Hugo Bettauer
Der Kampf um Wien
Hugo Bettauer

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37. Kapitel

Flirt.

Bevor Charmion noch das Reisekleid ablegte, um in das Bad zu steigen, befahl sie den Hoteldirektor zu sich und fragte, ob er wisse, wo Mister Ralph O'Flanagan wohne. Als sie erfuhr, daß der berühmte Amerikaner im Hotel Imperial abgestiegen sei, zog sie die dünnen, fein geschwungenen Augenbrauen hoch und dachte:

Sieht diesem Querkopf ganz ähnlich! Alle Amerikaner steigen im Bristol ab, also muß er natürlich anderswo wohnen.

In den weichen, flaumigen Bademantel von scharlachroter Farbe gehüllt, ließ sie sich später mit dem Hotel Imperial und O'Flanagan verbinden. Es war dies gerade an dem Tag, an dem Hilde aus dem Gefängnis entlassen worden war, und kaum eine Stunde nachdem Ralph beim Polizeipräsidenten gewesen. Müde, verstört, kreuzunglücklich wollte er sich eben nach dem Speisesaal begeben, als Charmion Underwood ihn anrief. Ein warmes, heimatliches Gefühl beschlich ihn, als er ihre Stimme hörte, er freute sich von ganzem Herzen, es schien ihm, als würde ein freundliches, versöhnendes Schicksal ihm die Jugendgefährtin geschickt haben, um ihm in all der Qual Trost zu bringen. Und er kleidete sich rasch sorgfältig um, um Charmion und ihre Eltern zu begrüßen und mit ihnen im Bristol zu speisen.

Herr Underwood stand, als Ralph kam, auf der Straße vor dem Hotel, begrüßte ihn mit lärmender Herzlichkeit, umarmte ihn und versetzte ihm sogar einen schallenden Kuß auf die Wange.

Im breiten Yankee-Englisch rief er ein- über das anderemal:

»Junge, Junge, wie mich das freut, dich hier zu finden!« Blinzelte und fügte hinzu:

Versteh' jetzt, warum Charmion durchaus mit nach Wien wollte! Apropos – verdammt hübsche Mädeln hier in Wien! Gut bei Fleisch! Alle zu haben, was?«

Betreten und unangenehm erwiderte Ralph achselzuckend:

»Wird wohl sein, wie überall: Die einen so, die anderen anders!«

»Ne, mein Junge, unterwegs haben es alle gesagt: Für einen Dollar das schönste Mädel, für zwei die feinste Frau! Leben ja alle von unserem Corned Beef und nicht gerade von der besten Sorte. Warum sollen sie also unsere guten Dollars verschmähen?«

Ralph brummte etwas in sich hinein, was wie alter Esel klang und folgte Underwood nach dem Speisesaal, wo Frau Underwood und Charmion schon warteten. Charmion schüttelte ihm nach amerikanischer Sitte kräftig die Hand und sagte, da sie einmal Deutsch gelernt hatte:

»Wie geht es main liebes Fraind?«

Setzte die Unterhaltung aber dann auf englisch fort.

Nach dem Diner zogen sich Herr und Frau Underwood auf ihre Zimmer zurück, Charmion blieb mit Ralph in der Halle, streckte sich in einen Klubfauteuil, zündete sich eine Zigarette an, schlug die schlanken, langen Beine übereinander, legte die eine Hand auf die Schulter Ralphs und fragte ihn mit einem prüfenden Blick:

»Nun Ralph, warum hast du nie geschrieben? Sind die Wienerinnen wirklich so nett, daß man über sie seine alten amerikanischen Freundinnen vergessen muß? Hast hier wohl dein Herz verloren?«

Ralph lächelte gequält.

»Verloren? – Gefunden – wie du willst! Jedenfalls habe ich in den knapp zwei Monaten hier allerlei tolle Dinge erlebt. Und gerade heute ist ein Tag für mich – na, lassen wir das, werde es dir schon noch erzählen.«

Charmion drängte nicht. Beugte sich nur zu seinem Stuhl hinüber, so daß sie halb an ihn gelehnt war.

Er nahm ihre Hand und küßte sie.

»Wiener Sitte, diese Handküsse, und die schlechteste Sitte nicht. Jawohl, Charmi, jetzt bist du wieder mein Schwesterchen und ich bin sehr froh, daß du hier bist. Hast ein Stück gutes altes Amerika mitgebracht. Weißt, Charmi, es ist hier alles so ganz anders als drüben, schrecklich kompliziert ist das Leben, nichts als Individualitäten gibt es, jeder ist anders als der andere, und wenn man sich einbildet, von der Stadt schon einen Schimmer zu haben, so sieht man plötzlich, daß man ihr genau so fremd gegenübersteht wie am ersten Tag. Aber nun erzähl' du einmal: Wie gefällt dir Europa, was hast du in London, Paris, Berlin gesehen und erlebt?«

Charmion streckte und dehnte sich im Lehnstuhl und ihre Nüstern bebten.

»Schrecklich gut gefällt es mir in Europa. Weißt du, die Männer sind hier so ganz anders, so herrlich frech und unverschämt!«

»Nanu, und das lobst du, eine Vollblutamerikanerin?«

»Ja, gerade ich! Natürlich, wenn mir in New York ein Mann solche Blicke auf der Straße zuwerfen würde, wie sie es hier tun, würde ich ihm mit dem Schirm ins Gesicht schlagen. Und wenn es drüben einer wagen sollte, mir im Vorübergehen solche Bemerkungen zuzuflüstern, wie es in Berlin geschieht, so ließe ich ihn verhaften. Unsere amerikanischen Männer haben eben schön brav artig und ergeben zu sein. Aber auf die Dauer langweilen sie einen schrecklich damit, Ralph, und die Frechheit der Europäer wirkt wie ein Brausebad an einem schwülen Sommertag.«

»Hat schon was für sich, Charmi! Glaube selbst, daß die Frauen im Unterbewußtsein Sehnsucht nach dem Herrn und Gebieter, dem Eroberer und Beglücker haben!«

»Lieber Junge, du siehst gar nicht gut aus! Hast einen müden Zug um den Mund! Merkwürdig, man sollte doch meinen, daß du dieses ganze Wien mit allen seinen Frauen im Sturm erobern mußt. Du, ein junger, netter Kerl und noch dazu der reichste Mann Amerikas! Welche Prinzessin könnte dir widerstehen?«

Ralph lachte laut auf.

»Tolle Stadt, dieses Wien! Prinzessinnen tanzen hier in Nachtlokalen und arme Mädeln teilen Körbe aus!«

Charmion atmete tief.

Also unglücklich verliebt, dachte sie. Ein herrschsüchtiger Zug straffte ihr Gesicht, aber weich, zärtlich, sagte sie:

»Armer Junge! Mußt hier einen Klaps gekriegt haben! Na, du wirst mir schon noch dein Herz ausschütten. Hauptsache, daß ich hier bin und du in mir wieder wie damals in St. Paul deine kleine Schwester siehst.«

Ganz unwillkürlich streichelte Ralph die schönen Hände Charmions, sie rückte noch näher, benutzte die Verlassenheit des dunklen Winkels, in dem sie saßen, zu einer kleinen »Flirtation«, wie sie in gleicher Meisterschaft nur die Amerikanerin beherrscht. Setzte sich auf die Seitenlehne des Fauteuils, ließ sich halb auf den Schoß Ralphs gleiten, brachte ihr Gesicht dem seinen so nahe, daß er ihren Atem fühlte, und kein Mann hätte es sein dürfen, wenn er nicht seine Lippen plötzlich auf ihren halb geöffneten Mund gepreßt hätte.

Ralph war es, der erschreckt zurückfuhr und sich loslöste.

Er kam sich in diesem Augenblick verächtlich vor, mußte an die arme, unglückliche Hilde denken, die durch ihn so viel Leid und Schande erfahren. Und nun wurden seine Sinne schon wieder durch eine andere entflammt, durch dieses schöne, junge, verwöhnte Weib neben ihm, das noch nie den Ernst des Lebens kennen gelernt, sich noch nie hatte einen Wunsch versagen müssen, inmitten einer Welt voll Elend und Verbrechen ihr Schlaraffendasein führen konnte.

Charmion fühlte, daß Ralph innerlich kämpfte, mit einem Ruck war sie wieder ganz Dame, setzte sich aufrecht, plauderte mit ihm über die Wiener Gemäldegalerien, über Kunst und Musik und den Zweck ihrer Reise, der dem Ankauf von Bildern galt.

Gegen sechs Uhr kamen die Eltern Charmions herunter und Papa Underwood schlug einen Theaterbesuch vor. Mrs. Mabel sah ihn zürnend an.

»Du vergißt ganz, mein Lieber, daß heute Sonntag ist. Selbst wenn diese Stadt ebenso gottlos sein sollte wie Paris und Berlin, so werden wir uns doch wohl nicht so weit vergehen, einen Tag, der dem Herrn gewidmet ist, in sündhafter Lust zu verleben!«

»Jawohl, Liebe Mabel, du hast ganz recht! Aber immerhin, irgendwie werden wir doch den Abend verbringen müssen. Herr O'Flanagan wird uns ja wohl am besten beraten können.«

Ralph wechselte mit Charmion einen boshaften Blick und sagte achselzuckend:

»Mrs. Underwood, man ist hier wirklich nicht mehr oder weniger gottlos als in den Staaten, nur hat man eine andere Auffassung vom Leben. Die Leute hier bilden sich ein, daß es gottgefälliger ist, sich am Sonntag gut zu unterhalten, als sich zu Hause zu langweilen.«

»Gibt es in Wien bedeutende Kanzelprediger«, fragte Frau Underwood interessiert, »ich würde gerne hier einen wahrhaften Streiter Gottes kennen lernen.«

»Mrs. Underwood, damit kann ich nicht dienen. Die meisten Kanzelprediger sind hier katholisch, ob es protestantische auch gibt, weiß ich wirklich nicht. Aber einen jüdischen Rabbiner namens Chajes gibt es, der ganz außerordentlich gut sprechen soll. Vielleicht wäre Ihnen damit geholfen?«

Charmion preßte das Taschentuch vor den Mund, um nicht herauszuplatzen, Herr Underwood ließ zum drittenmal einen Schlüsselbund fallen und suchte ihn jedesmal sehr umständlich, was vielleicht damit zusammenhing, daß in seiner unmittelbaren Nähe in einer Gruppe von Hotelgästen ein reizender Backfisch mit sehr kurzem Rock stand, Mama Underwood aber sagte mit elegischem Augenaufschlag:

»Ist er noch jung, dieser Mann mit dem unaussprechlichen Namen? Machen Sie mich bekannt mit ihm, vielleicht daß ich ihn zu dem Glauben der Presbyterianer überführen kann.«

Schließlich kam man darüber überein, daß gegen den Besuch eines Konzerts, das der berühmte Pianist Moritz Rosenthal gab, auch vom religiösen Standpunkt wenig einzuwenden wäre, und Ralph ließ durch den Portier Karten besorgen.


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