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Vierunddreißigstes Kapitel.

Wir wollen dich dahin geleiten
Und schlagen, bringst du Marcius nicht mit,
Den ersten Weg ein.

Coriolan.

 

Eva und Mademoiselle Viefville hatten wider Willen einem Theil des vorerwähnten Auftritts mit angewohnt, und Kapitän Ducie wünschte sich um der Rolle willen, die er dabei hatte spielen müssen, zu entschuldigen. Zu diesem Zwecke bat er seinen Freund, den Baronet, er möchte ihn regelmäßiger vorstellen, als dies bereits durch Kapitän Truck geschehen war.

»Es ist der angelegentlichste Wunsch meines Freundes Ducie, Miß Effingham, Euch vorgestellt zu werden, um sich wegen der Störung, die er unter uns hervorgerufen hat, rechtfertigen zu können.«

Auf eine anmuthige Verneigung der Dame trat der junge Befehlshaber näher und drückte nach Nennung seines Namens sein Bedauern gegen die Frauenzimmer aus, welche die Entschuldigung natürlich günstig aufnahmen.

»Es ist ein neuer Dienst für mich, Verbrecher festnehmen zu müssen.«

Das Wort Verbrecher klang hart in Eva's Ohr, und sie fühlte, daß ihre Wange erblaßte.

»So sehr uns der Anlaß leid thut,« bemerkte der Vater, »können wir doch ohne Bedauern die Person missen, die Ihr aus unserer Mitte zu nehmen im Begriffe seyd, denn wir haben ihn vom ersten Augenblick seines Erscheinens an als einen Betrüger erkannt. – Aber – was soll dies – geht hier nicht ein Irrthum vor? Ich bemerke, daß bereits der dritte Koffer mit P. P. bezeichnet, ins Boot geschafft wird.«

Kapitän Ducie lächelte und antwortete:

»Ihr werdet es wohl für einen schlechten Witz halten, wenn ich sage: P. P. C.« Pour prendre congé. – Er deutete dabei auf Paul, der, von Kapitän Truck begleitet, aus der Kajüte herauskam.

Letzterer war in eifrigem Gespräch begriffen und gestikulirte gegen die Korvette hin, während er zugleich seinem Begleiter die Hand drückte.

»Muß ich Euch so verstehen,« fragte Miß Effingham in ernstem Tone, »daß uns Mr. Powis auch verlassen soll?«

»Er erweist mir gleichfalls die Gefälligkeit,« – Kapitän Ducie verzog die Lippen ein wenig, als er das Wort Gefälligkeit aussprach – »mich nach England zu begleiten.«

Feine Lebensart und angelegentliche Theilnahme veranlaßten ein tiefes Schweigen, bis sich der junge Mann selbst der Gesellschaft näherte. Paul versuchte sich zu fassen und erkünstelte sogar ein Lächeln, als er seine Freunde anredete.

»Obgleich mir die Ehre der Seesoldatenwache erspart geblieben ist,« begann er, und es kam Eva vor, als liege eine gewisse Bitterkeit in seinen Worten, »so soll ich doch gleichfalls aus dem Schiffe genommen werden. Der Zufall hat mich mehreremale in Eure Gesellschaft geworfen, Mr. Effingham – Miß Effingham – und sollte ich je wieder einmal so glücklich seyn, so hoffe ich, daß es mir erlaubt seyn wird, euch als alte Bekannte anzureden.«

»Wir werden zuverlässig stets die dankbarste Rückerinnerung an Eure wichtigen Dienstleistungen bewahren, Mr. Powis,« entgegnete der Vater. »Ich wünsche nur, daß der Tag bald kommen möge, an welchem ich das Vergnügen habe, Euch unter meinem Dach willkommen zu heißen.«

Paul streckte nun seine Hand aus, um die der Mademoiselle Viefville zu ergreifen und sie mit Artigkeit zu küssen. In gleicher Weise küßte er Eva's Hand, obschon sie fühlte, daß er bei dem Versuch zitterte. Da die Damen zu viel in Ländern gelebt hatten, in welchen unter den Bewohnern diese zierliche Begrüßungsweise üblich ist, so ging sie natürlich als etwas ganz Unverfängliches vorüber.

Von Sir George Templemore trennte sich Paul mit allen Merkmalen der Herzlichkeit. Die Matrosen, denen er eine freigebige Schenkung übermacht hatte, brachten ihm drei Hurrah's, da sie wenigstens seine technischen Verdienste zu würdigen wußten, und Saunders, welcher gleichfalls nicht vergessen geblieben war, begleitete ihn diensteifrig nach der Schiffsseite. Hier rief Mr. Leach: »nach dem Foam!« und die Leute in Kapitän Ducie's Gig setzten sich in Bereitschaft. Auf dem Gange drückte Kapitän Truck Paul abermals herzlich die Hand und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

Alle Zurüstungen waren getroffen, und die beiden Gentlemen schickten sich an, ins Boot zu steigen. Da Eva Alles, was vorging, mit athemloser Beklommenheit beobachtete, so machte ihr das kleine Ceremoniel, das nun stattfand, viel Schmerz. Die Haltung des Kapitäns Ducie gegen seinen Begleiter war ihr schon bisher auffallend vorgekommen, denn er hatte sich gelegentlich stolz und abgemessen, zu andern Zeiten aber wieder versöhnlicher und wohlwollender benommen. Allen diesen kleinen Wechseln folgte sie mit eifersüchtiger Theilnahme, und auch nicht die mindeste Aeußerung von Achtung oder Achtungswidrigkeit entging ihr, als könne sie darin einen Schlüssel zu dem Räthsel des ganzen Vorgangs finden.

»Euer Boot ist bereit, Sir,« sagte Mr. Leach, aus dem Gange tretend, um Paul Platz zu machen, welcher der Leiter am nächsten stand.

Der Letztere war im Begriff hinunterzusteigen, als er leicht von Kapitän Ducie an der Schulter berührt wurde. Eva meinte, ein stolzes Lächeln an dem Befehlshaber des Foam zu bemerken, als er in dieser Weise seinen Wunsch ausdrückte, den Vortritt zu nehmen. Paul erröthete, verbeugte sich und trat bei Seite, um den englischen Offizier zuerst in sein Boot steigen zu lassen.

» Apparemment ce capitaine anglais est un peu sans façon. – Voilà qui est poli!« flüsterte Mademoiselle Viefville.

»Die Befehlshaber von Kriegsschiffen sind kleine Könige,« bemerkte Mr. Effingham, dem die Sache gleichfalls aufgefallen war, mit Ruhe.

Das Gig war bald von dem Schiff los und die beiden Gentlemen wiederholten gegen die auf dem Deck ihre Abschiedsbegrüßungen. Fünf Minuten später waren sie an Bord der Korvette angelangt und das Boot wieder aufs Halbdeck gehißt.

Die Schiffe fuhren nun weiter. Die Korvette zog ein Segel um's andere auf, bis sie zuletzt unter einer Wolke von Tuch stand, und steuerte mit oben und unten gesetzten Prallsegeln gen Osten, während der Montauk seinerseits die Raaen ins Geviert legte und nach dem Hook hinunterlief. Der Lootse der Korvette war an Bord des Paketschiffs geschickt worden, und da der Wind gleich blieb, so hatte letzteres gegen eilf Uhr die Barre hinter sich gebracht. In diesem Augenblick nahm sich das Foam auf der Meeresfläche nur noch wie ein kleiner schwarzer Fleck aus, über dem ein pyramidenförmiges Wölkchen zu schweben schien.

»Ihr wart nicht auf dem Deck, John, um von unserem jungen Freunde Powis Abschied zu nehmen,« sagte Mr. Effingham vorwurfsvoll.

»Ich mochte einer so außerordentlichen Förmlichkeit nicht mit anwohnen, obschon ich vielleicht besser gethan hätte, wenn ich aufs Deck gekommen wäre.«

»Warum besser, Vetter Jack?«

»Aus dem einfachen Grunde, weil der arme Monday meiner Obhut gewisse Papiere vertraut hat, die vielleicht für irgend Jemand von Wichtigkeit sind. Ich übergab sie Mr. Powis, um sie mit ihm untersuchen zu können, sobald wir in New-York angelangt wären. In der Eile des Abschieds hat er sie mit sich fortgenommen.«

»Sie lassen sich durch einen Brief nach London zurückfordern,« sagte Mr. Effingham ruhig. »Habt Ihr seine Adresse?«

»Ich fragte ihn darnach; er schien aber darüber in Verlegenheit zu gerathen.«

»In Verlegenheit, Vetter Jack?«

»Ja, in Verlegenheit, Miß Effingham.«

Man ließ nun den Gegenstand wie in Folge gemeinsamer Uebereinkunft fallen. Es folgten einige Augenblicke befangenen Schweigens, bis das Interesse, welches von der Rückkehr in die Heimath nach mehrjähriger Abwesenheit unzertrennlich ist, seinen Einfluß wieder geltend zu machen begann und die Gegenstände im Land mehr Aufmerksamkeit fanden. Pauls plötzliche Entfernung blieb jedoch nicht vergessen, sondern gab allen, welche Zeugen davon gewesen waren, noch Wochen lang Stoff zu verwunderter Neugier, obschon im Ganzen wenig mehr davon gesprochen wurde. Das Schiff war bald dem Hook gegenüber und die Vergleichung, welche Eva mit den felsigen Vorgebirgen und den malerischen Thürmen des mittelländischen Meeres anstellte, gereichte diesem berühmten amerikanischen Hafen durchaus nicht zum Vortheil.

»Dieser Theil unserer Bai wenigstens ist nicht sehr bewunderungswürdig,« sagte sie, »obschon er zu versprechen scheint, daß es weiter oben besser komme.«

»Irgend ein New-Yorker Bürgerskind, das sich der prasselnden Hitze seines Nott-Ofens durch Reisen entziehen wollte, hat sich's in poetischer Ueberspanntheit einfallen lassen, diese Bai mit der von Neapel zu vergleichen,« sagte John Effingham, »und seine Mitbürger schlucken die Abgeschmacktheit gierig hinunter, obschon die beiden Buchten kaum einen einzigen Zug mit einander gemein haben, welcher der einfältigen Behauptung Werth geben könnte.«

»Aber die weiter oben gelegene Bai ist doch schön?«

»Kaum hübsch. Wenn man viele Jahre nichts Anderes gesehen und die Umrisse anderer Baien vergessen hat, so geht sie allenfalls an; aber Ihr, die Ihr frisch herkommt von den kühneren Seelandschaften des südlichen Europa's, werdet Euch in Eurer Erwartung sehr getäuscht finden.«

Eva war eine glühende Bewunderin von Naturschönheiten und bedauerte daher sehr, aus dem Munde ihres Vetters solche Worte vernehmen zu müssen, da sie eben so großes Vertrauen in seinen Geschmack, als in seine Wahrheitsliebe setzte und der Ueberzeugung leben durfte, daß er über die gemeine Eitelkeit erhaben war, einer Sache ungebührlichen Werth beizulegen, weil er ein Eigenthumsrecht daran zu haben glaubte. Sie kannte ihn als Mann von Welt und wußte, was er über dergleichen Dinge zu sagen pflegte – desgleichen auch, daß keine Spur von Provinzialdünkel in seinem Character lag; denn obgleich er so bereit, als nur irgend Einer, und weit fähiger, als die Meisten, war, sein Vaterland und dessen Institutionen gegen die rohen Angriffe unwissender Schmäher zu verteidigen, beging er doch nur selten den Hauptfehler, einen wirklich schwachen Punkt in Schutz nehmen zu wollen.

Die Umgebung wurde jedoch, je weiter das Schiff segelte, immer schöner, und als sie durch den Paß, welchen man die Engen nennt, fuhren, drückte Eva ihr hohes Entzücken aus. Auch Mademoiselle Viefville gerieth außer sich – vielleicht weniger wegen der Schönheiten der Landschaft, als vielmehr um des Wechsels willen, welchen nach der langen Eintönigkeit des Oceans die regsame, belebte Küste bot.

»Ihr haltet diesen Anblick für großartig?« fragte John Effingham.

»Nicht im geringsten, Vetter Jack; denn obschon sich manche schöne Partieen bemerklich machen, sehe ich doch auch viel Gemeines und Aermliches. Die Inseln sind allerdings nicht italienisch – eben so wenig jene Berge oder jene Linie weit auseinander stehender Klippen; aber zusammen genommen bilden sie eine hübsche Bai, die wenigstens durch ihre Ausdehnung und ihre Zweckmäßigkeit einen gewissen edlen Anstrich gewinnt.«

»Alles dies ist wahr, denn vielleicht gibt es auf der ganzen Erde keinen zweiten Hafen, der dem Handel so viele Vortheile böte. In dieser Hinsicht gibt es meiner Ansicht nach nirgends seines Gleichen, obschon ich hundert Baien kenne, die ihn an Schönheit übertreffen. Letzteres läßt sich namentlich fast durchgängig von den natürlichen Hafen sagen, welche das mittelländische Meer aufzuweisen hat.«

Eva hatte die prachtvolle Küste Italiens noch in zu frischer Erinnerung, um über die dürftigen Landhäuser und Dörfer in Entzücken auszubrechen, welche mehr oder weniger die Bai von New-York säumen. Als sie aber den Punkt erreichten, wo man die beiden, durch die Stadt getrennten Ströme und vor sich die Höhen von Brooklin überblicken konnte, die sich jedenfalls von der einen Seite als wirkliche Höhen ausnahmen, während auf der anderen die zurückweichende Pallisadenmauer einen recht lieblichen Eindruck machte, behauptete Eva, daß die Landschaft entschieden schön genannt werden könne.

»Ihr habt Euern Punkt gut gewählt,« sagte John Effingham, »obschon ich nichts Großartiges daran sehen kann.«

»Aber es ist die Heimath, Vetter Jack.«

»Freilich, die Heimath – Miß Effingham,« entgegnete er gähnend; »und da Ihr keine Ladung zu verkaufen habt, so fürchte ich, Ihr werdet sie ungemein langweilig finden.«

»Wir werden sehen – wir werden sehen,« erwiederte Eva lachend.

Nachdem sie einige weitere Minuten umhergeblickt hatte, fügte sie in einer Weise bei, in welcher sich wirklicher und erkünstelter Verdruß allerliebst mit einander vermengten: »In einem Punkte wenigstens gestehe ich, daß meine Erwartungen getäuscht sind.«

»Ihr könnt von Glück sagen, meine Liebe, wenn es nur bei diesem einzigen sein Verbleiben hat.«

»Diese kleineren Schiffe sind weit weniger malerisch, als diejenigen, welche ich zu sehen gewohnt bin.«

»Eine sehr richtige Bemerkung, und wenn Ihr ein Bischen tiefer in den Gegenstand eingehen wollt, so werdet Ihr in diesem Zubehör einer amerikanischen Landschaft ein auffallendes Gebrechen entdecken. Die hohen Spieren all der kleineren Schiffe auf diesen Gewässern üben, wenn man sie mit der einförmigen, ebenen Küste der Flußufer und der Bildung des Landes im Allgemeinen vergleicht, die Wirkung, daß sich die Umrisse der Landschaft noch kleinlicher machen. Der Hudson ist zwar ohne Frage schön und hat nicht seines Gleichen; aber dennoch würde er sich weit großartiger ausnehmen, wenn sich nicht diese hohen, linkischen Masten darauf hin und her bewegten.«

Der Lootse begann nun die Segel zu kürzen, und das Schiff fuhr nun in jenen Seearm ein, der in der eigentümlich unzweckmäßigen Bezeichnung der Amerikaner East River genannt wird. Hier sprach unsere Heldin unverhohlen aus, daß sie etwas ganz Anderes erwartet habe; denn die Stadt selbst kam ihr gewöhnlich und unbedeutend vor. Die Batterie, an welche sie sich noch ein wenig erinnern konnte, und von der sie so viel gehört hatte, befriedigte, trotz ihrer schönen Lage, ihre Erwartung durchaus nicht, da sie weder die Ausdehnung noch die Großartigkeit eines Parks besaß, ja, an Schönheit nicht einmal einem schattig angelegten Garten verglichen werden konnte. Da man ihr übrigens gesagt hatte, ihre Landsleute verstünden sich fast gar nicht auf die Kunst, einer Landschaft ein parkartiges Aussehen zu geben, so machte sie sich nicht viel daraus, obschon ihr der Anblick der Stadt wie auch der Schmutz und die Armuth, welche sich auf den Kaien zur Schau stellten, unangenehm auffiel. Sie mochte übrigens John Effingham in seiner tadelsüchtigen Stimmung nicht ermuthigen und behielt deshalb ihre Ansichten vorderhand bei sich.

»Ich finde hier weniger Verbesserungen, als ich zu treffen hoffte,« sagte Mr. Effingham, als sie an der Werfte in eine Kutsche stiegen. »Zwar waren meine Erwartungen nicht sehr hoch gespannt, John, obschon ich so viel Wesens darüber machen hörte.«

»Und doch sind in Eurer Abwesenheit große, sehr große Verschönerungen vorgenommen worden; wenn Ihr Euch dieses Platzes erinnern könntet, wie er in Eurer Jugend aussah, so müßten Euch die Veränderungen wie ein Wunder vorkommen.«

»Ich kann dies nicht zugeben und bin mit Eva der Ansicht, der Platz sehe eher gemein, als ansprechend aus. Alles riecht entschieden nach der Provinz, und nirgends ist ein Zug, der einer Hauptstadt würdig wäre.«

»Beides verträgt sich recht wohl mit einander, Ned, wenn Ihr Euch nur die Mühe geben wollt, Euer Gedächtniß anzuspornen. Die Stadt ist wirklich gemein und hat einen Provinzial-Character; aber vor dreißig Jahren war dies in einem noch viel höhern Grade der Fall, als heutzutage. Nach einem Jahrhundert wird sie wohl einer europäischen Großstadt ähnlicher werden.«

»Welche abscheulichen Dinge diese Pfähle sind!« rief Eva. »Sie geben den Straßen das Ansehen eines Dorfes, und ich sehe nicht ein, was sie nützen sollen.«

»Sie dienen zum Ausspannen von Zeltdächern und beweisen an sich schon den eigenthümlichen Provinzial-Character der Stadt. Wenn Ihr übrigens ein wenig nachdenken wollt, so werdet Ihr einsehen, daß es nicht wohl anders seyn kann. Es leben hier nahezu dreimalhunderttausend Seelen – zwei Dritttheile davon kommen aus dem Innern oder sind aus fremden Ländern eingewandert. Ein solcher Zusammenfluß von Menschen muß in der ersten Zeit einer Stadt nothwendig einen eigenthümlichen Character aufdrücken, und wenn dieser nach dem Dorfe schmeckt, so kann man es dem Platze selbst nicht zum Vorwurf machen. Im Gegentheil ist es lächerlich, etwas Anderes zu verlangen, wenn die Thatsachen so deutlich sprechen.«

»Die Straßen scheinen ganz verödet zu seyn. Ich hielt New York für eine sehr belebte Stadt.«

»Und doch ist dies das Broadway, eine Straße, von der Euch jeder Amerikaner sagen wird, sie sey stets so von Menschenmassen überfüllt, daß man nicht einmal darin athmen könne.«

»Nur John Effingham macht von diesen Amerikanern eine Ausnahme,« bemerkte Mr. Effingham lächelnd.

»Dies ist also Broadway?« rief Eva fast erschrocken.

»Ohne Frage. Seyd Ihr noch nicht erstickt?«

Eva blieb still, bis der Wagen vor der Thür ihrer väterlichen Wohnung anfuhr. Mademoiselle Viefville dagegen drückte über Alles, was sie sah, ihre Freude aus – Kundgebungen, durch welche ein Landeseingeborener wohl hätte getäuscht werden können, da einem solchen nicht wohl zuzumuthen ist, daß er in der Lage sey, sich die Ursache ihres Entzückens zu erklären. Sie war erstlich eine Französin und als solche daran gewöhnt, den Leuten gerne etwas Angenehmes zu sagen, und zweitens kam sie eben erst von einem Elemente her, das sie verabscheute, weshalb das Land einen doppelt erfreulichen Eindruck auf sie machte. Der Hauptgrund lag übrigens darin, daß Mademoiselle Viefville, gleich den meisten Europäern, Amerika sich nicht nur als ein Provinzialland mit sehr tiefstehender Civilisation, sondern als einen halb barbarischen Welttheil gedacht hatte. Was sie jetzt sah, übertraf ihre Erwartungen dermaßen, daß so zu sagen der Gegensatz sie mit Entzücken erfüllte.

Da wir später Gelegenheit haben werden, von Mr. Effinghams Wohnung zu sprechen und den Leser in die Geschichte unserer verschiedenen handelnden Personen weiter einzuführen, so übergehen wir vorderhand die Gefühle, welche Eva erfüllten, als sie sich selbigen Abend unter ihrem eigenen Dache einrichtete. Am andern Morgen jedoch trat ihr im Frühstückzimmer John Effingham entgegen, und machte sie mit ernster Miene auf nachstehenden Artikel aufmerksam, welcher in einem der Tagesblätter stand.

»Der Montauk, Londoner Paketschiff, der schon seit einiger Zeit erwartet wurde, ist laut Bericht in unseren See-Neuigkeiten gestern angelangt. Dieses Schiff hat verschiedene interessante Abenteuer durchgemacht, die, wie wir mit Vergnügen vernommen haben, in Bälde durch einen der Passagiere, einen Gentleman, welcher in jeder Hinsicht der Aufgabe gewachsen ist, der Welt vorgelegt werden sollen. Unter den ausgezeichneten Personen, welche mit diesem Schiffe angekommen sind, befindet sich unser Zeitgenosse Steadfast Dodge, Esquire, dessen unterhaltende und belehrende Briefe aus Europa bereits der Oeffentlichkeit vorgelegt sind. Mit Vergnügen hören wir, daß Mr. Dodge mehr als jemals mit seinem Vaterland zufrieden wiederkehrt und es als vollkommen gut genug für ihn bezeichnet. Man flüstert sich zu, unser gelehrter Freund habe in einigen neueren Ereignissen an der Küste von Afrika eine sehr ansehnliche Rolle gespielt, obschon seine ungemeine Bescheidenheit, die männiglich bekannt ist, ihn nicht gerne von der Sache sprechen läßt. Wir enthalten uns übrigens eines Weiteren, um ein Zartgefühl, das wir zu achten wissen, nicht zu verletzen!

»Seiner britannischen Majestät Schiff, das Foam, dessen Ankunft wir schon vor einigen Tagen gemeldet haben, enterte den Montauk in der Höhe des Hook und bemächtigte sich an Bord desselben zweier Verbrecher, von welchen dem Vernehmen nach einer die Summe von 140,000 Pfunden unterschlagen hat, der andere aber, obschon der Sprößling eines adeligen Hauses, aus dem Dienste des Königs desertirt ist. Mehr davon morgen.«

Dieser Morgen kam aber nie, denn irgend ein neuer Vorfall trat an die Stelle der zugesagten Erzählung. Ein Volk, das sich nicht einmal Zeit nimmt, zu essen, und bei dem das »Vorwärtsgehen« sogar statt der Religion gelten muß, mag sich nicht mit einem Rückblicke auf vierundzwanzig Stunden bemühen, um eine Thatsache aufzusuchen.

»Ohne Zweifel ist dies eine boshafte Lüge, Vetter Jack,« sagte Eva, als sie das Zeitungsblatt niederlegte, mit vor Unwillen glühender Stirne – eine Aufwallung, die, obschon sie sich nur für einen Augenblick kund gab, doch auf mehr als eine bloße Besorgniß hindeutete.

»Ich hoffe, daß sich's so herausstellen wird. Bei reiflicherer Erwägung muß ich übrigens sagen, daß die Sache auffallend genug ist, um wenigstens den Argwohn sehr natürlich zu machen.«

Was Eva weiter dachte, und wie sie sich benahm, dies wird uns Gelegenheit zu späterer Besprechung geben.

 


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