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Ich wollte, ich säße in London in einer Schenke!
All' meinen Ruhm gäbe ich hin für einen Krug
Bier und meine Sicherheit.
Heinrich V.
Mademoiselle Viefville beeilte sich mit einer Entschiedenheit und Einsicht, durch welche sie sich in Augenblicken der Noth sehr nützlich machte, den Verwundeten ihre Dienste anzubieten, während Eva, von Anna Sidley begleitet, in das Schiff hinunterstieg und, so gut es bei der geneigten Lage des Schiffes gehen wollte, sich nach den Kajüten begab. Sie fand hier weit weniger Verwirrung, als man wohl hätte erwarten sollen, und eigentlich einen mehr komischen, als peinlichen Anblick; denn Mr. Monday befand sich in einem Staatsgemache und wurde daher nicht sichtbar.
Zuerst bemerkten sie den sogenannten Sir George Templemore, der seine Habseligkeiten überzählte und in seiner Garderobe eine traurige Lücke entdecken mußte. Vertragsmäßig hatten zwar die Beduinen von der Gesammtbeute nichts berührt, um dieselbe ehrlich auf dem Riffe vertheilen zu können; um übrigens die Habgierigsten in dem Haufen mit einem Brocken zufriedenzustellen, war von den Scheiks die Erlaubniß ertheilt worden, ein einziges Gemach zu plündern. Dieses unselige Geschick hatte das des Sir George Templemore betroffen, so daß jetzt die Patentrasirmesser, das ostindische Toiletten-Etuis und anderer Tand, der unseligen Kleidungsstücke, welche der junge Mann als Augenweide in seinem Zimmer paradiren ließ, gar nicht zu gedenken, verschwunden waren.
»Erweist mir doch den Gefallen, Miß Effingham,« redete er Eva an, – denn obschon er sonst großen Respekt vor ihr hatte, sah er sich jetzt doch gedrungen, in Ermanglung irgend einer andern Person ihr seine Noth zu klagen, – »erweist mir doch den Gefallen, in mein Gemach hereinzublicken und mitanzusehen, in welcher heillosen Weise ich behandelt worden, bin. Kein Kamm, kein Rasirmesser ist zurückgeblieben – nicht einmal ein Kleidungsstück, in dem ich anständig auftreten könnte! Wahrhaftig, ein solches Benehmen ist sogar ein Schimpf für die Civilisation von Barbaren, und sobald ich in New-York ankomme, soll es mein erster Schritt sein, die Sache gebührend Sr. Majestät Minister vorzutragen. Ich hoffe aufrichtig, daß es Euch besser ergangen ist, obschon ich nach diesem Pröbchen von Gewissenhaftigkeit nicht viel für irgend Jemand erwarte. Wir werden es ihnen zuletzt noch Dank wissen müssen, wenn sie nicht das ganze Schiff ausgeraubt haben. Ich zähle darauf, daß wir Alle gemeinschaftlich Beschwerde über sie führen werden, sobald wir Amerika erreichen.«
»Dies sollte in der That geschehen, Sir,« antwortete Eva, die ihn zwar von Anfang an als einen Betrüger gekannt hatte, aber doch geneigt war, seine Namensfälschung mehr der Eitelkeit als irgend einem andern Grunde zuzuschreiben, und nun wegen seines im Kampfe gezeigten Muthes einiges Wohlwollen gegen ihn fühlte, »obschon ich hoffe, daß wir besser davongekommen seyn werden. Unsere Effekten waren meist in dem Gepäckraume, der, wie ich von Kapitän Truck höre, nicht berührt wurde.«
»Da könnt Ihr in der That von Glück sagen, und ich möchte nur wünschen, daß es mir eben so gut ergangen wäre. Aber Ihr wißt, Miß Effingham, man muß seine kleinen Bequemlichkeiten um sich haben, und ich für meine Person gestehe, daß ich in diesem Punkte ein wenig schwach bin.«
»Welch' heillose Verschwendung und Verwüstung!« rief Saunders, als Eva auf dem Wege nach ihrer eigenen Kajüte weiter ging, um Sir Georges ferneren Beschwerden zu entrinnen. »Seyd nur so gut, Miß Effingham, einen Augenblick in diese Speisekammer hereinzuschauen. Ich glaube, jene Niggers haben ihre Finger in Allem gehabt, und es wird mich und Toast wohl eine Woche kosten, um die Sachen wieder in anständige Ordnung zu bringen. Einigen dieser Schreiks« (denn so nannte der Steward die Häuptlinge) »muß es an diesem Platze wahrhaft hundewohl gewesen seyn, wie Ihr an der Art sehen könnt, in welcher sie den Senf verschüttet und diese kalte Ente verstümmelt haben. Ich habe eine ganz sterbliche Awersion gegen einen Menschen, der das Geflügel gegen die Fasern schneidet, und werdet Ihrs wohl glauben, Miß Effingham, daß der letzte Schuß, welchen Mr. Blunt abfeuerte, ein halbes Dutzend Hühner, die gerade zufällig um den Weg waren, treffen oder anderwärtig verscheuchen mußte? Ich habe nämlich alle die armen Tröpflein aus den Ställen herausgelassen, damit sie selbst für ihren Lebensunterhalt sorgten, im Falle wir nicht wieder zurückkämen, und ich hätte wahrhaftig gedacht, ein so feiner und geschickter Gentleman, wie Mr. Blunt ist, würde lieber auf die Beduinen, als auf meine Hühner geschossen haben.«
»So geht es,« dachte Eva, welche weiter ging, nachdem sie einen Blick in die Speisekammer gethan hatte. »Was heute als ein Glück betrachtet wird, gibt morgen Anlaß zur Klage, und der Jammer über Widerwärtigkeiten ist in demselben Augenblicke vergessen, in welchem eine günstigere Lage ihren Einfluß geltend macht. Noch vor wenigen Stunden würden sich diese beiden Menschen glücklich geschätzt haben, wenn sie in diesem Schiffe nur wieder eine Heimstatt oder ein Obdach gefunden hätten, und nun zanken sie sich mit ihrem guten Glücke, weil ihnen Einiges von dem gewohnten Ueberflusse oder von ihren verzärtelnden Gemächlichkeiten fehlt.«
Wir müssen jedoch ihr überlassen, unter dem Einflusse dieser heilsamen Betrachtungen den Zustand ihres eigenen Gemachs zu untersuchen, während wir selbst nach dem Decke zurückkehren.
Es war noch nicht spät, und Kapitän Truck ging, sobald er einmal seine Gefühle beruhigt hatte, mit Eifer ans Werk, um seinen Sieg aufs Beste zu benützen. Die auf dem Sande umherliegenden Güter waren bald wieder in den Raum gebracht, und sein Hauptaugenmerk ging nun zunächst darauf hin, das Schiff wieder flott zu machen, ehe er die neuen Spieren einsetzte. Da dir Kedschen sich noch an dem Riff und alle Anker an den Plätzen befanden, wo sie ursprünglich angebracht worden waren, so war weiter nichts zu thun, als die Ketten zum Heben bereit zu halten, um die Hochfluth benützen zu können. Die Zwischenzeit wurde zu Abtragung des noch stehenden unvollkommenen Tackelwerks und zu Heraufschaffung der Scheerböcke benützt, um den Rumpf des Fockmastes, wie auch den Nothhauptmast herauszuhissen, der, wie man sich erinnern wird, erst zwei Tage vorher eingesetzt worden war. Alle Geräthschaften, deren man hiezu benöthigt war, befanden sich noch auf dem Deck, und da männiglich bereitwillig mithalf, so war dieses Geschäft gegen Mittag abgethan. Der Nothmast machte nur wenig Mühe und lag bald auf der Sandbank. Kapitän Truck ließ sodann die Scheerböcke weiter rücken und den zerbrochenen Fockmast ausheben, der eben auf dem Sande unten anlangte, als die Köche Meldung thaten, daß das Mittagessen für die Mannschaft bereit sey.
»Da liegt, ein kahler Rumpf, der arme Tom Bowliene,« sagte Kapitän Truck zu Mr. Blunt, als die Matrosen auf ihrem Wege nach der Schiffsküche das Gerüste heraufkamen, um ihre Schüsseln aufzusuchen. »Ich habe den Montauk nicht ohne Mast gesehen seit dem Tage, als er, ein neugeborenes Kindlein, auf dem Schiffswerfte lag. Doch dort am Ufer schleicht noch immer ein halbes Dutzend von jenen mumifizirten Halunken umher, obschon die große Mehrheit, wie Mr. Dodge sagen würde, eine entschiedene Neigung an den Tag gelegt hat, eine weitere Bekanntschaft mit dem Dänen zu kultiviren. Meiner geringen Meinung nach, Sir, wird dieses arme, verlassene, unschuldige Schiff heute Abend nicht mehr in seinem Innern haben, als eine von Saunders Enten, wenn sie bereits ein Stündlein abgethan ist. Wie steht's mit jenem wackern Burschen, dem Mr. Monday, Leach? Ich fürchte, er ist zwischen Wind und Wasser getroffen.«
»Wie ich von Mr. John Effingham höre, ist er in der That übel daran. Der Erstere gestattet, wie's auch gebührlich ist, durchaus nicht, daß ihn Jemand störe, und hat die Weisung ertheilt, daß man das Staatsgemach Niemand öffne, als ihm und seinem Bedienten.«
»Ja, ja, dies ist Liebespflicht. Man hat gern ein wenig Ruhe, wenn man auf den Tod verwundet ist. Sobald sich übrigens das Schiff in einem Zustande befindet, daß man es auch ansehen kann, wird es meine Pflicht seyn, ihn zu besuchen und dafür Sorge zu tragen, daß es ihm an nichts abgehe. Wir müssen dem armen Manne die Tröstungen der Religion anbieten, Mr. Blunt.«
»Dies dürfte allerdings wünschenswerth seyn, wenn wir nur Jemand hätten, der dieser Aufgabe gewachsen wäre.«
»Ich kann mir dies nicht so weit nachrühmen, als es vielleicht seyn sollte, wenn man in Betracht zieht, daß mein Vater ein Geistlicher war; indeß finden wir Meister von Paketschiffen oft Gelegenheit, uns in allem nur Erdenklichen zu versuchen. Sobald das Schiff in Ordnung ist, werde ich nicht säumen, nach dem wackeren Manne zu sehen. Beiläufig, Sir, was ist denn während des Gefechtes aus Mr. Dodge geworden?«
Paul lächelte, antwortete übrigens vorsichtig:
»Ich glaube, er ist damit beschäftigt, Notizen über den Kampf aufzuzeichnen, und wird ohne Zweifel im Active Inquirer Euch volle Gerechtigkeit widerfahren lassen, sobald ihm seine Spalten wieder zu Gebot stehen.«
»Allzuviel Gelehrsamkeit, wie mein guter Vater zu sagen pflegte, hat ihn ein bischen toll gemacht. Doch mein Herz ist heute dankbar gestimmt, Mr. Blunt, und ich will es daher nicht so genau nehmen. Mr. Dodge hat sich im Kampfe nirgends blicken lassen – freilich sind so viele von diesen schuftigen Beduinen da gewesen, daß man keine Gelegenheit fand, viel Anderes zu sehen. Wir müssen jetzt den Montauk mit möglichster Eile aus dem Riffe bringen, denn um Euch ein Geheimniß mitzutheilen« – hier dämpfte der Kapitän seine Stimme zu einem Flüstern – »es sind nur noch zwei Patronen für jedes Gewehr und eine einzige für den Vierpfünder vorhanden. Ich gestehe, daß mich sehr darnach verlangt, in hohe See zu kommen.«
»Nach dem, was wir ihnen bereits zu kosten gaben, werden sie kaum einen weiteren Versuch machen, uns zu entern.«
»Wer weiß, Sir – wer weiß. Sie schwärmen an der Küste hin wie Krähen, die Aas wittern, und sind sie einmal mit dem Dänen fertig, so werden wir sie gleich gierigen Wölfen zu Hunderten uns umschnüffeln sehen. Wie lange steht's wohl noch an bis zur Hochfluth?«
»Vielleicht eine Stunde. Ich glaube nicht, daß wir viele Zeit zu verlieren haben, bis die Leute an den Haspel müssen.«
Kapitän Truck nickte und schickte sich an, den Zustand seiner Grundtakelage zu untersuchen. Es war ein freudiger, zugleich aber auch ein beklemmender Moment, als die Handspacken zum erstenmal eingesetzt wurden und der schlaffe Theil der Ketten hereinzukommen begann. Das Schiff hatte mehrere Stunden aufrecht gestanden und Niemand konnte daher wissen, wie fest es auf dem Grunde saß. Als die Kette angezogen wurde, begaben sich die Gentlemen, mit Einschluß der Offiziere, auf die Buge, und beobachteten angelegentlich die Wirkung eines jeden Rucks; denn nach den Vorgängen war es immerhin noch ein beängstigender Umstand, an einer solchen Küste auf dem Strande zu liegen.
»Beim Görge, das Schiff rührt sich!« rief der Kapitän. »Treibt Alle zumal, ihr Leute, und ihr werdet den Sand aufstören.«
Die Matrosen arbeiteten tüchtig und gewannen Zoll um Zoll, bis keine Anstrengung mehr im Stande war, die schwere Maschine weiter zu drehen. Die Maten und zuletzt auch der Kapitän versuchten nach einander ihre Kraft, ohne übrigens mehr als noch einen halben Umschwung zu erzielen. Jetzt wurde Alles, selbst die Passagiere nicht ausgenommen, aufgeboten, und die ungeheure Spannung schien den Haspel zerreißen zu wollen. Dennoch blieb das Schiff unbeweglich.
»Vorn hängt's am festesten, Sir,« sagte Mr. Leach. »Was meint Ihr, sollen wir nicht das Sternboot aufziehen?«
Dieses Auskunftsmittel kam in Anwendung, und nun zeigte sich's bald, wie die gegenwirkenden Kräfte sich so nahezu das Gleichgewicht gehalten hatten, daß die Entfernung des Bootes den Ausschlag gab. Ein starker Ruck brachte das Schiff auf, ein Zoll mehr Wasserhöhe unterstützte die Anstrengung, und dann gab der massenhafte Rumpf langsam dem Borgtaue nach. Der Montauk drehte sich allmählig dem Anker zu, bis der rasche Umschwung der Hemmstangen ankündigte, daß das Schiff wieder vollkommen flott war.
»Gott sey Dank dafür, wie auch für alle Gnade, die er uns erwiesen hat!« rief Kapitän Truck. »Laßt fortwinden, Mr. Leach, bis die Metze vor ihrem Anker liegt, und dann wollen wir von dem Grunde Einsicht nehmen.«
Alles dies geschah und das Schiff wurde mit gebührender Rücksicht auf das Umschlagen des Windes festgelegt, der jetzt anzuhalten versprach. Man verlor keinen Augenblick. Die Scheerböcke standen noch, weshalb der Fockmast des Dänen neben Bord geholt, festgemacht und so schnell, als sich mit der erforderlichen Sorgfalt vertragen wollte, nach seinem neuen Platze gehoben wurde. Sobald der Mast eingesetzt war, rieb sich Kapitän Truck voll Vergnügen die Hände und erließ unmittelbar darauf an seine Untergebenen den Befehl, ihn aufzutakeln, obgleich es mittlerweile schon spät geworden war.
»So ergeht es uns Seeleuten, Mr. Effingham,« bemerkte er; »von den Fallen zum Kampf und dann vom Kampf wieder zu den Fallen. Unsre Arbeit wird, wie die der Frauenzimmer, nie fertig, während das Landvolk mit dem Untergang der Sonne abbricht, weil ihm das Korn im Schlafe wächst. Ich habe es meinen Eltern nie ganz verzeihen können, daß sie mich zu einem solchen Hundeleben erzogen.«
»Ich ließ mir sagen, es sey Eure eigene Wahl gewesen, Kapitän.«
»Nun ja, vielleicht war dies der Fall, so weit nemlich das Entlaufen und der Umstand zur Sprache kömmt, daß ich mich ohne ihr Vorwissen einschiffte; aber es war ihre Pflicht, bei mir einen guten Grund zu legen und mich in einer Weise zu erziehen, die keinen Gedanken ans Entlaufen in mir hätte aufkommen lassen sollen. Gleichwohl möge mir der Herr verzeihen, daß ich die zwei lieben alten Leute tadle, denn, aufrichtig gestanden, sie waren viel zu gut für einen solchen Sohn, und ich glaube ehrlich, sie liebten mich mehr, als ich mich selbst liebte. Na, ich habe doch die Beruhigung, zu wissen, daß ich die alte Frau mit manchem Pfund trefflichen Thees tröstete, nachdem ich mich beim China-Handel betheiligt hatte, Mamsell.«
»Liebte sie den Thee?« versetzte die Gouvernante höflich.
»Oh, gerade so sehr, wie ein Pferd den Haber oder ein Kind Rahmtörtchen. Thee, Schnupftaback und Gnade waren ihre Haupttröstungen.«
» Quoi?« fragte die Gouvernante, indem sie Paul um eine Erklärung anblickte.
» Grâce, Mademoiselle; la grâce de Dieu.«
» Bien!«
»Allem nach ist es doch ein trauriges Mißgeschick, eine Mutter zu verlieren, Mamsell. Es kömmt mir vor, wie das Kappen aller Bugbefestigungen, so daß man nur noch an dem Sterne hängt; denn man muß damit den Halt an dem aufgeben, was früher vorgegangen ist, und es wird Einem dann viel schwerer, sich mit der Zukunft herumzubalgen. 's ist zwar wahr, daß ich als junger Bursche meiner Mutter entlief, ohne daß ich mir viel dabei dachte; aber als sie den Stiel umdrehte und mir davon lief, begann ich zu fühlen, daß ich doch nicht den rechten Gebrauch von meinen Beinen gemacht hatte. Welche Kunde bringt Ihr von dem armen Monday?«
»Wie ich höre, beklagt er sich nicht viel über Schmerzen; aber er wird mit jedem Augenblick schwächer,« entgegnete Paul. »Ich fürchte, wir dürfen nicht hoffen, daß er eine solche Verwundung überleben werde.«
Der Kapitän hatte eine Cigarre herausgelangt und Toast zugewinkt, daß er ihm eine Kohle bringe; jetzt aber änderte er plötzlich seinen Sinn, denn er zerrieb den Taback zu Staub und streute ihn auf dem Decke herum.
»Warum zum Teufel geht es mit diesem Auftakeln nicht vorwärts, Mr. Leach?« rief er unmuthig. »Ich habe nicht Lust, den Winter auf diesem Ankergrunde zu verbringen, und verlange daher ein bischen mehr Behendigkeit.«
»Sehr wohl, Sir,« entgegnete der Mate, der zu der geduldigen und gehorsamen Klasse gehörte. »Hand angelegt, meine Jungen, und bringt die Stränge an ihre Plätze.«
»Leach,« fuhr der Kapitän freundlicher fort, während er noch immer unwillkührlich mit seinen Fingern arbeitete; »tretet ein wenig hieher, mein guter Freund. Ich habe in Betreff Eures guten Verhaltens in diesem letzten Scharmützel mein Herz noch nicht ganz gegen Euch ausgeleert, Mr. Leach. Während der ganzen Geschichte habt Ihr mir wie ein tapferer Kerl beigestanden, und ich werde keinen Anstand nehmen, Euch, wenn wir in den Hafen kommen, dieses Zeugniß zu geben. Ich gedenke an die Unternehmer einen Brief zu schreiben, den sie ohne Zweifel veröffentlichen werden; denn was man auch gegen Amerika sagen mag, so wird doch Niemand in Abrede ziehen wollen, es sey leicht, etwas ins Publikum zu bringen. Das Veröffentlichen ist Speise und Trank für die Nation, und Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß Euch Gerechtigkeit zu Theil werden soll.«
»Ich habe nie daran gezweifelt, Kapitän Truck.«
»Nein, Sir, und Ihr habt auch keinen Augenblick gemuckt. Der große Mast kann nicht fester in einer Bö stehen, als Ihr den Niggers Stand gehalten habt.«
»Mr. Effingham, Sir – Mr. Sharp – und namentlich Mr. Blunt –«
»Laßt dies gut seyn – auch mit ihnen will ich ins Reine kommen. Sogar Toast hat sich wie ein Mann benommen. Wohlan, Leach, wie ich höre, muß der arme Monday doch zuletzt sein Kabel kappen.«
»Es thut mir sehr leid, Sir, etwas der Art vernehmen zu müssen. Mr. Monday hat wie ein Soldat von Profession um sich geschlagen.«
»Ja, wahrhaftig. Aber selbst Bonaparte mußte den Geist aufgeben, und Wellington wird ihm eines Tages folgen. Selbst der alte Putnam ist todt. Entweder Ihr oder ich – meinetwegen auch wir Beide, Leach – ja, wir Beide werden ihm bei diesem traurigen Anlasse mit einigen Religionströstungen beispringen müssen.«
»Wir haben Mr. Effingham, Sir, oder Mr. John Effingham – die Herren stehen schon in Jahren und sind mit mehr Gelehrsamkeit ausgestattet.«
»Nein, das geht nicht. Allerdings wird, was sie anbieten können, brauchbar genug seyn, aber wir sind dem Schiff einen besondern Dienst schuldig. Die Offiziere eines Paketschiffs sind keine gottvergessenen Pferde-Jokey's, sondern nüchterne, verständige Männer; deshalb gebührt es ihnen, zu zeigen, daß sie einige Erziehung haben, und zwar Erziehung von der rechten Sorte, wenn Noth an den Mann geht. Ich erwarte, Ihr werdet mir bei diesem traurigen Anlasse so mannhaften Beistand leisten, wie diesen Morgen, Leach.«
»Ich möchte um Alles nicht dem Schiffe Schande anthun, Sir, aber wahrscheinlich ist der arme Mr. Monday ein Angehöriger der Kirche von England, während wir Beide zu der Saybrook Platform gehören.«
»Ah! der Teufel – ich habe dies vergessen! Aber Religion ist Religion, gleichviel ob alten oder neuen Schlags, und es frägt sich, ob ein Mann, der im Begriffe steht, seinen Ankergrund zu verlieren, die Sache so besonders genau nehmen wird. Die Hauptsache ist die Tröstung, und wir müssen es einzuleiten suchen, daß er im passenden Augenblick etwas davon kriegt, falle es nun eben oder uneben aus. Und nun, Mr. Leach, treibt die Leute zur Rührigkeit an, damit um Sonnenuntergang vorne Alles aufgezogen und der Hauptmast eingesetzt sey.«
Die Arbeit schritt wacker voran, da Jedem angelegentlich darum zu thun war, das Schiff aus der bedenklichen Lage zu bringen in welche es sowohl durch die beharrliche Nähe der Beduinen, als durch die bedrohlichen Gefahren des Wetters versetzt war. Wie es gewöhnlich am Rande der Passaten der Fall ist, war der Wind unstät und blies bisweilen von der See her, obschon er fortwährend leicht blieb und die Wechsel nicht lange dauerten. Wie Kapitän Truck gehofft hatte, waren, als die Matrosen Abends zu arbeiten aufhörten, die Fockraaen und die Fockmarssegelraaen an ihren Plätzen; ferner hatte man die Bramstenge eingezapft, so daß das Schiff mit Ausnahme seines Segelzeugs vorne völlig aufgetackelt war. Auf dem Hintertheile war weniger geschehen, obgleich unter dem Beistande der Supernumeräre, welche fortwährend Handreichung thaten, die Untermasten fest saßen; Takelwerk hatte übrigens noch nicht angebracht werden können. Die Matrosen erboten sich freiwillig, in Ablösungshaufen auch während der Nacht zu arbeiten; Kapitän Truck wollte jedoch nichts davon hören, indem er erklärte, sie hätten ihr Nachtessen und die Ruhe wohl verdient – es solle ihnen daher von dem, was ihnen gebühre, nichts verkümmert werden.
Die Gentlemen, welche nur gelegentlich freiwilligen Dienst leisteten, übernahmen mit Vergnügen die Auslugwache, und da es an Bord nicht an Feuergewehren, sondern höchstens an Pulver fehlte, so hegte man wegen der Beduinen keine sonderlichen Besorgnisse. Erwartetermaßen verlief die Nacht ruhig, so daß mit der Morgendämmerung männiglich sich erfrischt und gekräftigt von seinem Lager erheben konnte.
Mit der Rückkehr des Tages kamen jedoch die Beduinen wieder in Schaaren nach dem Ufer herunter; denn der letzte Sturm, welcher ungewöhnlich heftig gewesen, und die Kunde von den Wracken, welche vermittelst der Dromedare weithin verbreitet worden war, hatten an der Küste eine Streitmacht versammelt, die schon durch die Zahl der Köpfe furchtbar zu werden begann. Der Däne war nun völlig geleert, und Beute übte auf die raubgierigen Berbern ungefähr dieselbe Wirkung, welche bekanntlich das Lecken von Blut bei dem Tiger hervorzubringen pflegt. Der Vorschmack, den sie erhalten, hatte ihre Gier nur gesteigert, und wie das Licht am Himmel auftauchte, bemerkten die Insassen des Schiffes Anzeichen, daß wohl ein neuer Versuch auf ihre Freiheit gemacht werden dürfte.
Zum Glück war der schwerste Theil der Geschäfte abgethan, und Kapitän Truck beschloß, ehe er sich auf einen zweiten Kampf mit einer so sehr verstärkten Streitmacht einließ, lieber die Spieren an Bord zu holen und das Schiff aus dem Riff hinauszunehmen, ehe es noch vollständig aufgetakelt wäre. Er ließ daher seine Leute antreten und ertheilte zuvörderst den Befehl, die Boote sollten die Kedschen und den Stromanker einholen, außerdem aber auch alle Vorbereitungen zum Aufbruch des Schiffes getroffen werden. Mittlerweile setzten sich ein paar andere Haufen in Bewegung, um das Takelwerk an die Stengen zu bringen und sie aufzurichten. Da jedoch das Lichten der Anker mit Booten eine schwere Arbeit war, so wurde es Mittag, bis man sie wieder an Bord und gehörig eingestaut hatte. Um diese Zeit hingen auch die Raaen an ihren Plätzen, obgleich noch immer kein Segel angeschlagen war.
Während die Matrosen ihr Mittagsmahl einnahmen, ging Kapitän Truck durch das Schiff, um jeden Stag und jede Wand zu untersuchen. Allerdings hatte man sich oft behelfen müssen, wie es eben gehen mochte; aber doch konnte er im Ganzen zufrieden seyn, obschon er deutlich sah, daß in Folge der Beduinennähe da und dort etwas übereilt worden war und namentlich an den Beschlagseissingen noch Vieles zu thun übrig blieb, sobald sie sich einmal außer Gefahr befanden. Was übrigens bis jetzt geschehen war, konnte für ein gemäßigtes Wetter vollkommen ausreichen, denn es war überhaupt zu spät, um sich mit Vornahme von Veränderungen aufzuhalten.
Der Passatwind war zurückgekehrt und blies jetzt stätig, als wolle er endlich Bestand halten; auch war das Wasser außerhalb des Riffs glatt genug, um, sobald die schwereren Spieren an ihren Plätzen waren, die erforderlichen Aenderungen vornehmen zu lassen.
Das Aussehen des Montauk war in keinem Falle so stattlich und gebieterisch, wie vor dem Sturme, trug aber doch ein Gepräge von Vollständigkeit an sich, von dem man sich das Beste versprechen konnte. Es war ein Schiff von siebenhundert Tonnen, auf welchem sich die Spieren eines Fahrzeugs von fünfhundert Tonnen befanden, weshalb er sich etwa wie ein sechs Fuß hoher Mann in dem Rocke eines Andern von fünf Fuß und neun Zoll ausnahm; indeß war doch dieses Mißverhältniß nicht augenfällig genug, um von einem Neuling überhaupt nur bemerkt zu werden. Alles Wesentliche befand sich an seinem Platze und war leidlich gut befestigt; da außerdem der Däne für eine stürmische See ausgestattet gewesen war, so fühlte sich Kapitän Truck überzeugt, er könne sich in dem gegenwärtigen Zustande seines Fahrzeugs sogar im Winter an der amerikanischen Küste hinwagen, ohne sich dadurch einer ungewöhnlichen Gefahr auszusetzen.
Sobald die Stunde der Arbeit wieder herankam, wurde ein Boot ausgeschickt, um in möglichster Nähe des Einlasses und ein wenig windwärts von demselben eine Kedsch auszusetzen. Kapitän Truck stellte unter Berücksichtigung der Bojen, welche noch immer an ihren früheren Stellen lagen, seine Berechnungen an und fand, daß er einen schmalen Kanal benützen konnte, der gerade genug lief, um das Schiff in ununterbrochener Richtung bis zu der Kedsch hin warpen zu lassen. Mit Ausnahme der Boote war jetzt Alles an Bord; der Anker, an welchem das Schiff ritt, wurde nunmehr gelichtet und das Warptau nach der Spille gebracht, worauf sich das Schiff langsam dem Einlasse zu nähern begann.
Dieses Manöver diente den Beduinen zum Signal, denn sie strömten jetzt zu Hunderten über die beiden Theile des Riffes her, schrieen und geberdeten sich wie toll. Es bedurfte vielen Muthes und einigen Selbstvertrauens, um Angesichts einer solchen Gefahr vorzurücken, um so mehr, da die Berbern sich am zahlreichsten auf der nördlichen Klippenreihe zeigten, wo sie sich gut decken und den ganzen Kanal mit ihrem Feuer bestreichen konnten; außerdem lag dieses Riff der Stelle, wo die Kedsch niedergelassen worden war, so nahe, daß man von dem einen Punkte aus den andern mit einem Steinwurf erreichen konnte. Um das Verdrießliche der Sache noch zu erhöhen, begannen die Beduinen von ihren Musketen Gebrauch zu machen, die ihnen in der Nähe allerdings nur wenig Nutzen gebracht hatten, in einiger Entfernung aber nur um so sicherer wirkten. Die Kugeln kamen hageldicht auf das Schiff geflogen, obschon die starken und hohen Bollwerke in den Bugen vorderhand der Mannschaft noch Schutz boten.
In dieser Klemme hielt Kapitän Truck mit dem Vorwärtswarpen ein und berief Mr. Blunt und seine Maten zur Berathung. Diese beiden Gentlemen waren der Meinung, daß man sich nicht stören lassen solle, und da der Rath des Ersteren den Zustand der Dinge klar auseinandersetzen wird, so wollen wir ihn wortgetreu wiedergeben.
»Unentschlossenheit entmuthigt stets die Freunde und macht die Feinde noch dreister,« sagte er. »Ich bin daher der Ansicht, daß wir das begonnene Werk fortsetzen müssen. Je näher wir den Klippen kommen, desto leichter können wir sie bestreichen, während zugleich die Beduinen weniger im Stande seyn werden, ihre Kugeln auf unsere Decken zu senden. In der That, so lange wir gegen den Wind vorwärts warpen, können sie nicht tief genug feuern, um vom nördlichen Riff aus ein Ziel zu treffen, und auf dem südlichen sind sie zu wenig gedeckt, als daß sie sich sehr nahe heran wagen könnten. Allerdings werden wir nicht im Stande seyn, unter so schwerem Feuer und bei der guten Deckung der Feinde unsere Segel anzuschlagen oder ein Boot auszusetzen; dagegen können die Berbern wahrscheinlich durch die Kanone oder durch eine Gewehrsalve von den Decken aus verscheucht werden. Geht dies nicht, so will ich selbst mich mit einem Häuflein tüchtiger Leute in die Marse begeben; ich stehe dafür, daß wir sie dann in fünf Minuten aus dem Bereich unserer Musketen getrieben haben.«
»Es wäre ein äußerst gefährliches Unterfangen, sich in das Tackelwerk hinauf wagen zu wollen.«
»Ohne Gefahr ginge es freilich nicht, und auf einigen Verlust müßte man sich schon gefaßt halten; aber wo es einen Kampf gilt, darf man sich vor den Zufälligkeiten desselben nicht scheuen.«
»In diesem Falle stünde es Mr. Leach und mir zu, an die Spitze derer zu treten, welche sich auf die Marse zu begeben hätten. Zum Henker, wir sind zwar verpflichtet, den Sterbenden zu trösten, haben aber auch das Recht, gegen Lebendige zu fechten.«
»Ja wohl, Sir,« fügte der Mate bei, »dies ist ganz vernunftmäßig.«
»Es sind drei Marse vorhanden, Gentlemen,« entgegnete Paul ruhig, »und ich achte eure Rechte zu sehr, um ihnen Abtrag thun zu wollen. Jeder von uns kann eines auf sich nehmen, und die Wirkung wird im Verhältniß zu den Mitteln stehen, die wir anwenden. Ein einziger kräftiger Angriff wiegt ein Dutzend Finten auf.«
Kapitän Truck schüttelte Paul herzlich die Hand und fügte sich in dessen Rath. Sobald sich der junge Mann zurückgezogen hatte, wandte er sich mit den Worten an den Maten:
»Im Grunde sind doch diese Kriegsschiffleute uns in der Wissenschaftlichkeit eines Angriffs und einer Abwehr voraus, obschon ich glaube, ich könnte ihm in Betreff der Signalkunde manchen Wink geben. Ich habe zwar meiner Zeit zwei- oder dreimal auf einem Kaper einen Vorschmack vom Kriegswesen bekommen, bin aber doch nicht regelmäßig in das scharfe Geschäft eingeübt. Habt Ihr gesehen, wie Mr. Blunt gestern sein Boot handhabte? Ganz wie zwei doppelte Blöcke unter einem stätigen Zug, wenn ein Belegnagel wie der andere ist – und dabei so kaltblütig wie eine vornehme Londoner Dame auf uns Naturmenschen herunterblickt. Was mich betrifft, Leach, ich war so scharf wie Senf und hätte mir nichts daraus gemacht, dem besten Freund, den ich auf Erden besäße, den Hals abzuschneiden, während er lächelte, als ich an ihm vorbeiruderte, obschon ich vor dem Rauch seines Geschützes kaum sein Gesicht sehen konnte.«
»Ja, Sir, dies ist so die Art der regelmäßig Gebauten. Ich stehe dafür, er hat jung angefangen, und, noch ehe er achtzehn Jahre zählte, alle seine Leidenschaftlichkeit in Fußstößen an den alten Salzjacken erschöpft. Er scheint nicht zu der ächten Flucherzucht zu gehören; aber doch ist's ein großes Vorrecht des Menschen, wenn er in Leidenschaft geräth, um sich stoßen zu dürfen, wann und gegen wen er will.«
»Bei ihm ist's nicht so. Laßt Euch sagen, Leach, vielleicht könnte er uns auch Handreichung thun, wenn es mit dem armen Monday zum Abschnappen kömmt. Es ist mir gewaltig viel daran gelegen, daß der wackere Bursche mit Anstand aus der Welt gehe.«
»So macht ihm einmal den Vorschlag, Sir. Was mich betrifft, so wollte ich lieber allein in alle drei Marse hinaufsteigen, als einen sterbenden Mann in seinen Erwartungen täuschen.«
Der Kapitän versprach, zu überlegen, was sich in der Sache thun lasse, und dann wandten sie ihre Aufmerksamkeit dem Schiffe zu, welches sich in einer weiteren Minute der Kedsch sosehr genähert hatte, als man es für räthlich halten konnte.