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In thau'gem Licht führ' des Gewitter- Macht
Durch schlummernd Laub' ich, und des Sturmes Bahn
Folgt Reu', Betrachtung und Erinnerung.
Bet', Erde, aus dem Staube an
Ich bin die feierliche Nacht!
Mrs. Hemans.
In dem gegenwärtigen Falle trifft uns nicht die Aufgabe, andere Erscheinungen auf dem Ocean zu berichten, als die eines regelmäßigen, obgleich heftigen Sturmes. Eines der ersten Merkzeichen desselben bestand in dem Verschwinden der Passagiere vom Deck, die sich, einer nach dem andern, in ihren Zimmern einschloßen, bis außer John Effingham und Paul Blunt Niemand mehr oben sichtbar war. Diese beiden Herren hatten jedoch, wie es schien, schon so viele Fahrten gemacht und waren mit dem Schiffsleben so vertraut geworden, daß ihnen die Seekrankheit und die Stürme gleich wenig anhaben konnten.
Die armen Zwischendeckpassagiere machten keine Ausnahme, sondern schlichen sich nach ihren Höhlen, um daselbst Zuflucht zu suchen, für den Augenblick bitterlich bereuend, daß sie sich den Gefahren und Unbequemlichkeiten der See ausgesetzt hatten. Wie gerne hätte jetzt die sanfte Mrs. Davis sich dem Grolle ihres Onkels ausgesetzt, und den jungen Ehemann selbst schilderte Mr. Leach, welcher durch den ekelhaften Schauplatz hinging, um zu sehen, ob Alles richtig sey, »Mr. Grab würde ihn nicht mit der Twehle angerührt haben, wenn er ihn in seiner gegenwärtigen Brühe hätte sehen können.«
Kapitän Truck lachte über diesen Bericht, denn er fühlte für gewöhnliche Fälle der Seekrankheit ungefähr dieselbe Theilnahme, welche ein Kätzchen mit dem Schmerze der ersten gefangenen Maus hat, indem sein Hauptvergnügen darin besteht, nicht sie zu fressen, sondern nur mit ihr zu spielen.
»Geschieht ihm Recht, Mr. Leach; warum hat er geheirathet. Merkt's Euch daher, damit Ihr Eure Aussichten nicht in derselben Weise verplempert,« sagte er mit selbstzufriedener Miene, während er in seiner Handfläche drei oder vier Cigarren verglich, zweifelhaft, welches von den würzigen Röllchen er in den Mund stecken sollte. »Der Ehestand, Mr. Blunt, macht gemeiniglich den Menschen zum Ekel geneigt; denn nichts ist leichter, als die Magenpumpe eines jungen Ehemanns in Bewegung zu setzen. Ist dies nicht so wahr, wie ein Evangelium, Mr. John Effingham?«
Mr. John Effingham, gab keine Antwort; aber der junge Mann, welcher in diesem Augenblicke seine schöne Gestalt und die edlen Züge seines Antlitzes bewunderte, wurde nicht wenig über das bittere, um nicht zu sagen peinliche Lächeln betroffen, das John's Lippen umzuckte, als er sich zu einer kalten Zustimmung verbeugte. Alles dies ging jedoch an Kapitän Truck verloren, der con amore fortfuhr:
»Eine der ersten Fragen, die ich über jeden meiner männlichen Passagiere zu stellen pflege, betrifft den Umstand, ob er verheirathet sey, oder nicht. Lautet die Antwort verneinend, so betrachte ich ihn von vorn als einen guten Gesellschafter in einer Bö, wie diese, oder als einen Mann, der rauchen oder einen Spaß machen kann, wenn auch ein Marssegel aus dem Bolzentau fliegt – kurz als einen guten Kameraden in einer Categorie. Wenn aber einer von euch Gentlemen eine Frau hätte, so müßte er jetzt unter die Lucken kriechen, damit er nicht etwa durch ein Speigatenloch hinausrutsche oder von der Sprüh über Bord gewaschen werde, wenn nicht etwa die Gnädige gar fürchtete, der Wind möchte ihm die Augenbrauen aus dem Gesicht blasen. In diesem Falle hätte ich natürlich nicht die Ehre eurer Gesellschaft. Die Gemächlichkeit ist ein zu kostbares Gut, als daß man sie an ein Weib wegwerfen sollte. Durch eine Frau kann man zwar Vorsicht lernen, verlernt aber auch zugleich die Freiheit. Was Euch betrifft, Mr. John Effingham, so müßt Ihr wohl ein halb Jahrhundert Lebenszeit abgewickelt haben, weshalb ich um Euretwillen nicht viel Sorge trage; aber Mr. Blunt ist noch jung genug, um in Gefahr zu gerathen, daß ihm etwas Schlimmes passire. Ich wollte, Neptun käme hier herum zu uns an Bord, um Euch zu beschwören, daß Ihr Euch selbst treu und beständig bleiben sollt, junger Gentleman.«
Paul lachte, erröthete ein wenig, nahm sich dann wieder zusammen und erwiederte in scherzendem Tone:
»Auf die Gefahr hin, Eure gute Meinung zu verlieren, Kapitän, und selbst im Angesichte dieser Bö erkläre ich mich für einen Freund des Ehestands.«
»Wenn Ihr mir nur eine einzige Frage beantworten wollt, mein theurer Sir, so will ich Euch sagen, ob Euer Fall hoffnungslos ist oder nicht.«
»Um hierauf bejahend antworten zu können, werdet Ihr natürlich die Nothwendigkeit einsehen, mich zuvor die Frage vernehmen zu lassen.«
»Seyd Ihr schon mit Euch einig geworden, wer die junge Frau sehn soll? Ist dieser Punct abgemacht, so kann ich Euch nur empfehlen, zu Joe Bunks Suchong Eure Zuflucht zu nehmen und Euch zu unterwerfen, denn seinem Schicksal vermag Niemand zu widerstehen. Der Grund, warum die Türken sich so leicht in die Prädestination oder in das Schicksal finden, liegt in der Anzahl ihrer Weiber. Es ist schon manches Buch darüber geschrieben worden, warum sie ihre Hälse so bereitwillig dem Schwerdte und der seidenen Schnur hingeben. Ich bin in der Türkei gewesen, Gentlemen, und weiß einigermaßen, wie es dort zugeht. Der Grund, warum sie sich so ruhig köpfen lassen, liegt in dem Umstand, daß sie jeden Augenblick bereit sind, sich selbst den Strick um den Hals zu legen. Wie steht es, Sir? Habt Ihr im Betreff der jungen Dame schon einen Entschluß gefaßt, oder nicht?«
Obgleich in alledem nichts lag, als ein Scherz, den der gesellige Verkehr an Bord eines Schiffs wohl gestattete, nahm ihn doch Paul Blunt mit einer Befangenheit auf, die sich von einem jungen Mann, welcher so viel Welt besaß, kaum erwarten ließ. Er erröthete, lachte, versuchte durch Abgemessenheit den Kapitän in größerer Entfernung zu halten und gab endlich sein Spiel ganz auf, indem er nach einem andern Theile des Deckes ging. Glücklicherweise wurde in demselben Augenblicke die Aufmerksamkeit des ehrlichen Meisters auf das Schiff selbst gelenkt, und Paul schmeichelte sich, nicht durchschaut worden zu seyn; aber der Schatten einer Gestalt an seiner Seite schreckte ihn auf, und als er sich plötzlich umwandte, fand er, daß Mr. John Effingham neben ihm stand.
»Ihre Mutter war ein Engel,« sagte Letzterer mit gedämpfter Stimme. »Auch ich liebe sie, aber es geschieht mit der Liebe eines Vaters.«
»Sir! – Mr. Effingham! – Dies sind plötzliche, unerwartete Bemerkungen – und ich bin wahrhaftig nicht darauf vorbereitet.«
»Glaubt Ihr, einem Manne, der das schöne Wesen so eifersüchtig bewacht, wie ich, habe Eure Leidenschaft entgehen können? – Ihr Beide liebt sie, und sie verdient die wärmste Zuneigung von Tausenden. Harret aus – denn obgleich ich keine Stimme und, wie ich fürchte, nur wenig Einfluß auf ihre Entscheidung habe, so veranlaßt mich doch eine seltsame Sympathie, Euch günstigen Erfolg zu wünschen. Mein Bedienter hat mir gesagt, Ihr hättet sie schon früher und unter Vorwissen ihres Vaters kennen gelernt – weiter verlange ich nichts, denn mein Vetter ist ein besonnener Mann. Er kennt Euch wahrscheinlich, obgleich ich mich dessen nicht rühmen kann.«
Pauls Antlitz glühte wie Feuer, und er haschte fast nach Athem. Mr. Effingham, der Mitleid mit seiner Noth hatte, lächelte freundlich und wollte sich eben weiter begeben, als er seine Hand convulsivisch von denen des jungen Mannes ergriffen fühlte.
»Verlaßt mich noch nicht, Mr. Effingham, ich bitte Euch,« sagte er hastig. »Ich höre so selten Worte des Vertrauens oder auch nur wohlwollender Theilnahme, daß mir die Eurigen über die Maßen schätzbar sind. Ich habe mich durch die in's Blaue geschickten Bemerkungen jenes wohlmeinenden, aber unüberlegten Mannes verwirren lassen; indeß werde ich in einem Augenblick wieder gefaßter – männlicher – weniger Eurer Beachtung und Eures Mitleids unwürdig sehn.«
»Mitleid ist ein Wort, das ich nie in Verbindung mit Mr. Blunts Persönlichkeit, Character, Kenntnissen oder – wie ich hoffe – äußerer Lage hätte bringen mögen, und es ist mein aufrichtiger Wunsch, daß Ihr mich nicht der Ungebühr zeihen möget. Ich habe eine Theilnahme für Euch gefühlt, junger Mann, die ich gegen die Meisten meines Geschlechts längst in mir erstorben wähnte, und hoffe, daß dies einigermaßen die Freiheit, welche ich mir zu nehmen erlaubte, entschuldigen wird. Vielleicht lag der Grund in meiner Vermuthung, daß es Euch daran gelegen sey, die gute Meinung meiner kleinen Muhme zu gewinnen.«
»Ihr habt in der That meinen, sehnlichsten Wunsch richtig gedeutet, Sir, denn wer könnte gleichgiltig seyn gegen die gute Meinung eines so einfachen und doch so gebildeten Wesens, in dessen Seele Natur und Talente um die Oberhand zu kämpfen scheinen? Wie wenig, Mr. Effingham, findet sich in ihr einerseits von der kalten Gezwungenheit und Herzlosigkeit Europa's und andererseits von dem ungezügelten Jugendmuthe der amerikanischen Mädchen – kurz, sie ist in jeder Hinsicht das, was der zärtlichste Vater und der liebevollste Bruder nur wünschen können.«
John lächelte, wie er über jede Schwäche zu thun pflegte, aber sein Auge glänzte. Nach einem Augenblicke des Zweifels wandte er sich wieder an seinen jungen Gefährten, um mit einem Zartgefühl des Ausdrucks und einer Würde in seinem Wesen, worin ihn, wenn er wollte, Niemand übertreffen konnte, eine Frage an ihn zu stellen, welche ihn schon mehrere Tage vorzugsweise beschäftigt hatte, obschon sich keine Gelegenheit bieten wollte, die er zu benützen für passend hielt.
»Dieses unumwundene Vertrauen macht mich so kühn – freilich sollte ich mich schämen, mich meiner größeren Erfahrung zu rühmen, da mir doch jeder Tag zeigt, wie wenig Nutzen sie mir gebracht hat – unserer Bekanntschaft weniger Förmlichkeit zu geben, indem ich auf Interessen anspiele, die weit persönlicher sind, als daß Fremde ein Recht hätten, sie zu berühren. Ihr habt eben von der alten und neuen Welt in einer Weise gesprochen, welche mich vermuthen läßt, daß Ihr mit beiden gleich bekannt seyd?«
»Ich habe oft den Ocean gekreuzt und für einen Mann von meinen Jahren sehr viel von der amerikanischen sowohl, als von der europäischen Gesellschaft gesehen. Vielleicht wird mein Interesse für Eure liebenswürdige Verwandte durch den Umstand noch erhöht, daß sie eigentlich, gleich mir, keinem dieser beiden Welttheile angehört.«
»Seht Euch vor, ehe Ihr dem Mädchen dies in's Ohr flüstern wollt, mein jugendlicher Freund, denn Eva Effingham bildet sich ein, sie sei ihrem Character nach eben so sehr eine Amerikanerin, als sie es durch ihre Geburt ist. Sie ist einfachen Sinnes und ohne alle Verbildung – eifrig in Erfüllung ihrer Pflichten – religiös ohne Frömmelei – eine warme Freundin freisinniger Institutionen, ohne sich mit unausführbaren Ideen zu tragen, und von Herz und Seele ein Weib; Ihr werdet es daher schwer finden, sie zu überreden, daß sie bei aller ihrer Weltkenntniß und ihren vielseitigen Vorzügen mehr sey, als ein bescheidenes Abbild ihres eigenen großen beau idéal.«
Paul lächelte und seine Blicke begegneten denen des John Effingham – der Ausdruck derselben überzeugte sie beiderseits, daß sie in mehr Dingen gleich dachten, als in ihrer gemeinschaftlichen Bewunderung des Gegenstandes ihrer Unterhaltung.
»Ich fühle, daß ich nicht so offen gegen Euch gewesen bin, als ich hätte seyn sollen, Mr. Effingham,« nahm der junge Mann nach einer Pause wieder auf; »aber bei einer passenderen Gelegenheit würde ich mir, im Vertrauen auf Eure Güte, die Freiheit nehmen, weniger rückhaltsvoll zu seyn. Mein Geschick hat mich fast ohne Freunde und ganz ohne Verwandte – so weit nämlich der Verkehr mit denselben in Frage kömmt – in die Welt geworfen; deshalb ist mir die Sprache der Liebe fremd, und ich durfte das Wirken derselben nie erfahren.«
John Effingham drückte ihm die Hand und enthielt sich von Stunde an jeder weiteren Anspielung auf seine persönlichen Angelegenheiten, weil die Vermuthung in ihm auftauchte, daß der Gegenstand dem jungen Manne peinlich seyn könnte. Er wußte, wie häufig es in Europa vorkömmt, daß gebildete und oft auch wohlhabende Personen aus beiden Geschlechtern durch eine Hindeutung auf ihre Privatgeschichte nur schmerzlich berührt werden, weil vielleicht eine außereheliche Geburt, eine Scheidung oder sonstiges Familienunglück dabei zur Sprache kommen müßte, und folgerte daher, daß im gegenwärtigen Falle aller Wahrscheinlichkeit nach das erstere Moment Paul Blunts eigenthümlicher Lage zu Grunde liege. Ungeachtet seiner warmen Zuneigung zu Eva, setzte er doch in ihr eigenes wie auch in ihres Vaters Urtheil zu viel Vertrauen, um glauben zu können, daß sie ohne Vorbedacht ein vertrauliches Verhältniß gestatten würden, und was die bloßen Vorurtheile betraf, die sich an dergleichen Puncte knüpften, so hatten diese keine Bedeutung für ihn. Vielleicht bewog ihn sogar die, männliche Unabhängigkeit seines Charakters, sich bei Beurtheilung solcher Fragen eher auf die Ultraseite der Freisinnigkeit zu schlagen.
In dem vorerwähnten kurzen Gespräche hatten, mit Ausnahme der leichten, aber unzweideutigen Anspielung John Effinghams, beide jede weitere Hindeutung auf Mr. Sharp und seine vermeintliche Neigung für Eva vermieden. Daß es mit der Sache seine Richtigkeit hatte, hievon waren beide überzeugt, und dies gehörte vielleicht unter die Gründe, warum es keiner für nöthig hielt, davon zu sprechen; denn der Gegenstand war verfänglich und von der Art, daß sie in kühleren Augenblicken wechselseitig wünschen mußten, ihn unter den obwaltenden Verhältnissen zu vergessen. Das Gespräch nahm nunmehr einen allgemeineren Charakter an, und während die übrigen Reisenden durch den Zustand des Wetters in ihren Gemächern gehalten wurden, bildeten sie sich – wenn nicht etwa der Ausdruck jetzt schon zu spät kommt – im Laufe der nächsten paar Stunden die Grundlagen zu einer edeln und aufrichtigen Freundschaft. Paul hatte bisher John Effingham nur mit Mißtrauen und Scheu betrachtet, mußte aber nunmehr einen Mann in ihm finden, welcher so ganz anders war, als das Bild, welches die Nachrede und seine eigene Phantasie von ihm entworfen hatte, weshalb denn auch die Rückwirkung in seinen Gefühlen wesentlich dazu diente, letztere zu erwärmen und seine Achtung für ihn zu steigern. Andererseits entwickelte der junge Mann bei gediegenem Verstande so viel Bescheidenheit, einen Schatz von Kenntnissen, der sich von seinen Jahren nicht erwarten ließ, und eine so biedere, gerechte Sinnesart, daß der alte Hagestolz, als sie sich gute Nacht wünschten, aus tiefster Seele bedauerte, der Natur nicht das Glück danken zu dürfen, der Vater eines solchen Sohnes zu seyn.
Mittlerweile hatte die Thätigkeit im Schiffe ihren Fortgang genommen. Der Wind steigerte sich stätig, bis endlich um Sonnenuntergang Kapitän Truck in der Kajüte ankündigte, daß eine regelrecht gebaute »Bö« vorhanden sey. Segel um Segel wurde gekürzt oder beschlagen, bis der Montauk nur noch unter dem Focksegel, einem dicht gerefften Hauptstengensegel, einem Fockstengenstagsegel und einem Besahnstagsegel beilag. Man zweifelte sogar, ob nicht auch das zweite dieser Segel halb gestrichen und außerdem das Focksegel gerefft werden müsse.
Der Schiffsschnabel stand südwestlich, die Abtrifft war beträchtlich, und der Kursweg reichte kaum zu, um die Einwirkung des Steuers fühlbar zu machen. Das Foam hatte sich, so lange Segel geführt werden konnten, wieder um etwa eine Seemeile genähert; aber auch die Schaluppe sah sich genöthigt, vor derselben Steigerung der Wogen und des Windes, welche Mr. Truck zum Niederbinden seines Rades gezwungen hatte, beizulegen. Dieser Stand der Dinge brachte abermals einen beträchtlichen Wechsel in die beziehungsweise Lage der beiden Schiffe. Am nächsten Morgen zeigte sich's, daß das Foam sich mit ganz untergetauchtem Rumpfe wohl auf dem Luvbuge des Paketschiffs befand. Die Schaluppe verdankte diesen Vortheil ihrer schärferen Form und ihren mehr auf den Wind berechneten Eigenschaften, auf welche bei Fahrzeugen, die für den Krieg und für das Nachsetzen berechnet sind, besondere Rücksicht genommen wird.
Kapitän Truck lachte jedoch über alles dies, denn bei solchem Wetter konnte er nicht geentert werden, und es war ihm gleichgiltig, wo sich sein Verfolger befand, wenn er nur nach dem Aufhören des Sturmes Zeit fand, demselben zu entwischen. Im Ganzen war er sogar erfreut über den gegenwärtigen Stand der Dinge, denn er hatte jetzt doch eine Aussicht, sobald es das Wetter gestattete, ins Lee zu schlüpfen, wenn nicht etwa gar sein Plagegeist auf dem nördlichen Borde oder windwärts ganz und gar verschwand.
Der würdige Meister vertraute seine Hoffnungen und Besorgnisse hauptsächlich den Ohren seiner beiden Maten, da sich bis zum Nachmittag des zweiten Sturmtages nur wenige von den Passagieren blicken ließen. Jetzt aber trat in der That eine allgemeine Erleichterung ihrer physischen Leiden ein, obgleich sie von Besorgnissen begleitet war, welche ihnen kaum gestatteten, des Wechsels froh zu werden. Um Mittag desselben Tages tobte der Wind mit solcher Macht, und die Wogen stürzten mit so furchtbarer Gewalt auf die Schiffsbuge nieder, daß es zweifelhaft wurde, ob das Fahrzeug räthlicherweise länger in seiner gegenwärtigen Lage bleiben konnte. Mehreremal im Laufe des Morgens hatte die Gewalt der Wogen die Buge seitwärts gelegt, und ehe das Schiff seine Lage wieder gewinnen konnte, brach die nächste Welle gegen die Breitseite los und überfluthete die Decken. Diese Gefahr ist dem Beiliegen in einem Sturme eigenthümlich, denn wenn das Schiff in den Wellentrog kömmt, und in dieser Lage von einer ungewöhnlich großen Woge erreicht wird, so ist einmal zu befürchten, daß das Schiff ganz auf die Seite geworfen werde, und dann, daß das quer hereinstürzende Wasser Alles von den Decken wegschwemme. Wer die See nicht kennt, hat keinen Begriff von der Gewalt des wilden, von einem Sturm dahin gejagten Elements und wird daher oft in Staunen versetzt, wenn er in den Berichten über das, was Schiffe durchgemacht haben, eine Schilderung der geschehenen Beschädigungen liest. Die Erfahrung zeigt übrigens, daß Boote, Sturmhäuschen, Kanonen, Anker von ungeheurem Gewicht, Bollwerke und Planken oft in dieser Weise ins Meer gefegt oder doch von ihren starken Klammern losgerissen werden.
Das Beiliegen gewährt jedoch, so lange es möglich ist, einen doppelten Vortheil, denn es bietet den stärksten Theil des Schiffes dem Stoße der Wellen dar und hat noch außerdem das Gute, daß man so nahe als möglich die gewünschte Richtung beibehalten kann. Freilich ist es nur ein mittelmäßiger Nothbehelf, dessen man sich Sicherheitshalber bedient, wenn man nicht lenken kann; auch muß man jedenfalls zu dem Letzteren übergehen, wenn ein Sturm so schwer ist, daß das Beiliegen an sich gefährlich wird. In nichts können die Eigenschaften eines Schiffes so durchaus erprobt werden, als in der Art, wie es sich in einer derartigen Schwierigkeit benimmt, wie denn auch ein tüchtiger Offizier seine Kenntnisse nie triumphirender an den Tag legen kann, als wenn er Gelegenheit hat, zu zeigen, daß er im Stande ist, das ungeheure Gewicht seines Schiffes in einer Weise zu leiten, welche es befähigt, seine Vollkommenheit kund zu geben. Ein derartiger Augenblick ist deshalb eine Stunde der Prüfung sowohl für den Kapitän, als für das Fahrzeug.
Einem Landbewohner, der nichts von der See kennt, wird nichts leichter scheinen, als ein Schiff vor dem Winde laufen zu lassen, mag die Gewalt des Windes seyn, welche sie will. Seine Unwissenheit aber übersieht die meisten Schwierigkeiten, und wir wollen den Gefahren, die sich daran knüpfen, nicht vorgreifen, sondern sie im regelmäßigen Lauf der Erzählung gehörigen Orts auftreten lassen.
Lange vor Mittag oder der erwähnten Stunde sah Kapitän Truck voraus, daß er durch die Wellen, welche beständig über Bord schlugen, genöthigt werden dürfte, sein Schiff vor den Wind zu bringen. Er verschob jedoch dieses Manöver bis auf den letzten Augenblick und hatte, wie er glaubte, genügende Gründe dafür. Je länger er das Schiff im Beiliegen erhielt, desto weniger wich er von seinem Curse nach New-York ab und desto größer war die Wahrscheinlichkeit, heimlich und unbeobachtet dem Foam zu entkommen, da das letztere, welches seine Stellung besser behauptete, den Montauk allmählig ins Lee trifften und deßhalb natürlich sich weiter entfernen ließ.
Aber die Krisis wollte keine längere Zögerung gestatten. Alle Matrosen wurden aufgeboten, das große Marssegel nicht ohne bedeutende Schwierigkeit aufgeholt, und dann ertheilte Kapitän Truck, obschon nur ungerne, Befehl, das Besahnstagsegel zu streichen, das Steuer hart aufzustellen und das Schiff vermittelst der Raaen zu drehen. Dieß ist, wie vorhin erwähnt wurde, jedesmal ein bedenklicher Wechsel, denn das Schiff ist den Verheerungen jeder ungewöhnlich großen Welle ausgesetzt, wenn sie, während es fast regungslos da liegt, mit voller Macht auf die Breitseite stürzt. Um daher das erforderliche Manöver zu vollziehen, stieg Kapitän Truck um einige Webelinnen in das Focktackelwerk (er war ein zu scharfer Berechner, um in den Hinterwänden auch nur eine Oberfläche, so klein, wie die seines Körpers war, dem Winde preiszugeben) und blickte von da aus windwärts, ob nicht ein augenblickliches Einlullen stattfinde und der Ocean einen Moment biete, in welchem weniger als gewöhnlich große und gefährliche Wellen heranbrausten. Sobald der ersehnte Augenblick eintrat, gab er ein Zeichen mit der Hand, und das zuvor hart niedergedrückte Steuer wurde nun hart aufgehoben.
Dies ist stets ein athemloser Moment in einem Schiffe, denn da Niemand den Erfolg vorauszusehen im Stande ist, so gleicht er dem Eintritt in die Schußweite einer feindlichen Batterie. Im Nu kann ein Dutzend Menschen über Bord gefegt oder das Schiff selbst auf die Seite geworfen seyn. John Effingham und Paul, die einzigen auf dem Decke befindlichen Passagiere, begriffen die Gefahr und bewachten die leichtesten Wechsel mit dem Interesse von Männern, die so viel auf dem Spiele stehen hatten. Anfangs ging die Bewegung des Schiffes mit einer Trägheit vor sich, die in schlechtem Einklange mit dem Eifer der Mannschaft stand. Dann hörte das Stoßen auf und das Fahrzeug stürzte mit Macht in den ungeheuren Wellentrog, als wollte es sich nie wieder erheben. Der Sturz war so tief gegangen, daß das Focksegel furchtbar anschlug und Rumpf und Spieren vom Steven bis zum Sterne schütterten. Als es sich mit der nächsten Welle wieder hob, glitt zum Glück der schäumende Kamm darunter hin, und die schlanken Stengen drehten sich schwerfällig gegen den Wind. Wie übrigens der Montauk sein Gleichgewicht wieder gewonnen hatte, stürzte er durch die Salzfluth dahin und drängte, als die nachfolgenden Roller herankamen, schnell vorwärts. Dennoch warf ihn die Welle auf die Seite und drängte die ganze Masse ins Lee, die untern Raaenarme in den Ocean eintauchend. Tonnen Wassers ergoßen sich mit dem dumpfen Tone der Erdscholle, welche auf einen Sarg fällt, auf das Deck. In diesem großartigen Augenblick schrie der alte Jack Truck, welcher, triefend von der Sprüh, die über ihn hingewaschen hatte, baaren Hauptes und mit glänzend nassen grauen Haaren im Takelwerk stand, aus voller Brust:
»Holt die Fockbrassen ein, Jungen! Hinweg mit der Raa wie mit einem Fidelbogen!«
Es wurde aller Kraft aufgeboten. Nur ungerne gaben die Raaen, auf die eine fast unwiderstehliche Luftsäule drückte, langsam nach, und wie das Segel den Wind mehr senkrecht auffing, schleppte es den ungeheuren Rumpf mit einer Gewalt, ähnlich der einer Dampfmaschine, durch die See. Ehe noch eine andere Welle zu folgen vermochte, schoß der Montauk mit wüthender Geschwindigkeit dahin, und obgleich die Windvierung noch von den Wellen bestrichen werden konnte, wurde doch ihre Gewalt durch die Geschwindigkeit des Schiffes selbst dermaßen gemindert, daß die Hauptgefahr gebrochen war.
Die Bewegung des Schiffs wurde augenblicklich leicht, aber die Lage desselben konnte noch immer nicht gefahrlos genannt werden. Nicht länger von den Wogen hin und her gestoßen, sondern mit ihnen dahin gleitend, fühlten sich die Reisenden nicht mehr so belästigt, und noch ehe zehn Minuten verflossen waren, befanden sie sich meist wieder auf dem Deck, um in freier Luft Erleichterung zu suchen. Unter diesen war auch Eva, welche sich auf den Arm ihres Vaters lehnte.
Die Scene war furchtbar, ließ sich aber jetzt doch ohne persönliche Unbequemlichkeit betrachten. Die Gentlemen sammelten sich um die schöne, blasse Zuschauerin des großartigen Anblicks, um sich zu erkundigen, welche Wirkung der Sturm auf ihre zarte, an dergleichen Auftritt nicht gewöhnte Gestalt geübt hatte. Sie erklärte, daß sie der Eindruck des Augenblicks zwar mit ehrerbietiger Scheu, aber nicht mit Unruhe erfülle; denn man findet bei derartigen Anlässen Frauenzimmer, weil sie an ein abhängiges Verhältniß gewohnt sind, in der Regel weit weniger furchtsam, als diejenigen, die man um ihres Geschlechtes willen für verantwortlicher hält.
»Mademoiselle Viefville hat versprochen mir zu folgen,« sagte sie, »und da ich als Amerikanerin, so zu sagen, für die See geschaffen bin, so dürft ihr keine Ohnmachten oder auch nur Verzuckungen von mir erwarten; bewahrt daher eure Theilnahme für die Parisienne auf.«
Richtig kam auch bald nachher die Parisienne mit erhobenen Händen und Augen, in welchen sich Furcht, Staunen und Bewunderung ausdrückten, aus dem Compaßhäuschen. Ihre ersten Ausrufungen waren Laute des Schreckens; dann aber warf sie einen wehmüthigen Blick auf Eva und brach in Thränen aus.
» Ah, ceci est décisif!« rief sie. »Wenn wir uns trennen, so ist es für das ganze Leben.«
»Dann unterlassen wir's lieber ganz und gar, meine theure Mademoiselle. Ihr braucht blos in Amerika zu bleiben, um allen weiteren Unbequemlichkeiten des Meeres zu entgehen. Doch denkt nicht länger an die Gefahr, sondern bewundert die Erhabenheit dieses schrecklich schönen Panoramas.«
Wohl konnte Eva diesen Anblick mit diesem Ausdrucke bezeichnen. Die Gefahren, welche jetzt vermieden werden mußten, bestanden in dem Beidrehen und in dem Ueberstürzen des Schiffs. Es heißt zwar im Sprichwort, nichts sey leichter, als vor dem Winde zu segeln; aber es gibt Zeiten, in welchen ein Sturm selbst aus einer begünstigenden Richtung bedrohlich wird, und dies wollen wir jetzt kürzlich auseinander setzen.
Die Geschwindigkeit des Wassers, das vor einem Sturme dahin getrieben wird, ist oft so groß, wie die des Schiffes, und in diesem Falle ist das Steuer nutzlos, weil seine ganze Gewalt von der Thätigkeit eines sich bewegenden Körpers gegen ein beziehungweise ruhiges Element abhängt. Wenn sich nun Schiff und Wasser zumal, mit gleicher Geschwindigkeit und in der nemlichen Richtung fortbewegen, so ist natürlich die Wirksamkeit des Steuers aufgehoben, und der Rumpf wird dahingetrieben, fast ganz der Gewalt von Wind und Wellen preisgegeben. Dies ist übrigens noch nicht Alles. Die Geschwindigkeit der Wellen ist oft größer, als die des Schiffs, und dann äußert das Ruder vorübergehend gerade die entgegengesetzte Wirkung von der, welche von ihm verlangt wird. Allerdings ist diese letztere Schwierigkeit stets nur von momentaner Dauer, da sonst die Lage des Seemanns hoffnungslos seyn würde; wiederholt sich übrigens oft genug, und in so unregelmäßiger Weise, daß alle Berechnungen und Vorsichtsmaßregeln dadurch vereitelt werden. In dem gegenwärtigen Falle war die Geschwindigkeit des Montauk so groß, daß er durch das Wasser dahin zu fliegen schien, und wenn er in seinem Rennen durch eine wüthende Welle überholt wurde, so plumpte er schwerfällig in das Element nieder, gleich einem verwundeten Thiere, das, an seinem Entkommen verzweifelnd, hoffnungslos ins Gras niedersinkt und sich in sein Schicksal ergiebt. In solchen Augenblicken fegten die Wogenkämme gleich dem Dunst in der Atmosphäre an ihm vorbei, und ein ungewohntes Auge konnte wohl glauben, das Schiff stehe fest, obschon es in Wahrheit mit fürchterlicher Bedeutsamkeit unter der Wassermasse dahinwirbelte.
Es ist daher kaum nöthig zu bemerken, daß der Proceß des Lenssens die pünktlichste Aufmerksamkeit auf das Steuer erfordert, weil sich's darum handelt, den Rumpf schleunigst wieder in die geeignete Richtung zu bringen, sobald er durch die Gewalt der Wellen seitwärts geworfen wurde; denn abgesehen davon, daß das Schiff im Wasserkessel seinen Weg verlieren kann – an sich schon eine große Gefahr, da es dadurch dem Angriff der nachfolgenden Wellen voll ausgesetzt ist – werden wenigstens die Decken abgefegt, selbst wenn es einem ernstlicheren Unglücke entgehen sollte.
Das Ueberstürzen ist eine weitere Gefahr, die ebenfalls dem Lenssen eigenthümlich ist. Das Schiff wird dabei von den Wogen, vor denen es hinläuft, überholt, der Kamm derselben durch den Widerstand gebrochen und über den Hackebord oder die Windvierung in Bord geworfen. Um diese Gefahr zu vermeiden führt das Schiff so lang als möglich Segel, denn man hält es für das größte Hülfsmittel beim Lenssen, den Rumpf mit größtmöglicher Geschwindigkeit durch das Wasser zu zwängen.
In Folge dieser verwickelten Zufälligkeiten lenßt dasjenige Fahrzeug am besten, welches am schnellsten segelt und am leichtesten steuert. Es gibt jedoch eine Art von Geschwindigkeit, die an sich zu einer Quelle neuer Gefahr wird. So weiß man zum Beispiel von ungemein scharf gebauten Schiffen, daß sie sich zu tief in die Wellenberge vorn eingezwängt haben; in solchen Fällen stürzt so viel Wasser auf das Deck nieder, daß sich das Fahrzeug nie wieder heben kann. Ein derartiges Schicksal trifft besonders diejenigen, welche einen amerikanischen Klipper zu segeln versuchen, ohne seine Eigenthümlichkeiten zu verstehen. Von dieser letzteren Gefahr jedoch hatte der kesselbodige Montauk mit seinen vollen Bugen nichts zu befürchten; Kapitän Truck drückte aber seine Zweifel aus, ob die Korvette sich wohl erdreisten werde, dem Kurse, den er selbst eingeschlagen hatte, zu folgen.
Der Thatbestand schien die Ansicht des Paketschiffers zu bestätigen, denn als die Nacht einbrach, ließen sich die Spieren des Foam nur noch schwach und wie Fäden eines Spinngewebes von den hellen Streifen des Abendhimmels unterscheiden. Einige Minuten später verschwanden auch diese Linien, welche denen in einer Zauberlaterne glichen, vor den Augen der Ausluger auf den Masten: denn vom Decke aus hatte man schon über eine Stunde nichts mehr davon gesehen.
Die großartigen Schrecknisse der Scene steigerten sich mit der Dunkelheit. Eva und ihre Begleiterin hielten sich an dem Sturmhäuschen fest und beobachteten stundenlang das übernatürlich aussehende Licht, welches das schäumende Meer von sich strahlte und dem Schauspiele einen schauervollen Reiz verlieh. Das Bewußtseyn der Gefahr erhöhte sogar die Wonne; denn die Stimmung des Augenblicks war feierliche, großartige Erhebung, und die erste Wache war schon eine Stunde aufgezogen, ehe die Gesellschaft den Entschluß fassen konnte, sich von dem herrlichen Schauspiel des tobenden Meeres loszureißen.