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Viertes Kapitel.

Wohin so schnell?
Behüt euch Gott! zur Halle
Geradenwegs, damit wir dort erfahren,
Was aus dem großen Herzog Buckingham
Soll werden.

Heinrich VIII.

 

Das Zusammentreffen von Reisenden auf einem großen Paketschiff muß nothwendig Kälte und Mißtrauen zur Folge haben, namentlich bei denen, welche die Welt kennen, und um so mehr, wenn sichs um eine Fahrt von Europa nach Amerika handelt. Die größere Verderbniß der alten Hemisphäre mit den daraus entspringenden Wechseln und Lastern – das Bewußtseyn, daß der Strom der Auswanderung sich nach Westen zieht, und die gewöhnliche Annahme, daß nur Wenige die Heimath ihrer Jugend verlassen, wenn sie nicht wenigstens durch das Unglück bedrängt werden – Alles dies vereinigt sich mit noch vielen andern augenfälligen Ursachen, um einer Fahrt nach dem Westen eine derartige Auszeichnung zu verleihen. Dazu kommt noch der Kastengeist mit seiner ekeln Abschließung, die feinere Bildung und die Zurückhaltung der Charaktere, die sich ihres Werthes bewußt sind – Verhältnisse, welche oft in Widerstreit treten mit der Aufdringlichkeit der Selbstsucht, dem Mangel an Bildung, der Unbekanntschaft mit dem was schicklich ist, und völliger Gemeinheit. Obgleich die Noth derartige chaotische Elemente bald in eine gewisse Ordnung bringt, so entschwindet doch die erste Woche gemeiniglich unter gegenseitiger Beobachtung, kalten Höflichkeiten und behutsamen Zugeständnissen, bis man sich endlich unverhohlener dem eingeborenen Wunsche nach Annäherung hingibt, wenn nicht etwa letztere durch offene Händelsucht, Zechgelage bis in die tiefe Nacht hinein, eine quieksende Fidel oder einen unbesserlichen Schnarcher unmöglich gemacht wird.

Zum Glücke für die auf dem Montauk versammelte Gesellschaft boten die aufregenden Ereignisse des Abends, an welchem das Paketschiff aussegelte, eine gute Gelegenheit, die gewöhnliche Höflichkeitsprobezeit abzukürzen. Mit dem Eintreffen des letzten Passagiers waren kaum zwei Stunden verflossen, und doch waren die betreffenden Zirkel des Halbdecks und des Volkslogis schon weit mehr durch die Bande der Sympathie an einander geknüpft, als dies bei der vielgepriesenen Nächstenliebe sonst in Tagen des gewöhnlichen Verkehrs der Fall zu seyn pflegt. Sie hatten sich – Dank sey es der Emsigkeit des Kapitän Truck, welcher in Mitte aller seiner Thätigkeit dennoch hinreichend Zeit erhascht hatte, um ein halb Dutzend weitere Vorstellungen an den Mann zu bringen – bereits den Namen nach kennen gelernt, und die weniger gebildeten Amerikaner machten von diesem Umstande schon so unverhohlen Gebrauch, als handle sich's um eine Bekanntschaft vieler Jahre. Wir sagen – die Amerikaner, denn die Kajüten der Paketschiffe bergen in der Regel einen Zusammenfluß von allen Nationen, obschon natürlich die Engländer und die Angehörigen ihrer vormaligen Kolonieen auf der Londoner Linie vorherrschen. Bei dem gegenwärtigen Anlasse hielten sich, soweit man den Nationalcharacter unterscheiden konnte, die beiden Letztgenannten ihrer Anzahl nach nahezu das Gleichgewicht, obschon die Muthmaßungen – die, wie sich denken läßt, mittlerweile nicht müßig gewesen waren – in Betreff des Mr. Blunt und einiger Anderen, welche der Kapitän als »Ausländer« bezeichnete, um sie von dem anglosächsischen Stamme zu unterscheiden, noch immer nicht zu einem befriedigenden Schlusse hatten gelangen können.

Die gleiche Vertheilung der Kräfte hätte unter andern Umständen leicht zu einer Spaltung der Gesinnungen führen können; denn der Widerstreit zwischen amerikanischen und britischen Ansichten wird in Vereinigung mit der Verschiedenheit der Angewöhnungen in den Kajüten der Paketschiffe zu einer fruchtbaren Quelle des Haders. Der Amerikaner meint unter der Flagge seines Vaterlandes zu Hause zu seyn, während sich sein transatlantischer Vetter sehr zu der Vorstellung hinneigt, wenn er sein Geld ehrlich bezahlt habe, sey er auch berechtigt, nebst dem übrigen Gepäck auch alle seine Vorurtheile mit einzuschiffen.

Der Vorgang mit dem Attorney und dem neuvermählten Paar hatte jedoch mit der Spaltung der Nationalmeinungen nichts zu schaffen, denn die Engländer wünschten augenscheinlich eben so lebhaft, daß Robert Davis mit seiner Gattin dem Fänger des Gesetzes entwischen möchte, als irgend ein anderer Theil der Passagiere. Die betreffenden Personen waren zwar Angehörige der britischen Inseln, und die Autorität, die in dem gedachten Falle umgangen wurde, hatte sich derselben Abkunft zu rühmen; aber dennoch hatten alle an Bord Befindlichen – gleichviel, ob mit Recht oder Unrecht – sich dem Eindrucke hingegeben, die Gewalt des Gesetzes habe sich hier eine Ueberschreitung zu Schulden kommen lassen. Auch Sir George Templemore, dem unter den Engländern der höchste Rang zukam, war entschieden dieser Ansicht, die er mit aller Wärme aussprach, und das Beispiel eines Baronet übte nicht nur unter den Meisten seiner Landsleute, sondern auch unter nicht wenigen Amerikanern einen entsprechenden Einfluß. Die beiden Effinghams nebst Mr. Sharp und Mr. Blunt schienen in der That die Einzigen zu seyn, die gegen Sir Georges Aeußerungen gleichgiltig blieben, und da man in der Regel bald fühlt, bei wem man mit der eigenen Weisheit ankommen kann, so wurde vielleicht auch ihre zufällige Unabhängigkeit durch die Thatsache begünstigt, daß die Vorträge dieses Gentleman hauptsächlich denen galten, welche ihm das bereitwilligste Gehör schenkten. Namentlich war Mr. Dodge sein eifriger Zuhörer und achtungsvoller Bewunderer. Freilich hatte er in ihm auch seinen Zimmergenossen vor sich, und außerdem war er ein Demokrat von so reinem Wasser, daß er keinen Anstand genommen hätte, gegen alle Welt zu behaupten, Niemand habe ein Recht auch nur an einen seiner fünf Sinne, wenn es ihm nicht durch den Volkswillen verliehen sei.

Mittlerweile war die Nacht vorgerückt, und auf den Wellen spielte das sanfte Licht des Mondes, die Aufregung der Scene durch ein geheimnißvolles Halbdunkel erhöhend. Das zweirudrige Fahrzeug war augenscheinlich von dem sechsrudrigen eingeholt worden; es fand ein kurzes Gespräch statt, nach welchem ersteres mit Widerstreben nach dem Land zurückkehrte, letzteres aber, von seiner Lage Vortheil ziehend, die zwei Lugsegel aufzog und auf einem Kurse in die offene See hinaussteuerte, welcher den Montauk zwingen mußte, unter sein Lee zu kommen, sobald die nahen Untiefen das Paketschiff zum Laviren nöthigten.

»England ist sehr unbequem gelegen,« bemerkte Kapitän Truck trocken, als er dieses Manöver mitansah. »Wäre uns nicht jetzt diese Insel im Wege, so könnten wir vorwärts steuern und es diesen Kriegsschifflern überlassen, sich die ganze Nacht mit ihren Segeln in der Portsmouther Rhede zu unterhalten.«

»Ich hoffe, es ist keine Gefahr vorhanden, daß jenes kleine Boot dieses große Schiff einhole!« rief Sir George mit einer Lebhaftigkeit, die – in Mr. Dodges Meinung wenigstens – seiner Philanthropie große Ehre machte. Letzterer hatte nämlich eine große Zuneigung für vornehme Personen gewonnen; denn er verdankte einem deutschen Baron, mit welchem er eine Zeit lang im Eilwagen reiste, das Modell der Pfeife, welche er mit sich führte, ohne sie je zu rauchen, und hatte sich zwischen Lyon und Marseille zwei Tage und zwei Nächte mit einer polnischen Gräfin, wie er sie stets nannte, in der Gondole einer Diligence rütteln lassen. Außerdem war Mr. Dodge, wie wir bereits angedeutet haben, in Amerika ein Ultra-Demokrat – ein Umstand, der stets seine Gegenwirkung zu entwickeln scheint, sobald die Person, welche sich einer solchen Auszeichnung rühmen kann, in fremde Länder gelangt.

»Schon eine Feder, die vor dem Seufzer einer Dame dahinfliegt, müßte uns in dieser Luft übersegeln; sie trifft uns nach der Weise des Wallfischschnaubens, Sir George – in plötzlichen Stößen nemlich. Ich ließe mich das Fährgeld eines Zwischendeckpassagiers kosten, wenn Großbritanien so ein acht oder zehn Tage in der Höhe des Caps der guten Hoffnung läge.«

»Oder vor dem Cap Hatteras!« fügte der Mate bei.

»O, nicht doch – ich wünsche der alten Insel nichts Leides und kein schlimmeres Klima, als sie bereits hat, obschon sie uns eben jetzt so sehr im Wege liegt, wie der Mond den Sonnenstrahlen in einer Sonnenfinsterniß. Ich hänge an der alten Kreatur mit der Liebe eines Urenkels – meinetwegen auch einen oder zwei Grade ferner, wenn Ihr wollt – und fahre zu oft ab und zu, um die Verwandtschaft zu vergessen. Aber so werth sie mir auch ist, bin ich ihr doch nicht freundschaftlich genug zugethan, um auf ihren Untiefen stranden zu wollen – also umgeholt, Mr. Leach; und zugleich wünsche ich aus dem Grunde meines Herzens, jener Schurke mit den beiden Lugsegeln möchte gleichfalls umdrehen und vor seiner eigenen Thüre fegen.«

Das Schiff lavirte langsam, aber mit Anmuth, denn es hatte eine wahre »Rennertackelung«, wie sich der Kapitän auszudrücken pflegte; doch wie die Buge gen Osten abfielen, wurde es Allen, die etwas von der Sache verstanden, ziemlich augenfällig, daß die beiden kleinen Lugsegel, welche sich, wie das Matrosenwelsch lautet, »in den Wind hinein fraßen«, den Montauk anthun mußten, ehe derselbe die zweite Untiefe hinter sich gewinnen konnte. Sogar diejenigen, welche nie eine Seefahrt mitgemacht hatten, ahneten in fieberischer Aufregung die Wahrheit, und die Zwischendeckpassagiere hielten bereits geheime Zwiesprache über die Möglichkeit, die Verfolgten in irgend einem Winkel des Schiffes zu verbergen. »Dergleichen Dinge seyen schon oft vorgekommen,« flüsterte Einer dem Andern zu, »und lassen sich jetzt so leicht ausführen, wie zu irgend einer andern Zeit.« Kapitän Truck aber betrachtete die Sache von einem ganz anderen Gesichtspunkte, denn sein Beruf führte ihn dreimal jährlich auf die Rhede von Portsmouth, und er fühlte sich nicht sonderlich geneigt, seinen künftigen Verkehr mit dem Platze dadurch zu erschweren, daß er den Behörden offenen Trotz bot. Er erwog hin und her, ob es nicht passend seyn dürfte, sein Schiff in den Wind zu werfen, sich langsam dem Boote zu nähern und dessen Insassen an Bord einzuladen. Dagegen sträubte sich jedoch der Stolz des Seemanns, und Jack Truck war nicht der Mann, um die »Garne« zu übersehen oder zu vergessen, welche von seinen Schiffskameraden in dem Neu-England-Kaffeehaus oder in den wirthlichen Dörfern an den Ufern des Connecticut gesponnen wurden – denn aus Letzterem stammten alle Paketschiffmatrosen und pflegten sich, wenn die Bahnen ihres dermaligen Berufs abgelaufen waren, so regelmäßig darnach wieder zurück zu ziehen, als die Frucht an der Stelle, wo sie fällt, sich zersetzt, oder das Gras, das nicht eingeheimst wird, an dem Platze seines Keimens verdorrt.

»Es unterliegt keiner Frage, Sir George, daß dieser Kerl ein Kriegsschiffboot ist,« sagte der Meister zu dem Baronet, der sich dicht an die Seite des Sprechers herangemacht hatte. »Schaut nur durch dieses Nachtglas nach dem schleichenden Schurken hin, und Ihr werdet sehen, wie die Mannschaft mit gekreuzten Armen auf den Dosten sitzt, gleich Leuten, die des Königs Rindfleisch verzehren. Weder in England noch in Amerika gibt sich irgend Jemand so ein unverschämt müßiges Ansehen, wenn er nicht in regelmäßigem öffentlichem Dienst steht. Doch was dies betrifft, ist die menschliche Natur in beiden Hemisphären ganz die gleiche – wenn Einer Glück hat, so meint er gleich, er habe Alles seinem Verdienste zu danken.«

»Es scheinen ihrer Viele zu seyn! Glaubt Ihr, sie hätten im Sinne, das Schiff durch Entern zu nehmen?«

»Wenn dieß der Fall ist, müssen sie den Willen für's Werk nehmen,« entgegnete Mr. Truck mit ziemlicher Kälte. »Es steht sehr in Frage, ob der Montauk mit drei Kajütenoffizieren, eben so vielen Stewarden, zwei Köchen und achtzehn Backleuten die Notion sonderlich erbaulich finden könnte, sich von der Mannschaft eines sechsruderigen Kutters ›nehmen zu lassen‹ wie Ihr es nennt, Sir George. Wir sind zwar nicht so groß, wie der Planet Jupiter, besitzen aber doch ein Bischen zuviel Schwere, als daß wir – noch obendrein so leicht – in die Tasche gesteckt werden könnten.«

»Ihr gedenkt also Widerstand zu leisten?« fragte Sir George, den augenscheinlich sein großmüthiger Eifer für die Verfolgten bewog, lebhafteres Interesse an ihrem Entkommen zu nehmen, als irgend eine andere Person an Bord.

Kapitän Truck, der sich gerne auf einen Scherz einließ, sann ein wenig nach und drückte dann lachend den Wunsch aus, es möchte ein Congreß- oder Parlaments-Mitglied mit an Bord seyn.

»Euer Wunsch klingt für die Umstände etwas ungewöhnlich,« bemerkte Mr. Sharp. »Wollt Ihr die Güte haben, uns den Grund davon anzugeben?«

»Die Sache berührt eine Frage, die in den Bereich des Völkerrechts gehört, Gentlemen,« fuhr der Schiffsmeister die Hände reibend fort; denn abgesehen von seiner Vorstellungskunst hatte der ehrliche Seemann sich's noch außerdem in den Kopf gesetzt, daß er vollkommen in die Grundsätze Vattel's eingeweiht sey, dessen Werk er in einem wohlabgegriffenen Exemplare besaß. Er zollte nämlich den Lehren dieses Schriftstellers in vollem Maße jene Huldigung, mit welcher diejenigen, die spät zu studiren anfangen, den Lehrer, in dessen Hände sie zufällig gefallen sind, zu betrachten pflegen. »Unter welchen Umständen oder in welcher Kategorie kann ein bewaffnetes öffentliches Schiff ein neutrales zwingen, sich einem Besuch an Bord zu unterwerfen – nicht ›sich nehmen zu lassen‹ Sir George, wie Ihr zu bemerken die Güte haben werdet; denn ich will verdammt seyn, wenn irgend Jemand den Montauk ›nehmen‹ soll, falls er nicht kräftig genug ist, auch seine Mannschaft und sein Kargo in die Tasche zu stecken! – Ich sage aber, in welcher Kategorie kann ein Paketschiff, wie das, welches ich zu befehligen die Ehre habe, in comity Hier ein unübersetzbares Wortspiel zwischen den gleichlautenden Ausdrücken comity (Höflichkeit) und committee (Ausschuß). beizulegen und sich überhaupt einer Untersuchung zu unterwerfen? Das Schiff hat gelichtet und ehrlich unter seinem Tuche lavirt; es wäre mir daher lieb, Gentlemen, wenn es euch genehm seyn sollte, mir eure Ansichten über die Sache zu sagen. Habt gefälligst die Güte, mir die Kategorie namhaft zu machen.«

Mr. Dodge stammte aus einem Theile Amerikas, in welchem die Leute gewöhnt waren, gemeinsam zu denken und zu handeln, wie sie fast auch gemeinschaftlich zu essen, zu trinken und zu schlafen pflegten – oder mit anderen Worten aus einer jener Gegenden, in welcher so großer Gemeinsinn herrschte, daß nur Wenige, selbst wenn ihnen zureichende Kenntnisse und alle die nöthigen Mittel zu Gebot standen, den moralischen Muth besaßen, ihrer Individualität Achtung zu verschaffen. So oft nun die gewöhnlichen Zusammenkünfte, Versammlungen und öffentlichen Meetings für eine »concentrirte Thätigkeit« nicht zureichten, pflegte er mit seiner ganzen Nachbarschaft seine Zuflucht zu einer Bildung von Gesellschaften zu nehmen, um auf diese Weise »energische Mittel,« wie sie genannt wurden, zu erzielen, und die Folge davon war, daß dieser Gentleman von seinem zehnten Jahr an bis zu seinem fünfundzwanzigsten entweder als Präsident, Vicepräsident, Director oder Comittee-Mitglied philosophischer, politischer oder religiöser Nothbehelfe gedient hatte, um die menschliche Weisheit zu kräftigen, die Menschen zu bessern und dem Irrthum oder Despotismus Widerstand zu leisten. Seine Erfahrung hatte ihn mit der eigenthümlichen Sprache derartiger Verbindungen vollkommen vertraut gemacht, und in allen sechs und zwanzig Staaten war kein Mann von seinen Jahren aufzufinden, der auf Ausdrücke, wie »Rechnung tragen« – »Aufregung« – »grundlose Feindseligkeit« – »öffentliche Meinung« – »dem Publikum unterbreiten« oder ähnliche allgemeine Phrasen, die auf die Vorrechte der Gesammtheit, aber nicht auf die Rechte der Einzelnen Bezug nahmen, sich besser verstanden hätte. Unglücklicherweise war die Aussprache dieser Person nicht ganz so rein, als sein demokratischer Sinn, weshalb er denn auch irrthümlicherweise den Ausdruck des Kapitäns in comity für »Committee« nahm. Zwar war es nicht ganz augenfällig, was der würdige Seemann mit einem »beilegen in Committee« konnte andeuten wollen; aber da bekanntermaßen derartige Körperschaften gar viele »energische Dinge« auszuführen im Stande sind, so sah Mr. Dodge nicht ein, warum ein Committee sich nicht eben so gut auf Anordnung des gedachten Manövers verstehen sollte, wie auf die irgend eines anderen.

»Es scheint in der That, Kapitän Truck,« bemerkte er demgemäß, »daß unsere Lage sich einer Krisis nähert, und die Anordnung eines Comity (Committee) kömmt mir ganz besonders geeignet und sachgemäß vor, um so mehr, da diese Maßregel im schönsten Einklang mit republikanischen Bräuchen steht. Um daher keine Zeit zu verlieren und den Gentlemen, die ernannt werden dürften, sogleich die Gelegenheit einer Protokollirung an die Hand zu geben, will ich ohne Weiteres Sir George Templemore zum Obmann vorschlagen, indem ich es jedem anderen anwesenden Gentleman überlasse, den Namen eines ihm passenden Kandidaten in Antrag zu bringen. Indeß erlaube ich mir noch beizufügen, daß meinem unmaßgeblichen Urtheile zufolge dieses Comity (Committee) aus wenigstens Dreien bestehen und ermächtigt seyn sollte, über die benöthigten Personen und Papiere zu verfügen.«

»Als Amendement möchte ich auf fünf antragen, Kapitän Truck,« fügte ein anderer Passagier bei, der gleichfalls dem Schlage des letzten Sprechers angehörte; denn die Herren aus dieser Schule setzen einen Ehrenpunkt darein, bei jedem Vorschlag eine abweichende Meinung vorzubringen, um dadurch ihre Unabhängigkeit zu zeigen.

Zum Glück für den unglücklichen Antragsteller sowohl, als für den Vertreter des Amendements kannte der Kapitän Mr. Dodge's Eigenthümlichkeiten, da andernfalls der Vorschlag, sein Schiff durch ein Committee bearbeiten zu lassen, kaum die beste Aufnahme gefunden haben würde. Ein Blick auf Evas lachende Augen, sowie auf die heiteren Gesichter des Mr. Sharp und Mr. Blunt, die auch im Mondlichte deutlich zu unterscheiden waren, bewog ihn übrigens, mit gravitätischer Miene der Ernennung des gedachten Obmanns seinen vollen Beifall zu zollen und sich bereit zu erklären, den Bericht des vorgedachten Committees entgegenzunehmen, sobald dasselbe vorbereitet seyn dürfte, ihn zu erstatten.

»Und wenn euer Committee oder Comity mir sagen kann, Gentleman,« fügte er bei, »was Vattels Ansicht seyn würde über die Verbindlichkeit, in einer Zeit des tiefsten Friedens beizulegen, während das nachsetzende Schiff oder Boot durchaus kein Kriegsrecht für sich hat, so werde ich euch bis zum Tage meines Todes dankbar seyn. Allerdings habe ich diesen Schriftsteller so gründlich durchgangen, wie ein altes Weib ihren Kalender, wenn sie wissen möchte, aus welcher Richtung der Wind blasen wird; aber ich fürchte, er hat den Gegenstand ganz und gar übersehen.«

Mr. Dodge und drei oder vier von dem gleichen Gemeinsinn hatten bald die Namen des Committees zusammengebracht, und die Ernannten zogen sich nach einem andern Theile des Deckes zurück, um einer gemeinschaftlichen Berathung zu pflegen. Dabei zeigte zum großen Erstaunen der ganzen Effinghamschen Familie Sir George Templemore eine Bereitwilligkeit, in der gedachten Eigenschaft Dienste zu leisten, daß er darüber den Mangel an Förmlichkeit gänzlich übersah.

»Es dürfte am Orte seyn, diesem Committee noch andere Gegenstände zu übertragen, Kapitän,« bemerkte Mr. Sharp, welcher Takt genug besaß, um zu sehen, daß nur die gewohnte Zurückhaltung Eva, deren glänzende Augen von Heiterkeit funkelten, von einem hellen Gelächter abhalten konnte; »denn das Reffen und Beschlagen, das Steuern des Curses, das Vieren der Segel, das Zusammenrufen der Matrosen zur rechten Zeit und unterschiedliche andere übliche Dienstleistungen sind ohne Zweifel wichtige Punkte, welche in dem zu erwartenden Berichte wohl eine Erwähnung verdienen.«

»Allerdings, Sir; ich bemerke, daß Ihr schon früher zur See gewesen seyd, und bedaure daher, daß man Euch nicht zu einem Mitglied des Committees ernannte. Nehmt mein Wort darauf, Alles, dessen Ihr Erwähnung gethan habt, kann an Bord des Montauk so gut durch ein Committee geschehen, als es die Frage zu bereinigen im Stande ist, ob wir vor jenem Boote beilegen sollen oder nicht. – Beiläufig, Mr. Leach, die Bursche haben lavirt und steuern nun in dieser Richtung; sie wollen uns vor die Buge kommen und uns sprechen. – Herr Attorney, die Fluth bringt uns vom Lande ab, und es dürfte wohl Morgen werden, ehe Ihr in Euer Nestchen kommt, wenn Ihr noch länger verzieht. Ich fürchte, Mrs. Seal und Mrs. Grab werden ihres Jammers kein Ende finden.«

Die Spürhunde der Gerechtigkeit achteten nicht auf diese Warnung, denn sie erwarteten vom Kriegsschiffboote Beistand irgend einer Art, obschon sie über das Wie nicht ins Klare kommen konnten; indeß genügte ihnen die Ueberzeugung, daß es der Montauk einholen mußte. Nachdem die beiden Ehrenmänner eine Weile den Kopf zusammengesteckt hatten, bot Mr. Seal seinem Begleiter eine Prise Tabak an und bediente sich hintendrein gleichfalls wie ein Mann, der sich nicht um die Folgen kümmert, sondern geduldig seinem Dienste obliegt. Das sonnverbrannte Gesicht des Kapitäns, dessen Farbe der von Köchen glich, wenn die Flamme am lustigsten lodert, obschon sie weder vor dem Feuer noch in der Kälte je einen Wechsel erlitt – war den Beiden voll zugekehrt, und es ist sehr wahrscheinlich, daß ihnen eine ziemlich entschiedene Kundgebung seines Willens bevorgestanden hätte, wenn nicht eben jetzt Sir George Templemore mit seinen vier anderen Committee-Mitgliedern herangekommen wäre, um das Resultat ihrer Besprechung zu veröffentlichen.

»Wir sind der Ansicht, Kapitän Truck,« begann der Baronet, »daß es, sintemal das Schiff unter Segel ist und die Fahrt als begonnen betrachtet werden kann, durchaus unzweckmäßig und ganz unnöthig erscheint, wieder Anker zu werfen; indeß halten wir es für Eure Pflicht –«

»Sofern meine Pflicht in Frage kommt, bin ich eures Rathes nicht benöthigt, Gentlemen. Wenn ihr mir mittheilen könnt, was Vattel über die Categorie des Durchsuchungsrechts, sofern es nicht kriegsrechtlich geübt wird, sagt oder gesagt haben würde, so werde ich's euch Dank wissen; andernfalls müssen wir uns eben mit dem Rathen begnügen. Ich führe mein Schiff schon zehn Jahre und habe nie nöthig gehabt, in Betreff der Hafengerichtsbarkeit mein Gedächtniß bemühen zu müssen; denn dies sind Dinge, an die man sich durch die Uebung gewöhnt, wie mein alter Meister zu sagen pflegte, wenn er uns nach halb beendigtem Mittagessen von der Tafel wegrief. Wir haben da den Fall mit den Schwarzen in Charleston, in welchem unsere Regierung klärlich zeigte, daß sie den Vattel nicht studirt hatte, sonst würde sie eine andere Antwort gegeben haben. Ihr habt vielleicht nie davon gehört, Sir George, und da sich's dabei um einen verfänglichen Grundsatz handelt, so will ich die Categorie nur leichthin berühren, sintemal er so gut seine Klippen hat wie eine Küste.«

»Aber ist die Sache nicht dringlich? – Könnte nicht das Boot –«

»Das Boot wird nichts thun, ohne daß Jack Truck seine Zustimmung gibt. Ihr müßt wissen, daß die Caroliner ein Gesetz haben, welchem zufolge alle Niggers, die in dem Staat eingeführt werden, in's Käfig müssen, bis das Schiff wieder aussegelt. Man will damit der Emancipation oder Abolition – ich weiß nicht, wie sie's nennen, vorbeugen. Da kommt nun ein Engländer mit einem Haufen Schwarzer von den Inseln, und kraft des Gesetzes werden diese sammt und sonders noch vor Einbruch der Nacht von der Charlestoner Obrigkeit eingesperrt. John Bull beschwert sich bei seinem Gesandten, der eine Note an unsern Sekretär erläßt, und dieser schreibt an den Gouverneur von Carolina, fordert ihn auf, den Vertrag zu respektiren u. s. w. Gentlemen, ich brauche euch nicht zu sagen, was ein Vertrag ist – es ist eine Sache, der man an sich schon Folge geben muß; aber es kommt hauptsächlich dabei darauf an, daß man weiß, was er vorschreibt. Nun, wie lautete also der besagte Vertrag? John Bull erhält darin die Erlaubniß, gleich der bevorzugtesten Nation in dem Hafen aus- und einzufahren – ganz in dem statu quo ante bellum, wie es Vattel nennt. Die Caroliner aber behandelten John gerade so wie den Bruder Jonathan, und weiter war über die Sache nicht zu sagen. Alle Schiffe waren gehalten, in den Hafen einzulaufen und sich den bestehenden Gesetzen zu unterwerfen – so kommt es ausdrücklich im Vattel. Ihr bemerkt daher, daß der Fall bald abgethan war, obschon dabei noch eine kleine Spitzfindigkeit in Frage kam.«

Sir George hatte, um den Sprecher nicht zu beleidigen, mit außerordentlicher Geduld bis an's Ende zugehört; sobald aber der Kapitän eine Pause eintreten ließ, nahm er seine Vorstellungen mit einer Angelegentlichkeit wieder auf, die seinen menschenfreundlichen Gesinnungen sehr zur Ehre gereichte, während er zu gleicher Zeit auch den Anforderungen der Höflichkeit volle Genüge leistete.

»Ein außerordentlich klarer Fall, wie ich gestehen muß, und vortrefflich dargestellt – ich zweifle, ob Lord Stowell es besser hätte thun können – und auch ungemein passend – ich meine das von dem ante bellum. Indeß gestehe ich doch, daß meine Gefühle in langer Zeit nie so sehr in Anspruch genommen wurden, als es eben jetzt durch die Lage dieser armen Leute geschehen ist. Es ist so gar schmerzlich, schon im Morgen des Lebens, wie ich's nennen möchte, in dieser grausamen Weise getäuscht zu werden, und ehe ich mitansehen kann, daß dieser Zustand der Dinge noch weiter in die Länge gezogen wird, will ich mich lieber anheischig machen, eine Kleinigkeit aus meiner eigenen Tasche zu zahlen. Wenn es diesem heillosen Kerl, dem Attorney, recht ist, so soll er hundert Pfund einstreichen, das Schiff verlassen und jenen ärgerlichen Kutter sammt seinen Lugsegeln mit sich zurücknehmen. Ich zahle ihm das Geld von Herzen gerne – von Herzen gerne, kann ich Euch versichern.«

In diesem Zuge praktischen Edelmuthes lag etwas so entschieden Achtunggebietendes, daß sich jetzt die Augen Eva's und aller übrigen Zuhörer, obschon sie sich geneigt fühlten, über den ganzen Vorgang bis auf diese Erklärung zu lachen, mit einem Ausdrucke begegneten, der dem Baronet volles Lob spendete. Er hatte den meisten Anwesenden die Ueberzeugung eingeflößt, daß er ein Herz besaß, trotz dem, daß sein früheres Benehmen manchen Beobachter gegen die Fähigkeiten seines Kopfes mißtrauisch machen mußte.

»Macht Euch wegen des Attorney keine Unruhe, Sir George,« entgegnete der Kapitän, indem er dem Baronet herzlich die Hand drückte; »er soll kein Pfund von Eurem Gelde zu greifen kriegen, und ebensowenig halte ich es für wahrscheinlich, daß er diesem Robert Davis auf den Leib kommen wird. Wir haben die Fluth an unserem Leebug aufgefangen, und die Strömung dreht uns windwärts, etwa wie eine Oppositions-Kutsche über Blackhead hinfliegt. Noch ein paar Minuten, und wir sind in blauem Wasser. Ich will dann dem Schurken etwas vom Vattel zu kosten geben, was ihn an den Mast zurück, wo nicht gar über Bord werfen soll.«

»Aber der Kutter –«

»Pah, wenn wir den Attorney mit seinem Polizeidiener aus dem Schiff getrieben haben, werden die Andern nicht gleichfalls einen Prozeß in Händen haben, vermittelst dessen sie, uns den Mann entführen können, selbst wenn ich ihre Gerichtsbarkeit anerkennen wollte. Ich kenne die Spitzbuben, und keiner davon soll mit meiner Zustimmung auch nur einen Shilling aus diesem Schiffe mit fortnehmen. Ein Wort in's Ohr, Sir George – es sind zwei der verwünschtesten Motten, dergleichen nur je welche den Brodraum eines Schiffes verwüstet haben, und ich will dafür sorgen, daß sie bald umholen, oder ich packe eigenhändig das saubere Paar in ihr Boot.«

Der Kapitän war eben im Begriffe, sich umzuwenden, um die Lage des Kutter zu beobachten, als Mr. Dodge sich die Erlaubniß erbat, in einem kurzen Bericht die Ansicht der Minorität des Comitys (Commitees) darzuthun – des Inhalts, daß sie in allen Dingen mit der Majorität übereinstimmten und nur einen einzigen Punkt ausnehmen müßten: im Falle es nämlich nöthig würde, das Schiff in einem der weiter unten im Kanal gelegenen Hafen vor Anker gehen zu lassen, dürfte es klug seyn, vor einer schließlichen Bereinigung der Sache diesen wesentlichen Umstand in's Auge zu fassen. Dieser Bericht von Seite der Minorität, welcher, wie Mr. Dodge dem Baronet auseinandersetzte, mehr eine Vorsichtsmaßregel als eine Verwahrung seyn sollte, übte auf Kapitän Truck eben so geringen Einfluß, als das Gutachten der Majorität, denn er gehörte unter die Personen, die selten einen Rath annehmen, wenn derselbe nicht in Einklang mit ihrer eigenen früheren Beurtheilung der Frage steht. Er fuhr daher fort, in aller Ruhe den Kutter zu beobachten, der eben jetzt in demselben Kurse steuerte, wie das Schiff, in kurzer Entfernung windwärts stand und nunmehr ein wenig vom Winde abfiel, so daß die beiden Fahrzeuge mit jedem Schuh, den sie vorwärts rückten, sich näher kamen.

Der Wind hatte sich zu einer kleinen Brise angefrischt, und der Kapitän nickte beifällig mit dem Kopfe, als er sogar von der Stelle aus, wo er auf dem Halbdeck stand, das Klatschen der trägen Wellen vernahm, während die massenhaften Schiffsbuge durch das Wasser schnitten. In demselben Augenblicke sah die Mannschaft des Kutters die Schaumblasen rasch an sich vorübergleiten, während die des Montauk noch immer nur eine langsame und schwerfällige Bewegung wahrnahm; aber dennoch lief das letztere Schiff in Wirklichkeit schneller, da beide, wie man es in der Kunstsprache nennt, einen ›Vierknotenweg‹ machten. Der Officier des Bootes entdeckte schnell den Wechsel, der zu seinem Nachtheile eingetreten war, weshalb er die Schooten seiner Lugsegel löste und den Kutter möglichst von dem Winde abhielt, so daß er bald dem Schiff, auf dessen Luvbug er lossteuerte, auf hundert Fuß nahe stand. Das klare milde Mondlicht ließ das Gesicht eines jungen Mannes in einem Glanzhut unterscheiden, der die Halbuniform eines Seelieutenants trug und sich deutlich genug ausnahm, da er in den Sternschotten, in welchen noch zwei andere Personen saßen, aufgestanden war.

»Ich werde es Euch Dank wissen, wenn Ihr den Montauk beilegen laßt,« rief der Lieutenant höflich, indem er augenscheinlich als Compliment gegen die Passagiere, welche sich um das Geländer gedrängt hatten, um zu hören und zu sehen, was vorging – den Hut lüpfte. »Ich bin im Dienste des Königs abgeschickt, Sir.«

»Euer Begehren ist mir bekannt, Sir,« entgegnete Kapitän Truck, dessen Entschlossenheit, der Aufforderung keine Folge zu geben, durch die verbindliche Weise, in welcher das Gesuch angebracht wurde, sehr erschüttert worden war; »und ich fordere Euch zum Zeugen auf, daß Ihr's nur meinem guten Willen zu danken habt, wenn ich Eurem Gesuche willfahre; denn nach den Grundsätzen, welche Vattel und andere Autoren über das Völkerrecht aufgestellt haben, können nur kriegführende Mächte das Durchsuchungsrecht ansprechen, und da wir mit England im Frieden sind, so ist kein Schiff der einen Nation befugt, ein Fahrzeug anzuhalten, das die Flagge der andern trägt.«

»Ich kann mich nicht auf dergleichen Spitzfindigkeiten einlassen, Sir,« erwiederte der Lieutenant mit Schärfe. »Meine Befehle sind bestimmt und Ihr werdet mich entschuldigen, wenn ich Euch erkläre, daß ich sie zu vollziehen beabsichtige.«

»So vollzieht sie meinetwegen, Sir. Wenn Ihr die Weisung habt, mein Schiff zum Beilegen zu bringen, so habt Ihr weiter Nichts zu thun, als zu uns an Bord zu kommen, falls Ihr könnt, und uns zu zeigen, wie Ihr eine Raa zu handhaben versteht. Was die Leute betrifft, die jetzt an den Brassen stehen, so werden sie sich wahrhaftig nicht durch das Sprachrohr Eurer Admiralität in Bewegung setzen lassen. Der junge Mann hat Geist,« fügte er bei, »und seine Grundsätze als Officier gefallen mir, obschon ich seine juridischen Folgerungen nicht zugeben kann. Schmeichelt er sich, uns in eine neue Kategorie hinein schrecken zu können – na, so ist dies wahrhaftig eine Beeinträchtigung des Völkerrechts. Das Jüngelchen hat sich just in ein Problem hineingearbeitet, für das es alle seine Logik und auch einen guten Theil Muth brauchen wird, um wieder herauszukommen.«

»Ihr werdet kaum daran denken, einem königlichen Officier in britischen Gewässern Widerstand leisten zu wollen!« sagte der junge Mann mit jenem Stolze, den selbst der Schüchternste sich bald aneignet, wenn er einmal unter dem Wimpel dient.

»Widerstand leisten, mein theurer Sir? Von Widerstand ist gar keine Rede. Das Mißverständniß beruht blos darin, daß Ihr der Meinung seyd, Ihr hättet auf diesem Schiffe zu gebieten, nicht aber John Truck. Dies ist mein Name, Sir – John Truck. Verrichtet Euern Auftrag – nur müßt Ihr nicht von mir verlangen, daß ich Euch helfen soll. Kommt an Bord – Ihr seyd von Herzen willkommen – denn nichts könnte mir mehr Vergnügen machen, als mit Euch ein Gläschen Wein zu trinken. Aber ich sehe nicht ein, warum ein Paketschiff, das sich für einen langen Weg abmüht, ohne Zweck Halt machen soll, wie wir auf der andern Seite des großen Wassers zu sagen pflegen.«

Es trat eine Pause ein, und dann rief der Lieutenant mit jener Art von Stocken, wie man es wohl bei einem gebildeten Manne findet, wenn er fühlt, daß er einen Vorschlag zu machen im Begriff ist, von dem er weiß, daß er nicht angenommen werden kann – die Leute, welche mit ihm im Boote wären, würden für den Aufenthalt Zahlung leisten. Ein unglücklicheres Ansinnen hätte dem Kapitän Truck nicht gestellt werden können. Ja, wenn sich der Lieutenant erboten haben würde, auf dem Halbdeck des Montauk mit dem ehrlichen Meister über Vattel's Grundsätze zu disputiren, so hätte Mr. Truck wohl keinen Augenblick Anstand genommen, beilegen zu lassen, wäre es auch nur in der Absicht geschehen, eine Art Verwahrung seiner Rechte anzubringen – denn der Wunsch der Anmaßung Widerstand zu leisten, ist, wie die Erfahrung der letzten vierzig Jahre gelehrt hat, in allen Fällen einer Berührung mit englischen Flottenofficieren dem Busen eines jeden amerikanischen Matrosen aufs Tiefste eingepflanzt. Wir sagen, unter der erwähnten Bedingung würde Kapitän Truck den Passagier Robert Davis bereitwillig seinem Schicksal überlassen haben, um mit dem schönen jungen Manne, der noch immer in dem Boot stand, eine Flasche ausstechen zu können; so aber war er zu oft in London gewesen, um nicht zu wissen, wie der Engländer den amerikanischen Character anzuschlagen pflegt. Namentlich kannte er unter Anderem wohl die Ansicht, die auf den britischen Inseln allgemein ist – daß sich nemlich durch Geld mit Bruder Jonathan Alles ausrichten lasse: eine Meinung, bei welcher man sich auf das angebliche Sprüchlein Christophe's beruft, »wenn in der Hölle ein Sack mit Kaffee läge, würde sich ein Yankee auffinden lassen, der ihn herausholte.« Der Kapitän des Montauk war so gut ein Freund von einem rechtmäßigen Gewinn, als ein Anderer, zugleich aber auch eitel auf den Ruf seiner Landsleute, namentlich weil er gefunden hatte, daß die Paketboote an Geschwindigkeit alle übrigen Kauffahrer überboten; dazu kam noch, daß er stolz alle diejenigen Eigenschaften zu verfechten pflegte, welche Andere den Amerikanern abzusprechen geneigt waren.

Kapitän Truck hatte diesen Vorschlag oder vielmehr dieses Ansinnen kaum vernommen, als er, statt darauf einzugehen, blos mit förmlicher Höflichkeit seinen Hut lüpfte und dem Andern kalt »gute Nacht« wünschte. Dies brachte die Angelegenheit mit einemmale zu einer Krisis, denn der Kutter hob jetzt sein Steuer und machte den Versuch, an die Seite des Schiffes zu kommen. Aber die Brise hatte sich stätig gesteigert, die Windstöße waren mit dem Vorrücken der Nacht kräftiger geworden, und die Feuchtigkeit des Abends verdichtete wie gewöhnlich das Tuch der oberen Segel in einer Weise, daß die Geschwindigkeit des Schiffes beträchtlich erhöht wurde. Bei dem Beginn des Gesprächs hatte das Boot dem Focktackelwerk gegenüber gestanden; jetzt aber befand es sich kaum noch in gleicher Linie mit dem Besahnmaste. Der Lieutenant erkannte rasch den Nachtheil, in dem er sich befand, und rief deshalb: »Holt aus!« denn er fand, daß der Kutter dicht unter das Heck des Schiffs fiel und schon mit der nächsten Minute sich im Kielwasser befinden mußte. Der Bugmann des Boots warf einen leichten Enterhaken mit solcher Sicherheit aus, daß er sich in den Besahntackeln verfing; die Leine spannte sich augenblicklich an und der Kutter taute nach. In demselben Momente ging ein Matrose, der von dem Steuerrade herkam, an dem äußeren Rande des Sturmhäuschens vorbei; er hatte übrigens kaum den Stand der Dinge bemerkt, als er mit der Entschlossenheit eines alten Theers ruhig mit seinem Messer über das straffe Tau hinfuhr, so daß es wie eine Packschnur abriß. Der Enterhaken fiel in die See, und das Boot trieb sich in dem Kielwasser des Schiffes. Alles dies war so schnell vor sich gegangen, daß man während des ganzen Vorgangs kaum einmal Athem holen konnte. Aber auch das Beschlagen der Segel und das Einsetzen der Ruder war nur das Werk eines Augenblicks, und der Kutter pflügte unter der gewaltigen Anstrengung seiner Mannschaft durch das Wasser.

»Die Leute sind muthig und hurtig obendrein!« bemerkte Kapitän Truck, der gelassen an einer der Wände lehnte und sich in einer Lage befand, in welcher er Alles, was vorging, gut überblicken konnte. Er benützte die Gelegenheit, die Asche von seiner Cigarre abzuschütteln, und fuhr fort: »Ein hübscher junger Mensch, der's wohl noch zum Admiral oder sogar noch zu etwas Besserem bringen kann, wenn er am Leben bleibt – vielleicht mit der Zeit zu einem Cherub. Na, wenn er noch viel länger in unserem Kielwasser fortrudert, so werde ich ihn aufgeben müssen, denn dann hat er ein Bischen zu viel vom Seesoldaten an sich. Ah, jetzt schiert er heraus wie ein verständiger Junge, der er auch ist. Wahrhaftig, es liegt etwas Allerliebstes in dem Gedanken, mit einem sechsrudrigen Boot ein Paketschiff von der Londoner Linie entern zu wollen, selbst angenommen, daß der Junge an die Seite kommen könnte.«

Mr. Leach und die übrige Mannschaft des Montauk schienen der gleichen Ansicht zu seyn, denn sie fuhren fort, mit der Ruhe von Männern, die man stets an solchen entdeckt, welche in einem undankbaren Geschäfte begriffen sind, die Decken zu reinigen. Dieses sang-froid der Matrosen ist für die Landbewohner stets ein Gegenstand der Ueberraschung; aber Menschen, die sich seit Jahren in Stürmen umgetrieben haben, deren größte Sicherheit Anderen schon bedenklich erscheint, und die sich meist nur durch ihre Geistesgegenwart retten können, gewöhnen sich mit der Zeit eine Gleichgültigkeit gegen alle die kleineren Schrecken und Aufregungen des Lebens an, wie man sie nur im beständigen Bereich der Gefahr erringen kann. Unter den Matrosen ließ sich ein gedämpftes Lachen vernehmen, und hin und wieder glitt der Blick eines neugierigen Auges über die Schanze, um sich von der Lage des kämpfenden Bootes zu überzeugen; dies war übrigens der ganze Eindruck, welchen der kleine Vorfall auf die Schiffsbemannung übte.

Nicht so erging es den Passagieren. Die Amerikaner jubelten über den fehlgeschlagenen Versuch des Kriegsschiffbootes, während die Engländer bedenklich wurden. Letztere waren zu sehr daran gewöhnt, die Rechte der Krone zu achten, als daß sie hätten Gefallen daran finden können, wie ein Fremder in britischem Gewässer einem königlichen Boote solchen Possen spielte. Freilich, die Gesetze gestatten Niemand ein Vorzugsrecht an dem Weg vor der eigenen Thüre; aber dennoch kommt man zuletzt so weit, denselben in einem gewissen Grade für ein Eigenthum anzusehen. Im strengen Sinne genommen, stand der Montauk vielleicht noch immer unter der Herrschaft der englischen Gesetze, obgleich er auf seinem Ankergrunde schon eine Seemeile von dem Lande abgelegen hatte, mittlerweile aber durch die Fluth und seine eigene Geschwindigkeit um dieselbe Strecke weiter in die hohe See hinausgeführt worden war. Ueberhaupt stand das Paketschiff jetzt so fern vom Lande, daß es Kapitän Truck für seine »Pflicht« hielt, die Angelegenheit mit dem Attorney zum Schlusse zu bringen.

»Mr. Seal,« sagte er, »ich bin Euch sehr dankbar dafür, daß Ihr uns so weit das Vergnügen Eurer Gesellschaft gegönnt habt; aber Ihr werdet mich entschuldigen, wenn ich nicht geneigt bin, Euch und Mr. Grab ganz nach Amerika mitzunehmen. Bleibt Ihr noch eine halbe Stunde bei uns, so werdet Ihr kaum im Stande seyn, die Insel wieder zu finden, denn sobald wir in gehöriger Entfernung von dem Kutter stehen, lavire ich gegen Südwest. Auch solltet Ihr der Angst eingedenk seyn, welche Eure Frauen zu Haus um Euch haben.«

»Diese Angelegenheit dürfte ernstlich für Euch ausfallen, Kapitän Truck, wenn Ihr wieder zurückkehrt, denn die Gesetze Englands lassen nicht mit sich spielen. Wollt Ihr die Güte haben, Eurem Steward die Weisung zu ertheilen, daß er mir ein Glas Wasser reiche? Ich finde, daß der Dienst der Gerechtigkeit ein trockenes Amt ist.«

»Thut mir außerordentlich leid, Euch nicht willfahren zu können, Gentlemen. Vattel sagt nichts über das Verabfolgen von Wasser an kriegführende oder neutrale Personen, und die Gesetze des Congresses nöthigen mich, so und so viele Gallonen für den Mann an Bord zu halten. Habt Ihr übrigens Lust, ein Schlaftränklein zu thun und auf den Erfolg unserer Fahrt nach Amerika sowohl, als auf Eure eigene glückliche Heimkehr mit mir anzustoßen, so soll es in Champagner geschehen, wenn ihr anders nichts gegen diese angenehme Flüssigkeit einzuwenden habt.«

Der Attorney war eben im Begriffe, seine Bereitwilligkeit zu Eingehung eines derartigen Vergleichs auszudrücken, als ihm die Gattin von Robert Davis ein Glas mit dem zuerst verlangten Getränke einhändigte. Er nahm es an, trank davon und wandte sich mit der Härte eines Mannes, der sich durch kein zarteres Gefühl in der Verfolgung eines Gewinnes stören läßt, von dem Weibe ab. Jetzt wurde auch der Wein herbeigebracht, und der Kapitän füllte die Kelche mit der Herzlichkeit eines Matrosen.

»Ich trinke auf Eure glückliche Heimkehr zu Mrs. Seal und den kleinen Göttern oder Göttinnen der Gerechtigkeit – Pan oder Merkur, wie sie heißen mögen. Und was Euch betrifft, Grab, so hütet Euch, wenn Ihr einwärts rudert, vor den Haifischen. Wird es ruchbar, daß Ihr flott seyd, so werden Euch die Seelen der verfolgten Matrosen diese lieblichen Thiere nachschicken, wie der Teufel auf verbuhlte Gesellen Jagd macht. Na, Gentlemen, diesmal seyd Ihr zu kurz gekommen; aber was liegt daran? Es ist nur ein Mann weiter wohlbehalten aus einem Lande entwischt, das ohnehin ihrer zu viele hat, und ich hoffe, wir werden heute über vier Monate wieder als gute Freunde zusammentreffen. Selbst Mann und Frau müssen scheiden, wenn das Stündlein gekommen ist.«

»Dies wird rein davon abhängen, wie mein Client Euer Benehmen in dieser Sache ansieht, Kapitän Truck; denn es ist nicht immer geheuer, ihm in den Weg zu kommen.«

»Soviel für Euren Clienten, Mr. Seal,« entgegnete der Kapitän, mit den Fingern schnippend. »Ich lasse mich nicht durch das Brummen eines Attorney's oder das Kopfnicken eines Büttels einschüchtern. Ihr kommt mit einem Writ oder einer Vollmacht – was kümmere ich mich darum? – und ich lege Euch keinen Widerstand in den Weg. Ihr jagt Eurem Manne nach, wie ein Dachshund einer Ratte, und könnt ihn nicht finden, obschon ich den hübschen Burschen in diesem Augenblicke auf dem Deck sehe. Indeß fühle ich mich nicht verpflichtet, Euch zu sagen, wer und wo er ist; denn mein Schiff hat seine Clarirung, ich segle aus und Ihr habt nicht das Recht, mich aufzuhalten. Wir sind um gute dritthalb Stunden über alle Vorgebirge hinaus, und einige Schriftsteller behaupten, daß sich Eure Gerichtsbarkeit nicht über Kanonenschußweite erstrecke: hat man einmal so viel hinter sich, so ist Euer Ansehen nicht halb so viel werth, als das meines Oberkochs, welcher doch wenigstens die Gewalt hat, seinen Gehülfen die Kessel putzen zu lassen. Wohlan, Sir, wenn Ihr noch zehn Minuten länger hier bleibt, so sind wir volle drei Stunden von Eurem nächsten Lande ab, und dann befindet Ihr Euch nach Schiffsrecht in Amerika – dies kann doch wahrhaftig als eine rasche Fahrt gelten. Seht, etwas der Art nenne ich eine Kategorie.«

Bei dieser letzten Bemerkung ersah das rasche Auge des Kapitäns, daß der Wind so weit nach Westen umgeholt hatte, um ein weiteres Laviren unnöthig zu machen, und daß das Schiff jetzt volle acht Knoten in gerader Linie von Portsmouth abfuhr. Ein Blick rückwärts belehrte ihn außerdem, daß der Kutter die Jagd aufgegeben hatte und nach der fernen Rhede zurückkehrte. Unter so entmuthigenden Umständen schickte sich der Attorney zum Abschied an, denn er fürchtete für sein Boot, das im Schlepptau auf dem Wasser einherflog, und sah vollkommen ein, daß er nicht im Stande war, den Kapitän zum Beilegen des Schiffs zu zwingen, damit er hinauskommen konnte. Zum Glück war das Wasser noch leidlich glatt, und unter Furcht und Zittern gelang es Mr. Seal, in das Boot zu plumpen, obschon die Fährleute ihm zuvor bedeuten mußten, daß sie nicht länger halten würden. Mr. Grab folgte nicht ohne Schwierigkeit nach; aber als ein Matrose eben die Leine loslassen wollte, erschien der Kapitän mit dem Manne, den sie gesucht hatten, auf dem Gange, und sagte in seiner gewinnendsten Weise:

»Mr. Grab, Mr. Davis; Mr. Davis, Mr. Grab. Ich stelle zwar selten Zwischendeckpassagiere vor, aber um ein paar alte Freunde zu verbinden, kann ich wohl von meiner Regel abgehen. Ich nenne dies eine Kategorie. Mein Kompliment an Mrs. Grab. Laßt die Leine los!«

Die letzten Worte waren kaum ausgesprochen, als das Boot schon in den sprudelnden Kessel wirbelte, welchen das fortschießende Schiff zurückgelassen hatte.


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