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Norfolk, Dir steht ein härt'rer Spruch bevor,
Und ungern nur mag ich ihn dir verkünden.
Shakespeare.
Die Geschichte des unglücklichen jungen Mannes, der, nachdem er alle Gefahren und Abenteuer der Reise überstanden, nun so unerwartet eingeholt wurde, als er das vermeintliche Asyl schon erreicht zu haben glaubte – bestand aus nichts Anderem, als aus einem jener gewöhnlichen Gewebe von Ereignissen, die durch Eitelkeit und Schwäche zum Verbrechen führen. Sein Vater hatte unter der britischen Regierung eine Anstellung gehabt, spät geheirathet und einen Sohn und eine Tochter hinterlassen, die eben erst in's Leben eintraten, als der dasselbe verlassen mußte. Der Sohn war ihm in seinem Posten nachgefolgt, weil die Regierung in dieser Weise den unermüdlichen Eifer eines treuen Dieners belohnen wollte.
Der junge Mensch gehörte unter den großen Haufen derjenigen, die ohne Grundsätze und höheres Streben nur der Eitelkeit leben. Er gab sich keinen hervorstechenden Lastern hin, da sein Character aller der schroffen Züge entbehrte, welche zu der dafür erforderlichen Dreistigkeit hätten ermuthigen können. Vielleicht verdankte er sein Verderben vorzugsweise dem Umstande, daß er eine leidliche Persönlichkeit besaß. Sein Vater war ein kleiner, gedrungener, derb gebauter Mann gewesen, dessen Ehrgeiz sich nie über seine Natur erhob, und der, nachdem er in früher Jugend den Pfad des Fleißes und der Rechtlichkeit betreten hatte, eifrig auf demselben bis an's Ende fortwandelte. Beim Sohne verhielt sich's anders. Er las so viel von aristokratischer Haltung, aristokratischen Ohren, aristokratischen Händen, aristokratischen Füßen und aristokratischem Anstand, daß er zuletzt mit Entzücken bemerkte, in allen diesen adeligen Eigenschaften unterscheide er sich nicht viel von den meisten der vornehmen jungen Männer, die er hin und wieder durch die Parke reiten oder in den Straßen gehen sah, und obschon er recht wohl wußte, daß er kein Lord war, so begann er doch sich glücklich darin zu fühlen, wenn er nur ein paar Stunden in der Woche von Fremden dafür gehalten wurde.
Die Liebhaberei für Spielereien und hübsche Sachen war ihm angeboren, wurde aber durch die Lectüre einiger Tagesnovellen, in welchen Zerrbilder von fashionabeln Herren dargestellt waren, so sehr gesteigert, daß er sich nur noch glücklich fühlte, wenn er dieser Leidenschaft fröhnen konnte: freilich eine kostspielige Schwäche, deren Befriedigung in Bälde seine rechtmäßigen Mittel erschöpfte. Einige kleine Unterschleife, welche unentdeckt blieben, ermuthigten seine Thorheit, bis endlich einmal auf ein paar Wochen eine große Summe ausschließlich ihm überlassen blieb, in welche er so tiefe Eingriffe that, daß er sich flüchten mußte. Einmal Willens, England zu verlassen, hielt er es für eben so leicht, mit 40000 Pfunden zu entwischen, als mit den paar Hunderten, die er sich bereits zugeeignet hatte. Aber dieser schwere Irrthum war die Ursache seines Verderbens; denn die Größe der Summe bewog die Regierung, zu Wiedererlangung derselben ungewöhnliche Schritte aufzubieten, und gab Anlaß zu Abschickung des Kreuzers, welcher dem Montauk nachsetzte.
Mr. Green, der zu Identifizirung des Flüchtlings abgeschickt worden, war ein kalter, methodischer Mann und in allen Stücken ein treues Seitenstück zu dem alten Sandon, dessen College er gewesen und dem er in unermüdlichem Geschäftseifer, wie auch in indolenter Ehrlichkeit treulich nachgefolgt war. Er betrachtete die Unterschlagung oder den Diebstahl – denn das Vergehen konnte kaum milder bezeichnet werden, – als einen Schimpf für die ganze Beamten-Körperschaft, zu der er gehörte und zugleich als ein Brandmal auf den Namen desjenigen, welchen er stets als ein nachahmenswerthes Vorbild treuen Geschäftseifers betrachtet hatte. Man kann sich daher wohl denken, daß dieser Mann nicht in der Stimmung war, den Verbrecher mit Nachsicht zu behandeln.
»Saunders,« sagte Kapitän Truck in dem strengen Tone, mit welchem er oft die Topgasten anzubreien pflegte und aus dem zu entnehmen war, daß man in Erfüllung eines Befehls nicht säumen durfte, wenn man den Commandeur nicht aufbringen wollte. »Geht nach dem Gemache des Menschen, der sich selbst zum Sir George Templemore gemacht hat – vermeldet ihm mein Compliment – merkt wohl auf, was ich Euch sage, Mr. Saunders – vermeldet ihm Kapitän Trucks Compliment und bedeutet ihm, daß ich auf die Ehre seiner Gesellschaft in dieser Kajüte rechne – wohlgemerkt, auf die Ehre seiner Gesellschaft in dieser Kajüte. Wenn ihn dies nicht aus seinem Neste hervorbringt, so werde ich zu einer wirksameren Maßregel greifen.«
Der Steward drehte das Weiße seiner Augen aufwärts, zuckte die Achseln und entfernte sich, um den Auftrag zu vollziehen, fand aber doch unterwegs noch Zeit, um in die Speisekammer zu treten und Toast mitzutheilen, daß ihr Verdacht endlich theilweise zur Wahrheit geworden sey.
»Dies beleuchtet den Umstand, daß er nicht, wie die andern Gentlemen an Bord, einen Bedienten bei sich hatte; auch erklären sich jetzt viele andere Puncte, die einer Enthüllung gar sehr bedürftig waren. Wenn ich einige Winke auf dem Deck recht verstanden habe, so ist Mr. Blunt zu einem Mr. Powis geworden – jedenfalls ein weit gentilerer Name; und da sie in der Kajüte Jemand als ›Sir George‹ anredeten, so soll's mich gar nicht groß Wunder nehmen, wenn sich Mr. Sharp ewentuel als der wirkliche Baronit herausstellte.«
Weiter reichte die Zeit nicht, und Saunders machte sich auf den Weg, um den Verbrecher vorzuladen.
»Dies ist der unangenehmste Theil des Dienstes, der auf einem zwischen England und Amerika fahrenden Paketschiffe lastet,« fuhr Kapitän Truck fort, sobald Saunders außer Sicht war. »Fast nie kann man ausfahren, ohne daß sich einer oder der andere Ausreißer in das Zwischendeck oder in die Kajüte einschleicht, und so werden wir oft aufgeboten, den Civilbehörden auf beiden Seiten des Wassers Beihülfe zu leisten.«
»Amerika scheint bei unsern englischen Spitzbuben in gutem Geruche zu stehen,« bemerkte der Beamte trocken. »Dieser Sandon ist schon der Dritte, welcher im Lauf von drei Jahren aus unserem Departement dahin entwichen ist.«
»Euer Departement scheint also sehr fruchtbar an Spitzbuben zu seyn, Sir,« entgegnete Kapitän Truck ziemlich in demselben Geiste, wie der Erstere seine Bemerkung vorgebracht hatte.
Mr. Green war ein so derber Engländer, wie es Alle von seiner Klasse auf der Insel sind. Pedantisch, von unermüdlicher Thätigkeit, redlich und in Allem, was er that, ein Freund der Ordnung hatte er weder Zeit, noch Lust, seine Kenntnisse zu erweitern, wenn ihn dies nur die geringste Anstrengung kostete. In Folge der – geistig wenigstens – beschränkten Sphäre, in welcher er sich bewegte, hielt er alle die Vorurtheile fest, welche in der Zeit herrschend waren, als er seine erste Bildung genoß. Sein Haß gegen Frankreich war unüberwindlich, denn er hatte in seiner Jugend gelernt, diesen Staat als den Erbfeind Englands zu betrachten; und was Amerika betraf, so hielt er es für den gemeinsamen Zufluchtsort aller Schurken seines eigenen Landes und für einen Strich, wo Leute wohnten, die sich gegen ihren König empört hatten, weil sie ihre Abgeneigtheit gegen den heilsamen Zwang des Gesetzes mit der Muttermilch eingesogen. Zwar mochte er sich eben so wenig öffentlich darüber auslassen, als er Lust fühlte, die Straßen mit der Erklärung auf und ab zu rennen, daß Satan der Vater der Sünde sey; aber von der unumstößlichen Wahrheit der Thatsache war er in dem einen wie in dem anderen Falle auf's vollkommenste überzeugt. Gab er übrigens gelegentlich etwas von diesen Ansichten kund, so geschah es nur etwa in der Weise, wie der Mensch hustet – nicht etwa, weil er husten will, sondern, weil er nicht anders kann. Als er daher den Gegenstand so natürlich eingeleitet fand, so darf es Niemand Wunder nehmen, wenn ihm während des kurzen Gespräches, das nun folgte, einige seiner eigenthümlichen Meinungen entwischten.
»Es gibt freilich unter uns, so gut wie anderwärts, schlechte Menschen, Sir,« entgegnete er auf den Hieb des Kapitän Truck; »aber was uns dabei am meisten auffällt, ist die Thatsache, daß sie alle nach Amerika gehen.«
»Und zu uns kommen Spitzbuben, wie in andere Staaten, Sir; aber wir müssen die Bemerkung machen, daß sie insgesammt aus England kommen.«
Mr. Green schien das Schlagende dieser Erwiederung nicht zu begreifen, sondern wischte seine Brillengläser ab, während er zugleich seinem Gesichte die Miene würdevollen Ernstes zu verleihen bemüht war.
»Einige von den ausgezeichnetsten Männern in Amerika sind, glaube ich, Engländer gewesen,« fuhr er fort, »welche den Aufenthalt in den Colonien dem in der Heimath vorzogen.«
»Hievon habe ich nie gehört,« entgegnete der Kapitän. »Wollt Ihr die Güte haben, mir nur einen Einzigen zu nennen?«
»Nun ja – zuvörderst haben wir da Euern Washington. Ich hörte meinen Vater oft sagen, er sey mit Washington zu Warwickshire in die Schule gegangen, habe aber, so lange derselbe noch in England war, nie viel Gescheidtes an ihm finden können.«
»Ihr seht also, daß wir etwas aus ihm machten, als wir ihn auf die andere Seite hinüberkriegten, da er sich zuletzt doch als eine recht anständige und achtbare Person auswies. Nach dem, was man aus einigen eurer Zeitungen lies't, sollte man wohl glauben, König Wilhelm genieße in Eurem Lande den Ruf eines achtbaren Mannes.«
Mr. Green war zwar höchlich betroffen, von seinem Monarchen in so unehrerbietiger Weise sprechen zu hören, antwortete aber rasch:
»Er ist ein König, Sir, und benimmt sich wie ein König.«
»Vermutlich nur um so besser um der Prügelsuppe willen, die er als junger Bursch von dem Vermonter Schneider erhalten hat.«
Kapitän Truck glaubte nemlich eben so zuversichtlich an dieses gemeine Gerücht über den fraglichen Fürsten, als Mr. Green der Ueberzeugung lebte, Washington habe seine Laufbahn als ein ganz gewöhnlicher Mensch begonnen, oder Mr. Steadfast Dodge der lächerlichen Geschichte von dem Haddonfielder Schulmeister unbedingtes Vertrauen schenkte; denn alle diese drei Sagen erfreuen sich gleich großer historischer Glaubwürdigkeit.
Sir George Templemore blickte überrascht auf John Effingham, welcher nun mit Ernst das Wort nahm.
»Elegante Auszüge, Sir, aus den gemeinen Klatschereien zweier großen Nationen. Wir tragen uns viel mit dergleichen Histörchen, und ihr seyd auch nicht ganz unschuldig in diesem Punkte. Gesteht aufrichtig, Ihr habt den schmähenden Gerüchten über Amerika selbst schon Gehör geschenkt.«
»Zuverläßig glaubt Ihr nicht, daß mir Washington's Laufbahn so wenig bekannt sey?«
»Nein, ich habe eine andere Meinung von Euch. Eben so wenig glaube ich, daß Euer gegenwärtiger König von einem Vermonter Schneider gepeitscht wurde, oder daß Louis Philipp in New-Jersey Schulmeister war. Unsere Stellung in der Welt erhebt uns über dergleichen Ausschmückungen. Aber habt Ihr nicht einige ungünstige Vorstellungen über Amerika, namentlich in Betreff seiner Geneigtheit, Schurken ein Unterkommen zu geben, wenn sie mit vollen Taschen kommen?«
Der Baronet lachte, konnte sich aber eines Erröthens nicht erwehren. Er wäre gerne freisinnig gewesen, weil er wohl wußte, daß Liberalität den Mann von Welt auszeichnet und ein unerläßliches Erforderniß der feinen Bildung ist; indeß wird es immerhin einem Engländer sehr schwer, gegen die Ci-devant-Colonien wahre Liberalität an den Tag zu legen, und dies fühlte auch Sir George in seinem ganzen moralischen System, obschon er sich alle Mühe gab, dagegen anzukämpfen.
»Ich gestehe, daß die Geschichte mit Stephenson in England einen ungünstigen Eindruck gemacht hat,« entgegnete er mit einigem Widerstreben.
»Ihr meint das entwichene Parlamentsmitglied?« entgegnete John Effingham mit einem Nachdruck auf den beiden Worten. »Aber Ihr werdet uns doch nicht die Wahl seines Zufluchtsortes zum Vorwurf machen; denn er wurde durch ein fremdes Schiff, das zufällig nach Amerika bestimmt war, auf der See aufgelesen?«
»Diesen Umstand gewiß nicht, da er, wie Ihr sagt, reiner Zufall war. Aber fand nicht irgend etwas Außerordentliches bei seiner Befreiung aus dem Arrest statt?«
»Sir George Templemore, es gibt nicht viele Engländer, gegen welche ich mich über diesen Gegenstand auch nur einen Augenblick auslassen möchte,« versetzte John Effingham mit Ernst. »Ihr gehört übrigens unter diejenigen, die ich achten gelernt habe, und es thut mir sehr leid, bei einem Mann von Eurem in Wahrheit edelmüthigen Charakter solche irrige Vorstellungen bemerken zu müssen. Nur weniges Nachdenken muß Euch zeigen, daß keine civilisirte Gesellschaft bestehen könnte, wenn sie den Schurken um seines Geldes willen schätzte und auszeichnete; was aber den von Euch angedeuteten besonderen Fall betrifft, so war erstlich Stephenson durchaus nicht sonderlich bemittelt, und zweitens verdankt er seine Befreiung aus der Haft einem Grundsatze, der vor allen Gerichtshöfen Geltung finden wird, wo das Gesetz stärker ist, als die politische Gewalt – ein Grundsatz, den wir unmittelbar aus der Großbritanischen Gesetzgebung ableiten. Glaubt mir, wir sind so weit entfernt, uns einflußreiche Schurken aus andern Ländern zu wünschen, daß vielmehr mit jedem Tage die Abneigung zunimmt, überhaupt Einwanderer aufzunehmen, da ihre Anzahl der eingeborenen Bevölkerung unbequem wird.«
»Aber warum schließt Amerika keinen Vertrag mit uns zu wechselseitiger Auslieferung der Verbrecher?«
»Ein unübersteigliches Hinderniß in Herstellung eines derartigen Cartels liegt in der Natur unserer Regierung, da sie aus einem Staatenbunde besteht, in welchem nicht allenthalben derselbe Criminal-Codex Geltung hat. Ein Hauptgrund aber ist der übermäßig künstliche Zustand eurer Gesellschaft, der einen geraden Gegensatz zu dem unsrigen bildet und den Amerikaner nicht geneigt macht, unbedeutende Verbrecher mit so schwerer Strafe zu belegen. Ihr müßt nicht vergessen, daß der Amerikaner in dergleichen Dingen eine Stimme hat, und er kann sich nicht darein finden, einen halb verhungerten Tropf wegen Diebstahls hängen, oder einen Menschen, der einen Hasen schießt, nach Botany-Bay schicken zu lassen. Die Leichtigkeit, mit der man in Amerika seinen Lebensunterhalt gewinnen kann, hat bisher die meisten Schelme nach ihrer Ankunft in verhältnißmäßig ehrliche Leute umgewandelt, obschon ich glaube, daß wir in Bälde es nöthig finden werden, um des Selbstschutzes willen, den uns eure nunmehr so viel verbesserte Polizei zur Pflicht machen wird, unser System zu ändern. Wie ich höre, veranlaßt das allgemeine Gerücht, mit dem man sich über uns trägt, viele Schurken, denen England jetzt zu heiß wird, nach Amerika auszuwandern.«
»Kapitän Ducie möchte gerne wissen, ob Mr. Truck gutwillig gestatten wird, diesen Verbrecher nach dem Foam zu schaffen.«
»Ich glaube nicht, daß er es überhaupt gestatten wird, wenn man ihn nicht gewaltsam dazu zwingt, im Falle das Gesuch irgend wie als ein Recht angesprochen werden wollte; denn dann wird er mit allem Fug die Erklärung abgeben, daß die Bewahrung seines Nationalcharacters wichtiger ist, als wenn ein Dutzend Schelme sich der Strafe entziehen. Ihr mögt dann vielleicht sein Verfahren hart deuten; aber ich werde glauben, daß er befugt ist, jedem ungesetzlichen Eingriff in seine Rechte Widerstand entgegenzusetzen. Den Vorgängen zufolge hätte ich übrigens geglaubt, Kapitän Ducie hege eine friedlichere Gesinnung.«
»Vielleicht habe ich mich zu stark ausgedrückt. Ich weiß, es ist sein Wunsch, den Verbrecher mit zurückzunehmen, kann aber kaum glauben, daß er sich für diesen Zweck anderer Mittel, als der Ueberredung bedienen wird. Ducie ist in jeder Hinsicht ein Mann von Ehre und feiner Bildung. Er scheint in unserem jungen Freund Powis einen Bekannten gefunden zu haben.«
»Die Begegnung der beiden Gentlemen hat mich überrascht, da sie kaum freundlich genannt werden kann; und doch scheint sie eben jetzt Ducie's Gedanken sogar mehr in Anspruch zu nehmen, als die Geschichte mit dem Flüchtling.«
Beide wurden nun stumm und gedankenvoll, denn in John Effingham tauchten zu viele unangenehme Muthmaßungen auf, als daß er hätte sprechen mögen, und der Baronet war zu edelmüthig, um einen Zweifel über einen Mann laut werden zu lassen, den er zwar als seinen Nebenbuhler kannte, aber dennoch aufrichtig zu achten und zu lieben begonnen hatte. Endlich wurde das Gespräch, in welchem Mr. Green allmählig starrköpfiger und verdrießlicher, Kapitän Truck dagegen derber und beißender geworden war, plötzlich durch das zögernde und widerstrebende Eintreten Mr. Sandons unterbrochen.
Das Schuldbewußtseyn, dieser gewaltige Vertreter einer gerechten Vorsehung, da er das Vorhandenseyn eines inneren Mahners, des Gewissens, beweist, war mit schmerzlicher Bestimmtheit in einem Gesichte abgebildet, das sonst nicht viel Anderes als den Ausdruck hohlköpfiger Eitelkeit blicken ließ. Obschon von Person groß und kräftig gebaut, zitterten Sandons Glieder doch dermaßen, daß er sich kaum aufrecht erhalten konnte, und als der Unglückliche den ihm wohlbekannten Mr. Green vor sich sah, sank er auf seinen Sitz nieder, weil ihm die Beine den Dienst versagten. Der Beamte beobachtete ihn mit finsterer Miene mehr als eine Minute durch seine Brille.
»Dies ist ein trauriger Anblick, Henry Sandon,« sagte er endlich. »Indeß freut es mich wenigstens, daß Ihr Euer Verbrechen nicht durch frechen Trotz zu vergrößern sucht, sondern in gebührender Weise die Größe desselben fühlt. Was würde Euer rechtschaffener, unermüdlich thätiger Vater gesagt haben, wenn er es hätte erleben müssen, seinen einzigen Sohn in einer solchen Lage zu sehen?«
»Er ist todt!« entgegnete der junge Mensch mit erstickter Stimme. »Er ist todt und kann nie etwas davon erfahren.«
Der unglückliche Verbrecher schien eine Art unheimlicher Freude zu empfinden, als er diese Worte sprach.
»Allerdings ist er todt; aber es sind noch Andere vorhanden, die unter Eurer schändlichen Aufführung leiden. Eure unschuldige Schwester ist noch am Leben und erliegt unter dem Gefühle der Schaam.«
»Sie wird Jones heirathen und Alles vergessen. Ich habe ihr tausend Pfund gegeben und sie muß jetzt verehlicht seyn.«
»Hierin seyd Ihr im Irrthum, denn sie ist in der That John Sandon's Tochter und hat das Geld wieder zurückerstattet. Mr. Jones aber weigert sich, die Schwester eines Diebs zum Weibe zu nehmen.«
Der Verbrecher war eher eitel und gedankenlos, als selbstsüchtig; auch liebte er seine Schwester, das einzige andere Kind seiner Eltern, weshalb er den Schlag, der ihn von dieser Seite her traf, mit doppelter Gewalt fühlte.
»Julia kann ihn zwingen, daß er sie heirathe,« rief der erschütterte Bruder. »Er ist durch ein feierliches Verlöbniß an sie gefesselt und das Gesetz wird sie schützen.«
»Kein Gesetz ist im Stande, einen Mann gegen seinen Willen zu einer Ehe zu zwingen, und Eure arme unglückliche Schwester fühlt zu zart gegen Euch, wie wenig Ihr's auch um sie verdient habt, als daß sie Mr. Jones Gelegenheit geben möchte, sich durch Bloßstellung Eures Verbrechens zu vertheidigen. Doch dies heißt nur Worte vergeuden, Mr. Sandon, denn man vermißt mich in dem Bureau, wo ich die Geschäfte in den Händen eines unerfahrenen Stellvertreters zurücklassen mußte. Natürlich laßt Ihr's Euch nicht einfallen, eine Handlung zu vertheidigen, von der Euch Euer Gewissen sagen muß, daß sie nicht zu entschuldigen sey.«
»Leider bin ich ein wenig gedankenlos gewesen, Mr. Green – oder, wie ich vielleicht besser sagen sollte, unglücklich.«
Mr. Sandon war in den allgemeinen Irrthum derjenigen verfallen, die, wenn sie auf Abwege gerathen, die Schuld gerne auf ihr Unglück, nicht aber auf sich selbst schieben. Mit einer Treuherzigkeit, die ihn, hätte sie einer besseren Sache gedient, zu einem achtbaren Mann gemacht haben würde, hatte er sich bemüht, sein Verbrechen unter allerlei Vorwänden der Noth vor sich selbst zu entschuldigen, und war endlich sogar so weit gegangen, seine Handlung damit rechtfertigen zu wollen, daß ihm selbst Unrecht geschehen sey. Dieses vermeintliche Unrecht betraf die Bereinigung seiner eigenen Ansprüche und sollte einigermaßen den Betrug entschuldigen, obschon die Posten, welche ihm gestrichen wurden, nur zwanzig Pfund betrugen und seine Unterschlagung eine so große Summe betraf. Unter dem Einflusse derartiger Gefühle hatte er auch obige Antwort gegeben.
»Ein wenig gedankenlos – unglücklich! So also bezeichnet Ihr ein Verbrechen, welches Euern Vater fast wieder aus dem Grabe hervorrufen könnte, Henry Sandon? Doch ich will nicht mehr von Gefühlen reden, die Ihr nicht zu verstehen scheint. Ihr gesteht, von den Staatsgeldern Euch 40,000 Pfund zugeeignet zu haben, an die Ihr weder ein Recht noch einen Anspruch habt?«
»Ich habe allerdings einiges Geld in Händen, das, wie ich nicht in Abrede ziehe, der Regierung gehört.«
»Gut; und hier ist meine Vollmacht, es von Euch in Empfang zu nehmen. Gentlemen, wollt ihr die Güte haben, euch zu überzeugen, daß dieses Dokument regelmäßig ausgestellt und beglaubigt ist?«
John Effingham und die Anderen durchsahen das Aktenstück und erklärten, daß es ganz in Ordnung zu seyn scheine.
»Wohlan, Sir,« nahm Mr. Green wieder auf, »zuvörderst verlange ich die Wechsel, welche Ihr in London für dieses Geld erhieltet, und Euer regelmäßiges Indossement an meine Ordre.«
Der Schuldige schien sich auf dieses Ansinnen gefaßt gehalten zu haben, denn er war jetzt mit demselben Leichtsinn, mit welchem er sich das Geld zugeeignet hatte, bereit, es wieder zurückzuerstatten, ohne die Bedingung seiner eigenen Sicherheit daran zu knüpfen. Da er die Wechsel in seiner Tasche hatte, so setzte er sich sogleich an einen Tisch nieder, besorgte die verlangten Indossements und händigte die Noten Mr. Green ein.
»Ich habe hier nur für 38,000 Pfund Wechsel,« sagte der Beamte, nachdem er die Tratten nach einander untersucht und ihren Betrag zusammengerechnet hatte, »und man weiß, daß Ihr vierzigtausend entwendet habt. Ich verlange den Rest.«
»Wie, wollt Ihr mich ohne Heller in einem fremden Lande lassen?« rief der Verbrecher im Tone des Vorwurfs.
»Ohne Heller – in einem fremden Lande?« wiederholte Mr. Green, indem er über seine Brille zuerst nach Mr. Truck, dann nach Mr. Sandon hinblickte. »Was Euch nicht gehört, muß zurückerstattet werden, und wenn Ihr Euch das Hemd vom Leibe ziehen müßtet. Jedes Pfund, das Ihr habt, gehört dem Staate und Niemand anders.«
»Ich bitte um Verzeihung, Mr. Green – und Ihr seyd wahrhaftig grün genug, wenn Ihr dergleichen Sätze aufstellt, in welchen weder Vattel, noch die revidirten Statuten Euch unterstützen werden,« unterbrach ihn Kapitän Truck. »Die Effekten eines Passagiers können nicht aus dem Schiffe entfernt werden, bis seine Ueberfahrt bezahlt ist.«
»Dies bestreite ich in allen Fällen, in welchen die königlichen Einkünfte benachtheiligt werden könnten, Sir. Die Ansprüche der Regierung gehen allen andern vor, und das Geld, welches einmal der Krone gehört hat und von der Krone nicht regelmäßig ausbezahlt wurde, bleibt immerhin Kroneigenthum.«
»Was scheere ich mich um Kronen und Krönungen! Wie mir vorkömmt, meint Ihr, Meister Green, Ihr sprechet in Somerset-House.«
Nun war Mr. Green ein Stern von so vollkommen bestimmter Bahn, daß seine Ideen selten in der Tangente ihres gewohnten Umlaufs abwichen. Er hatte so oft sagen hören, England herrsche über die Colonieen, über den Osten und Westen, über Canada, das Cap und Neu-Süd-Wales, daß es ihm nicht leicht wurde, sich zu denken, er könnte außer dem Einfluß der britischen Gesetze stehen. Hätte er die Heimath verlassen, um auszuwandern oder auch nur zu reisen, so würde sein Geist vielleicht gleicheren Schritt mit dem Körper gehalten haben; so aber war er in aller Hast, die Amtsbrille noch auf der Nase, von seinem Pult abberufen worden, und man durfte sich daher nicht sehr wundern, daß er sich kaum in die Beschaffenheit seiner gegenwärtigen Lage hineinzufinden vermochte. Das Kriegsschiff, in welchem Alles Sr. Majestät gehörte, trug dazu bei, seinen Wahn zu unterstützen, und es wäre zuviel verlangt gewesen, wenn man einem solchen Manne hätte die Zumuthung machen wollen, er solle alle seine lang gehegten Vorstellungen so plötzlich aufgeben. Kapitän Truck's unehrerbietiger Ausruf versetzte ihm fast den Athem, und er ermangelte nicht, den Abscheu, welchen er darüber fühlte, in dem Ausdrucke seines Gesichtes kund zu geben.
»Ich bin, wie ich vermuthe, in einem von Sr. Majestät Paketschiffen, Sir, und Ihr werdet mir die Aeußerung erlauben, daß ich mit Recht eine größere Ehrerbietung vor den hohen Symbolen des Königthums erwartet hätte.«
»Darüber würde sogar der alte Joe Bunk lachen müssen. Ihr seyd in einem New-Yorker Postschiff, Sir, in welchem keine andere Majestät etwas zu befehlen hat, als Ihre Majestäten John Griswold und Compagnie. Wahrhaftig, mein guter Sir, die See hat Euer Hirn ein wenig in Verwirrung gebracht.«
Nun wußte zwar Mr. Green, daß die Vereinigten Staaten von Amerika ihre Unabhängigkeit errungen hatten; aber der ganze Hergang der Sache war in seinem Geiste so mit Rebellion und französischer Alliance vermengt, daß er stets zweifelte, ob die neue Republik überhaupt gesetzlich existire; auch hatte man ihn schon sein Erstaunen darüber ausdrücken hören, daß die zwölf Oberrichter nicht längst einen so unconstitutionellen Stand der Dinge zur Ausgleichung gebracht und die amerikanische Regierung durch ein Mandamus abgeschafft hatten. Sein Abscheu steigerte sich in demselben Maßstabe, in welchem Kapitän Truck seine Unehrerbietigkeit in stärkeren Ausdrücken an den Tag legte, und es stund sehr zu besorgen, daß die Harmonie, welche bisher zwischen den betreffenden Personen geherrscht hatte, schnell einen gewaltsamen Bruch erleiden dürfte.
»Die Achtung gegen die Krone kann bei einem wahrhaft getreuen Unterthanen durch die See nicht erschüttert werden, Sir,« entgegnete Mr. Green mit Schärfe; »wenigstens bei mir nicht, wie sich nun auch die Sache bei Euch verhalten mag.«
»Bei mir? Ha zum Teufel, Sir, haltet Ihr mich für einen Unterthanen?«
»Leider für einen recht schlechten obendrein, und wenn Ihr in London selbst geboren wäret.«
»Ach, mein theurer Sir,« versetzte Kapitän Truck, indem er den Andern am Rockknopfe faßte, als bemitleide er dessen Verblendung. »In London wachsen keine solche Leute. Ich komme vom Fluß her, und dort gab es nie einen Unterthanen – auch keine andere Majestät, als die von der Say-Brook-Platform. Endlich fange ich an, Euch zu begreifen. Ihr seyd einer von jenen wohlmeinenden Menschen, welche da glauben, die Erde sey nichts, als ein Gehäuse für die Insel Großbritannien. Na, ich meine, der Fehler liegt mehr in Eurer Erziehung, als in Eurer Natur, und einen Irrthum muß man zuguthalten. Darf ich fragen, was in Beziehung auf diesen unglücklichen jungen Mann Euer weiterer Wunsch ist?«
»Er muß jedes Pfund von den Staatsgeldern, die er in seinem Besitz hat, wieder zurückerstatten.«
»Dies ist nicht mehr wie billig, und ich sage Ja.«
»Und Diejenigen, welche von ihm unter was immer für Vorwänden einen Theil dieses Geldes erhalten haben, müssen Alles an die Krone zurückgeben.«
»Mein guter Sir, Ihr habt keinen Begriff von dem vielen Champagner und anderen guten Dingen, welche der unglückliche junge Mensch in diesem Schiff verbraucht hat. Obschon nur ein falscher Baronet, hat er doch wie ein ächter Lord gelebt, und es kann Euch unmöglich einfallen, den Schiffseigenthümern die Unterhaltung eurer Spitzbuben aufzubürden.«
»Die Regierung macht keinen Unterschied, Sir, und nimmt stets ihr Eigenthum in Anspruch.«
»Nicht doch, Mr. Green,« unterbrach ihn Sir George Templemore. »Ich zweifle sehr, ob die Regierung selbst auf englischem Grund und Boden Geld zurückfordern würde, das ein Kassendieb oder ein Betrüger für seine Tagesbedürfnisse verausgabt hat. Um so weniger scheint sie mir also berechtigt zu seyn, die paar Pfunde anzusprechen, die Kapitän Truck gesetzmäßig verdient hat.«
»Das Geld ist nicht gesetzmäßig verdient, Sir; denn es widerstreitet allem Gesetz, einem Verbrecher zur Flucht aus dem Königreiche zu helfen, und ich bin nicht überzeugt, ob nicht schon blos auf diese Handlung Strafen gesetzt sind. Was aber Staatsgelder betrifft, so können sie nie ohne die gebührenden amtlichen Formen und in gesetzmäßiger Weise die Schatzkammer verlassen.«
»Mein theurer Sir George,« ergriff der Kapitän wieder das Wort, »überlaßt es mir, dies mit Mr. Green abzumachen, der ohne Zweifel nur bevollmächtigt ist, eine Quittung über das Ganze auszustellen.«
»Was soll mit dem Delinquenten geschehen, Sir, nachdem Ihr sein Geld an Euch genommen habt?«
»Natürlich wird er in dem Foam nach England zurückgebracht, und es thut mir leid, sagen zu müssen, daß er dort den Gerichten anheim fällt.«
»Wie – mit oder ohne meine Erlaubniß?«
Mr. Green machte große Augen, denn sein Geist war ganz von dem Schlage jener Leute, die es bei einem vormaligen Colonisten für hohe Vermessenheit halten, die Rechte eines alten Landes anzusprechen, selbst wenn sie es so weit gebracht haben, zu begreifen, daß die Trennung gesetzlich und vollständig stattgefunden hat.
»Er hat Fälschung begangen, Sir, um den Kassendiebstahl zu verheimlichen. Dies ist ein schreckliches Verbrechen; aber diejenigen, welche es begehen, dürfen nicht hoffen, den Folgen zu entrinnen.«
»Elender Betrüger – ist dies wahr?« – fragte Kapitän Truck den zitternden Schuldigen in strengem Tone.
»Er nennt mein Uebersehen Fälschung, Sir,« entgegnete der Letztere mit erstickter Stimme. »Ich habe nichts begangen, wodurch ich Leben oder Freiheit verwirkt hätte.«
In diesem Augenblicke trat Kapitän Ducie, von Paul Powis begleitet, in die Kajüte. Ihre Gesichter glühten; auch drückte sich in ihrem gegenseitigen Benehmen einige Verstörtheit aus, obschon sie die Formen der Höflichkeit nicht vernachlässigten. Zu gleicher Zeit benützte Mr. Dodge, welcher fast vor Begierde starb, der geheimen Verhandlung anzuwohnen, die Gelegenheit, um ebenfalls hereinzuschlüpfen.
»Ich freue mich, daß Ihr kommt, Sir,« begann Mr. Green, »denn es dürfte sich ein Anlaß bieten, die Dienste von Sr. Majestät Offizieren in Anspruch zu nehmen. Mr. Sandon hat seine Wechsel ausgeliefert bis auf zweitausend Pfund, die noch unberichtigt sind. Weitere fünfunddreißig habe ich unläugbar bis auf den Meister dieses Schiffes verfolgt, der sie als Passagiergeld bezogen hat.«
»Ja, Sir, dieser Umstand ist so augenfällig, wie die Hochlande von Navesink hier von diesem Deck aus,« fügte der Kapitän des Montauk trocken bei.
»Tausend Pfund sind von der Schwester des Veruntreuers zurückerstattet worden,« bemerkte Kapitän Ducie.
»Sehr wahr, Sir; ich hatte vergessen, ihm diese Summe gut zu schreiben.«
»Den Rest hat der unglückliche Mensch wahrscheinlich auf jene thörichten Spielereien verwendet, auf die er, wie ich höre, so sehr versessen war, und denen er eine achtbare Stellung sowohl, als seinen Seelenfrieden zum Opfer brachte. Was das an den Kapitän bezahlte Ueberfahrtsgeld betrifft, so ist es ehrlich verdient worden, und ich wüßte nicht, daß die Regierung irgend ein Recht hätte, es zurückzufordern.«
Diese Ansicht erregte in Mr. Green sogar noch größeres Entsetzen, als Kapitän Trucks Sprache; auch vermochte er es nicht über sich zu gewinnen, seine Gefühle zu unterdrücken.
»Wir leben wahrhaftig in gefährlichen Zeiten,« murmelte er, vorzugsweise gegen John Effingham hin sprechend, dessen Aeußeres ihm besondere Achtung einzuflößen schien, »wenn die Sprößlinge des Adels so verderbliche Ansichten unterhalten. Vergeblich glaubten wir in England, daß die Schändlichkeiten der französischen Revolution durch Billy Pitt ihres vergiftenden Einflusses beraubt worden seyen. Ja, wahrhaftig, Sir, wir leben in gefährlichen Zeiten, denn die Krankheit hat sich bis in die höheren Klassen hinauf verpflanzt. Ich höre, daß man allen Ernstes Anschläge schmiedet gegen die Perücken der Richter und Bischöfe – zunächst wird's dann an den Thron kommen. Alle unsere ehrwürdigen Institutionen stehen in Gefahr.«
»Ich möchte selbst auch glauben, daß der Thron gefährdet ist, wenn sein Bestand auf den Perücken beruht, Sir,« entgegnete John Effingham mit komischem Ernst.
»Es ist meine Pflicht, Kapitän Truck,« fuhr Kapitän Ducie fort, welcher von seinem Begleiter so ganz und gar verschieden war, daß er kaum derselben Species anzugehören schien, »Euch zu bitten, daß Ihr uns die Person des Verbrechers sammt seinen Habseligkeiten ausliefert. Wir können dann Euch und Euren Passagieren die Unannehmlichkeit ersparen, von dieser widerlichen Geschichte noch mehr ansehen zu müssen.«
Sobald von Auslieferung die Rede war, trat die ganze Gefahr seiner Lage in den schreckhaftesten Zügen vor die Seele des Schuldigen. Er wurde bald roth bald blaß, und seine Füße weigerten sich, ihn zu tragen, obschon er einen verzweifelten Versuch machte, von seinem Sitze aufzustehen.
Nach einem kurzen Schweigen wandte er sich an den Befehlshaber der Korvette und flehte ihn in den kläglichsten Tönen um Erbarmen an.
»Ich bin bereits schwer gestraft,« fuhr er fort, als ihm die Stimme wieder zurückkehrte, »denn die wilden Beduinen haben mir Alles geraubt, was ich Werthvolles besaß. Diesen Gentlemen hier ist bekannt, daß sie mir mein Toiletten-Etuis nebst mehreren anderen dazu gehörigen merkwürdigen und werthvollen Gegenständen, desgleichen auch fast alle meine Kleider geraubt haben.«
»Dieser Mensch ist kaum ein zurechnungsfähiges Wesen,« sagte John Effingham, »denn kindische Eitelkeit ersetzt bei ihm Grundsätze, Selbstachtung und Pflicht. Seine Schwester ist um seines Verbrechens willen unglücklich geworden: er kann die begangene That nicht abläugnen, und eine furchtbare Strafe steht ihm bevor; aber dennoch tragen sich seine Gedanken stets mit jenen Spielereien.«
Kapitän Ducie warf dem Elenden einen Blick des Mitleids zu, und aus seinen Zügen ließ sich deutlich entnehmen, wie sehr ihm die Erfüllung dieser Pflicht zuwider war. Dennoch hielt er sich für verbunden, weiter in Kapitän Truck zu dringen, daß er seinem Gesuche willfahre. Letzterer wußte nicht recht, was er thun sollte; denn einmal war es ihm in der Seele zuwider, sich den Anschein zu geben, als gestehe er einem britischen Flottenoffizier etwas zu, da er diesen Menschenschlag von früher Jugend an hassen gelernt hatte. Zwar hatte Kapitän Ducie einen günstigeren Eindruck auf ihn gemacht; aber es erregte doch Bedenken in ihm, einen Menschen dem wahrscheinlichen Tode oder irgend einer andern schweren Züchtigung zu überantworten, obschon ihm dann wieder der Gedanke nicht recht hinunter wollte, man könnte glauben, als sey es ihm darum zu thun, einem Schelm durchzuhelfen. In dieser Klemme wandte er sich an John Effingham um Rath.
»Es wäre mir lieb, in dieser Angelegenheit Euere Ansicht zu hören,« sagte er zu dem vorerwähnten Gentleman, »denn ich gestehe, daß ich mich in einer Categorie befinde. Wollen wir den Verbrecher ausliefern, oder sollen wir's nicht?«
» Fiat justitia, ruat coelum,« antwortete John Effingham, dem es nicht einfiel, daß irgend Jemand die Bedeutung von Worten, die man im Leben so oft hört, nicht verstehen könnte.
»Dies steht, glaube ich, im Vattel,« entgegnete Kapitän Truck. »Aber keine Regel ohne Ausnahme. Dieser junge Mann hat einige Ansprüche an uns, weil er sich den Beduinen gegenüber so wacker gehalten hat.«
»Er focht für sich selbst, Sir, und man darf es ihm nicht als sonderliches Verdienst anrechnen, daß er die Freiheit in einem Schiff der Sclaverei in der Wüste vorzog.«
»Ich bin Mr. John Effinghams Ansicht,« bemerkte Mr. Dodge, »und sehe nicht ein, warum ihm sein Benehmen bei jenem Anlasse zum Schutz dienen könnte. Er hat gethan, was wir Alle thaten, oder, wie Mr. John Effingham sich so bezeichnend ausdrückte, die Freiheit in unserer Gesellschaft der Sklaverei unter den Beduinen vorgezogen.«
»Ach, liefert mich nicht aus, Kapitän Truck!« rief der Verbrecher. »Sie werden mich hängen, wenn sie mich einmal in ihrer Gewalt haben. Oh, Ihr könnt gewiß nicht das Herz haben, mich hängen zu lassen!«
Kapitän Truck war über diese Berufung betroffen, erinnerte übrigens mit Ernst den Schuldigen daran, daß es zu spät sei, an die Strafe zu denken, wenn das Verbrechen bereits begangen worden.
»Habt keine Sorge, Mr. Sandon,« ergriff jetzt der Kanzleimann höhnend das Wort. »Diese Gentlemen werden Euch, wenn sie können, um der tausend Pfund willen, die Ihr noch habt, nach New-York nehmen, denn ich höre, daß jeder Schelm in Amerika eine freundliche Aufnahme zu gewärtigen hat.«
»Dann solltet Ihr lieber auch mit uns gehen, Sir,« rief Kapitän Truck.
»Mr. Green, Mr. Green, dies ist im mindesten Falle unbesonnen,« legte sich Kapitän Ducie in's Mittel, der jedenfalls weit gebildeter war und sich viel besser zu beherrschen wußte, als sein Begleiter, obschon er selbst auch viele von den vorgefaßten Meinungen desselben theilte.
»Mr. John Effingham, Ihr habt diese Unverschämtheit gehört,« fuhr Kapitän Truck fort, indem er seine Wuth so gut als möglich zu unterdrücken suchte. »In welcher Weise können wir sie ahnden?«
»Befehlt dem Beleidiger, daß er augenblicklich Euer Schiff verlasse,« antwortete John Effingham mit Festigkeit.
Kapitän Ducie war erstaunt, und sein Gesicht glühete; aber ohne sich im mindesten an ihn zu kehren, ging Kapitän Truck gelassen auf Mr. Green zu und befahl ihm, unverweilt in das Boot der Corvette zu steigen.
»Ich gestatte weder Einrede noch Zögerung,« fügte der aufgebrachte alte Seemann bei, der sich Mühe gab, ruhig und würdevoll zu erscheinen, obschon es mit dem letzteren nicht recht gehen wollte. »Thut mir den Gefallen, Sir, mir die Freude zu machen, daß ich Euch ungesäumt in Euer Boot treten sehen kann, Sir. Saunders, geht auf's Deck, und sagt Mr. Leach, er soll die Seite bemannen – mit drei Matrosen, Saunders; – und nun erbitte ich mir's als die größtmögliche Gunst, daß Ihr mit mir auf's Deck kommt, oder – oder – Gott soll mich verdammen, ich schleppe Euch Hals über Kopf dahin!«
Es war für Kapitän Truck zu viel, seine Gelassenheit zu bewahren, wenn der Zorn dermaßen in ihm kochte, und der Ausbruch am Schluß seiner Rede war mit einer Geberde begleitet, die allerdings eine offene Hand zeigte, obschon aus ihr keine Kunst eines abgeschliffenen Zeitalters die dunkelfarbigeren Schwielen vertilgen konnte, welche er seinem früheren Leben verdankte.
»Dies ist eine dreiste Sprache gegen einen britischen Beamten, wenn er sich unter den Kanonen eines britischen Kreuzers befindet, Sir,« rief der Commandeur der Corvette.
»Und seine Sprache war dreist genug gegen einen Mann, der in seinem eigenen Lande und in seinem eigenen Schiff ist. Euch, Kapitän Ducie, habe ich nichts zu sagen, als daß Ihr willkommen seyd; aber Euer Begleiter hat sich eine rohe Beschimpfung meines Vaterlandes erlaubt, und hole mich dieser und jener, wenn ich mir dies geduldig gefallen lasse – und sollte ich darüber nie die St. Catharine's Docks wieder sehen. Ich habe dergleichen als junger Mensch schon satt bekommen und wünsche nicht, daß mir in meinen alten Tagen Wiederholungen geboten werden.«
Kapitän Ducie biß sich in die Lippen und suchte seinen Verdruß zu unterdrücken; denn obschon er blindlings der Meinung zugethan war, in Amerika nehme man den Teufel selbst mit Freuden auf, wenn er mit vollen Taschen komme, so hatte ihn doch die Rohheit verletzt, mit welcher sein Begleiter einen derartigen Wink den Angehörigen des Landes in's Gesicht warf. Andererseits konnte der Stolz des Offiziers Kapitän Trucks Drohung nicht verdauen, und die frühere Harmonie der Scene schien einen plötzlichen Bruch erleiden zu wollen. Kapitän Ducie war übrigens schon in dem Augenblicke, als er das Deck des Montauk betrat, das feine Benehmen der beiden Effinghams – Eva's gar nicht zu gedenken – aufgefallen und er wandte sich jetzt einigermaßen im Tone des Vorwurfs mit den Worten an John Effingham:
»Zuverläßig könnt Ihr, Sir, Mr. Trucks außerordentliches Benehmen nicht vertheidigen?«
»Ihr werdet mich entschuldigen, wenn ich Euch bemerke, daß dies dennoch der Fall ist. Der Mensch hat schon länger im Schiffe bleiben dürfen, als ich es gestattet haben würde.«
»Und Ihr, Mr. Powis, was ist Eure Ansicht?«
»Ich fürchte,« entgegnete Paul mit einem kalten Lächeln, »daß ich ihn auf der Stelle zu Boden geschlagen haben würde.«
»Templemore, denkt Ihr gleichfalls so?«
»Mr. Greens Aeußerung ist leider nicht gehörig überlegt gewesen; wenn er darüber nachdenkt, wird er sie selbst widerrufen.«
Aber Mr. Green hätte sich lieber vom Leben, als von einem Vorurtheile getrennt. Er schüttelte verneinend den Kopf, um damit anzudeuten, daß er mit sich im Reinen sey.
»Wozu noch eine längere Spielerei!« rief Kapitän Truck. »Saunders, geht auf's Deck und sagt Mr. Leach, er soll durch's Hochlicht ein Tau herunter lassen, damit wir diese höfliche Personage auf's Deck hissen können. Und hört, Saunders, – eine andere Leine soll über die Raa geschlungen werden, damit wir ihn in sein Boot heben können, wie eine Tonne Wachholder!«
»Dies geht zu weit,« sagte Kapitän Ducie. »Mr. Green, Ihr werdet so gut seyn, Euch zu entfernen. Es kann kein Verdacht auf ein Kriegsschiff fallen, wenn es einem unbewaffneten Fahrzeuge einige Zugeständnisse zu Theil werden läßt.«
»Ein Kriegsschiff sollte ein unbewaffnetes Fahrzeug nicht verunglimpfen, Sir,« entgegnete Kapitän Truck mit scharfer Betonung.
Kapitän Ducie's Gesicht erglühete abermals; da er jedoch über sein Verfahren mit sich einig geworden war, so zog er es klüglicherweise vor, zu schweigen. Mittlerweile hatte Mr. Green mit finsterer Miene seinen Hut und seine Papiere aufgenommen und sich nach dem Boote begeben; auf dem Rückwege nach London versäumte er übrigens nicht, die ganze Geschichte in einer Weise darzustellen, welche vollkommen dazu diente, um seine und seiner Freunde vorgefaßten Meinungen über Amerika zu bekräftigen. Nicht minder merkwürdig war indeß dabei, daß er Allem, was er über diesen Anlaß vorbrachte, selbst steifen und festen Glauben schenkte.
»Was soll jetzt mit diesem unglücklichen Menschen geschehen?« fragte Kapitän Ducie, nachdem die Ordnung wieder ein wenig hergestellt war.
Die vorgefallene Mißhelligkeit war ein unglücklicher Umstand für den Verbrecher. Nach den Gefahren, die sie mit einander durchgemacht, mochte ihn Kapitän Truck zwar nicht gerne der Gerechtigkeit überliefern; aber das gentlemanische Benehmen des englischen Commandeurs, das Bewußtseyn, im letzten Wortwechsel triumphirt zu haben, und eine tiefe Achtung vor dem Gesetz – Alles dies vereinigte sich, um ihn zu bewegen, den unglücklichen, schwachköpfigen Verbrecher seinen eigenen Behörden zu überantworten.
»Wenn ich Euch recht verstehe, Kapitän Ducie, so sprecht Ihr nicht das Recht an, ihn gewaltsam aus einem amerikanischen Schiffe zu nehmen?«
»Gewiß nicht. Mein Auftrag erstreckt sich nicht weiter, als daß ich die Auslieferung verlangen solle.«
»Dies steht im Einklang mit Vattel. Unter Verlangen habe ich wohl zu verstehen – Ihr bittet, daß Euch der Gefangene überantwortet werde.«
»Mein Anliegen besteht blos in einer Bitte,« entgegnete der Engländer lächelnd.
»So nehmt ihn hin in Gottes Namen, und mögen Eure Gesetze barmherziger mit dem Elenden umgehen, als er gegen sich selbst oder seine Verwandtschaft gewesen ist.«
Mr. Sandon schrie laut auf und warf sich zwischen den beiden Befehlshabern, deren Beine er umfaßte, auf die Kniee nieder.
»Oh! hört mich! hört mich an!« rief er im Tone der Todesangst. »Ich habe alles Geld hergegeben – will Alles hergeben – Alles, bis auf den letzten Schilling, wenn ihr mich gehen lassen wollt! Ihr, Kapitän Truck, an dessen Seite ich gefochten und mitgearbeitet habe – unmöglich könnt Ihr's über's Herz bringen, mich diesen Mördern preiszugeben!«
»'s ist verdammt hart,« murmelte der Kapitän, indem er sich die Augen wischte; »aber ich fürchte, Ihr habt Euch alles dies selbst zugezogen. Armer Mensch! Sorgt übrigens, sobald Ihr in England ankommt, für einen guten Advokaten – es ist am Ende doch noch möglich, daß Ihr frei ausgeht.«
»Erbärmlicher Wicht!« rief jetzt Mr. Dodge, der vor den geängstigten und noch immer auf seinen Knieen liegenden Verbrecher hintrat, – »elender Mensch! Dies ist die gerechte Strafe. Ihr habt gefälscht und gestohlen – Handlungen, welche meine unbedingteste Mißbilligung finden – und seyd durchaus unpassend für jede achtbare Gesellschaft. Ich habe Euch gleich von Anfang an durchschaut und Euch nur deshalb in meiner Nähe geduldet, um hinter Eure Schliche zu kommen und sie aufzudecken, damit Ihr nicht Schande und Schmach bringet über unser geliebtes Vaterland. Ein Betrüger hat keine Aussicht in Amerika, und Ihr dürft von Glück sagen, daß Ihr wieder nach Eurer eigenen Hemisphäre zurückgebracht werdet.«
Mr. Dodge gehörte zu jener ziemlich zahlreichen Klasse, die man als »ehrlich vor dem Gesetze« bezeichnet: das heißt, er stahl nicht und mordete nicht; und wenn er es auch mit der Verläumdung nicht eben genau nahm, so trug er doch ängstlich Sorge, daß man ihn dafür nicht gerichtlich belangen konnte. Obschon daher sein ganzes Leben ein Gewebe von gemeinen verderblichen Lastern war, so konnte man ihn doch nicht jener Unthaten beschuldigen, welche die Aufmerksamkeit von zwölf Geschworenen auf sich zu ziehen pflegen. Dies erhob ihn – natürlich nur in seinen eigenen Augen – so weit über die unklügeren Sünder, daß er ein Recht zu haben glaubte, seinen vormaligen Zimmergenossen in der eben erwähnten Weise anzureden. Die Todesangst des Verbrechers konnte jedoch durch diesen rohen Angriff nicht erhöhet werden; er winkte blos den speichelleckerischen Demagogen hinweg und fuhr fort, die beiden Kapitäne um Erbarmen anzuflehen. In dem gleichen Augenblicke trat Paul Powis auf Mr. Dodge zu und befahl ihm mit gedämpfter, aber fester Stimme, die Kajüte zu verlassen.
»Ich will für Euch beten – will Euer Sklave seyn und Alles thun, was Ihr verlangt, wenn Ihr mich nur nicht ausliefert,« fuhr Sandon fort, der sich in seinen Aengsten eigentlich auf dem Boden krümmte. »Oh, Kapitän Ducie – als ein englischer Edelmann, habt Erbarmen mit mir.«
»Ich muß diesen Dienst meinen Untergebenen überlassen,« sagte der englische Befehlshaber mit einer Thräne im Auge. »Wollt Ihr erlauben, daß einige bewaffnete Seesoldaten dieses unglückliche Wesen aus Eurem Schiffe fortnehmen, Sir?«
»Vielleicht ist dies das Beste; denn er wird doch nicht eher ruhig seyn, bis man ihm Gewalt zeigt. Ich sehe nicht, was sich dagegen einwenden ließe, Mr. John Effingham.«
»Durchaus nichts. Ihr wollt Euer Schiff von einem Verbrecher säubern und laßt diejenigen handeln, unter denen er seinen Frevel begangen hat.«
»Ja, ja, ganz recht! Dies ist's, was Vattel die Comität der Nationen nennt. Kapitän Ducie, habt die Güte, Eure Befehle zu erlassen.«
Der englische Commandeur hatte einige Schwierigkeiten vorausgesehen und daher beim Absenden des Bootes die Weisung ertheilt, daß es eine Corporalswache mitbringen solle. Die Seesoldaten befanden sich unfern vom Schiffe in einem Kutter und stützten sich, in unverbrüchlicher Achtung der Rechte eines Fremden, auf ihre Ruder. Nachdem die vorerwähnte Uebereinkunft getroffen war, begab sich die ganze Gesellschaft aus der Kajüte nach dem Deck hinauf, und Kapitän Truck war erfreut, als er die Soldatenwache des Foam an Bord des Montauk kommen und in den Raum hinuntergehen sah, um den Gefangenen aufzusuchen.
Mr. Sandon war allein in Eva's Kajüte zurückgeblieben, aus welcher er, sobald sich die Andern entfernt hatten, nach seinem eigenen Staatsgemach eilte. Während die Seesoldaten an der Schiffsseite heranstiegen, begab sich Kapitän Truck wieder hinab, verbrachte eine Minute in seinem eigenen Zimmer und ging dann durch die Kajüte nach dem des Verbrechers hinüber. Er öffnete die Thüre, ohne anzupochen, und fand, wie der Unglückliche eben eine Pistole an den Kopf gesetzt hatte, so daß er gerade noch recht kam, um die Katastrophe zu verhindern. In dem Gesichte des Unglücklichen war die Verzweiflung in so grellen Zügen abgebildet, daß sich Kapitän Truck, welcher, wenn Handeln nothwendig war, nicht viele Worte zu machen pflegte, aller Verweise und Vorstellungen enthielt. Nachdem er den beabsichtigten Selbstmord vereitelt hatte, zählte er Sandon gelassen die fünf und dreißig Pfund hin, welche für dessen Ueberfahrt bezahlt worden waren, und forderte ihn auf, sie einzustecken.
»Ich habe dieses Geld unter der Bedingung empfangen, Euch wohlbehalten nach New-York zu bringen,« sagte er, »und da ich meinerseits den Vertrag nicht erfüllen kann, so halte ich es nur für billig, die bezogene Summe zurückzuzahlen. Sie kann Euch während der Untersuchung nützlich werden.«
»Wird man mich wohl hängen?« fragte Mr. Sandon mit erstickter Stimme und eigentlich kindischer Zaghaftigkeit.
Das Eintreten der Seesoldaten beugte der Antwort vor. Sie bemächtigten sich des Verbrechers, nahmen seine Habseligkeiten, die man ihnen andeutete, in Empfang und schafften ihn mit der gewöhnlichen militärischen Schnelligkeit nach dem Boote. Nachdem dies geschehen war, ruderte der Kutter von dem Paketschiffe weg und wurde bald nachher wieder auf das Deck der Korvette gehißt. Einen Monat später entleibte sich das unglückliche Opfer einer Leidenschaft für Tand und Spielereien in London, als er eben nach Newgate gebracht werden sollte, und ein halb Jahr nachher starb seine unglückliche Schwester an einem gebrochenen Herzen.