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Der Schmerz lauscht jetzt
Mit heil'ger Ehrfurcht auf der Tugend Stimme,
Kein Klagen stört die feierliche Stille,
Und inne hält der Thränen Fluth.
Glover.
Von allen menschlichen Empfindungen trügt die Hoffnung am häufigsten. So lange noch ein scheinbarer Grund vorhanden ist, von irgend einer Seite her Hülfe zu erwarten, verzögert der Mensch seine Anstrengungen sogar Angesichts der dringlichsten Gefahr und hält sich noch immer an der Hoffnung fest, wenn längst die Vernunft angefangen hat, an der Möglichkeit eines Erfolgs zu zweifeln. Ebenso erging es der Gesellschaft in dem Montauk. Zwei oder drei kostbare Stunden gingen in dem eiteln Wahn verloren, Kapitän Truck müsse den Nothschuß gehört haben und wenigstens eines der Boote jeden Augenblick eintreffen.
Paul Blunt war der Erste, der sich dieses Blendwerks entschlug. Er wußte, daß ihr Signal, wenn überhaupt, schon nach einigen Sekunden von den Freunden gehört werden mußte, desgleichen, daß es zu dem Berufe eines Seemanns gehört, rasch einen Entschluß zu fassen. Eine Stunde eifrigen Ruderns hätte den Kutter von dem Wrack nach dem Vorsprunge führen müssen, wo es von dem Fockmarse aus vermittelst des Fernglases hätte erblickt werden können. Aber jetzt waren schon zwei Stunden entschwunden, ohne daß sich eine Spur von einem Boote entdecken ließ, und mit schwerem Herzen sah sich der junge Mann genöthigt, alle Hoffnungen auf zeitige Hülfe von dieser Seite her aufzugeben. John Effingham, der einen weit thatkräftigeren Character, als sein Vetter besaß, obschon ihm dieser an Muth und Festigkeit nicht nachstand, beobachtete aufmerksam die Bewegungen ihres jungen Führers und konnte in dessen Gesicht den bitteren Schmerz über die getäuschte Erwartung nicht verkennen, als er zum letztenmale vom Mars herunterstieg, zu welchem er seit der Berathung so oft hinangeklettert war, um nach dem erwarteten Beistand auszulugen.
»Ich lese in Eurem Gesichte, daß wir nichts von den Booten zu hoffen haben,« sagte John Effingham. »Unser Nothschuß ist nicht gehört worden.«
»Ich erwarte nichts mehr. Wir sind jetzt ganz auf unsere eigenen Anstrengungen und auf ein wohlwollendes Walten der Vorsehung hingewiesen.«
»Dieses Unglück ist so schrecklich und hat uns so plötzlich betroffen, daß ich kaum daran glauben kann! Sind wir denn wirklich in Gefahr, Gefangene der Barbaren zu werden? Muß Eva Effingham – die schöne, unschuldige, gute, engelgleiche Tochter meines Vetters ihr Opfer – vielleicht die Bewohnerin eines Serails werden?«
»Dies ist der bitterste Gedanke! Hätte ich tausend Körper und tausend Leben, so wollte ich gerne die maßlosesten Qualen über die einen ergehen lassen und die anderen mit Freuden hingeben, um ein so entsetzliches Unglück abzuwenden. Glaubt Ihr, daß die Damen ihre wahre Lage kennen?«
»Sie sind eher unruhig, als erschreckt. Mit uns hoffen sie vertrauensvoll auf die Boote, obgleich der Umstand, daß stets weitere Haufen in das Lager der Barbaren kommen, dazu beigetragen hat, sie die wahre Beschaffenheit der Gefahr mehr erkennen zu lassen.«
Jetzt rief Mr. Sharp, der auf dem Sturmshäuschen stand, nach dem Fernglase, um sich überzeugen zu können, was ein Beduinenhaufen treibe, der sich an dem Ende des Riffs, welches dem Ufer zugekehrt war, gesammelt hatte. Aber während er danach hinschaute, verdüsterte sich sein Antlitz, und ein Ausdruck von Hoffnungslosigkeit beschattete seine schönen Züge, als er das Fernrohr absetzte.
»Wieder ein neuer Grund zur Unruhe?«
»Die Elenden haben eine Anzahl Spieren aufgerafft und binden sie jetzt zusammen, um einen Floß zu bilden. Sie sind auf unsere Gefangennehmung erpicht und ich sehe kein Mittel, ihnen zu entkommen.«
»Wären wir Männer allein, so hätten wir doch wenigstens den bitteren Trost, unser Leben theuer zu verkaufen; aber es ist ein schrecklicher Gedanke, Wesen bei uns zu haben, die wir weder retten, noch mit unseren Feinden einem gemeinschaftlichen Untergange weihen können.«
»In der That schrecklich – und die Hülflofigkeit unserer Lage erhöht noch den Jammer.«
»Können wir nicht Bedingungen anbieten – und wäre nicht vielleicht mit einer Zusage von Lösegeld, für welche Geiseln gestellt werden, etwas auszurichten? Bereitwillig wollte ich mich den Händen der Barbaren überantworten, wenn ich dadurch die Uebrigen befreien könnte.«
Mr. Blunt ergriff die Hand des Sprechers und beneidete ihn für einen Augenblick um diesen edelmüthigen Gedanken; dann aber schüttelte er mit bitterem Lächeln den Kopf, als wisse er, wie vergeblich sogar diese verzweifelte Selbstaufopferung seyn würde.
»Mit Freuden wollte ich mich in diesem Werke Euch anschließen; aber der Vorschlag ist in jedem Sinne unausführbar. Auf Lösegeld dürften sie vielleicht eingehen, wenn sie uns Alle in ihrer Gewalt haben, aber nicht auf die Bedingung hin, irgend einen ihrer Gefangenen frei zu lassen. In der That bliebe uns auch kein Mittel, von ihnen fortzukommen; denn wenn sie einmal, was in wenigen Stunden der Fall seyn muß, im Besitze des Schiffes sind, so ist auch Kapitän Truck trotz seiner Boote genöthigt, sich aus Mangel an Lebensmitteln zu ergeben, wenn er nicht etwa das schreckliche Wagniß vorzieht, mit einem Mundbedarf, der kaum zureichen würde, unter den allergünstigsten Umständen das Leben zu fristen, die Inseln erreichen zu wollen. Diese kieselherzigen Ungeheuer haben die Oede ihrer Wüste zum Beistand und wissen wohl, wie fürchterlich sie gegen uns im Vortheile sind.«
»Wir müssen den wahren Stand der Dinge unsern Freunden mittheilen, damit sie sich auf das Schlimmste gefaßt halten können.«
Mr. Blunt war damit einverstanden, und sie begaben sich zu John Effingham, um ihm von der neuen Entdeckung Kunde zu geben. Dieser ernste Mann war gewissermaßen bereits auf das Aergste vorbereitet und hielt es gleichfalls für räthlich, die wirkliche Beschaffenheit der neuen Gefahr, von der sie bedroht waren, seinem Vetter mitzutheilen.
»Ich will selbst dieses traurige Amt übernehmen,« sagte er, »obgleich ich aus tiefster Seele bitten möchte, daß mir eine solche Nothwendigkeit erspart bliebe. Kömmt es zum Aeußersten, so hege ich immer noch die Hoffnung, durch Anbieten von Lösegeld etwas zu erzielen; aber was wird aus der zarten, lieblichen Jungfrau werden, ehe wir uns den Barbaren nur verständlich machen können? Den Schilderungen zufolge, die ich gelesen habe, muß eine Reise durch die Wüste fast sicherer Tod für Alle seyn, die Kräftigsten unter uns ausgenommen, und selbst Geld könnte seine gewöhnliche Gewalt verlieren, wenn es gegen die schlimme Natur der Wilden in die Wagschaale gelegt wird.«
»So bleibt uns also wirklich keine Hoffnung mehr?« fragte Mr. Sharp, nachdem sich John Effingham entfernt hatte, um sich nach den Cajüten hinunterzubegeben. »Wäre es nicht möglich, das Boot ins Wasser zu lassen und so unser Entkommen zu bewerkstelligen?«
»Ich habe bereits an dieses Hülfsmittel gedacht, aber es ist kaum ausführbar. Da übrigens Alles besser ist, als die Gefangenschaft, so wollen wir die Schritte dieser eingefleischten Teufel genauer beobachten und zugleich sehen, ob uns nicht sonstige Mittel zu Gebot stehen.«
Paul Blunt holte nun ein Loth und ließ es über die Seite des Schiffes hinab – in der fast verlorenen Hoffnung, der Montauk könnte vielleicht über einer Vertiefung des Grundes liegen; die Leine gab jedoch, wie er erwartet hatte, nur wenig mehr, als drei Faden Tiefe an.
»Ich hatte keinen Grund, etwas Anderes zu erwarten,« sagte er mit trauriger Miene, als er das Loth wieder anzog. »Wäre zureichend Wasser da, so könnten wir das Schiff versenken und die Lansche würde von dem Deck aus flott werden; so aber richten wir durch einen derartigen Versuch das Schiff ohne einen genügenden Zweck zu Grunde. Es könnte vielleicht heldenmüthig scheinen, wenn wir Beide, Ihr und ich, auf das Riff zu gelangen suchten und ans Ufer gingen, um mit den Beduinen zu unterhandeln; aber einen wahren Nutzen böte dieser Schritt doch nicht, da ihr hinterlistiger Character zu gut bekannt ist, als daß man sich etwas Ersprießliches davon versprechen dürfte.«
»Sie ließen sich übrigens vielleicht hinhalten, bis unsere Freunde zurückkehrten? Es wäre ja möglich, daß uns die Vorsehung auch in der äußersten Gefahr auf eine unverhoffte Weise beispränge.«
»Wir wollen noch einmal mit dem Fernrohr eine Untersuchung vornehmen. Es herrscht ein großes Gewühl unter ihnen – wahrscheinlich ist ein neuer Haufen herbeigekommen.«
Die beiden Gentlemen stiegen nun wieder in fieberhafter Hast auf das Sturmhäuschen hinauf und setzten abermals das Instrument an. Nach einer Minute eifrigen Hinschauens ließ Mr. Blunt das Glas sinken, und der Ausdruck seines Gesichtes bekundete neue Sorge.
»Können unsere Aussichten möglicherweise sich noch schlimmer gestalten?« fragte sein Gefährte rasch.
»Erinnert Ihr Euch nicht einer Flagge, die an Bord des Dänen war – dieselbe, an welcher wir die Nation erkannten, zu der das Schiff gehörte?«
»Allerdings; sie war an dem Ziehtau befestigt und lag auf dem Halbdeck.«
»Diese Flagge flattert nun in dem Lager der Barbaren. Ihr könnt sie sehen – dort unter den Zelten, welche erst kürzlich der Haufen aufgeschlagen hat, der während unsres Gesprächs auf dem Vorderschiffe anlangte.«
»Und daraus schließt Ihr –?«
»Daß unsere Leute gefangen sind! Die Flagge war in dem Schiff, als wir es verließen, und wären die Beduinen vor den Unsrigen dort gewesen, so würde der Kapitän längst wieder zurück seyn. Um dieses Wimpel zu erhalten, müssen sie nach der Ankunft der Boote von dem Wrack Besitz genommen haben – ein Ereigniß, das kaum ohne Kampf stattfinden konnte; ich fürchte daher, die Flagge ist ein Beweis, auf welcher Seite der Sieg geblieben ist.«
»Dies würde freilich das Maß unseres Elends voll machen!«
»Ja wohl; denn auf die schwache Hoffnung, daß wir von den Booten aus Hülfe gewinnen könnten, müssen wir nun ganz verzichten.«
»Schaut in Gottes Namen noch einmal hin und seht, wie weit es die Elenden mit ihrem Floß gebracht haben.«
Es folgte nun eine lange, sorgfältige Musterung, denn von diesem Punkte schien jetzt in Wahrheit das Schicksal Aller, die sich in dem Schiffe befanden, abzuhängen.
»Sie arbeiten mit Eifer,« versetzte Mr. Blunt, nachdem er geraume Zeit durch sein Glas gesehen hatte; »aber die Sache sieht jetzt weit weniger wie ein Floß aus, als zuvor. Sie binden die Spieren der Länge nach aneinander – ein neuer Strahl der Hoffnung – freilich nur in dem Falle, daß die Boote ihren Fängen entwischt sind!«
»Gott segne Euch für diese Worte! Doch was findet Ihr Ermuthigendes?«
»Nicht viel,« entgegnete Paul Blunt mit einem wehmüthigen Lächeln; »aber wo die Gefahr am größten ist, werden oft Kleinigkeiten von großer Bedeutung. Sie fertigen eine schwimmende Stelling an – ohne Zweifel in der Absicht, vermittelst derselben von dem Riff nach dem Schiffe zu kommen. Wenn wir dann an den Ketten vieren, so können wir wahrscheinlich so weit sternwärts kommen, daß sie sich in der Länge ihrer Brücke sehr täuschen werden. Wenn ich nur hoffen könnte, daß die Boote zuletzt noch einträfen, so wäre diese Ausflucht nicht ohne Nutzen, namentlich, wenn wir bis auf den letzten Augenblick damit zögern. Die Beduinen verlieren dadurch noch eine Fluth, und ein Aufschub von acht oder zehn Stunden ist ein Menschenalter für Leute in unserer Lage.«
Mr. Sharp faßte diese Andeutung mit Begier auf, und die jungen Männer gingen eine halbe Stunde miteinander auf dem Decke hin und her, die Wahrscheinlichkeiten besprechend und die verschiedenen Mittel berathend, die am besten eingeschlagen werden könnten. Indeß fühlten doch beide die Ueberzeugung, daß der geringe Aufschub, welcher in dieser Weise erzielt werden konnte, zuletzt völlig nutzlos seyn mußte, wenn Kapitän Truck und seine Leute wirklich in die Hände des gemeinschaftlichen Feindes gerathen waren. So ergingen sie sich noch immer bald in tiefem Kleinmuth, bald wieder gehoben durch neu erwachte Hoffnungen, als Saunders im Auftrage des Mr. Effingham sie ersuchte, nach der Kajüte hinunterzukommen.
Die beiden jungen Männer säumten keinen Augenblick, diesem Wunsche zu entsprechen, und fanden daselbst die ganze Familie in tiefster Betrübniß, wie es unter den obwaltenden Umständen auch ganz natürlich war. Mr. Effingham saß auf einem Stuhle, und Eva's Kopf ruhte auf seinem Knie; denn sie hatte sich an seiner Seite auf den Teppich niedergeworfen. Mademoiselle Viefville ging in der Kajüte hin und her, wobei sie hin und wieder Halt machte, um ihrem jungen Pflegling einige Trostworte zuzuflüstern; dann aber kehrte ihr Geist wieder zu den Gefahren ihrer gemeinsamen Lage zurück und zwar mit einer Tiefe des Gefühls, welche den Eindruck ihrer Tröstungen wieder vollständig aufhob, da sie die Angst ihrer Seele nicht verbergen konnte. Anna Sidley kniete neben ihrer jungen Gebieterin, das einemal in stumme glühende Gebete sich ergießend, dann aber das ihr so theure Mädchen wieder mit ihren Armen umschlingend, als wolle sie dasselbe schützen gegen die rohe Gewaltthätigkeit der Barbaren. Die femme de chambre schluchzte in einem Staatsgemach, während John Effingham mit verschlungenen Armen an einer Scheidewand lehnte und in seinen Zügen eher den Ausdruck finsterer Ergebung, als den der Verzweiflung blicken ließ. Die ganze Gesellschaft war jetzt beisammen, mit der einzigen Ausnahme des Stewards, der sich den ganzen Morgen über in nicht eben stummem Jammer ergangen hatte, jetzt aber auf dem Decke stand, um die Bewegungen der Beduinen zu beobachten.
Es war kein Augenblick für eitle Förmlichkeiten, und Eva Effingham, die unter andern Umständen erschrocken seyn würde, wenn sie von ihren Reisegefährten in ihrer gegenwärtigen Lage betroffen worden wäre, erhob bei ihrem Eintritte kaum das Haupt, um für ihren wehmüthigen Gruß zu danken. Sie hatte geweint, und ihr Haar wallte in loser Fülle über ihre Schultern nieder. Ihre Thränen flossen nicht länger, und der Todtenblässe folgte ein warmes flüchtiges Erröthen, welches bekundete, daß das Ringen des Geistes über ihre weibliche Angst den Sieg davon getragen hatte. Ihr Antlitz gewann dadurch eine Liebenswürdigkeit und einen Ausdruck, wie man sich dieselben gerne an den Boten des Himmels denkt. Die beiden jungen Männer glaubten sie nie so schön gesehen zu haben und empfanden einen schmerzlichen Stich durchs Herz, als sich ihnen im gleichen Augenblicke die Ueberzeugung aufdrängte, daß eben diese überraschende Anmuth vielleicht ihr gefährlichster Feind werden dürfte.
»Gentlemen,« begann Mr. Effingham mit anscheinender Ruhe und einer Würde, welche durch keine Sorge getrübt werden konnte, »mein Vetter hat uns mit der Hoffnungslosigkeit unserer Lage bekannt gemacht, und ich habe mir um Euretwillen die Ehre dieses Besuchs erbeten. Wir können uns nicht trennen, denn die Bande des Bluts und der Liebe vereinigen uns, und unser Schicksal muß ein gemeinsames seyn; bei euch aber findet keine solche Nothwendigkeit Statt. Ihr seyd jung, kühn und thätig; vielleicht fällt euch irgend ein Plan ein, durch den ihr den Barbaren entrinnen und wenigstens euch selbst retten könnt. Ich weiß zwar, daß euch euer edelmüthiger Sinn nicht gestatten wird, gleich von vornherein einer derartigen Andeutung Gehör zu schenken; aber weitere Erwägung muß euch belehren, daß es zum Besten von uns Allen geschieht. Ihr könnt vielleicht unser Schicksal früher, als es sonst möglich wäre, denen kund thun, welche unverweilt Maßregeln treffen werden, um unsere Auslösung zu bewirken.«
»Dieß ist unmöglich!« versetzte Mr. Sharp mit Festigkeit. »Wir werden euch nicht verlassen und könnten überhaupt nie einen ruhigen Augenblick mehr finden, wenn das Bewußtsein auf uns lastete, eine so selbstsüchtige Handlung begangen zu haben.«
»Mr. Blunt verstummt,« fuhr Mr. Effingham nach einer kurzen Pause fort, während welcher er seine Blicke zwischen den beiden jungen Männern hin und hergleiten ließ. »Er beurtheilt meinen Vorschlag verständiger und wird auf seine eigenen Interessen Bedacht nehmen.«
Eva richtete hastig den Kopf auf, ohne sich übrigens der Angst bewußt zu werden, die sie verrieth, und blickte nach dem Gegenstand dieser Bemerkung mit schmerzlicher Angelegentlichkeit hin.
»Ich ehre Mr. Sharps edelmüthige Gesinnung,« antwortete nun Paul Blunt hastig, »und möchte nicht gerne einräumen, daß mein eigener erster Antrieb weniger uneigennützig war. Dennoch muß ich gestehen, daß ich mir die Sache bereits bedacht und die Wahrscheinlichkeiten des Erfolgs oder des Fehlschlagens reiflich erwogen habe. Für einen Mann, der schwimmen kann, dürfte es ausführbar seyn, das Riff zu erreichen, von dort über den Einlaß zu setzen und unter dem Schutze der äußeren Klippenreihe, welche höher ist, als die uns näher gelegene, das Ufer zu gewinnen. Er könnte dann der Krümmung der Küste folgen und entweder mit den Booten durch Signale verkehren oder auch im Nothfalle ganz nach dem Wrack kommen. Alles dieß habe ich wohl bedacht, und ich war schon einmal Willens dieses Verfahren in Vorschlag zu bringen; aber –«
»Aber was?« fragte Eva rasch. »Warum wollt Ihr diesen Plan nicht ausführen und Euch retten? Ist der Umstand, daß unser Fall hoffnungslos ist, ein Grund, warum auch Ihr umkommen solltet? So geht denn ohne Säumen, denn die Augenblicke sind kostbar; nach einer Stunde schon könnte es zu spät seyn.«
»Haltet Ihr mich wirklich einer solchen Gemeinheit fähig, Miß Effingham, wenn sich's blos darum handelte mich zu retten?«
»Ich nenne es nicht Gemeinheit, denn warum sollten wir Euch mit in unser Elend ziehen? Ihr habt uns bereits in einer höchst gefährlichen Lage Dienste geleistet, Powis, und es wäre nicht recht, wenn Ihr Euch stets für Leute aufopfern wolltet, die bestimmt zu seyn scheinen, Euch nie Glück zu bringen. Mein Vater wird Euch sagen, daß er der Ansicht ist, es sei jetzt Eure Pflicht, wo möglich auf Eure Rettung Bedacht zu nehmen.«
»Ich halte es für die Pflicht eines jeden Menschen,« nahm Mr. Effingham mit Milde auf, »sich das Leben und die Freiheit, diese theuren Gaben des Himmels, zu erhalten, wenn nicht eine gebieterische Verbindlichkeit andere Forderungen stellte. Diese Gentlemen sind ohne Zweifel durch Bande und Ansprüche gefesselt, die auf uns keinen Bezug haben, und warum sollten sie ihren Lieben Schmerz bereiten, indem sie unser Unglück theilen?«
»Ihr setzt nur nutzlose Muthmaßungen an die Stelle einer kläglichen Gewißheit,« bemerkte John Effingham. »Da man nicht hoffen kann, die Boote zu erreichen, so ist es vergeblich, über das Passende des Schrittes viele Worte zu machen.«
»Ist dieß wahr, Powis? Ist wirklich keine Möglichkeit zu Eurem Entkommen vorhanden? Ihr werdet uns nicht täuschen – Euch selbst nicht täuschen – blos um eines eiteln Stolzes willen!«
»Ich kann in Wahrheit sagen, und freue mich fast darüber, – denn Gott sei Dank, es bleibt mir dadurch der Kampf erspart, zwischen meiner Pflicht und meinen Gefühlen zu wählen – daß keine Aussicht mehr vorhanden ist, das Wrack im Besitz unserer Freunde zu finden,« entgegnete Paul mit Wärme. »Es gab Augenblicke, in welchen ich dachte, daß der Versuch ausgeführt werden könne, und vielleicht wäre mir das Loos zugefallen, das Wagniß zu bestehen; aber jetzt haben wir den Beweis, daß die Beduinen Herren des Dänen sind, und wenn Kapitän Truck überhaupt entkam, so ist es unter Umständen geschehen, welche kaum an die Möglichkeit denken lassen, daß er sich noch in der Nähe des Landes befinde. Wahrscheinlich ist die ganze Küste bewacht und in Besitze der Berbern, so daß man kaum hoffen darf, unbemerkt an derselben hinzukommen.«
»Aber könntet Ihr nicht dennoch ins Innre entkommen?« fragte Eva mit Heftigkeit.
»Aus welchem Grunde? Sollte ich mich von meinen Schicksalsgenossen trennen, blos um vor Mangel umzukommen, oder einem andern Beduinen-Haufen in die Hände zu fallen? In jeder Hinsicht fordert es unser Interesse, zusammenzuhalten und uns im äußersten Falle von denen gefangen nehmen zu lassen, welche sich bereits an der Küste befinden, da die Beute zweier Schiffe sie geneigt machen dürfte, gegen ihre Gefangenen weniger gewaltsam zu verfahren.«
»Sklaven!« murmelte John.
Mr. Effingham beugte das Haupt über die zarte Gestalt Evas, die er mit seinen Armen umschloß, als wolle er sie vor den Uebeln und Gefahren der Wüste schützen.
»Da wir vielleicht unmittelbar nach unserer Gefangennehmung getrennt werden,« nahm Paul Blunt wieder auf, »so wird es gut seyn, uns über einen gemeinsamen Plan des Handelns und über gleichförmige Aussagen zu verabreden. Wir müssen nemlich den Berbern die Ueberzeugung beibringen, die Klugheit fordere es, daß sie uns möglichst schnell in die Nähe von Mogadore schaffen, wenn sie anders baldiges Lösegeld zu erhalten wünschen.«
»Läßt sich dieser Zweck durch etwas Anderes besser erreichen, als durch die heilige Wahrheit?« rief Eva. »Nein, nein, nein – wir wollen diese Züchtigung Gottes nicht verhöhnen, indem wir nur ein Wort – ja nur einen Gedanken mit Täuschung entstellen.«
»Täuschung wird in unsrem Falle kaum nöthig seyn; aber wenn man weiß, was auf die Beduinen wahrscheinlich den größten Einfluß üben wird, so können wir dies wohl vorzugsweise hervorheben. Wir können nichts Besseres thun, als daß wir unsern Räubern den Umstand nahe legen, dieses Schiff gehöre nicht unter die gewöhnlichen – eine Thatsache, von der sie sich durch ihre eigenen Augen überzeugen können; – ferner haben wir sie zu belehren, daß wir keine blosen Matrosen, sondern Reisende, also in der Lage seien, ihre Nachsicht und Mäßigung zu belohnen.«
»Ich glaube, Sir,« unterbrach ihn Anna Sidley, indem sie von der Stelle, wo sie noch immer kniete, mit thränenvollen Augen aufblickte, »wenn diese Leute wüßten, wie sehr Miß Eva geliebt wird, so würden sie daraus Anlaß nehmen, sie nach Verdienst zu achten; dies könnte wenigstens dazu dienen, um ›den Wind zu mildern für das geschorene Lamm‹!«
»Arme Nanny!« murmelte Eva, der alten Dienerin ihre Hand entgegenstreckend, obgleich ihr Antlitz noch immer von ihren Locken bedeckt war. – »Du wirst bald erfahren, daß es auch außer dem Grabe Verhältnisse giebt, welche Alles gleich machen.«
»Fräulein?«
»Du wirst finden, daß unter den Barbaren Eva aufhören wird, deine Eva zu seyn. An mich wird nun die Reihe kommen, ein Dienstmädchen zu werden und für Andere tausendmal demüthigendere Verrichtungen vorzunehmen, als dir je für mich zu Theil geworden sind.«
Die Möglichkeit eines solchen Uebermaßes von Elend war der einfachen Anna nie eingefallen, und sie blickte ihr Kind mit liebevoller Angst an, als traue sie ihren eigenen Sinnen nicht.
»Dies ist zu unwahrscheinlich, liebe Miß Eva,« sagte sie, »und Ihr werdet Euern Vater betrüben, wenn Ihr so verwirrt heraussprecht. Die Beduinen sind auch menschliche Wesen, obschon Wilde, und sie werden nicht im Traume an eine solche Gottlosigkeit denken.«
Mademoiselle Viefville stieß einen raschen glühenden Ruf in ihrer eigenen Sprache aus, der deutlich verrieth, wie elend sie sich fühlte, und Anna Sidley, die stets unruhig wurde, so oft sie in Beziehung auf Eva etwas sprechen hörte, was sie nicht verstehen konnte, blickte von der Gouvernante auf ihre Gebieterin, als bäte sie um Erklärung.
»Ich bin überzeugt, Mammerselle kann etwas der Art nicht für möglich halten,« fuhr sie mit größerer Bestimmtheit fort; »und Ihr, Sir, werdet wenigstens nicht zugeben, daß sich Miß Eva mit so unvernünftigen und ungeheuerlichen Vorstellungen quäle.«
»Wir sind in den Händen Gottes, meine gute Anna, und Ihr könnt's vielleicht noch erleben, daß alle Eure vorgefaßten Ansichten von Schicklichkeit verletzt werden,« entgegnete Mr. Effingham. »Laßt uns beten, daß wir nicht getrennt werden, denn es liegt wenigstens ein inniger Trost darin, wenn uns gestattet wird, unser Elend gemeinschaftlich zu tragen. Ach, wenn wir auseinandergerissen werden sollten, dann müßte sich in der That unser Leid zur unerträglichsten Qual steigern.«
»Und wer wird auch eine solche Grausamkeit für möglich halten, Sir? Mich können sie nicht von Miß Eva trennen, denn ich bin ihre Dienerin – ihre lang erprobte, getreue Pflegerin, die sie in ihren Armen hielt und ihrer wartete, als sie noch ein hülfloses Kind war. Und auch Ihr, Sir – Ihr seyd ja ihr Vater – ihr geliebter, verehrter Vater – und ist Mr. John nicht ihr Vetter dem Blut und dem Namen nach? Und sogar Mammerselle hat Ansprüche daran, bei Miß Eva zu bleiben, denn sie lehrte sie viele Dinge, die, wie ich wohl glauben mag, gut zu wissen sind. O nein, nein, nein! Niemand hat ein Recht, uns voneinander zu reißen, und Niemand wird das Herz haben, es zu thun.«
»Nanny, Nanny!« murmelte Eva, »Ihr kennt diese grausamen Beduinen nicht – könnt auch nichts von ihnen wissen.«
»Sie können nicht grausamer und unversöhnlicher seyn, als unsere eigenen Wilden, Fräulein, und diese lassen die Mutter bei dem Kinde; und wenn sie Menschenleben schonen, so nehmen sie die Gefangenen nach ihren Hütten und behandeln sie wie ihre eigenen Leute. Gott hat in diesen östlichen Ländereien so viele Gottlose um ihrer Sünden willen umkommen lassen, daß ich nicht glaube, es könne noch Jemand übrig seyn, der schlecht genug wäre, um einem Wesen, wie Miß Eva, Leides zu thun. Faßt daher Muth, Sir, und setzt Euer Vertrauen auf die heilige Vorsehung. Ich weiß, die Heimsuchung ist schwer für das zärtliche Herz eines Vaters; aber sollte es dennoch Brauch seyn, die Männer und Weiber zu trennen, – also auch Euch für eine kurze Frist von Eurer Tochter zu entfernen, so vergeßt nicht, daß ich bei ihr seyn werde, wie ich bei ihr war in ihrer Kindheit, als wir sie unter Gottes Beihülfe wohlbehalten durch so viel schwere Krankheiten brachten, so daß sie in dem Stolz ihrer Jugend heranwachsen konnte, ohne Fehler oder Mangel, zu dem vollkommenen Geschöpfe, das sie ist.«
»Wenn die Welt keine andere Bewohner hätte, als solche, die Euch glichen, aufopfernde und biederherzige Nanny, so wäre in der That nur wenig Grund zur Besorgniß vorhanden; denn Ihr seyd eben so unfähig, selbst Unrechtes zu denken, als es Andern zuzutrauen. Es würde mir in der That eine Bergeslast vom Herzen wälzen, wenn ich der Ueberzeugung leben dürfte, daß es auch nur Euch gestattet seyn werde, während der Monate der Angst und des Leidens, die uns in Aussicht stehen, in der Nähe dieses schwachen und hülflosen Mädchens zu bleiben.«
»Vater,« rief jetzt Eva, die hastig ihre Augen trocknete und sich ohne alle Anstrengung mit so leichter Bewegung erhob, als walte nicht das Körperliche, sondern blos der Wille – die Ueberlegenheit eines Geistes gegenüber einer fast schwebenden Gestalt – »Vater, macht Euch in diesem Augenblicke des Entsetzens nicht durch den Kummer um mich noch elender. Ihr habt mich nur im Glück und Wohlergehen als ein verwöhntes, unthätiges Mädchen gekannt; aber ich fühle eine Kraft in mir, die mich selbst in dieser öden Wüste aufrecht erhalten wird. Die Beduinen können nichts Anderes im Schilde führen, als uns Alle festzuhalten, weil sie in uns Gefangene sehen, welche ihre Mühe wahrscheinlich durch ein reiches Lösegeld bezahlen können. Ich weiß zwar, ihre Art zu reisen wird äußerst beschwerlich seyn; aber wir müssen uns darein fügen. Traut daher immerhin meinem Geiste mehr zu, als meinem Leibe, wie gebrechlich er Euch auch erscheinen mag, und Ihr werdet finden, daß ich nicht ganz so werthlos bin, als Ihr Euch, wie ich fürchte, vorstellt.«
Mr. Effingham schlug seinen Arm um den schmächtigen Leib seines Kindes und drückte Eva fast außer sich an seine Brust; sie aber raffte sich auf, wand sich mit leuchtenden, übrigens thränenlosen Augen von ihm los und blickte unter ihren Begleitern umher, als wolle sie ihren Gefühlen eine andere Richtung geben und sie den Entbehrungen und Gefahren ihrer Leidensgenossen zuwenden.
»Ich weiß, ihr seyd der Ansicht, daß ich in dieser schrecklichen Bedrängniß am meisten leiden werde,« sagte sie. »Ihr glaubt, ich sey nicht im Stande, das mir bevorstehende Ungemach zu ertragen, und werde zuerst dahin sinken, weil ich dem Körper nach die Schwächlichste und Gebrechlichste bin; aber Gott gestattet dem Rohre, daß es sich beuge, wo die Eiche entwurzelt wird. Ich bin stärker und mehr zu dulden im Stande, als ihr euch wohl vorstellt, und wir werden es Alle erleben, daß wir uns in glücklicheren Verhältnissen wiedersehen, wenn uns unser gegenwärtiges schweres Schicksal trennen sollte.«
Während Eva also sprach, warf sie denen, welche ihr durch Gewohnheit, Verwandtschaft und Dienstleistungen theuer waren, zärtliche Blicke zu; auch ließ sie sich in einem solchen Augenblicke nicht durch eine unnöthige Zurückhaltung hindern, freundliche Theilnahme gegen die beiden jungen Männer an den Tag zu legen, die mit tiefster Innigkeit jede ihrer Bewegungen beobachteten. Worte der Ermuthigung aus einer solchen Quelle dienten jedoch nur dazu, um den Gemüthern der Zuhörer die schreckliche Wahrheit, noch lebhafter vor Augen zu führen, und von den Anwesenden konnte sich Niemand des bitteren Vorgefühls erwehren, daß, wenn auch die Sprecherin einem grausameren Geschick entrann, schon einige der Leidenswochen, die sie so leicht nahm, zureichen würden, die jetzt so anmuthige und liebreiche Gestalt einem Grabe in der Wüste zu überantworten. Mr. Effingham stand jetzt auf, und zum erstenmal schien die Fluth stürmischer Empfindungen, die sich so lange in seinem Inneren gesammelt hatte, den Damm der Mannheit durchbrechen zu wollen. Um Fassung kämpfend, wandte er sich an seine beiden jungen Reisegefährten und redete sie mit einem Nachdruck, mit einer Würde an, die doppelt eindringlich wirkten, da sonst sein Wesen so gelassen und ruhig war.
»Gentlemen,« begann er, »wir können möglicherweise einander noch dienstlich werden, wenn wir uns in Zeiten verständigen – oder vielleicht seyd ihr wenigstens im Stande, mir eine Gunst zu erweisen, die ich euch durch die Dankbarkeit eines ganzen Lebens nicht zu vergelten vermöchte. Ihr seyd jung und kräftig, kühn und verständig – Eigenschaften, die euch auch unter den Wilden Achtung sichern müssen. Einer von euch kann daher eher mit dem Leben davon kommen und wieder nach einem christlichen Lande gelangen, als ein Mann von meinen Jahren, den, wie es bei mir der Fall seyn wird, die nie ersterbende Angst eines Vaters darniederdrückt.«
»Vater! Vater!«
»Ruhig, mein Herz – laß mich diese Gentlemen bitten, uns im Gedächtniß zu behalten, wenn sie einen sicheren Ort erreichen sollten; denn die Jugend ist vielleicht noch im Stande, für Dich zu thun, was die Neige unserer Jahre Deinem Vetter und mir nicht gestatten wird. Ihr wißt, daß der Geldpunkt nicht in Frage kömmt, wenn es gilt, mein Kind einem Geschicke zu entreißen, das weit schlimmer ist, als der Tod; und euch, junge Männer, wird vielleicht am Schlusse eurer eigenen Laufbahn, die, wie ich hoffe, lang und glücklich seyn wird, das Bewußtseyn Beruhigung geben, daß ein Vater in seinem letzten Augenblicke noch Trost gefunden hat in der schönen Hoffnung, die er in die Früchte eurer edelmüthigen Anstrengungen setzte.«
»Vater, ich kann dies nicht ertragen! Es wäre zu viel, wenn Ihr das Opfer dieser Barbaren werden solltet, und ich wollte lieber, daß wir Alle uns auf einem Floße dem furchtbaren Ocean anvertrauten, als daß wir uns nur im Geringsten der Möglichkeit eines solchen Unglücks aussetzten. Mademoiselle, Ihr werdet mit mir diese Gentlemen bitten, zu unserer Aufnahme ein paar Bretter zusammenzufügen, auf denen wir gemeinschaftlich umkommen können; wenigstens haben wir dann den Trost, zu wissen, daß uns die Augen von Freunden geschlossen werden. Der, welcher die Andern überlebt, wird umgeben und gestärkt werden von den Geistern Aller, die ihm vorangegangen sind nach einer Welt, wohin keine Sorge mehr dringt.«
»Ich habe von Anfang an diesen Gedanken im Herzen getragen,« entgegnete Mademoiselle Viefville in französischer Sprache, und mit einem Nachdruck, welcher einen kräftigen, entschlossenen Character bekundete. »Ich möchte gebildete Damen nicht den Kränkungen und Beschimpfungen der Barbaren ausgesetzt sehen, nahm aber Anstand, einen Vorschlag zu machen, den die Gefühle Anderer zurückweisen konnten.«
»Wenn er ausgeführt werden kann, so ist er tausendmal der Gefangenschaft vorzuziehen,« sagte John Effingham, indem er fragend Paul Blunt anblickte.
Letzterer schüttelte jedoch verneinend den Kopf, denn da der Wind küstenwärts blies, so wußte er wohl, daß sie durch diese Maßregel blos der Gefangenschaft entgegen gingen, ohne das äußere Gepräge des Selbstvertrauens und der Würde, welches vielleicht dazu dienen konnte, einen günstigen Eindruck auf die Räuber zu machen.
»Es ist also unmöglich,« sagte Eva, als sie in Pauls Blicken den Inhalt seiner Gedanken las. Dann sank sie vor Mr. Effingham auf ihre Knie nieder und fuhr fort: »wohlan denn, so wollen wir unser Vertrauen ausschließlich auf Gott setzen! Wir haben nur noch wenige Minuten für uns – laßt sie uns nicht in vergeblichen Klagen verschwenden. Vater, küßt mich und gebt mir noch einmal jenen theuren heiligen Segen, mit welchem Ihr mich in jenen Tagen dem Schlaf zu überantworten pflegtet, als wir kaum vom Unglück träumten, geschweige denn es in so schrecklicher Nähe sahen.«
»Gott segne Dich – Gott segne Dich, mein Herz, meine geliebte, theure Eva!« sprach der Vater feierlich, aber mit bebender Lippe. »Möge das hehre Wesen, dessen Wege zwar unerforschlich, aber doch voll Weisheit und Erbarmen sind, Dich in dieser Prüfung aufrecht erhalten und Dich wenigstens makellos an Leib und Seele in seine Friedenswohnungen einführen. Gott hat mir Deine fromme Mutter früh entrissen und ich lebte der vermessenen Hoffnung, Du seiest mir gelassen worden zum Troste meines Alters. Der Herr segne Dich, meine Eva – ich werde ohne Unterlaß zu ihm beten, daß Du heimgehen mögest so rein und seiner Liebe so würdig, wie die, der Du das Daseyn verdankst.«
John Effingham stöhnte, denn die gewaltsame Anstrengung, die es ihn kostete, seine Gefühle zu unterdrücken, war außer Stande, diesen Erguß seiner Seele zu hindern, obschon er sich nur in tiefen, erstickten Lauten Luft machte.
»Vater, laßt uns gemeinschaftlich beten. Anna, meine gute Anna – Du, die Du mich zuerst die Gebete des Danks und der Bitte lehrtest – knie hier an meine Seite – und auch Ihr, Mademoiselle; denn obgleich dem Glaubensbekenntnisse nach verschieden, haben wir doch nur einen Gott! Vetter John, ich weiß, Ihr betet oft, obschon Ihr es nicht liebt, die Erregungen Eures Innern zu zeigen. Hier ist auch ein Platz für Euch – neben denen, die durch die Bande des Bluts mit Euch verknüpft sind. Ich weiß nicht, ob nicht diese Gentlemen vielleicht zu stolz sind, um zu beten.«
Die jungen Männer knieten mit den Andern nieder, und es trat eine lange Pause ein, während welcher alle Anwesenden ihre stummen Gebete gen Himmel entsandten, je nach der ihnen eigenthümlichen Denkweise.
»Vater!« ergriff Eva zuerst wieder das Wort, indem sie, noch immer vor Mr. Effingham knieend, aufblickte und dem heißgeliebten Antlitze ihres Erzeugers zulächelte, »es bleibt uns noch eine köstliche Hoffnung, die uns selbst die Barbaren nicht rauben können. Sie mögen uns hienieden zwar trennen, aber endlich werden wir uns doch vor Gottes Angesichte wieder sehen.«
Mademoiselle Viefville schlang einen Arm um den Leib ihrer theuren Schülerin und drückte sie an ihre Brust.
»Es gibt nur einen Aufenthalt für die Seligen, meine theure Mademoiselle, und eine Versöhnung für uns Alle.«
Dann erhob sich Eva von ihren Knieen und fuhr mit der Anmuth und Würde ihrer feinen Bildung fort:
»Vetter John, küßt mich; wir wissen nicht, wann sich wieder eine Gelegenheit bieten mag, uns gegenseitig unsre Liebe zu bezeugen. Ihr seyd mir ein theurer, nachsichtiger Verwandter gewesen, und sollte ich auch zwanzig Jahre in der Sklaverei zubringen müssen, so würde ich doch nie aufhören, mit Schmerz und Innigkeit an Euch zurückzudenken.«
John Effingham schloß das schöne, aufgeregte Mädchen mit der Zärtlichkeit eines Vaters in seine Arme.
»Gentlemen,« fuhr Eva fort, und ein tieferes Roth überflog ihre Wangen, obschon aus ihren Augen die milde Glut des Wohlwollens und der Dankbarkeit leuchtete, »auch euch danke ich, daß ihr euch unserem Flehen angeschlossen habt. Ich weiß, daß junge Männer in der Sicherheit ihres Stolzes selten eine solche Demüthigung vor Gott für nöthig halten; aber auch die Stärksten können überwältigt werden, und der Stolz ist nur ein dürftiger Ersatz für die Hoffnung eines demüthigen Sinnes. Ich vermuthe, ihr habt besser von mir gedacht, als ich es verdiene, und ich würde nie aufhören, mir selbst meine Unbesonnenheit zum Vorwurf zu machen, wenn ich glauben müßte, daß etwas Anderes, als der bloße Zufall euch in dieses zum Unglück bestimmte Schiff geführt hätte. Wollt ihr mir gestatten, den vielen Verpflichtungen, die ich gegen euch beide habe, noch eine weitere beizufügen?« Sie trat ihnen näher und sprach jetzt mit gedämpfterer Stimme. »Ihr seyd jung und daher im Stande, körperliche Leiden besser zu ertragen als mein Vater. Ich fühle die Ueberzeugung, daß uns eine Trennung bevorsteht – aber es ist vielleicht in eurer Macht, dem gebrochenen Herzen eines Vaters Trost zu bringen. – Ich sehe – ich weiß, daß ich auf euer Wohlwollen bauen darf.«
»Eva – meine theure Tochter – mein einziges, mein geliebtes Kind!« rief Mr. Effingham, der in der Todtenstille, welche in der Kajüte herrschte, jede, auch die leiseste Sylbe vernommen hatte – »komm zu mir, mein Herz! Keine Erdengewalt soll uns je auseinander reißen.«
Eva wandte sich rasch um und sah ihren Vater mit ausgebreiteten Armen vor sich stehen. Sie warf sich an seine Brust, und nun brach der verhaltene Sturm ihres Innern unwiderstehlich los. Sie weinten beide, Herz an Herz, mit einem Ungestüm, das bei einem Manne wahrhaftig herzzerreißend anzusehen war. Mr. Sharp war vorgetreten, um Eva's ausgestreckte Hand zu fassen, als diese, wie bereits bemerkt wurde, sich plötzlich gegen ihren Vater umwandte; aber jetzt fühlte er den Druck von Pauls Fingern an seinem Arme, als wollten sie ihm bis auf den Knochen dringen. Um die Heftigkeit ihrer eigenen Gefühle nicht zu verrathen, eilten nunmehr die beiden jungen Männer mit einander auf das Deck, wo sie geraume Zeit hin- und herschritten, ehe sie im Stande waren, ein Wort oder auch nur einen Blick gegenseitig auszutauschen.