Hugo Bettauer
Der Kampf um Wien
Hugo Bettauer

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20. Kapitel

Spiel mit dem Feuer.

Lolotte Valon hieß in Wirklichkeit Julischka Füred und war weder indischer noch sonst geheimnisvoller Abstammung, sondern ein mehr oder weniger braves Mädchen aus Keckemet. Auf nicht ganz ungewöhnlichen Wegen war sie als Achtzehnjährige nach Konstantinopel in eine jener Singspielhallen geraten, in denen das Singen und Spielen weniger wichtig ist als die kleinen Zimmer oberhalb des Restaurants, in denen neben Tisch und Sektkübel ganz unzweideutig ein Bett steht. Bartos hatte sich auf einer Spitzelreise in Konstantinopel befunden und bei dieser Gelegenheit in der Singspielhalle Julischka entdeckt, die ihm durch ihre ganz außergewöhnliche Schönheit und die eigenartige Geschmeidigkeit ihres Körpers auffiel. Er trank mit ihr Champagner, er zog sich nachher in eines jener kleinen Zimmerchen zurück, verbrachte die Nacht, einen Tag und noch eine Nacht mit ihr und erkannte in dem schönen, aber vernachlässigten jungen Mädchen mit dem Körper einer Venus ein wahrhaft dämonisches Weib, das nur in ein anderes Milieu versetzt werden mußte, um Königin zu sein. Bezahlte dem Kupplerwirt ihre Schulden, nahm sie mit sich, ließ sie, die spielend auffaßte, in Budapest zur Dame erziehen und brachte sie schließlich nach Wien, wo sie ihm zum Sieg verhelfen sollte. Lolotte Valon, wie sie nun hieß, liebte ihn und haßte ihn, gemeinsame verbrecherische Instinkte verbanden die beiden unlösbar, ihren Sinnen war er nichts, ihrem Verstand alles, denn dieser Verstand sagte ihr, daß der zähe, rücksichtlose, vor nichts zurückschreckende Lazlo Bartos ihre Leiter zum Aufstieg in ungeahnte Höhen werden konnte.

Als Lolotte den Speisesaal des Hotel Imperial betrat, saßen Ralph und Korn schon in einer Ecke an einem kleinen Tisch und sie konnte unauffällig einen freien Tisch nebenan wählen.

Korn erkannte sie vom Sehen und flüsterte seinem Begleiter zu:

»Das schönste Weib, das je in Wien zu sehen war. Sie müssen einmal mit mir ins Tabarin kommen, dort pflegt sie zu tanzen. Fast nackt, göttlich anzuschauen! Neulich saß neben mir ein Ehepaar aus Norddeutschland. Sie mit Zwicker, er mit wasserhellen Kalbsaugen, Schmissen und Hakenkreuz. Sie sagte empört:

»Männchen, so schamlos könnte doch nie eine deutsche Frau sein, das ist nur eine welsche Dirne imstande!«

»Ihm quollen die Kalbsaugen vor Gier aus den Höhlen, er schleckte den aufgezwirbelten Schnurrbart und bestätigte gröhlend:

»Jawoll, Annaluise, gottlob, ein deutsches Weib würde sich zu solcher Schamlosigkeit nicht hergeben!«

Übrigens, sie schaut fortwährend her, aber leider nicht auf mich, sondern auf Sie.«

Ralph hatte längst gefühlt, daß Lolotte Valon ihn musterte. Die Art, wie sie das tat, war durchaus diskret, ja, sie errötete sogar, als er den Blick voll erwiderte. Ralph mußte sich gestehen, noch nie vollkommenere weibliche Schönheit gesehen zu haben. Und wie sie ihn nun wieder hinter den langen seidenweichen Wimpern ansah, mit halbgeöffneten Lippen tiefatmend, daß sich der Busen, der unter der weißen Seide wie nackt vor seinen Blicken lag, hob und senkte, wurde es ihm heiß und schwül zumute.

Er besann sich rasch. »Gilt ja doch nur meinem Geld! Eine Kokette von fast unwahrscheinlicher Schönheit, aber doch eine Kokette, die Gold wittert«, sagte er zu Korn, der darauf erklärte, daß dies ganz egal sei und es in der Macht des Mannes, des wirklichen Mannes, liege, in seinen Armen auch die Hetäre zu einem nur liebenden Weib zu machen.

Korn hatte noch einen Weg zu seinem Verleger Peter Berg vor, und Ralph, der sonst seinen Mokka auf seinem Zimmer zu nehmen pflegte, blieb sitzen, weil er sich von dem Anblick dieser Frau nicht trennen konnte.

Lolotte atmete erleichtert auf, da ihr nun eine Annäherung möglich erschien. Vor ihr stand eine Kaffeemaschine und unter der Einwirkung der blauen Spiritusflammen begann eben im Glasbehälter das Brodeln und Zischen. In diesem Augenblick machte Lolotte eine rasche Handbewegung nach ihrem Täschchen hin, um ihm die kleine Pfeife zu entnehmen, wie zufällig warf sie dabei die Maschine um, so daß sich das siedende Wasser, der brennende Spiritus über das Tischtuch ergossen und jähe Flammen aufloderten. Mit einem gut gespielten Schreckensschrei sprang die Tänzerin auf, Ralph stürzte hin zu ihr, riß von einem anderen Tisch das Tuch weg, warf es auf die Flammen und erstickte diese, bevor noch ein Kellner zu Hilfe gekommen war.

In gebrochenem Deutsch bedankte sich Lolotte und sagte klagend:

»Oh, nun muß ich an andere Tisch sitzen, hier sein alles naß und schmutzig.«

Selbstverständlich forderte Ralph sie auf, bei ihm Platz zu nehmen, stellte sich vor und sie nahm an.

»Ralph O'Flanagan«, sagte Lolotte sinnend. »Oh, ich habe diesen Namen schon gehört, man hat mir erzählt – halt! – sind Sie vielleicht gar dieser reiche Amerikaner, der nach Wien gekommen ist, um hier zu helfen?«

Ralph freute und ärgerte sich gleichzeitig. Freute sich, weil also dieses herrliche Weib mit ihm kokettiert hatte, ohne zu wissen, wer er sei, ärgerte sich, weil er immer peinlich berührt war, wenn man von ihm als den »reichen Amerikaner« sprach. Und Lolotte schien das zu fühlen, denn sie sah ihn groß, ängstlich, bittend an, und sagte:

»Es muß schrecklich sein, wenn jeder weiß, daß man so reich ist! Wird man da nicht argwöhnisch, mißtrauisch, wittert man nicht hinter jedem freundlichen Wort eine Absicht? Mir wäre es lieber, Sie wären ein beliebiger Mister Smith oder Jones, dann wäre ich Ihnen gegenüber nicht so befangen, wie ich es jetzt bin.«

Ralph war entzückt, versöhnt, wurde warm unter den, wie es ihm schien, naiven und seelenvollen Blicken Lolottes, und als sie aufstand, um zu gehen, hatte er ihr versprochen, die Silvesternacht in ihrer Gesellschaft im Tabarin zu verbringen.

Im Unterbewußtsein empfand er das später als kleine Treulosigkeit gegenüber Hilde, aber er schüttelte den unbequemen Gedanken leicht ab.

»Pah! Ich bin ein Mann, Hilde ist lieb und süß wie keine zweite auf der Welt, aber sie ist nicht meine Geliebte und – wir Männer sind eben doch anders beschaffen, als die Frauen, dürfen tun, was ihnen verwehrt ist!«


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