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Sechszehntes Kapitel.

Er ging sodann an's Ufer ohne Harren,
Wo weder Zollhaus ihn noch Contumaz
Mit läst'gen Fragen quälten nach dem Platz,
Woher er kam und wann er ausgefahren. –

Byron.

 

Kapitän Truck versank, sobald sein Haupt das Kissen berührte, in einen tiefen Schlaf. Mit Ausnahme der Frauenzimmer folgten die Uebrigen bald seinem Beispiele, und da das Schiffsvolk ungemein ermüdet, auch außerdem die Nacht ruhig war, so konnte man nach kurzer Zeit auf dem Deck nur noch ein einziges Paar offener Augen finden – nämlich die des Mannes am Steuer. Der Wind starb dahin, so daß zuletzt auch dieser Ehrenmann von der Verschuldung des Einnickens auf seinem Posten nicht ganz freizusprechen war.

Unter solchen Umständen wird es nicht sonderlich überraschen, wenn wir berichten, daß die Kajüte am nächsten Morgen durch die plötzliche Nachricht aufgeschreckt wurde, das Land befinde sich dicht am Borde des Schiffes. Alles eilte auf's Deck, von dem aus man mit den bestimmtesten Umrissen in einer Entfernung von nicht ganz einer Seemeile die gefürchtete afrikanische Küste sehen konnte. Sie bot den Blicken eine lange, gebrochene Linie von Sandhügeln dar, ohne daß ein Baum, höchstens da und dort ein Strauch, dem Auge einen Ruhepunkt bot, während das ferne, nordöstlich gelegene Gebirg in einem dunstigen Hintergrunde lag. Der Rand der eigentlichen Küste, welche dem Schiffe am nächsten stand, war mit Buchten ausgezackt, und da und dort zeigten sich sogar Riffe; der Gesammtcharacter der Landschaft aber war ein Bild dürrer, sonnverbrannter Unfruchtbarkeit. Mit Scheu und Verwunderung blickten bei dem allmälich kräftiger werdenden Lichte des Tages die Insassen des Fahrzeugs einige Minuten auf diesen Schauplatz der Verödung hin, bis endlich ein Ruf vom Vorderkastell »ein Schiff« meldete.

»In welcher Richtung?« fragte Kapitän Truck finster, denn die plötzlich unerwartete Nähe dieser gefährlichen Küste hatte Alles, was in dem Temperamente des alten Meisters Schroffes und Abstoßendes lag, aufgeregt. »In welcher Richtung, Sir?«

»Auf der Backbordwindvierung, Sir; es liegt vor Anker.«

»Es ist gestrandet!« riefen in demselben Augenblicke, als die Worte von den Lippen des letzten Sprechers geglitten waren, ein halb Dutzend Stimmen.

Das Fernglas gab bald über diesen wichtigen Punkt weitere Auskunft. Etwa eine Seemeile sternwärts von ihnen waren die Spieren eines Schiffes sichtbar; der Rumpf saß auf dem Sande auf, so daß man nicht länger daran zweifeln konnte, es sey ein Wrack. Der erste Eindruck bei Allen war, daß dies endlich das Foam sey; aber Kapitän Truck erklärte bald diese Ansicht für irrig.

»Dem Tackelwerk und dem Bau nach ist es ein Schwede oder ein Däne,« sagte er – »ein stämmiges, festes, gedrungenes Fahrzeug, das jetzt hoch und trocken auf dem Sande liegt, als ob es dort gebaut worden wäre. Es scheint nicht einmal im Boden leck geworden zu seyn, und die meisten seiner Segel wie auch alle Raaen befinden sich am gehörigen Orte. Keine lebende Seele läßt sich darauf blicken. Ha! dort sind Anzeichen von Zelten, die am Lande aus Segeln gemacht wurden, und Reste von aufgebrochenen Güterballen! Die Mannschaft ist angegriffen und wie gewöhnlich in die Wüste geführt worden; dies ist ein furchtbarer Wink, den Montauk nicht auf den Grund laufen zu lassen. Ruft die Leute herbei, Mr. Leach, und schafft eure Scheerböcke herauf, damit wir schleunigst mit unseren Nothmasten zu Stande kommen; ohne Hintersegel treibt uns die schwächste landwärts wehende Brise an die Küste.«

Während die Maten und die Matrosen sich anschickten, das Werk zu vollenden, welches sie Tags zuvor zugerüstet hatten, war Kapitän Truck mit seinen Passagieren beschäftigt, alle Umstände, die mit dem Wrack in Verbindung standen, möglichst zu ermitteln und über die Gründe Aufschluß zu suchen, warum sie in einer so ganz anderen Gegend lagen, als sie früher geglaubt hatten.

In Betreff des ersteren Punktes ließ sich wenig mehr Aufklärung einholen. Das fremde Schiff lag ohne Frage hoch und trocken an einem harten sandigen Ufer, wo es wahrscheinlich in der letzten Bö gescheitert war; auch glaubte der Kapitän unverkennbare Merkmale einer theilweisen Plünderung zu entdecken. Mehr ließ sich aus dieser Entfernung nicht entdecken, und die Arbeit auf dem Montauk war zu dringend, als daß man ein Boot hätte mit Matrosen bemannen und zur Untersuchung ausschicken können. Da sich jedoch Mr. Blunt, Mr. Sharp, Mr. Monday und die Diener der beiden ersteren erboten, den Kutter zu rudern, so wurde endlich beschlossen, von den Thatsachen genauere Einsicht zu nehmen, und Kapitän Truck selbst trat an die Spitze des Ausflugs. Während die Vorbereitungen dazu getroffen werden, mag ein Wort der Erläuterung den Leser über den Grund belehren, warum der Montauk so weit leewärts gekommen war.

Das Schiff stand so nahe an der Küste, daß man nun deutlich sehen konnte, es sei durch eine am Lande hinziehende Strömung getrieben worden, die aller Wahrscheinlichkeit nach in hoher See gegen die Küste umgebogen hatte. Die unmerkliche Abtrifft so vieler Stunden, die zwischen der angestellten Beobachtung des vorigen Tags und der Entdeckung der Küste abgelaufen waren, hatte zugereicht, um das Schiff weithin zu führen; man mußte daher die gegenwärtige Lage ausschließlich dieser einfachen Ursache, zu welcher vielleicht noch einige Nachläßigkeit am Steuer im Laufe der Nacht einen Beitrag lieferte, zuschreiben. In diesem Augenblicke kam ein leichter Luftzug vom Lande her, und wenn man den Schnabel seewärts hielt, war es, wie Kapitän Truck nicht zweifelte, möglich, dem Unglück zu entrinnen, welches das andere Schiff während der Wuth der Bö betroffen hatte. Ein Wrak ist für Seeleute stets ein Gegenstand großen Interesses; nachdem daher Mr. Truck alle diese Dinge in Betracht gezogen hatte, kam er zu dem vorerwähnten Entschlusse, sich über die Geschichte des in Sicht befindlichen Fahrzeugs, soweit es die Umstände gestatteten, Aufklärung zu verschaffen.

Der Montauk hatte drei Boote – das Langboot, ein großes sicheres und gut gebautes Fahrzeug, welches in den gewöhnlichen Schoren zwischen dem Fockmast und großen Mast stand – ein Jollenboot und einen Kutter. Da dem Schiffe der große Mast fehlte, so war es fast unmöglich, das erstere ins Wasser zu bringen, während dagegen die anderen, welche auf beiden Windvierungen an Penterbalken hingen, leicht niedergelassen werden konnten. Die Paketschiffe führen selten andere Waffen, als eine leichte Kanone zu Signalen, die Pistolen des Kapitäns und vielleicht ein paar Vogelflinten. Zum Glück waren die Passagiere besser vorgesehen, denn sämmtliche Gentlemen – mit Ausnahme des Mr. Monday und Mr. Dodge, wenn sie überhaupt, wie Kapitän Truck zu sagen pflegte, zu dieser Categorie gehörten – hatten Pistolen und die meisten auch Vogelflinten. Eine sorgfältige Untersuchung der Küste durch die Ferngläser ergab zwar keine Merkmale von Feindesnähe; aber dennoch wurden alle diese Waffen sorgfältig gesammelt, geladen und in die Boote gebracht, damit man auf den schlimmsten Fall vorbereitet sei. Mundvorrath und Wasser wurde gleichfalls eingenommen, worauf sich die Partie zum Aufbruch anschickte.

Kapitän Truck und einer oder zwei Theilnehmer an dem Abenteuer befanden sich noch auf dem Deck, als Eva in jener seltsamen Liebe zur Aufregung, die oft auch die zartesten Gemüther befällt, ihr Bedauern ausdrückte, daß sie an dem Ausfluge nicht Theil nehmen könne.

»Es liegt etwas eigenthümlich Wildes im Landen an einer afrikanischen Wüste,« sagte sie, »und ich glaube, Mademoiselle, eine nähere Besichtigung des Wraks würde uns für das Wagniß wohl schadlos halten.«

Die jungen Männer schwankten zwischen dem Wunsche, eine solche Begleiterin zu haben, und ihrem Bedenken über die Klugheit eines derartigen Schrittes. Kapitän Truck erklärte jedoch, von Gefahr könne keine Rede seyn, und da Mr. Effingham seine Einwilligung gab, so wurde der ganze Plan dahin abgeändert, daß auch die Damen eingeschlossen werden sollten; denn eine Abwechslung in der Eintönigkeit einer Windstille und die Befreiung von dem engen Banne eines Schiffes versprach so viel Vergnügen, daß männiglich mit Eifer und Freude auf die neue Anordnung einging.

An der Fockraa wurde ein Tau aufgezogen, ein Stuhl hinein geschlungen, und zehn Minuten später schwammen die beiden Damen im Kutter auf dem Meere. Das Fahrzeug war mit sechs Rudern versehen und hatte die Bedienten der beiden Herren Effingham, die der Herren Blunt und Sharp, desgleichen auch die letztgenannten beiden Gentlemen zur Bemannung, während Mr. Effingham das Steuer lenkte. Kapitän Truck setzte sich in das Jollenboot, in welchem er selbst ein Ruder führte, und hatte Saunders, Mr. Monday und Sir Georg Templemore zu Gehülfen; denn die Maten und die regelmäßige Schiffsmannschaft waren mit dem Auftackeln des Nothmastes beschäftigt. Mr. Dodge lehnte es ab, sich bei dem Abenteuer zu betheiligen, indem er sich mit der Hoffnung schmeichelte, es biete sich ihm jetzt eine günstige Gelegenheit, in den Staatsgemächern nach vergessenen Briefen und Papieren zu spioniren oder anderweitig sich Belehrungsstoff für den Active Inquirer zu sammeln.

»Schaut nach dem Kutter und sorgt dafür, Mr. Leach, daß Alles für das Ablaufen des Ankers klar gehalten werde, im Falle Ihr weiter küstenwärts kommen solltet,« rief der Kapitän, ehe die Boote von der Seite des Montauk abstießen. »Das Schiff trifftet zwar längs dem Lande hin, aber der Wind, den ihr habt, wird kaum hinreichen, den Wellenzug gegen das Ufer zu überbieten. Sollte etwas Unrechtes vorkommen, so zieht an dem Nothmast vorn eine Flagge auf.«

Der Mate winkte mit der Hand, und die Abenteurer ruderten hinweg, ohne seine Antwort weiter zu vernehmen. Es war für die Meisten in den Booten eine seltsame Empfindung, sich in ihrer gegenwärtigen Lage zu sehen; namentlich konnten Eva und Mademoiselle Viefville kaum ihren Sinnen glauben, als sie fanden, wie die Nußschalen, in denen sie sich befanden, gleich Blasen auf den langen trägen Wellen sich hoben und senkten – denn so wenig letztere in dem Schiffe fühlbar gewesen waren, ähnelten sie doch jetzt den schweren Athemzügen eines Leviathan. Die Boote glitten unter dem Einflusse der Ruder zwar immer vorwärts, schienen aber doch auf Augenblicke gleich Spielzeugen der gewaltigen Tiefe hülflos hin und herzuschwanken, und es stand einige Minuten an, ehe sich Eva sicher genug fühlen konnte, um sich ihrer Lage zu erfreuen. Auch schien diese immer bedenklicher zu werden, je weiter sie sich von den Montauk entfernten, und noch ehe eine halbe Seemeile zurückgelegt war, bereute das Mädchen, trotz der Liebe ihres Geschlechts für Aufregung, doch herzlich, daß sie das Wagniß unternommen hatte. Die Gentlemen waren übrigens insgesammt wohlgemuth, und da die Boote nahe zusammenhielten, so kürzte Kapitän Truck den Weg mit seinem eigenthümlichen Witze, obgleich Mr. Effingham, der sich nur aus Beweggründen der Menschlichkeit dem Ausfluge angeschlossen hatte, ernst blieb. So geschah es denn, daß Eva zuletzt gleichfalls auf andere Gedanken gerieth.

Als sie sich dem Ende ihrer kleinen Expedition näherten, gewannen unter der ganzen Partie neue Gefühle die Oberhand. Die einsame, düstere Großartigkeit der Küsten, die erhabene Verödung – denn selbst eine nackte Sandwüste kann durch ihre endlose Ausbreitung erhaben werden – das dumpfe Stöhnen des Meeres an der Küste und die ganze Scene der Verlassenheit, im Vereine mit den Ideenverbindungen, welche Afrika, die Zeit und der Wechsel seiner geschichtlichen Bedeutung darboten – Alles dies wirkte zusammen, um wehmüthig angenehme Empfindungen hervorzurufen. Der Anblick des Schiffes, welches, obschon es hülflos und verlassen auf dem Sande lag, Bilder europäischer Civilisation mit sich führte – erhöhete noch den Eindruck des Ganzen.

Ohne Zweifel war in der letzten Bö das Schiff auf einer Welle nach einem Punkte getragen worden, der nicht hinreichende Schwimmtiefe hatte – vielleicht bis auf einige Ellen von der Stelle, wo es jetzt lag. Kapitän Truck gab nachstehende Erläuterung über den wahrscheinlichen Hergang der Sache.

»An allen sandigen Küsten,« sagte er, »bilden die rückkehrenden Wogen, nachdem sie sich am Ufer gebrochen haben, eine Barre, da sie den Sand des Gestades abspülen. Diese befindet sich gewöhnlich in einer Entfernung von dreißig oder vierzig Faden seewärts, und innerhalb derselben ist das Wasser häufig tief genug, um ein Schiff flott zu erhalten. Da jedoch eine solche Barre die Rückkehr allen Wassers hindert, so erzeugt das sogenannte Untertauen von Punkt zu Punkt schmale Kanäle, durch welche das Element entwischen kann. Letztere erkennt man an dem Aussehen des Wassers, denn die Wellen brechen sich an solchen Plätzen weniger, als an den Stellen, wo der Grund näher an der Oberfläche liegt, und alle erfahrene Seeleute sind mit dieser Thatsache wohl bekannt. Ohne Zweifel hat der unglückliche Meister dieses Schiffes, als er sich genöthigt sah, an die Küste zu laufen, um das Leben seiner Mannschaft zu retten, einen derartigen Platz gewählt und daher sein Schiff nach einem Punkte gedrängt, wo es trocken liegen blieb, sobald die See wieder fiel. Solch ein würdiger Kamerad hätte wohl ein besseres Schicksal verdient, denn das Wrack ist noch keine drei Tage alt, und doch läßt sich keine Spur von denen blicken, welche sich in dem stattlichen Fahrzeuge befanden.«

Der Kapitän machte diese Bemerkungen, während die Mannschaft der beiden Boote in kurzer Entfernung von der Wasserlinie, wo das Branden des Meeres die Richtung der Barre andeutete, auf ihren Rudern lag. Auch konnte man den Kanal unmittelbar im Sterne des Schiffes deutlich sehen, da sich an dieser Stelle die See blos hob und senkte, ohne in Kämmen überzuschlagen. Gegen Süden streckten sich einige kecke schwarze Klippen vorwärts und bildeten eine Art Bai, in welcher man ohne Gefahr landen konnte; sie waren übrigens in einer Gegend an die Küste gekommen, wo die Einförmigkeit des Sandgrundes, wie sich im Näherkommen herausstellte, nicht viel durch die Anwesenheit anderer Gegenstände gehoben wurde.

»Haltet den Kutter nur gerade außerhalb der Brandung, Mr. Effingham,« fuhr Kapitän Truck fort, nachdem er aufgestanden und eine Weile das Ufer gemustert hatte. »Ich will in den Kanal einfahren und in jener Bai dort landen. Habt Ihr Lust, mir zu folgen, so gebt das Steuer an Mr. Blunt ab, sobald Ihr von mir ein Signal erhaltet. Gebt auf euere Ruder Acht, Gentlemen, und seht beim Landen nach euren Waffen, denn wir sind in einem gar spitzbübischen Welttheile. Wenn etwa die Affen oder Orangoutangs ihr Verwandtschaftsrecht an Mr. Saunders ansprechen sollten, so werden wir's nicht leicht finden, sie zu bereden, daß sie uns das Vergnügen seiner Gesellschaft lassen.«

Der Kapitän gab ein Zeichen und das Jollenboot lief in den Kanal ein. Nachdem es eine Wendung nach Süden gemacht hatte, sah man es noch innerhalb der Brandung sich heben und fallen; dann aber verschwand es hinter den Felsen. Eine Minute später erschien Mr. Truck mit seinem ganzen Geleite – den einzigen Mr. Monday ausgenommen, welcher als Schildwache bei dem Boot blieb – auf dem Felsen und machte sich nach dem Wrack auf den Weg. Bei dem letzteren angelangt, stieg er hurtig sogar bis zu den Kreuzbäumen des Hauptmastes hinan und unterwarf die Ebene jenseits der Bank, welche dieselbe den Blicken derer unten entzog, einer langen Musterung; dann gab er denen, welche sich in dem Kutter befanden, durch ein Signal zu verstehen, daß sie herankommen könnten.

»Sollen wir's wagen?« rief Paul Blunt in einem Tone, in welchem sich die Bitte um Bejahung aussprach.

»Was sagt Ihr, theurer Vater?«

»Ich hoffe, daß wir noch immer nicht zu spät kommen, um irgend einem Christen in Bedrängniß Hülfe zu bringen, mein Kind. Nehmt das Steuer, Mr. Blunt – wir wollen im Namen des Himmels und um der Nächstenliebe willen folgen.«

Das Boot rückte vor; Paul Blunt stand aufrecht und lenkte das Steuer, zügelte aber seine Hast um der kostbaren Fracht willen, die seinem Fahrzeuge vertraut war. Es trat jetzt ein Augenblick des Zitterns für die Damen ein, denn es gewann den Anschein, als sollte das leichte Boot wie der Meerschaum, an dem es vorbeischoß, auf's Gestade fliegen; aber die stätige Hand des Steuermanns wandte die Gefahr ab, und in der nächsten Minute befanden sie sich flott an der Seite des Jollenboots. Die Damen gelangten ohne viele Schwierigkeit an's Land und erstiegen die Spitze des Felsens.

» Nous voici donc en Afrique!« rief Mademoiselle Viefville im Gefühle der Ueberraschung, welche Alle befällt, die sich mit einemmale in irgend einer merkwürdigen neuen Lage befinden.

»Das Wrack – das Wrack,« flüsterte Eva; »laßt uns nach dem Wracke gehen. Vielleicht ist Hoffnung vorhanden, noch irgend einen unglücklichen Leidenden zu retten.«

Sie begaben sich nun insgesammt nach dem Wracke und ließen nur die beiden Bedienten zurück, welche Mr. Monday seiner Wache entheben mußten.

Es erregte einen tiefen Eindruck, neben einem Schiffe auf der Sandküste Afrika's zu stehen, wo die Verödung eines aufgegebenen Fahrzeuges durch die Verlassenheit einer Wüste noch erhöht wurde. Die Lage des fast aufrecht stehenden und im Sand eingebetteten Schiffes legte dem Hinansteigen der Damen weit weniger Schwierigkeit in den Weg, als man hätte erwarten sollen, da der Zugang bereits durch ein angebrachtes rohes Gerüste erleichtert war. Der Anblick wurde hier noch viel aufregender, denn man sah allenthalben das Bild einer hastig verlassenen theuren Wohnung.

Noch ehe Eva und Mademoiselle Viefville auf dem Deck anlangten, hatten die Uebrigen bereits ausfindig gemacht, daß keine lebende Seele zurückgeblieben war. Alle Koffer, Truhen, Kommoden, und andere Aufbewahrungsgeräthschaften der Kajüte waren durchstört, desgleichen viele Kisten aus dem Raume heraufgeholt und geplündert worden, wie man denn auch einen Theil ihres Inhalts noch auf den Decken umhergestreut liegen sah. Das Schiff war jedoch nur leicht befrachtet gewesen, und das Hauptkargo, welches aus Salz bestand, augenscheinlich unberührt geblieben. An den Fallen war ein dänisches Wimpel angeschlagen – ein Beweis, daß Kapitän Truck schon aus der Ferne den Character des Schiffes richtig beurtheilt hatte. Auch der Name ließ sich ermitteln. Das Fahrzeug hieß, in's Deutsche übertragen, der Führer, und gehörte nach Copenhagen. Weitere Auskunft ließ sich nicht gut einholen; denn es fanden sich keine Papiere vor, und was von der Ladung zurückgeblieben, war so vermischt oder untermengelt, wie es Saunders nannte, daß sich über den Hafen, wo das Kargo eingenommen worden, – wenn dies überhaupt an einem und demselben Platze geschehen war, – keine befriedigende Vermuthung aufstellen ließ.

Augenscheinlich waren mehrere der leichten Segel fortgeführt, aber alle schwereren an den Raaen, die sich noch an ihren Plätzen befanden, zurückgelassen worden. Das Schiff war groß und ungemein stark, was schon aus dem Umstande erhellte, daß es beim Stranden keinen Leck gefangen hatte. Es fehlte an nichts, es in den Ocean zu bringen, als an Maschinerie und an der erforderlichen Bemannung; denn wäre es nur wieder flott gewesen, so hätte es seine Fahrt fortsetzen können, als ob gar nichts vorgefallen wäre. Aber eine derartige Wiederherstellung war hoffnungslos und die bewunderungswürdige Maschine glich einem Manne, der in der Blüthe seiner Kraft und Jugend dahingerafft wurde, auf die Küsten dieses unwirthlichen Landes geworfen, um an der Stelle, wo es lag, zu vermodern, wenn es nicht etwa die Wanderer der Wüste um des Holzes und Eisens willen zertrümmerten.

Nicht leicht konnte in einem Geiste, wie der des Kapitän Truck war, ein Gegenstand wehmüthigere Gedanken hervorrufen, als ein solcher Anblick. Ein schönes Schiff, fast in allen seinen Theilen vollkommen, dem Wesen nach unbeschädigt und dennoch völlig außer dem Bereiche weiterer Benützung, erschien seinen Blicken als ein Bild des bejammernswürdigsten Verlustes. Das Geld, welches das Fahrzeug gekostet hatte, schlug er weit weniger an, als die Eigenschaften, welche in solcher Weise zu Grunde gegangen waren.

Er untersuchte den Boden, den er für das Unterbringen der Ladung sowohl, als für die Schwimmfähigkeit auf dem Meere gleich vortrefflich fand, bewunderte die gute Zimmermannsarbeit, prüfte mit seinem Messer die Eigenschaft des Holzes und erklärte die norwegischen Tannen, welche zu den Spieren verwendet worden waren, für fast so guten Zeug, als nur irgend einer in den südlichen Wäldern Amerika's gefunden werden könne. Auch das Tackelwerk betrachtete er in der Weise eines Mannes, der gerne bei den Eigenschaften eines viel beklagten verstorbenen Freundes verweilt.

Auf dem Sande um das Schiff her, namentlich aber unter dem Gerüste, das zum Hinansteigen gedient hatte und augenscheinlich in aller Hast errichtet worden war, um Gegenstände von dem Fahrzeuge auf den Rücken von Lastthieren zu bringen, welche die Bürde nach der Wüste nehmen sollten – waren allenthalben die Spuren von Kameelen und Pferden deutlich zu unterscheiden. Auch Fußstapfen von Menschen waren zu erblicken, und der Umstand, daß sich die Abdrücke von Schuhen mit denen von nackten Füßen mengten, bot eine erschütternde und betrübende Gewißheit.

Aus allen diesen Anzeigen folgerte Kapitän Truck, das Schiff habe vor zwei oder drei Tagen gestrandet, während dagegen die Plünderer noch nicht viele Stunden abgezogen seyen.

»Wahrscheinlich entfernten sie sich mit dem, was sie fortschleppen konnten, gestern Abend um Sonnenuntergang, und ich zweifle nicht, daß sie mit Nächstem wieder zurückkommen werden – oder wenn auch nicht sie, so werden doch wenigstens Andere erscheinen. Gott beschütze die armen Menschen, die in eine so unglückliche Knechtschaft gerathen sind. Welche günstige Gelegenheit fände sich nicht jetzt, Einen oder den Andern zu retten, der sich zufälligerweise in der Nähe dieses Platzes versteckt hätte!«

Die ganze Gesellschaft faßte den Gedanken mit einemmale auf und Alle setzten sich eifrig in Bewegung, um das hohe Felsufer, das fast so weit als die Stengen anstieg, zu untersuchen, ob sie nicht irgend einen versteckten Flüchtling entdecken könnten. Die Gentlemen gingen wieder in den Raum hinunter, und die Herren Sharp und Blunt riefen in deutscher, englischer und französischer Sprache denen, welche sich etwa verborgen hatten, zu, sie möchten hervorkommen. Aber kein Laut antwortete auf die freundliche Einladung. Kapitän Truck stieg abermals in das Tackelwerk hinauf, um in's Innere des Landes schauen zu können, ohne jedoch etwas Anderes, als die weite unbevölkerte Wüste zu erblicken.

Die Stelle, wo die Kameele nach dem Ufer heruntergekommen waren, lag nicht ferne, weshalb die Meisten von der Gesellschaft sich dahin begaben und nach der Höhe der jenseits gelegenen Ebenen hinanstiegen. Paul Blunt ging voran und spannte, als er die Höhe des Ufers erreichte, beide Hähne seiner Vogelflinte, weil man nicht wissen konnte, ob nicht vielleicht Feinde in der Nähe waren. Sie fanden jedoch nur eine schweigende, fast aller Vegetation baare Wüste, die sich beinahe so bahnlos vor ihnen ausbreitete, wie das Meer, das sie hinter sich zurückgelassen hatten. In einer Entfernung von hundert Ruthen konnten sie übrigens einen Gegenstand unterscheiden, der halb im Sande eingescharrt schien, und die jungen Männer drückten den Wunsch aus, danach hinzugehen, nachdem sie zuerst denen im Schiffe zugerufen hatten, sie sollten einen Mann in's Takelwerk schicken, der Lärm machen könne, im Falle sich ein Haufen Muselmänner blicken lasse. Als Mr. Effingham von ihrer Absicht Kunde erhielt, ließ er Eva und Mademoiselle Viefville in den Kutter steigen, denselben bemannen und über die Barre hinaus nach einer Stelle rudern, wo er in Erwartung des Ausgangs liegen blieb.

Ein Kameelpfad, dessen Spur durch den Sand fast wieder verwischt war, führte nach dem Gegenstande hin, und die Abenteurer, welche mühsam in dem nachgiebigen Grunde weiter zogen, erreichten bald den gewünschten Ort, wo sie die Leiche eines Menschen fanden, der augenscheinlich eines gewaltsamen Todes gestorben war. Sein Anzug und seine Außenseite deuteten mehr auf einen Passagier als auf einen Matrosen; auch konnte man deutlich unterscheiden, daß er noch nicht lange, vielleicht kaum zwölf Stunden, seinen letzten Athem ausgeröchelt hatte. Sein Schädel war durch einen Säbelhieb gespalten. Man beschloß, vor den Damen die schreckliche Entdeckung geheim zu halten, und deckte den Leichnam, nachdem man zuerst dessen Taschen untersucht hatte, hastig mit Sand zu: denn ganz gegen den gewöhnlichen Gebrauch war der Todte nicht entkleidet worden. Man fand nichts weiter, als einen Brief in deutscher Sprache, den eine Gattin an ihren Mann geschrieben hatte. Der Inhalt war zwar einfach, aber doch zärtlich und natürlich: er sprach von der Hoffnung eines baldigen Wiedersehens – ach, die Unglückliche ließ sich wenig träumen von dem kläglichen Loose, welches den geliebten Gatten in dieser fernen Wüste betroffen hatte!

Da sich außerdem nichts entdecken ließ, so kehrten die Abenteurer hastig wieder nach dem Ufer zurück, wo sie fanden, daß Kapitän Truck seine Nachforschungen beendigt hatte und ungeduldig ihrer Rückkehr entgegensah. Während das Interesse dieser Scene unsere Reisenden in Anspruch nahm, war der Montauk hinter einem Vorgebirge verschwunden, auf welches er bei der Abfahrt der Boote zugetrifftet war. Der Umstand, daß man nichts mehr von ihm sah, erhöhte das allgemeine Gefühl der Einsamkeit, und die ganze Partie eilte jetzt in das Jollenboot, als fürchte sie, zurückgelassen zu werden. Außer der Barre angelangt, nahm der Kutter wieder seine frühere Bemannung ein, und die Boote ruderten fort, das dänische Schiff in seiner einsamen Verödung als ein Denkmal seines Unglücks auf dem Ufer zurücklassend.

Wie sie sich weiter vom Lande entfernten, kam ihnen der Montauk wieder zu Gesicht, und Kapitän Truck theilte seiner Reisegesellschaft die angenehme Kunde mit, daß der Nothhauptmast stehe und das Schiff Hintersegel führe, wie klein und mangelhaft sie auch wären. Statt übrigens wie bisher den Schnabel gen Süden zu halten, war Mr. Leach augenscheinlich bemüht, wieder gen Norden nach dem Vorgebirge, welches das dänische Schiff einschloß, zu kommen – das heißt, er suchte den gemachten Weg wieder zurückzulegen. Mr. Truck zog hieraus den richtigen Schluß, daß seinem Maten der Anblick der Küste sternwärts von ihm nicht gefiel und er deshalb offene See zu gewinnen suchte. Er ermunterte daher seine Begleiter zum Rudern und es stund nicht viel mehr denn eine Stunde an, als sich die ganze Partie wieder an Bord des Montauk befand, die Boote aber ihre Plätze wieder an den Penterbalken einnahmen.


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