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Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Tritt ein der Ruhe Zeit,
Gleich einer Windstill', die den wilden Wellen
Des Friedens Schlummer beut,
So darf erquickend dir das Kissen schwellen;
Sein Auge ist's ja, das in tiefer Nacht
Den Schlummer dieser Riesenstadt bewacht.

Bryant.

 

Es rieselte den beiden jungen Männern eiskalt durch die Adern, als sie in einem so kritischen Augenblicke auf dieses unerwartete, plötzliche Hinderniß trafen, denn sie glaubten nicht anders, als daß einer von den vielen Beduinen, welche, wie sie wohl wußten, in der Nähe waren, Hand an die Lansche gelegt habe. Ihr Schrecken verschwand jedoch, als sie die Sache näher untersuchten; denn kein menschliches Wesen ließ sich blicken, und die Seite des Bootes war unberührt. Der Bootshaken konnte im Wasser kein Hinderniß finden, und doch war es auch nicht möglich, daß sie wieder auf den Strand gelaufen waren. Als übrigens Paul den Bootshaken über seinen Kopf erhob, entdeckte er bald das Hinderniß. Die Leine nämlich, deren sich die Berbern bedient hatten, um das Schiff fortzubewegen, war von der Bak bis zu dem Riffe ausgespannt und lag nun gerade dem Maste des Boots im Wege. Sie wurde mit Vorsicht durchschnitten, aber das kurze Ende entglitt der Hand Mr. Sharps, welcher diese Operation vorgenommen hatte, und fiel in's Wasser. Das Geräusch wurde gehört und die Wache auf dem Decke des Schiffes stürzte jetzt in die Richtung desselben.

Es war keine Zeit zu verlieren. Paul übrigens, der noch immer das äußere Ende der Leine festhielt, zerrte mit Macht daran, holte das Boot hastig von dem Schiffe ab und kam dadurch ein wenig vorwärts. Sobald dies geschehen war, ließ er die Leine fallen und ergriff seine Steuertaue, um den Schnabel des Boots zwischen den beiden Gefahren – dem Montauk und dem Riffe – hindurch zu bringen. Dies lief nicht ohne einiges Geräusch ab. Man hatte das stärkere Auftreten auf dem Dache und das Plätschern des Wassers, als die Leine niederfiel, vernommen; auch spielte das feuchte Element so laut unter den Bugen des Fahrzeugs, daß man es deutlich hören konnte. Die Beduinen auf dem Montauk riefen nun denen auf dem Riff zu, und letztere winkten ihren Kameraden, weil sie wußten, daß Kapitän Trucks Leute noch in Freiheit waren und von dieser Seite her ein Angriff zu befürchten stand.

Das nun folgende Geschrei und Getümmel war schrecklich. Die Beduinen feuerten auf's Gerathewohl Musketen ab und der Lärm von dem Lager her bildete das Echo zu dem Getümmel auf dem Schiffe und auf den Klippen. Auch die Gesellschaft, welche ruhig im Boote geschlafen hatte, wurde dadurch geweckt, und Saunders stimmte aus heller Angst in das Geschrei ein. Aber die beiden Gentlemen auf dem Decke beeilten sich, ihren Begleitern den Stand der Dinge mitzutheilen und sie zu Beobachtung des tiefsten Stillschweigens zu veranlassen.

»Sie scheinen uns nicht zu bemerken,« flüsterte Paul Eva zu, als er sich vorwärts beugte, um den Kopf zu einem offenen Fenster hinunterstecken zu können, »und eine Wiederkehr der Brise kann uns noch immer retten. Es herrscht großes Getümmel unter ihnen und ohne Zweifel wissen sie, daß wir nicht fern sind; aber so lange sie nicht genau unsern Standpunkt kennen, sind wir beziehungsweise sicher. Ihr Geschrei leistet uns guten Dienst, da es uns als Landmarke dient; denn Ihr könnt Euch denken, daß ich mich keiner Stelle nähere, von der aus ich Lärm höre. Betet jetzt um Wind, theuerste Miß Effingham; betet, daß uns der Himmel Wind schicke!«

Eva betete zwar stumm aber mit Inbrunst, während der junge Mann alle seine Aufmerksamkeit wieder dem Boote zuwandte. Sobald sie aus dem Lee des Schiffes gekommen waren, kehrten die aussetzenden Windstöße zurück, und es trat sogar für mehrere Minuten eine stätige, schwache Brise ein, während welcher das Boot um ein Namhaftes von dem Getöse des Schiffes abkam. Auf den Klippen währte jedoch der Lärm noch immer fort und die Gentlemen gewannen bald die Ueberzeugung, daß die Beduinen sich längs des ganzen Riffes aufgepflanzt hatten – so weit es nemlich über das Wasser hervorragte, was jetzt sowohl nördlich als südlich von dem Einlasse der Fall war.

»Die Fluth dringt noch immer durch den Einlaß herein,« sagte Paul, »und wir haben mit ihrer Strömung zu kämpfen. Freilich ist sie nicht stark, aber in einem Augenblicke, wie dieser, gewinnt auch eine Kleinigkeit Bedeutung.«

»Wäre es nicht möglich, die einwärts von uns gelegene Bank zu erreichen und das Boot vermittelst dieser leichten Spieren vorwärts zu schieben?« fragte Mr. Sharp.

Die Andeutung war nicht übel; aber Paul fürchtete, das Plätschern des Wassers könnte die Beduinen erreichen und das Boot dem Feuer der Feinde aussetzen, da die größte Entfernung zwischen dem Riff und der inneren Sandbank an jener Stelle nicht hundert Faden überstieg. Endlich preßte ein abermaliger Luftstrom vom Lande her auf die Segel und das Wasser rauschte abermals unter den Bugen des Bootes. Paul's Herz klopfte hoch auf und er strengte, während er die Steuerleinen handhabte, vergeblich seine Augen an, um die dichte Finsterniß zu durchdringen.

»Zuverläßig,« bemerkte er gegen Mr. Sharp, der stets an seiner Seite stand, »kam dieses Geschrei unmittelbar von vorne her. Wir steuern geraden Weges auf die Beduinen los, und sind also in der Dunkelheit irre gefahren. Verliert keinen Augenblick, das Boot abzuhalten, denn hier im Lee ist es stille.«

Da Alles dies sich aus dem Stande der Dinge von selbst zu ergeben schien, so zog Paul, obschon er nicht recht wußte, wie er mit seiner Rechnung daran war, das Steuer auf, und das Boot fiel nahezu todt von dem Winde ab. Die Bewegung des Fahrzeugs ging nun beziehungsweise rasch und wenige Minuten brachten eine merkliche Veränderung in den verschiedenen Richtungen hervor, aus denen das Geschrei der Beduinen herüberschallte, während zu gleicher Zeit die Gewalt des Windes wesentlich nachließ.

»Ich habe es!« sagte Paul, indem er seinen Gefährten fast krampfhaft am Arme faßte. »Wir sind an dem Einlasse und segeln, wie ich hoffe, unmittelbar in denselben hinein. Ihr hört den Lärm von Rechts – er kömmt von dem Ende des nördlichen Riffs her; und das Geschrei links schallt von dem südlichen Ende herüber. Das Getümmel vom Schiff, die Richtung der Landbrise, unsere Entfernung – Alles stimmt zusammen; die Vorsehung nimmt sich wieder freundlich unserer an.«

»Es wäre ein schrecklicher Irrthum, wenn wir uns getäuscht haben sollten.«

»Von Irrthum kann keine Rede seyn, denn die Umstände lassen sich durch nichts Anderes erklären. Ha – das Boot fühlt die Grundschwellung – ein gesegnetes und sicheres Zeichen, daß wir an dem Einlasse sind – wollte Gott, die Fluth wäre jetzt vorbei oder wir hätten mehr Wind.«

Es folgte eine fieberische Viertelstunde. Hin und wieder zwängten die Stöße der Nachtluft das Boot vorwärts, und dann konnten sie aus dem lauter werdenden Geschrei wieder entnehmen, daß es unter dem Einflusse einer Gegenströmung auf's Neue zurückgetrieben wurde. Auch war es nicht leicht, auf den richtigen Kurs abzuheben, denn die leichteste Abweichung von der geraden Linie veranlaßt bei einer Fahrt gegen die Fluth eine Seitenbewegung. Um der letzteren Gefahr vorzubeugen, mußte Paul sein Steuer eifrig beobachten, ohne einen anderen Führer zu haben, als das fortgesetzte laute Geschrei der Beduinen.

»Das Steigen und Fallen des Boots vermehrt meine Hoffnung,« nahm Paul auf. »Ich denke, es wird noch besser kommen.«

»Ich kann nur geringen Unterschied bemerken, obgleich ich gerne Alles mit Euren Augen sehen möchte.«

»Ich bin überzeugt, daß die Schwellung zunimmt und das Boot häufiger steigt und fällt. Ihr findet doch, daß eine Schwellung vorhanden ist?«

»Zuverläßig. Ich bemerkte es schon, ehe wir das Boot abhielten. Dieser veränderliche Wind bringt uns eine wahre Tantalusqual.«

»Sir George Templemore – Mr. Powis,« ließ sich eine sanfte Stimme aus dem Fenster unter ihnen vernehmen.

»Miß Effingham!« entgegnete Paul mit solcher Hast, daß ihm die Leitleine des Steuers entschlüpfte.

»Dies ist ein furchtbarer Lärm! – Werden wir ihn denn nie los werden?«

»Könnte ich's – oder könnte es überhaupt Einer von uns ändern, so solltet Ihr nicht mehr davon beunruhigt werden. Das Boot läuft langsam in die Durchfahrt ein, hat aber gegen die steigende Fluth zu kämpfen. Wäre der Wind nicht so unstät und leicht, so könnten wir in zehn Minuten außer Gefahr seyn.«

»Außer Gefahr – aber nur, um einer neuen entgegenzugehen!«

»Nein, ich glaube nicht, daß in einem so starken Boote auf dem Meere viel zu befürchten wäre. Im äußersten Falle könnten wir uns genöthigt sehen, das Dach abzutragen, welches unserer kleinen Barke ein etwas unförmliches Aussehen verleiht, obschon es seine Gemächlichkeit ungemein erhöht. Ich denke, wir werden bald in die Passatwinde gerathen, vor welchen unsre Lansche sogar mit ihrem Hause im Stande seyn wird, gut weiter zu kommen.«

»Aber ist das Geschrei nicht schon wieder viel näher, als zuvor?«

Paul fühlte, daß seine Wange erglühte, und seine Hand suchte hastig die Steuerleine, denn das Boot war dem nördlichen Riffe merklich näher gekommen. Ein Luftstrom half ihm sein Versehen wieder gut machen, und Alle in der Lansche bemerkten nun bald, daß der Lärm mehr und mehr zurückwich.

»Die Strömung mindert sich,« sagte Paul »und die Fluth ist nun so weit vorgeschritten, daß wir demnächst Hochwasser haben müssen. Wir werden sie bald zu unseren Gunsten umschlagen sehen, und dann können wir uns für sicher halten.«

»Dies ist in der That eine Segensbotschaft, und keine Dankbarkeit ist im Stande, je unsere Schuld gegen Euch abzutragen, Mr. Powis.«

Die Windstöße nahmen jetzt Pauls ganze Aufmerksamkeit in Anspruch, denn sie wurden wieder veränderlich und zuletzt kam die Brise unmittelbar von vorne, eine halbe Stunde lang in dieser Richtung fortblasend. Sobald dieser Wechsel sich fühlbar machte, wurden die Segel darnach gesetzt und das Boot begann abermals das Wasser unter seinen Bugen aufzuwühlen.

»Das Umschlagen ist so plötzlich erfolgt, daß wir uns in der Richtung nicht täuschen können,« bemerkte Paul. »Außerdem dient uns dieser Lärm zum Lootsen. Nie war mir ein Geschrei angenehmer.«

»Ich fühle mit dieser Spiere den Boden!« sagte Mr. Blunt plötzlich.

»Barmherzige Vorsehung beschütze und schirme das hülflose liebliche –«

»Nein, ich fühle ihn nicht länger. Wir sind schon wieder in tieferem Wasser.«

»Es war der Fels, auf welchem bei unsrer Einfahrt der Matrose stand,« rief Paul, wieder freier athmend. »Auch freue ich mich, daß sich jene Stimmen mehr und mehr in unser Lee machen. Wir wollen auf diesem Gange festhalten« – der Bootsschnabel war nemlich gen Norden gerichtet – »bis wir das Riff treffen, wenn uns nicht etwa der Lärm als Warnungszeichen dient.«

Das Boot bewegte sich nun mit einer Geschwindigkeit von zwei Seemeilen Eine deutsche Meile. in der Stunde oder weit schneller, als auch ein sehr rascher Läufer zu gehen im Stande ist. Sein Steigen und Fallen deutete auf die lange schwere Schwellung des Oceans, und das Plätschern des Wassers begann mehr und mehr hörbar zu werden, so oft das Fahrzeug in den trägen Wellenkurven niedersank.

»Dies klingt wie die Brandung des Riffs,« fuhr Paul fort. »Alles deutet darauf hin, daß wir außerhalb der Klippen sind.«

»Gott gebe es.«

»Wir hören deutlich Wellen, die sich an einem Felsen brechen – allerdings in unbequemer Nähe und leewärts von uns; aber dennoch schlägt diese Musik lieblich an mein Ohr.«

Das Boot steuerte stätig vorwärts und streifte mehreremale hart an vorspringenden Riffen, wie man aus dem Ton und ein- oder zweimal sogar aus dem Augenschein entnehmen konnte; aber der Lärm der Beduinen gewann allmählig eine andere Richtung und konnte bald völlig im Stern gehört werden. Paul wußte, daß das Riff bald nach Zurücklegung des Einlasses sich gen Osten bog, und gab sich nun der Hoffnung hin, daß sie schnell von dessen westlichem Ende oder jenem Theile abkommen würden, der am weitesten in den Ocean hinauslief. Hatten sie einmal so viel gewonnen, so bot sich ihnen mehr Wasser im Lee, da sein Kurs, wie er glaubte, nahezu nördlich war.

Das Geschrei zog sich immer weiter zurück, und das dumpfe Brausen der Brandung klang nicht mehr so nah, daß man von den Klippen etwas besorgen mußte.

»Habt die Güte, mir das Loth und die Leine zu bringen, die am Fuße des Mastes liegen,« sagte Paul. »Unser Wasser scheint bedeutend tiefer zu werden und die Wellen kommen regelmäßiger.«

Er warf das Loth aus und fand sechs Faden Wasser – ein Beweis, wie er glaubte, daß er das Riff völlig im Sterne hatte.

»Mein theurer Mr. Effingham, Miß Effingham und Mademoiselle« – rief er wohlgemuth – »jetzt glaube ich, daß wir uns völlig außer dem Bereich der Beduinen befinden, wenn uns nicht etwa eine Bö wieder an ihre unwirthliche Küste zurücktreibt.«

»Dürfen wir jetzt sprechen?« fragte Mr. Effingham, der ein beharrliches und fast athemloses Schweigen beobachtet hatte.

»Ohne Umstände – wir sind ganz außer Hörweite, und dieser Wind, obgleich er aus einer Richtung bläst, die mir nicht gefällt, führt uns schnell immer weiter von den Elenden ab.«

In der Dunkelheit und bei dem gelegentlichen Stürzen des Bootes war es für die Uebrigen nicht räthlich, auf das Dach zu kommen. Sie öffneten daher die Läden und blickten mit einem Gefühl von Sicherheit, das sie in ihrer Lage nicht für möglich gehalten hätten, auf das düstere Wasser hinaus. Das Schlimmste war vorderhand überstanden, und in der Errettung aus einer augenblicklichen Gefahr liegt so viel Beruhigung, daß man nicht sogleich an diejenigen denken kann, welche noch im Schooße der Zukunft liegen. Sie konnten jetzt miteinander sprechen, ohne befürchten zu müssen, ihre Feinde aufzustören, und Paul redete in der ermutigendsten Weise von ihren Aussichten. Er hatte sich vorgenommen, nordwärts nach dem Wrack zu steuern, und wenn es ihm nicht gelang, Auskunft über den Kapitän und seine Freunde zu erhalten, so wollte er auf die nächste im Lee befindliche Insel anlegen.

Von dieser beruhigenden Kunde erheitert, begab sich die Gesellschaft wieder zur Ruhe, während die beiden jungen Männer ihre Posten auf dem Dache beibehielten.

»Unser Fahrzeug muß einer Arche gleichen,« sagte Paul lachend, indem er sich in der Nähe des Vordersteven auf einen Koffer niederließ, »und könnte die Beduinen wohl von einem Angriffe zurückschrecken, selbst wenn sie Gelegenheit dazu finden sollten. Dieses Haus dürfte uns übrigens sehr lästig werden, wenn wir eine schwere See oder Wellen von vorne zu befahren hätten.«

»Ihr sagt, man könne es leicht abschlagen.«

»Nichts läßt sich leichter ausführen, denn der ganze Apparat ist zum Einsetzen und Wegnehmen angefertigt. Vor dem Winde können wir's allerdings lange Zeit führen und es wird uns in diesem Falle sogar vorwärts helfen; aber am Winde macht es das Boot gaukelnd und veranlaßt eine Abtrifft ins Lee. Wenn Regen oder sonst schlimmes Wetter eintritt, so ist es freilich für uns Alle ein Schatz – namentlich für die Frauenzimmer; und deshalb wird's gut seyn, es so lange als möglich beizubehalten.«

Die Brise, welche, wie bereits erwähnt, eine halbe Stunde anhielt, reichte zu, das Boot eine Strecke weit nordwärts zu führen; dann aber setzte sie aus und der Wind kam wieder stoßweise vom Lande her. Paul's Vermuthung zufolge befanden sie sich nun nahezu eine Seemeile weit von dem Einlasse, und als ein Versuch mit dem Lothe gemacht wurde, zeigte sich eine Tiefe von zehn Faden Wasser – ein Beweis, daß sie auch allmählig von der Küste abgekommen waren. Aber noch immer waren sie von dichter Finsterniß umgeben, obschon auch nicht der geringste Zweifel mehr obwalten konnte, daß sie das offene Meer gewonnen hatten.

Die leichten, neckenden Windstöße währten wohl eine Stunde, und die Lansche, deren Schnabel von den beiden Gentlemen nach bestem Wissen nordwärts gehalten wurde, machte nur geringen Fortschritt; dann aber schlug die Brise allmählig bis zu einem rechten Winkel um und begann mit einer Stätigkeit zu blasen, wie es die ganze Nacht über nie geschehen war. Paul vermuthete diesen Wechsel, obgleich er keine Mittel besaß, sich davon zu überzeugen; denn sobald der Wind auszusetzen begonnen, hatte er seinen Kurs nur wieder auf ungefähre Schätzung hin steuern können. Da die Brise auffrischte, so wurde die Geschwindigkeit des Bootes nothwendig vergrößert, obgleich es stets an dem Winde hielt, und nach halbstündiger Fahrt wurden die Gentlemen abermals unruhig über ihre Richtung.

»Es wäre schrecklich, wenn wir wieder auf das Riff treffen müßten,« sagte Paul, »und doch weiß ich wahrhaftig nicht gewiß, ob wir nicht geraden Weges darauf zulaufen.«

»Wir sind mit Compassen versehen. Laßt uns Licht schlagen und von dem Stand der Dinge Einsicht nehmen.«

»Es wäre besser gewesen, wenn wir dies früher gethan hätten, denn ein Licht könnte uns gefährlich werden, wenn wir in der pechfinstern Nacht unsern Kurs verloren haben sollten. Es gibt übrigens kein anderes Abhülfsmittel, und wir müssen's auf die Gefahr hin versuchen; zuerst aber will ich wieder einen Versuch mit dem Lothe machen.«

Er warf das Senkblei aus und fand dritthalb Faden Wassertiefe.

»Stellt das Ruder nieder,« rief Paul, indem er nach den Schooten sprang. »Verliert keinen Augenblick, sondern stellt das Ruder nieder.«

Das unvollkommene Segelwerk und das Dach hinderte ein freies Ansprechen des Bootes, weshalb jetzt ein Moment peinlicher Beklommenheit folgte. Es gelang jedoch Paul, einen Theil der Leinwand an den Mast zu brassen, und er fühlte sich wieder sicherer.

»Das Boot hat [stern-way] – stellt das Steuer um, Mr. Sharp.«

Sobald dies geschehen war, schlug die Raa an und die beiden Jünglinge fühlten eine fast eben so große Beruhigung, wie zu der Zeit, als sie den Einlaß hinter sich gebracht hatten, sobald sie fanden, daß die Lansche, dem Ruder gehorsam, wieder vorwärts zog.

»Etwas ist in der Nähe – entweder das Riff oder die Küste,« sagte Paul, der mit der Bootleine dastand, um sie jeden Augenblick auswerfen zu können. »Das Erstere kann ich kaum glauben, da wir keine Beduinen hören.«

Sie warteten einige Minuten und warfen dann das Senkblei aus, welches jetzt zu ihrer großen Freude volle drei Faden Tiefe angab.

»Dies ist eine gute Neuigkeit; denn wie sich auch die Sache verhalten mag, so kommen wir von der Gefahr ab,« sagte Paul, als er die Marke fühlte. »Aber jetzt wollen wir den Compaß zu Rathe ziehen.«

Sie weckten Saunders, der ein Licht schlug, und untersuchten nunmehr die Compasse. Die zuverläßigen aber geheimnißvollen Wegweiser, die schon so lang im Dienste der Menschen stehen, obschon in Entdeckung der geheimen Quellen ihrer Macht aller Scharfsinn gescheitert ist, waren natürlich ihrem leitenden Principe treu. Der Schnabel des Boots stand nordnordwestlich, der Wind blies gegen Nordosten, und ehe sie lavirt, hatten sie ohne Zweifel unmittelbar dem Ufer zugesteuert, von dem sie vielleicht kaum zwanzig Ruthen entfernt gestanden hatten. Nach etlichen Minuten hätten sie in die Brandung gerathen müssen, welche das Boot umgestürzt und höchst wahrscheinlich Alle unter dem Dache, wenn nicht auch die auf demselben ertränkt haben würde.

Paul schauderte, als sich diese Thatsachen seiner Aufmerksamkeit aufdrängten, und er beschloß, zwei Stunden lang auf seinem gegenwärtigen Kurse fortzusteuern, um mit Tagesanbruch ohne Gefahr gegen das Land umholen zu können.

»Dies ist der Passatwind,« sagte er, »und er wird wahrscheinlich anhalten. Wir haben mit einer Strömung sowohl, als mit Gegenwind zu kämpfen; aber ich denke, wir können gegen Morgen das Cap umluven und dann vermittelst des Fernglases das Wrack untersuchen. Entdecken wir nichts von unsern Kameraden, so werde ich unverweilt auf das grüne Vorgebirg abhalten.«

Die beiden Gentlemen nahmen nun abwechselnd das Steuer, und derjenige, welcher die Zeit der Ablösung zu einem kurzen Schlafe benützte, band sich an dem Maste fest, um nicht durch die Bewegung des Bootes in die See gerollt zu werden. In fünfzehn Faden Wassertiefe lavirten sie abermals und steuerten gen Ost-Süd-Ost, nachdem sie sich zuvor durch Untersuchung des Compasses überzeugt hatten, daß der Wind nicht von seiner früheren Richtung abgewichen war. Bald nachher ging der Mond auf und verbreitete, obgleich der Morgen wolkig und düster war, zureichendes Licht, um alle Gefahren der Finsterniß zu beseitigen. Endlich wich die lange, angstvolle Nacht dem gewöhnlichen hellen Streifen des Tages, der sich quer über die Wüste hinzog. Paul saß an der Pinne und steuerte mehr instinktartig, als nach etwas Anderem, indem er zugleich gelegentlich auf seinem Posten einnickte; denn zwei aufeinanderfolgende Nächte des Wachens und ein Tag schwerer Anstrengung hatten ihn die Gefahr sowohl, als die Sorge für Andere vergessen lassen. In solchen Augenblicken gibt sich der Mensch leicht seltsamen Träumereien hin, und Pauls geschäftige Einbildungskraft durchlief eben einige Scenen seiner frühen Jugend, als ihn plötzlich entweder seine Sinne oder seine unstät umherirrenden Seelenvermögen den gewöhnlichen kurzen, aber lauten Ruf vernehmen ließen –

»Boot ohoi!«

Paul öffnete seine Augen, fühlte, daß er die Pinne noch immer in der Hand hatte, und war eben im Begriffe, die ersteren wieder zu schließen, als die Worte mit noch größerem Nachdruck wiederholt wurden.

»Boot ohoi! Was ist dies für ein Fahrzeug? Antwort, oder wir geben Feuer.«

Dies war in verständlichem Englisch gesprochen, und Paul war im Nu hellauf wach. Er rieb sich die Augen aus und sah, daß eine Linie von Booten unmittelbar an seinem Luvbuge vor Anker lag, während ein Spierenfloß sternwärts im Schlepptau hing.

»Hurrah!« jubelte der junge Mann. »Dies ist eine wahre Himmelspost! Ihr seyd die von dem Montauk?«

»Freilich; aber wer zum Teufel seyd Ihr?«

Die Sache verhielt sich nemlich so, daß Kapitän Truck unter dem Oberbramsegel, dem Dach und dem Jigger seine eigene Lansche nicht erkannte. Nie zuvor hatte er ein Boot in solcher Verkleidung schwimmen sehen; auch hatte sich's noch nicht sonderlich aufgehellt, und da er wie Paul eben aus einem tiefen Schlaf erwacht war, so lagerte über seinen Sinnen noch einige Verwirrung. Mr. Blunt begriff übrigens bald die ganze Sachlage. Er klappte sein Steuer nieder, ließ die Schoote fliegen, und eine Minute später lag die Lansche des Paketschiffs neben der Lansche des Dänen. Aus den Läden kamen Köpfe zum Vorschein, und in jedem Boot rafften sich die Schläfer auf, denn der Lärm ging durch die ganze kleine Flotte.

Aber nur die neuen Ankömmlinge fühlten Freude. Sie fanden, daß diejenigen, welche sie für todt oder gefangen gehalten hatten, frei, und am Leben waren, während diese jetzt erfahren mußten, welch' ein schweres Mißgeschick sie betroffen hatte. Einige Minuten lang veranlaßte dieser Gegensatz in den Gefühlen eine verlegene Stimmung; aber die Wahrheit brachte bald Alle auf die gleiche Stufe der Nüchternheit. Kapitän Truck nahm die Glückwünsche seiner Freunde in einer Art von Betäubung hin, Toast machte ein gar erstauntes Gesicht, als ihm sein Freund Saunders die Hand drückte, und die Gentlemen, welche auf dem Wrack gewesen waren, ließen sich die freudigen Begrüßungen derer, die eben erst den Beduinen entronnen waren, wie Leute gefallen, die von Tollhäuslern angeredet zu werden meinen. Wir übergehen die nun folgenden Aufklärungen, da Jeder sie sich selbst denken kann. Kapitän Truck hörte Paul wie ein Mensch an, der in einem Traume befangen ist, und der Jüngling hatte längst ausgeredet, ehe er zu sprechen begann. Mit dem Wunsche, ihm etwas Erfreuliches zu sagen, theilte ihm Paul mit, welche reichlichen Vorräthe er in der Lansche mitgebracht habe, daß augenscheinlich jetzt die Passatwinde eingetreten seyen und mit welcher großen Wahrscheinlichkeit sie Alle hoffen dürften, wohlbehalten die Inseln zu erreichen. Aber noch immer gab der alte Mann keine Antwort, sondern stieg auf das Dach seiner Lansche, auf welchem er, ohne auf etwas zu achten, hin und herschritt. Sogar Eva's Anrede und Mr. Effingham's Trostworte blieben unbeachtet. Endlich machte er plötzlich Halt und rief seinem Maten.

»Mr. Leach!«

»Sir.«

»Dies ist eine Categorie für Euch.«

»Ja, ja, Sir; sie ist schlimm genug in ihrer Art – aber dennoch sind wir immerhin besser daran, als die Dänen.«

»Ihr sagt mir, Sir,« fuhr der Kapitän gegen Paul fort, »daß diese heillose Spitzbubenbande wirklich auf dem Deck des Schiffes ist?«

»Allerdings, Kapitän Truck. Sie nahmen das Schiff in Besitz, weil wir keine Mittel hatten, sie abzuhalten.«

»Und das Schiff sitzt auf dem Strande?«

»Ohne Frage.«

»Leck?«

»Ich glaube nicht. Innerhalb des Riffs ist keine Schwellung und der Montauk liegt auf dem Sand.«

»Wir hätten uns die Mühe sparen können, Leach, jene verwünschten Spieren zusammenzuklauben, da sie für uns jetzt keinen weiteren Werth haben, als eben so viele Zahnstocher.«

»Allerdings, Sir; denn wir können sie nicht einmal als Ofenholz brauchen, da uns der Ofen fehlt.«

»Eine verdammte Categorie, Mr. Effingham! Ich bin übrigens froh, daß Ihr in Sicherheit seyd, Sir – und auch Ihr, meine theure junge Dame. Gott segne Euch – Gott segne Euch! – Lieber wollte ich jenen Spitzbuben alle Fahrzeuge von der Londoner Linie gönnen, als eine Person, wie Ihr seyd.«

Die Augen des alten Mannes wurden feucht, als er Eva die Hand drückte, und für einen Augenblick war das Schiff ganz und gar vergessen.

»Mr. Leach!«

»Sir.«

»Laßt den Leuten ihr Frühstück reichen und sorgt dafür, daß es eiligst geschieht. Wir kriegen wahrscheinlich einen rührigen Morgen, Sir. Lichtet auch die Kedsch; wir wollen nach diesen Ehrenleuten hinuntertrifften und sie uns ein wenig betrachten. Wir haben jetzt sowohl Wind, als Strömung für uns und wollen hurtige Arbeit machen.«

Die Kedsch war aufgezogen, das Segelwerk allenthalben gesetzt, die eine Lansche an die andere gebunden und so begann die ganze Linie von Booten und Spieren mit einer Geschwindigkeit, welche sie in ungefähr zwei Stunden nach dem Einlasse bringen mußte, gen Süden sich in Bewegung zu setzen.

»Dies ist der Kurs nach dem grünen Vorgebirge, Gentlemen,« sagte der Kapitän mit Bitterkeit. »Wir werden vor unsrer eigenen Thüre vorbeiziehen und uns die Gastfreundschaft von Fremden erbitten müssen. Doch sorgt für das Frühstück der Leute, Mr. Leach; die Jungen sollen wenigstens ein gemächliches Mahl halten, ehe sie zu ihren Rudern greifen.«

Indeß mochte doch Mr. Truck selbst nichts genießen. Er kauete an dem Ende einer Cigarre und fuhr fort, auf dem Dache hin und herzugehen.

Nach einer halben Stunde hatten die Matrosen ihr Mahl beendet. Der Tag war jetzt angebrochen, und die Boote kamen sammt dem Floße schnell vorwärts.

»Splißt die Hauptbrassen, Mr. Leach,« sagte der Kapitän, »denn wir sind ein Bischen beengt; und ihr, Gentlemen, erweist mir den Gefallen, hieher zu kommen, damit wir uns berathen können. So viel wenigstens sind wir unserer Lage schuldig.«

Kapitän Truck versammelte seine männlichen Passagiere im Stern der Dänenlansche, wo er sie folgendermaßen anzureden begann:

»Gentlemen,« sagte er, »Alles in dieser Welt hat seine Natur und seine Grundsätze. Ich halte euch für zu gut unterrichtet und gebildet, als daß ich glauben könnte, Einer von euch werde dies in Abrede stellen. Die Natur eines Reisenden besteht in Reisen und im Sehen von Merkwürdigkeiten; ferner gehört es zu der Natur alter Leute, an die Vergangenheit zu denken, während der junge Mann auf die Zukunft hofft. Die Natur eines Seemanns fesselt ihn an sein Schiff, und die Natur eines Schiffes verlangt, daß es wie ein Schiff behandelt, nicht aber wie eine im Sturm genommene Stadt verwüstet, oder wie ein der Plünderung preisgegebenes Nonnenkloster ausgeraubt werde. Ihr seyd nur Passagiere und habt ohne Zweifel eben so gut eure Wünsche und Neigungen, wie ich die meinigen. Euer Wunsch zielt ohne Frage darauf ab, wohlbehalten unter euren Freunden in New-York anzulangen, und was mich betrifft, so möchte ich den Montauk gleichfalls in möglichst kurzer Zeit und mit möglichst geringer Beschädigung nach demselben Hafen bringen. Ihr habt einen guten Seemann unter euch: ich mache daher den Vorschlag, daß ihr die Lansche des Montauk nebst den nöthigen Vorräthen nehmt und ohne weiteres auf die Inseln lossteuert, wo ihr, so Gott will, sicher anlangen werdet. Ich gebe euch den Wunsch mit auf den Weg, daß ihr, wenn ihr New-York erreicht, alle eure Verwandten in guter Gesundheit und durch die kleine Zögerung nicht beunruhigt antreffen mögt. Eure Habseligkeiten sollen sicher nach euren Weisungen verabfolgt werden, wenn es Gott gefällt, die Paketschiffgesellschaft in die Lage zu setzen, daß sie eure Aufträge honoriren kann.«

»Ihr habt also im Sinn, das Schiff wiederzunehmen?« rief Paul.

»Allerdings, Sir,« entgegnete Mr. Truck, der, nachdem er sein Gemüth so weit entlastet hatte, zum erstenmal diesen Morgen zu einem kräftigen »Hem« ansetzte und sodann seine Cigarre anzuzünden begann.

»Vielleicht geht's, Gentlemen, vielleicht aber auch nicht. Im ersteren Falle werdet ihr weiter von mir hören. Erreichen wir unseren Zweck nicht – je nun, so könnt ihr zu Hause erzählen, wir hätten so lange Segel geführt, als ein Stich ziehen wollte.«

Die Gentlemen sahen einander an – die Jüngeren achtungsvoll den Rath der Aelteren abwartend, Letztere aber an sich haltend, um den Stolz und die Gefühle der Jünglinge nicht zu verletzen.

»Wir müssen uns diesem Unternehmen anschließen, Kapitän,« sagte Mr. Sharp ruhig, aber mit dem Ausdrucke eines Mannes von Muth und Kraft.

»Freilich, freilich,« rief Mr. Monday; »wir müssen's zu einer gemeinschaftlichen Sache machen. Und vermuthlich wird auch Sir George Templemore mit mir in die Behauptung einstimmen, daß der Adel und die Gentry nicht oft zurückbleiben, selbst wenn sie dabei Leib und Leben in Gefahr setzen müssen.«

Der falsche Baronet ging so bereitwillig auf den Vorschlag ein, als wäre derselbe an den Mann gestellt worden, welchen er vorderhand abgesetzt hatte; denn er war zwar ein schwacher, eitler junger Mann, aber durchaus keine Memme.

»Die Sache ist sehr ernstlich,« bemerkte Paul, »und sollte mit Methode und Einsicht geordnet werden. Das Schiff ist allerdings ein Gegenstand unserer Sorge, aber wir haben auch Personen bei uns, die unendlich kostbarer sind.«

»Sehr wahr, Mr. Blunt, sehr wahr,« unterbrach ihn Mr. Dodge mit einiger Hast. »Es ist mein Grundsatz, Alles seinen ruhigen Gang gehen zu lassen, und ich bin überzeugt, daß schiffbrüchige Leute kaum besser oder gemächlicher daran seyn könnten, als wir im gegenwärtigen Augenblicke sind: Ich stehe dafür, diese wackeren Matrosen würden, wenn man sie um ihre ehrliche Meinung befragte, sich durch eine schöne Majorität zu Gunsten des gegenwärtigen Standes der Dinge erklären. Ich bin ein Conservativer, Kapitän, und meine, man sollte zu den Ballot-Urnen seine Zuflucht nehmen, ehe wir über eine so wichtige Maßregel einen Entschluß fassen.«

Der Augenbllick war zu bedeutsam für einen gewöhnlichen Scherz, weshalb dieser Vorschlag zu Mr. Dodge's großem Aerger nur mit Stillschweigen angehört wurde.

»Ich glaube, es ist Kapitän Trucks Pflicht, einen Versuch zu Wiedergewinnung seines Schiffes zu machen,« fuhr Paul fort; »aber die Sache wird sehr ernstlich werden, und der Erfolg ist keineswegs sicher. Die Lansche des Montauk muß daher sammt allen Frauenzimmern in gefahrloser Entfernung und in kluger Obhut gehalten werden; denn jedes Unglück, welches die Enterer betrifft, liefert wahrscheinlich die übrigen Boote in die Hände der Barbaren und gefährdet die Sicherheit derer, welche wir in der Lansche lassen. Mr. Effingham und Mr. John Effingham bleiben natürlich bei den Damen.«

Der Vater pflichtete in der einfachen Weise eines Mannes bei, der keine Mißdeutung der Beweggründe besorgt; aber das Adlergesicht seines Verwandten verzog sich zu einem kalten spöttischen Lächeln.

»Werdet Ihr gleichfalls in der Lansche bleiben?« fragte Letzterer mit scharfer Betonung, indem er sich an Paul wandte.

»Es würde gewiß nicht im Einklange mit meinem Character stehen, wenn ich hieran denken wollte. Mein Handwerk ist der Krieg, und ich hoffe, Kapitän Truck wird mich mit dem Kommando eines der Boote beehren.«

»Beim Zeus, ich habe dies nicht anders erwartet!« rief der Kapitän, indem er die Hand des Andern ergriff und sie mit größter Herzlichkeit drückte. »Eben so bald würde ich glauben, der Nothanker blinzle mir zu oder der beste Buganker verziehe sein Gesicht zu einem traurigen Lächeln, als daß Ihr Euch ducken könntet! Dennoch begreife ich vollkommen den Unterschied in unsern Stellungen, Gentlemen. Ich verlange von Niemand, daß er um meinetwillen seine Pflichten gegen diejenigen, die am Lande seiner harren, vergesse, und denke, mein regelmäßiges Volk werde, unter der Unterstützung des Mr. Blunt, der mir in der That durch seine Kenntnisse dienen kann, mit der Sache so gut zu Stande kommen, als wenn ihr Alle mit vereinten Kräften mithälfet. Beim Nehmen eines Schiffes kommt es weniger auf die Zahl als auf Muth, Gewandtheit und Entschlossenheit an.«

»Aber die Frage ist dem Volke noch nicht vorgelegt worden,« sagte Mr. Dodge, welcher das von Kapitän Truck gebrauchte Wort nicht in dem geeigneten Sinne aufgefaßt hatte; denn er sollte erst noch lernen, daß dieser technische Ausdruck nichts weiter als die Gesammtheit der Schiffsmannschaft in sich begreift.

»Auch dies soll geschehen, Sir,« entgegnete Kapitän Truck, »und ich bitte Euch, Acht zu haben, auf welche Seite sich die Mehrheit schlägt. Meine Jungen,« fuhr er mit lauter Stimme fort, indem er auf einen Dosten stand, »ihr kennt die Geschichte des Schiffes. Was die Beduinen betrifft, so haben sie es zwar, wissen aber nicht, wie sie damit umspringen müssen, und es ist nicht mehr als freundschaftlich, wenn wir es ihren Händen wieder abnehmen. Für dieses Geschäft aber brauche ich Freiwillige. Diejenigen, welche für das Riff und für einen Angriff sind, sollen aufstehen und ihre Bereitwilligkeit durch lauten Zuruf an den Tag legen. Wer die offene See vorzieht, braucht nur still an seinem Platze sitzen zu bleiben.«

Die Worte waren kaum gesprochen, als Mr. Leach auf das Schanddeck sprang und seinen Hut schwenkte; die Matrosen aber erhoben sich wie Ein Mann und ließen, von dem Maten das Signal nehmend, drei so kräftige Hurrahrufe erschallen, wie sie nur je über einer Flasche ausgebracht wurden.

»Nicht ein Einziger ist für Euch, Sir,« bemerkte der Kapitän, dem Herausgeber zunickend, »und ich hoffe, Ihr seyd jetzt zufrieden.«

»Das Ballotiren würde wohl ein anderes Ergebniß herbeigeführt haben,« murmelte Mr. Dodge. »Ohne Ballotage ist die Wahlfreiheit eine Unmöglichkeit.«

Niemand kehrte sich jedoch weiter an Mr. Dodge oder seine Bedenken, da im Gegentheil schnell und mit Behutsamkeit alle Vorkehrungen zum Angriff getroffen wurden. Mr. Effingham sollte mit seinem Diener in der Lansche bleiben, während der Kapitän seine beiden Maten loosen ließ, welcher von ihnen das unerläßliche Amt eines Steuermanns übernehmen sollte. Das Loos fiel auf den zweiten Maten, der sich nicht ohne bittern Aerger in die Entscheidung fügte.

Nun wurde eine Büste Napoleons zerhauen und die Bleistücke möglichst rund geschlagen, um ein Dutzend bleierner Kugeln und einen Vorrath von Hagel zu Kartätschenladungen zu gewinnen. Letzteren brachte man in Segeltuchbeutel; und nachdem das Pulverfaß geöffnet war, wurden einige Flanellhemden zerrissen und Patronen angefertigt. Die Matrosen erhielten Munition und Mr. Sharp untersuchte ihre Waffen. Die Kanone wurde von dem Dach des Montauk-Bootes heruntergeschafft und im Vorderschiffe des Dänen auf einen Roost gestellt. Das Tackelwerk und die Segel, welche sich in dem Boot befanden, brachte man jetzt auf den Floß, und nachdem in dieser Weise aufgeräumt war, wurde das Commando des zuvor passend bemannten Fahrzeugs Paul übergeben.

Die drei andern Boote nahmen gleichfalls ihre Mannschaft ein und John Effingham erhielt den Oberbefehl über das eine, während der Kapitän und der erste Mate das Commando der beiden übrigen übernahmen. Mr. Dodge konnte nicht wohl umhin, freiwillig seine Dienste anzubieten, und wurde dem Langboot des Dänen, wo Paul jetzt seinen Posten angetreten hatte, zugetheilt, obschon Jeder, der sich ihn zu beobachten die Mühe nahm, bemerken konnte, welche große Ueberwindung ihn dieser Heldenentschluß kostete. Mr. Sharp und Mr. Monday gesellten sich dem Kapitän zu, während der falsche Sir George Templemore Mr. Leachs Boote zugewiesen wurde. Nach Beendigung dieser Vorbereitungen wartete Alles mit Ungeduld auf den Wind und die Strömung, um das Riff zu erreichen, dessen Klippen man jetzt sogar von den Dosten mehrerer Boote aus deutlich sehen konnte.


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