ich ihnen mein Klettertalent.« und anderes Wild in den Wäldern bis hoch nach Norden hinauf nicht mehr vorkommt. Der Biber, dessen Schwanz eine so große Delikatesse sein soll, ist nur noch im Wappen von Toronto, in diesem aber zweimal, zu finden. Der Fischmarkt ist noch gut bestellt, und die Fische sind billig. Das Pfund frischen vorzüglichen Lachses kostet fünfzig Pfennige, und Lachsforellen sind noch billiger. Von anderen guten Fischen kommen am häufigsten auf den Markt der Barsch, die Makrele und der Fisch, der herring heißt, aber nicht unser Hering ist, sondern ein größerer Süßwasserfisch.
Im Süden der Stadt findet man eine Markthalle, ein unansehnliches Bauwerk, das später durch einen Neubau ersetzt werden soll. In dieser Halle und um sie herum wird an allen Wochentagen Markt abgehalten, und ich bin oft dagewesen, um mich umzusehen, manchmal auch, um einzukaufen. Es geht sehr vornehm zu auf dem Wochenmarkt in Toronto, denn nur Gentlemen und Ladies verkehren dort als Käufer, dem Gesinde fehlt es an Zeit dazu. Es machte mir immer Vergnügen, zwischen den Bänken der Fleischer hindurch zu gehen. Alles, was da lag, sah so appetitlich aus. Fleisch aller Art war schon in Portionen geschnitten, wie sie für einen großen oder kleinen Haushalt passend sind, manches von den Knochen abgelöst, aufgerollt und durch ein hölzernes Spießlein zusammengehalten, wie es dort Brauch ist. Unter anderem aber bemerkte ich auch richtiges Eisbein, das mich heimatlich anlachte. In der Markthalle fielen mir eines Tages an einem Butterfelsen viele kleine Höhlungen auf, wie man sie bei uns an den steil abfallenden Wänden der Lehmberge sieht, in denen die Erdschwalben ihre Nester anlegen. Noch beschäftigte ich mich mit der Frage, was das zu bedeuten habe, als auf der Bildfläche drei Damen erschienen, von denen eine nach der anderen ein auf dem Tisch liegendes Messer ergriff, damit in den Felsen hineinstach, ein Stückchen Butter ablöste und es zum Munde führte. Ähnliches kommt ja auch bei uns vor, daß aber unter Umständen auch Engländerinnen Butter mit dem Messer essen, war mir interessant zu sehen. Ich nannte die drei Ladies die drei butterflies, und mit dieser Bezeichnung konnten sie wohl zufrieden sein, denn butterfly ist der Schmetterling, der in manchen Gegenden Deutschlands ähnlich genannt wird, nämlich Buttervogel.
Der Handel mit Lebensmitteln wird außer von denen, die damit auf den Wochenmarkt kommen, von den zahllosen grocers betrieben, die in allen Straßen der Stadt ihre Läden haben. Über einiges von dem, was während der Zeit meines Aufenthaltes in Toronto in diesen Läden zu finden war, will ich mich etwas näher verbreiten.
Ich beginne mit dem Rhabarber. In welchen Massen wird dieser in Toronto bis in den Sommer hinein zum Verkauf gebracht! Als Kind kannte ich nur einen Extrakt aus der Wurzel des Rhabarbers, der mir nicht sympathisch war, als älterer Mann habe ich die Rhabarberstengel hochschätzen gelernt. Sie geben ein ebenso wohlschmeckendes wie erfrischendes Mus, das sich auch mit Vorteil zu süßen Speisen verwenden läßt. Auch bei uns ist die Rhabarberstaude nach und nach zu Ehren gekommen, sie müßte aber noch in viel größerem Maßstabe angebaut werden, als es geschieht, und viel billiger werden, als sie ist. Frische Tomaten sind schon im Juni zu haben und erscheinen im Juli in großer Fülle. Sie geben eine gute Suppe, einen trefflichen Salat, lassen sich an allerhand Speisen thun und zu einer Sauce einkochen, die man das ganze Jahr über haben und getrost über jeden Braten gießen kann. Ich habe für diese Tomate catsup, die fast bei jeder Mahlzeit auf den Tisch kommt, den Namen Tomatose vorgeschlagen. Spargel ist zu seiner Zeit in Menge da, aber nur grüner. Ich habe eifrig nach weißem umhergespäht, aber nicht ein Bündelchen davon gefunden. Daß nicht die Deutschen wenigstens, die doch viele Farmen in Ontario haben, den zarten weißen Spargel diesen harten grünen Stengeln vorziehen, kann ich nicht begreifen. Rote Rüben ( beets, auch bei uns mundartlich Beeten genannt nach ihrem lateinischen Namen beta) werden mit Essig eingemacht schon des Morgens zum Kaffee und dann zu jeder anderen Mahlzeit gegeben. Im Sommer genießt man sie auch frisch gekocht wie anderes Rübengemüse und thut recht daran. Bei uns kommen sie in dieser Form, soviel ich weiß, nicht auf den Tisch. Sollte ich darin irren, so bitte ich unsere lieben Hausfrauen um Verzeihung. Junge Zwiebeln ( green onions) sind bis in den Juli hinein auf jeder Tafel zu finden. Eigentlich sind es junge weiße Zwiebeln mit grünem Laube. Sie werden roh und gekocht gegessen und sind eine pikante Zukost und ein gutes Gericht für den, der sie mag. Wer nachher küssen will, soll sie nicht essen. Pastinak ( parsnip), der in meiner westpreußischen Heimat sehr beliebt ist, in Berlin aber selten auf den Markt kommt, wird auch von den klugen Canadiern, die wohl wissen, was gut schmeckt, angebaut. In Toronto ist er bekannt, war aber, während ich mich dort aufhielt, nicht zu haben, ich habe ihn jedoch mit Vergnügen auf der Gasthofstafel in Montreal gefunden. Bei dem Städtchen Lindsay traf ich die Pastinakpflanze wildwachsend oder vielmehr verwildert an. Aus Mais werden Suppen bereitet, und die unreifen Kolben liefern gekocht ein gutes Gemüse. Man bestreicht sie mit Butter und ißt sie aus der Hand, indem man die Körnerreihen rund herum abbeißt. Maiskuchen nach Art unserer Reiskuchen hergestellt und auch warm zu essen, sind sehr schmackhaft. Die reifen Maiskörner geben geröstet eine bei der Jugend beliebte Leckerei. Von Pilzen habe ich in den Läden Champignons gefunden und außerdem eine Art von Tintenpilzen. Morcheln fand ich nur im Walde einmal, sonst nicht. Da sie sich schwer entbehren lassen und wir schon wußten, daß sie in Toronto nicht zu haben sind, hatten wir eine genügende Quantität getrockneter Morcheln aus Berlin mitgenommen. Unter den Küchenkräutern sind sehr beliebt zwei, die bei uns aus der Mode gekommen, aber von alter Zeit her noch in Bauergärten zu finden sind: Salbei und Minze. Beide werden an Braten gethan oder in Saucen dazu gegeben. Bei einem, der nicht an sie gewöhnt ist, stoßen sie nur selten auf rechtes Verständnis. Mir erscheinen beide empfehlenswert.
Unter den Früchten giebt es mehrere, die aus den Südstaaten von Nordamerika in Massen eingeführt werden und so billig sind, daß auch der wenig Bemittelte sie kaufen kann, Bananen kann man neuerdings auch in Berlin in vielen Obsthandlungen und bei den Delikatessenhändlern bekommen, sie sind aber bei uns ziemlich teuer und haben selten den richtigen Geschmack, weil sie zu den wenig haltbaren Früchten gehören. In Toronto liegen sie haufenweise in allen Fruchthandlungen und werden auch von fahrenden Händlern, die sie auf kleinen Wagen mit sich führen, in den Straßen zum Kauf angeboten. Man ißt sie aus der Schale heraus oder schneidet sie in Scheiben und übergießt sie mit Milch. Sie sind erquicklich zu essen und von angenehmem Melonengeschmack.
Ananas ( pine apples) kommen gleichfalls in Menge aus dem Süden. Man bezahlt für eine kleine Frucht zehn bis fünfzehn, für eine große fünfundzwanzig bis dreißig Cents. Da ich im Besitz von Moselwein war, setzte ich zweimal eine Ananasbowle an und lud Canadier dazu ein. Sie spendeten meiner Mischung ihren vollen Beifall und tranken sie gern. Wie mir schien, hielten sie das Getränk für eine Art Limonade, die zu trinken auch dem Temperenzler erlaubt sei. Es ist bedauerlich, daß der canadische Wein weder zu Ananas- noch zu sonstigen Bowlen sich verwenden läßt.
Kokosnüsse werden gerieben und die schneeweißen Spänlein auf Kuchen gestreut, denen sie ein nettes Aussehen und einen lieblichen Geschmack verleihen. Von einheimischen Früchten sind die Gartenerdbeeren zuerst zu nennen. Sie werden von Mitte Mai bis gegen Mitte Juli in unermeßlicher Fülle auf den Markt gebracht und im Mai schon kosten sie nicht halb so viel wie unsere Gartenerdbeeren in der besten Zeit. In solcher Menge reifen sie, daß es an Händen zum Pflücken fehlt, und um die Erdbeerzeit die Dienstmädchen geneigt sind, ihre Herrschaften zu verlassen und aufs Land zu gehen, um sich bei den Farmern gegen guten Lohn als Pflückerinnen zu verdingen. Es ist sehr zu bedauern, daß nicht bei uns auch die Erdbeeren in großem Maßstabe feldmäßig angebaut werden. In Berlin sind diese lieblichsten aller Früchte doch eigentlich nur ein Essen für wohlhabende Leute. Es ist die virginische große Gartenerdbeere, die in Toronto zum Verkauf kommt, und zwar immer in tadelloser Beschaffenheit. Die Erdbeeren wie auch andere zarte Beerfrüchte, die leicht durch den Transport leiden, kommen in den Handel in viereckigen Kästchen aus Holzspan, die sich übereinander setzen lassen, ohne daß die Früchte dadurch beschädigt werden. Wilde Erdbeeren habe ich im Walde bei Toronto gefunden, aber nicht in den Läden der Stadt. Bei der Fülle von Gartenerdbeeren und ihrem billigen Preise erscheint es wohl nicht lohnend genug, die Walderdbeeren für den Verkauf zu sammeln. Einer aber sammelt sie entschieden doch, das ist der Dr. Fowler, der einen von ihm erfundenen »Extract of wild strawberry« in allen Blättern als ein unfehlbares Mittel gegen verschiedene schwere Leiden, im besonderen aber gegen die Cholera anpreist. So hat der alte Vers »Gegen die Cholera giebt's kein Mittel, hilft kein Geld«, doch nicht recht. Dr. Fowler hat ein Mittel gegen die Cholera, und wer etwas Geld darauf wendet, braucht sich vor dieser heillosen Pest nicht mehr zu fürchten.
Den Erdbeeren schließen sich zu Anfang des Monats Juli die Himbeeren (raspberries) an, auch in Masse erscheinend und von vorzüglicher Beschaffenheit, ferner die Blaubeeren und die Johannisbeeren (currants), und die Hausfrauen machen sich ans Einkochen wie bei uns. Die Blaubeere ( blueberry oder huckleberry) gehört einer anderen Art als unsere deutsche an, sieht aber der unseren sehr ähnlich und kommt ihr gleich an Geschmack.
Ich habe nicht viel Kirschen gefunden, und es scheint mir, daß die canadischen nicht so gut sind wie unsere Werderschen. Boden und Klima in Canada sind wohl dieser Fruchtart nicht besonders günstig. Pfirsiche waren mit Aprikosen zusammen schon im Juli in kleinen Posten da. Im August kommen dann die Pfirsiche in ungeheueren Massen auf den Markt, sind wunderschön und groß und billig. Für eine Mark bekommt man einen Korb voll, und alle Hausfrauen sind beim Pfirsicheinmachen. Gute Äpfel vom Jahre vorher fand ich bis Ende Juli noch in den Läden. Bald erschienen dann frische Äpfel und Birnen aus Californien. Das canadische Kernobst fängt natürlich erst im Herbst an den Fruchtmarkt zu beherrschen, ich habe es nur an den Bäumen gesehen. Mit solchem Obst ist das Land reich gesegnet, es überschüttet seine Bewohner mit wohlschmeckenden und gesunden Früchten. Ich habe gelesen, daß die Äpfelbäume von Ontario allein, in eine Reihe gepflanzt und mit einem Zwischenraum von 25 Fuß zwischen je zwei Bäumen rund um die Erde herumreichen würden.
Unter dem Nußartigen, das in Toronto auf den Markt kommt, sind die peanuts zu nennen, die Samen einer Schmetterlingsblume, Arachis hypogaea, die bei uns Erdmandel heißt und im Winter auch in Berliner Läden zu finden ist. Geröstet werden sie in Toronto überall und zu allen Tageszeiten von Jung und Alt geknabbert und sind in jedermanns Munde. Mir ist ein netter Peanut song zu Ohren gekommen, der also lautet:
»Oh! all you fellows that have peanuts
And give your neighbour none,
You schan't have any of my peanuts,
When your peanuts are gone.«