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Erstes Kapitel.

Ein trauliches Gemach steht zu Gebot,
Darin du ruhen sollst und Dich erfrischen;
Dann sprechen wir ein Weit'res von der Sache.

Orra.

 

Die Küste von England ist zwar unendlich schöner, als die unsrige, zeichnet sich aber doch mehr durch ihr Grün und den Charakter der Civilisation, den sie trägt, als durch ihre natürliche Anmuth aus. Die Kalkklippen mögen einem Amerikaner wohl kühn und edel erscheinen; aber in Vergleichung mit den Granitmassen, welche das mittelländische Meer begrenzen, sind sie doch bloße Maulwurfhaufen, und wer viel gereist ist, sucht statt ihrer die Schönheiten in den zurückweichenden Thälern, in den belaubten Gehägen und in dem Gewühl der Städte, welche über die fruchtbare Insel hingesät sind. Auch ist Portsmouth, wenn man blos das Malerische in Betracht zieht, kein sehr lieblicher britischer Hafen. Eine Stadt, auf einem bescheidenen Vorsprung gelegen und nach Weise der Niederlande befestigt, erinnert, trotz ihres trefflichen Ankergrundes, doch mehr an das Nützliche als an das Angenehme, während ein Hintergrund von allmählig zurückweichenden Hügeln wenig mehr bietet, als die grünen Thäler des Landes. In dieser Hinsicht besitzt England eher die frische Schönheit der Jugend, als die milderen Farben einer gereifteren Lebensperiode; oder besser gesprochen, man findet hier im Gegensatze von den wärmeren Tinten Spaniens und Italiens dieselbe jugendliche Frische und züchtige Anmuth, durch welche sich Albions Frauen auszeichnen – ein Geschlecht, das man, wie die Landschaft selbst, näher betrachten muß, um es würdigen zu können.

Gedanken, wie diese, erfüllten den Sinn eines Reisenden, der auf dem Decke des Packetbootes Montauk stand und die Ellenbogen auf die Halbdeckregelingen aufstützte, während er die Küste betrachtete, die sich stundenweit gen Osten und Westen vor ihm ausbreitete. Die Art, wie dieser Gentleman, dessen Haare bereits mit Grau gesprenkelt waren, die Landschaft musterte, deutete mehr auf die Gedankenfülle der Erfahrung und einen durch Beobachtung veredelten Geschmack, als man dies gewöhnlich unter den Alltagscharakteren findet, welche in fast jeder Lebensstellung die Mehrzahl bilden. Die Ruhe seiner Haltung und eine Miene, die nichts von der Verwunderung oder Anmaßung eines Neulings in sich trug, hatten ihn von dem Augenblicke an, als er sich in London nach dem Platze einschiffte, an welchem wir ihn in der vorerwähnten Stellung sehen, so sehr ausgezeichnet, daß mehrere Matrosen Stein und Bein schworen, er sey ein verkleideter Kriegsschiffmann. Auch schien das blondhaarige, liebliche, blauäugige Mädchen an seiner Seite nur ein sanfter Widerstrahl seines Geistes, seiner Bildung und seiner Empfindungen zu seyn, indem sich zugleich in ihrem ganzen Wesen die Arglosigkeit und Einfalt aussprach, welche ihrem Geschlecht und ihren Jahren ziemte.

»Wir haben schon edlere Küsten gesehen, Eva,« sagte der Gentleman, ihren Arm, der in dem seinigen ruhte, an sich drückend; »aber dennoch wird England stets schön seyn für ein amerikanisches Auge.«

»Besonders wenn sich dieses Auge noch im achtzehnten Jahrhundert zum erstenmale dem Lichte öffnete, Vater.«

» Deine Erziehung wenigstens, mein Kind, ist frei geblieben von dem Einflusse der National-Schwächen, wie schlimm immer das Geschick mir mitgespielt haben mag. Und doch – ich glaube, auch Du mußt in diesem Lande sowohl, als an dieser Küste viel gesehen haben, was der Bewunderung würdig ist.«

Eva Effingham blickte einen Moment in das Auge ihres Vaters und setzte, weil sie bemerkte, daß er im Scherze sprach, ohne daß eine Wolke ein Antlitz beschattete, das in seinen Empfindungen so viel zu wechseln pflegte – die Unterhaltung fort, welche in der That erst durch die oben erwähnte Bemerkung aufgenommen worden war.

»Ich habe meine Erziehung, wie man es nennt, aus so vielen Orten und Ländern zusammengeholt,« entgegnete Eva lächelnd, »daß es mir bisweilen vorkömmt, ich sey zu einem Weibe geboren, wie meine große Stammmutter und Namensschwester, die Mutter Abels. Wenn ein Lehrer-Congreß, aus allen Nationen zusammengelesen, jemand über Vorurtheile erheben kann, so darf ich zuverlässig behaupten, daß ich mich dieses Vortheils erfreue; nur fürchte ich, daß ich in meinem Bemühen, meine Ansichten liberal zu bilden, außer diesem Zwecke nicht viel weiter erreicht habe.«

Mr. Effingham blickte voll väterlicher Zärtlichkeit, in welche sich augenscheinlich auch väterlicher Stolz mischte, auf das Antlitz seiner Tochter und erwiederte in der Augensprache, ohne daß die Zunge dem Gefühle Laut gab: »dies ist eine Besorgniß, liebes Kind, die Niemand mit Dir theilen wird.«

»Ja, wohl haben zu diesem Congreß alle Nationen beigetragen,« murmelte eine andere Stimme in der Nähe des Vaters und der Tochter. »In der Musik haben Euch sieben Lehrer aus eben so vielen verschiedenen Staaten unterrichtet; dazu kömmt noch besonders die letzte Feile auf der Guitarre von einem Spanier, Griechisch von einem Deutschen, die lebenden Sprachen von den besten europäischen Lehrern, Philosophie durch Anschauung der Welt – und nun Ihr den Kopf voll Gelehrsamkeit, die Finger voll Griffe, die Augen voll Tinten und auch eine recht anmuthige Figur habt, nimmt Euch Euer Vater wieder nach Amerika zurück, um ›Eure Lieblichkeit in der Luft der Einöde hinwelken zu lassen.‹«

»Wenigstens poetisch ausgedrückt, wenn auch nicht richtig gedacht, Vetter Jack,« entgegnete Eva lachend; »aber Ihr habt ›das Herz voll Liebe für das Land meiner Geburt‹ beizufügen vergessen.«

»Das wird sich am Ende zeigen.«

»Am Ende, wie im Anfang – jetzt und immerdar.«

»Im Anfang ist alle Liebe ewig.«

»Traut Ihr denn der Beständigkeit eines Frauenzimmers gar nichts zu? Glaubt Ihr, ein Mädchen von Zwanzig könne ihr Geburtsland, das Land ihrer Väter oder – wie Ihr es selbst zu nennen pflegt, wenn Ihr in guter Stimmung seyd – das Land der Freiheit vergessen?«

»An Euch wird sie ein sauberes Freiheitspröbchen haben!« entgegnete der Vetter spöttisch. »Nachdem Ihr Eure Mädchenjahre unter dem gesunden Zwange einer vernunftmäßigen europäischen Gesellschaft verbracht habt, wollt Ihr jetzt zurückkehren zu der Sklaverei des amerikanischen Frauenlebens, welches in demselben Augenblicke beginnt, in welchem Ihr in den Ehestand tretet.«

»In den Ehestand, Mr. Effingham?«

»Ich denke, diese Katastrophe könnte eintreten – früher oder später; und bei einem Mädchen von Zwanzig ist sie weit wahrscheinlicher, als bei einem von Zehn.«

»Mr. John Effingham ist aus Ermangelung einer gelegen kommenden Thatsache noch nie in einem Streite zu kurz gekommen, meine Liebe,« bemerkte der Vater, um den kurzen Wortwechsel zu einem Schlusse zu bringen. »Doch da nähern sich die Boote; wir wollen uns ein wenig zurückziehen und das Gemisch von Personen betrachten, mit denen wir wohl im Laufe eines Monats auf einen vertraulichen Fuß zu stehen kommen werden.«

»Da könntest Du eben so gut ein einstimmiges Verdikt über einen Mord erzielen,« murmelte der Vetter.

Mr. Effingham führte seine Tochter in das Sturm- oder Kutschenhaus, wie man es seltsamerweise auf Packetbooten gewöhnlich zu nennen pflegt, und sie blieben die nächste halbe Stunde auf dem Halbdecke, um das rührige Treiben der Passagiere zu beobachten. Wir benützen diesen Zwischenraum, um unserem Bilde einige der stärkeren Lichter aufzutragen, indem wir die Ausführung der weicheren Tinten und Schatten der Manier überlassen, in welcher der Künstler »seine Geschichte vorträgt.«

Edward und John Effingham waren Bruderskinder, miteinander an dem gleichen Tage geboren, und hatten leidenschaftlich dasselbe Mädchen geliebt, welches dem erst Genannten den Vorzug schenkte und starb, nachdem sie Eva das Leben gegeben. Ungeachtet ihrer Nebenbuhlerschaft waren die Vetter aufrichtige Freunde geblieben, und dies wahrscheinlich um so mehr, weil sie in natürlicher Sympathie wechselseitig den gemeinsamen Verlust betrauerten. Sie hatten in der Heimath lange beisammen gelebt, hatten miteinander viele Reisen gemacht und waren nun im Begriffe, nach einer Abwesenheit von – ja, wir können sagen zwölf Jahren, in das Land ihrer Geburt zurückzukehren. Allerdings hatten sie in dieser langen Zeit einige kurze – John nicht weniger als fünf – Besuche in Amerika gemacht.

Unter den beiden Vettern sprach sich eine so große Familienähnlichkeit aus, daß man ihr Aeußeres kaum zu unterscheiden vermochte, obschon es kaum möglich war, daß, wenn man sie getrennt sah, zwei menschliche Wesen auf einen blos zufälligen Beobachter einen entgegengesetzteren Eindruck übten. Beide waren groß, schön und von gebieterischer Haltung, dagegen das Wesen des Einen gewinnend, das des Andern aber, wenn auch nicht gerade abschreckend, so doch abgemessen und entfremdend. Die edlen Umrisse in Edward Effinghams Gesichte waren bei John zu einer kalten Strenge erstarrt; die gebogene Nase des Letzteren schien etwas Adlerartiges und Feindseliges in ihrer Krümmung auszudrücken – seine zusammengepreßten Lippen verriethen kalten Spott und das schön gebildete klassische Kinn – ein Zug, dessen sich die sächsische Race selten zu rühmen hat – trug das Gepräge einer stolzen Geringschätzung, die in der Regel Fremde bewog, ihn zu vermeiden. Eva zeichnete mit großer Gewandtheit und Treue; auch besaß sie, wie ihr Vetter richtig bemerkt hatte, ein Auge »voll von Tinten.« Oft und vielmal hatte sie die theuren Gesichter skizzirt, aber nie ohne sich zu wundern, worin denn eigentlich der große Unterschied bestand, den sie ihren Zeichnungen nie einzuverleiben vermochte. Freilich hätte auch die feine charakteristische Eigenthümlichkeit von John Effinghams Zügen die Geschicklichkeit eines Mannes, der sein ganzes Leben dem Studium der Kunst weihte, in Verlegenheit gesetzt, und es ist deshalb nicht zu verwundern, daß die zwar anmuthige, aber doch nicht tiefe Technik der schönen jungen Malerin ganz und gar daran zu Schanden wurde. Alle die Linien, welche ihren Vater so gewinnend und angenehm machten – ein Charakter der sich eher fühlen, als im Begriff verkörpern ließ – waren bei dem Vetter kühn markirt und, wenn uns der Ausdruck erlaubt ist, in Folge innerer Leiden und getäuschter Hoffnungen marmorartig erstarrt.

Die beiden Verwandten waren reich; die Art ihres Reichthums war aber eben so verschieden wie ihre Charaktere. Edward Effingham besaß ein großes Erbeigenthum, das eine gute Rente abwarf und ihn mit warmer Zuneigung an die Fluren und Ströme Amerikas knüpfte, während der noch reichere John, an den ein großes Handelskapital gefallen war, nicht soviel Grund und Boden besaß, um darin begraben werden zu können. Wie er zuweilen spottend zu sagen pflegte, »stack sein Gold in Corporationen, die eben so seelenlos waren, als er selbst.«

Gleichwohl war John Effingham ein Mann von gebildetem Geist, und wußte seine Manieren je nach den Verhältnissen, die sein ausgedehnter Verkehr in der Welt mit sich brachte, – oder vielmehr nach seinen Launen zu ändern. Gerade in letzterer Beziehung unterschied er sich vorzugsweise von Edward Effingham, dessen äußeres Benehmen eben so gleichförmig war, wie seine Gemüthsstimmung, obschon auch er sich durch umfassende Weltkenntniß auszeichnete.

Die beiden Gentlemen hatten sich am 1. October, ihrem fünfzigsten Geburtstage, in dem nach New-York bestimmten Packetboote eingeschifft: denn ihre Ländereien und Familienbesitze lagen in dem Staate des gedachten Namens, in welchem sämmtliche bereits aufgeführte Personen das Licht erblickt hatten. Die Kajüten-Passagiere der Londoner Packetschiffe pflegen sonst nicht in den Docken an Bord zu gehen; aber Mr. Effingham – wie wir den Vater im Allgemeinen bezeichnen wollen, um ihn von dem Hagestolz John zu unterscheiden – hatte sich als alter, erfahrener Reisender vorgenommen, schon im glatten Wasser seine Tochter mit den eigenthümlichen Gerüchen eines Schiffes vertraut zu machen, um sie gegen die Seekrankheit zu schützen, obschon sich zuletzt heraus stellte, daß sie auffallenderweise keine Disposition für dieses Leiden hatte. Sie waren daher schon drei Tage an Bord, als das Schiff vor Portsmouth Anker warf – dem Punkte, wo die übrigen Reisenden an demselben Tage, an welchem wir unsere Erzählung beginnen, sich einzufinden hatten.

Eben damals lag der Montauk mit drei gelösten Marssegeln, aufgegeiten großen Segeln und mit allen jenen Zeichen der Vorbereitung, welche den Landbewohner so sehr verwirren, obschon sie der Matrose so gut versteht, als nur Worte etwas auszudrücken vermögen, etwa eine Stunde vom Lande ab auf windstillem Grunde vor einem einzelnen Anker. Der Kapitän hatte nichts anderes mehr zu thun, als die Passagiere an Bord zu nehmen und seine Fleisch- und Gemüsevorräthe zu erneuern – Dinge, an die man auf dem Lande so gewöhnt ist, daß man selten anders daran denkt, als wenn man sie vermißt, obschon sie während einer Fahrt von mehreren Wochen eine große Bedeutsamkeit gewinnen. Eva hatte ihre drei Probetage sehr nützlich verwendet, da sie, mit Ausnahme ihrer beiden Verwandten, der Schiffsoffiziere und einer weiteren Person diese ganze Zeit über im ruhigen Besitz aller der großen, um nicht zu sagen prächtigen Kajüten gewesen war. Allerdings hatte sie eine weibliche Dienerin bei sich; aber sie war an dieselbe von Kindheit an gewöhnt, und Nanny Sidley – wie ihre frühere Wärterin und nunmehrige Kammerjungfer hieß – schien so ganz und gar ein Theil ihrer Gebieterin zu seyn, daß letztere ihre Abwesenheit fast ebensosehr wie den Mangel einer Hand oder eines Fußes gefühlt haben würde. Ein kurzes Wort über diesen trefflichen und treuen Dienstboten wird daher in den vorläufigen Erörterungen nicht am unrechten Orte seyn. Anna Sidley war eines jener ausgezeichneten Wesen, die man, wie europäische Reisende zu sagen pflegen, in ganz Amerika nicht findet und die, obschon sie allerdings weniger zahlreich vorkommen, als zu wünschen wäre, in ihrer Art nicht besser seyn könnten. Sie war in dienstlichen Verhältnissen geboren, hatte stets in denselben gelebt und war es völlig zufrieden, auch als dienende Person zu sterben – und dies noch obendrein in einer und derselben Familie. Wir wollen uns nicht auf eine tiefere Untersuchung der Gründe einlassen, welche die alte Anna zu der Ueberzeugung gebracht hatten, daß sie sich in einer Stellung befand, welche mehr geeignet war, sie glücklich zu machen, als irgend eine andere in ihrem Bereiche; aber sie fühlte dieselbe, wie John Effingham sich auszudrücken pflegte, »vom Wirbel bis zur Zehe.« Die Jahre der Kindheit und des Mädchenalters hatte sie bis zu denen der gereiften Entwickelung pari passu mit Evas Mutter verlebt; denn sie war die Tochter eines Gärtners, der im Dienste der Familie gestorben war, und hatte genug Herz, um zu fühlen, daß die gemischten Verhältnisse einer civilisirten Gesellschaft, wenn man sie gehörig verstand und zu würdigen wußte, weit mehr Glück bringen, als das gemeine Ringen, das in dem Zusammenflusse einer wanderlustigen und unstäten Bevölkerung der Lieblichkeit und den Grundsätzen des amerikanischen Lebens so großen Abtrag thut. Nach dem Tode von Evas Mutter hatte sie ihre Zuneigung auf das Kind übergetragen und in zwanzig Jahren eifriger Pflege ihren Schützling so lieb gewonnen, als wäre sie die natürliche Mutter desselben gewesen. Indeß war Nanny Sidley weit besser geeignet, für Eva's Körper zu sorgen, als für ihren Geist, weshalb letztere in einem Alter von zehn Jahren der Leitung einer trefflichen Gouvernante übergeben wurde – eine Maßregel, in deren Folge die Wärterin bescheiden und ruhig zu den Verrichtungen eines Dienstmädchens zurücktrat.

Am schwersten wurde ihr das »Kreuz« – wie sich die arme Nanny auszudrücken pflegte – als Eva in einer Sprache zu reden begann, die sie selbst nicht verstehen konnte; denn ungeachtet der besten Absichten von der Welt und einer zwölfjährigen Gelegenheit hatte es die gute Person doch nie so weit bringen können, sich etwas von den fremden Zungen anzueignen, die ihr junger Pflegling so schnell erlernte. Als eines Tages Eva sich mit ihrer Lehrerin in einem lebhaften und heiteren italienischen Gespräche erging, konnte sich Anna unmöglich mehr halten, sondern riß im eigentlichen Sinne des Wortes das Mädchen an ihre Brust, brach in Thränen aus und bat sie flehentlich, sich doch nicht ganz ihrer armen alten Wärterin zu entfremden. Eva's Liebkosungen und Bitten brachten zwar das gute Geschöpf bald zum Bewußtseyn ihrer Schwäche; aber das natürliche Gefühl war so stark, daß es mehrjähriger aufmerksamer Beobachtung bedurfte, um sie mit den tausend trefflichen Eigenschaften von Mademoiselle Viefville zu versöhnen – denn so hieß das Frauenzimmer, welches in letzter Zeit mit der Leitung von Miß Effinghams Erziehung betraut war.

Diese Mademoiselle Viefville befand sich gleichfalls unter den Passagieren und war die weitere Person, welche gemeinschaftlich mit Eva und ihren Verwandten die Kajüte einnahm. Sie war die Tochter eines französischen Offiziers, der in einem der Napoleonischen Feldzüge den Tod gefunden, hatte, in einer der bewunderungswürdigen Anstalten, welche wahre Lichtpunkte in der grausamen Geschichte des Eroberers bilden, eine treffliche Erziehung genossen, und stand jetzt in einem Alter, das ihr möglich gemacht hatte, bereits zwei junge Personen, von denen die letztere Eva Effingham war, heranzubilden. Zwölf Jahre innigen Umgangs mit ihrem Zögling hatten sie denselben so lieb gewinnen lassen, daß sie den Bitten des Vaters nachgab, das Mädchen nach Amerika zu begleiten und das erste Probejahr bei ihr auszuhalten – denn ein solches mußte es wohl für eine junge Dame von der Erziehung seines Kindes seyn, welchem in der neuen Welt ein ganz neuer gesellschaftlicher Zustand entgegentrat.

Es ist so viel über französische Erzieherinnen gesprochen und geschrieben worden, daß wir dem Gegenstande nicht vorgreifen, sondern im Laufe unserer Erzählung diese Dame für sich selbst reden und handeln lassen wollen. Ohnehin liegt es nicht in unserer Absicht, uns in diesen einleitenden Bemerkungen allzusehr über unsere Charaktere zu verbreiten, und da wir jetzt die Hauptumrisse entworfen haben, so kehren wir zu dem natürlichen Lauf der Ereignisse zurück, indem wir hoffen, der Leser werde im Fortgang unserer Geschichte schon besser mit den betreffenden Personen bekannt werden.


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