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Vom Tage meiner Landung auf der Insel Ceylon bis zur Abreise zum indischen Festland hinüber waren nur wenige Tage verflossen, in deren Verlauf eine überwältigende Fülle von reichen Eindrücken meine Gedanken bewegte. Es waren die ersten Geschehnisse, die in ihrer farbenprächtigen Buntheit von überaus ansprechender Wirkung auf mein Gemüt waren und deshalb einen besonderen Raum im Schatze meiner Eindrücke und Erinnerungen einnehmen. Das blendende Sonnenlicht, die merkwürdig starken Kontraste von Hell und Dunkel, die unermeßliche Üppigkeit und der Reichtum einer verschwenderischen Natur, welche die rote, warme Erde Ceylons in nie versiegender Kraft des Wachstums hervorquellen läßt, das bunte malerische Leben einer exotischen Menschenrasse, die in glücklicher Übereinstimmung mit ihrer paradiesisch schönen Heimat lebt; all dies steht in einem überraschenden Gegensatz zu der Grauheit und Monotonie des Lichtes jener nordischen Welt, die nun jenseits der südlichen Meere hinter mir liegt. Doch wie bald sind diese fremdartigen Erscheinungen, die die Augen unserer Empfindung vermitteln, zur Selbstverständlichkeit geworden, und wie nahe scheint doch unserem Wesen der Weg zum Herzen dieser Welt und ihren Menschen. Wohl ist äußerlich die Kluft, die den Osten vom Westen trennt, unendlich groß. Doch vieles zeigen uns diese Länder und Menschen, woraus wir die innere Verwandtschaft ihres Wesens mit dem unsrigen schließen können. Sagt doch Kipling, ein tiefsinniger Kenner des Orients, daß Osten Osten bleibt und mit dem Westen nicht vergleichbar ist. Doch wer den tieferen Sinn dieser Auffassung verstehen gelernt hat, wird den Wert dieser Anschauung nur als einen relativen Begriff einer äußerlich scheinbaren Gegensätzlichkeit erkennen.
Die Stunde, in der ich von Ceylon Abschied nahm, gestaltete sich zu einem wehmutsvollen Ereignis. Gehörten doch die rasch vorübereilenden Tage meines Aufenthaltes auf der Insel zu den schönsten und einprägsamsten Erlebnissen meiner Indienreise. In besonders dankbarer Erinnerung gedenke ich auch der liebenswürdigen Aufnahme und Gastfreundschaft, die ich im Kreise der Deutschen Colombos und vor allem dem weltbekannten Hause John Hagenbecks verdanke. John Hagenbeck, ein Mitglied der bekannten gleichnamigen Hamburger Familie Hagenbeck, gehörte zu den prominentesten Mitgliedern der europäischen Gesellschaft in Colombo. Aus kleinen Anfängen heraus hatte sich Hagenbeck im Wirtschaftsleben des Ostens zu einer bedeutenden Persönlichkeit emporgearbeitet. Sein Name hatte weit über den Bereich seiner zweiten Heimat einen guten Klang, und kein Deutscher verließ den Boden Ceylons, ohne nicht die Gastlichkeit seiner Landsleute, und besonders die Hagenbecks und des in Colombo befindlichen Deutschen Clubs, genossen zu haben. Leider haben die unheilvollen Einflüsse des Krieges auch das Lebenswerk dieses Mannes zerstört, denn seine großen Besitztümer, die er auf Ceylon hatte, fielen dem chaotischen Wirrwarr jener politisch gespannten Zeit zum Opfer.
Es war an einem stürmischen Tag, als ich abends auf einem Küstendampfer der British India Steam Navigation Co. die beiden Leuchtfeuer des Hafens von Colombo passierte und der Insel die letzten stillen Abschiedsgrüße hinübersandte. In steil aufsteigenden turmhohen Gischtbergen stiegen die Wogen des vom Nordwestmonsun gepeitschten Ozeans an den Wellenbrechern der Hafenmole empor. Weit draußen in der düsteren Unendlichkeit des Meeres leuchten wie phosphoreszierend die weißen Schaumkämme der Wogen, die sich in der stürmischen Enge der Palkstraße kräuseln. Von Nordwesten weht ein starker Passat, der heulend in dem kahlen Verdeck und an den Masten des Schiffes rüttelt. Immer weiter entfernen wir uns von der in das Grau des Wetters versinkenden nebelhaften Küste der Insel, von der die Lichter Colombos und die Leuchtfeuer des Strandes wie flackernde Sterne zu uns herüberblinken. Nur wenig Passagiere sind an Bord, und das stürmische Wetter ist nicht ohne Wirkung auf manche von ihnen geblieben. Verödet liegt die schwankende Tafel des Speisesaales, an der ich mich mit meinem Tischnachbar, einem zugeknöpften Engländer, und den Offizieren des Schiffes über meine Reisepläne unterhalte. Finsternis liegt über dem tosenden Ozean. Die Nacht ist unheimlich, und in den heulenden Chor des Passatwindes mischt sich das hohle Brausen der Wogen, die an die Luvseite des heftig rollenden Schiffes klatschen. Wolkenbruchartiger Regen strömt hernieder. Über Nacht sind sämtliche Luken geschlossen, wodurch sich die Temperatur im Innern des Schiffes zur Unerträglichkeit steigert. Die unruhevollen Stunden der Nacht lassen meinen Gedanken Zeit, an die vor mir liegende Zukunft zu denken. Dicht vor mir ist das Ziel meiner Sehnsucht und Erwartung. Eine Welt, deren gesamtes Leben seit Jahrtausenden durch den Einfluß stark belebten, religiösen und politischen Lebens unruhevoll auf und nieder steigt. Mit welchen Gefühlen werde ich am Morgen den Boden dieses Reiches betreten, und welches Schicksal wird mich von dem Tage meiner Landung bis zur Stunde der Wiederkehr in die Heimat begleiten?
Vieles, was ich über Indien gehört und gelesen habe, erscheint von einer phantastischen Empfindung getragen, wie ein träumerisches Erleben vor meiner Seele. Alle die Herrlichkeiten und wundersamen Dinge dieses Landes der Sonne, die meine Gedankenwelt seit langer Zeit erfüllt haben, werden nun in körperhaften, lebendigen Bildern vor meine Augen treten. Manches wird meine Erwartungen und meine Anschauungen, die ich über jenes Land und seine Menschen habe, wohl enttäuschen, und vieles meine Ahnungen von der Größe und Erhabenheit dieser Dinge bei weitem überragen. Unwillkürlich erweckt diese Ungewißheit, welche uns Menschen von spannungsvollen Erlebnissen trennt, ein quälendes Gefühl der Enge. So grübelnd, dämmere ich dem nächsten Tag entgegen. Nach einigen Stunden der Ruhe erwache ich am frühen Morgen in einer Atmosphäre, die schwer, wie Treibhausluft, die engen Kabinen des Schiffes erfüllt. Die See ist bei Sonnenaufgang ruhiger geworden, und wir befinden uns in Sichtweite des indischen Festlandes, welches wie ein heller Nebelstreifen über dem grauen Meere zu schweben scheint. Lange liegen wir vor der dunsthaften Küste Indiens. Die Ausschiffung, die in Tutikorin, das keinen Hafen besitzt, auf offener See erfolgt, ist in den ersten Stunden des Morgens unmöglich, da der hohe Seegang die Übernahme der Passagiere und Fracht nicht zuläßt. Gegen Mittag endlich legt sich die starke Dünung, welche das Schiff beständig in Bewegung hält. Eine indische Dampfbarkasse, die wie eine Nußschale auf den Wellen schaukelt, steuert die Längsseite des Dampfers an. In schwungvollem Bogen sausen Passagiere und Gepäck vom Fallreep in die auf und nieder steigende Schaluppe.
Als wir indischen Boden betreten, glänzt das matte Licht der Sonne durch den über uns jagenden Dunstschleier der Wolken. Immer höher flüchten die Nebel, und bald begrüßt ein blauer Himmel unsere Ankunft in Indien. War es nicht dasselbe grüßende Leuchten, welches mir bei meiner Landung auf Ceylon schon wie eine gute Vorbedeutung schien! – Sollte diese glückliche Fügung mir auf meinen Reisen in Indien auch weiterhin beschieden sein! Fast hege ich Zweifel an der Gunst dieses Schicksals, als man mein Gepäck in der Zolloffice einer peinlich genauen Revision unterzieht. Man stellt meine ganze Habe auf den Kopf. Zutage geförderte Jagdmunition sowie ein Jagdgewehr und eine kleine Handfeuerwaffe erregen das Mißtrauen der englischen Zollbehörde. Diese Zweifel und eine hochnotpeinliche Untersuchung weckt in mir eine gewisse Verstimmung. Zumal ich durch lange Präliminarien, denen zufolge ich einen Revers über die Verwendung der Waffen zu unterzeichnen hatte, an der Abreise mit dem fälligen Postzug verhindert wurde. Ich benutze die verlorene Zeit zu einem Abstecher nach der in der Nähe liegenden Tempelinsel Rameswaram, und ich hätte ihre Großartigkeiten nie gesehen, wenn mir die englische Zollbehörde durch meinen unfreiwilligen Aufenthalt nicht indirekt die Anregung dazu gegeben hätte. So danke ich einem von bureaukratischem Geist getragenen zwangsläufigen Ereignis mein erstes bedeutsames Erlebnis in Indien.