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Fakire

Es war während eines religiösen Festes in einer von düsteren, gewaltigen Tempeltürmen gekrönten Stadt des Südens, wo ich zum erstenmal das Leben und Tun dieser indischen Fakire näher beobachten konnte. Große Volksmassen, Tausende von Pilgrimen und Menschen, die, meist ihrem religiösen Triebe folgend, aus allen Ländern Indiens zu den festlich geschmückten Heiligtümern herbeigeeilt waren, bevölkerten die überfüllte Stadt und ihre Umgebung. Auf einer staubigen, schattenlosen Straße, die draußen an einer alten zerfallenen Stadtmauer vorbeiführt, haben sich Hunderte dieser merkwürdigen Fakire, die in dem von geheimnisvoller Mystik erfüllten, religiösen Leben Indiens eine große Rolle spielen, niedergelassen. Im Leben des indischen Volkes nennt man diese Heiligen Sannyasis, Yogis oder Sadhus. Es sind diejenigen unter dem Volke, deren geistiges und körperliches Verlangen sich durch den Leidensweg der Askese und eines qualvollen Selbstmartyriums, die Abtötung des Fleisches, der Entsagung und Buße zur höchsten Aufgabe ihres Lebens gemacht haben. Durch diese Kasteiung ihrer Leiber suchen sie die Konzentration des Geistes ins Übersinnliche zu steigern, um somit dem Wesen ihrer Götter näher zu kommen.

Der Begriff »Fakir«, der aus dem Arabischen stammt und Büßer bedeutet, ist jedoch meist auch über den Grenzen Indiens bekannt und volkstümlich. Irrtümlich bezeichnet man mit dem Namen Fakir oft auch jene Gaukler und Schlangenbeschwörer, die mit dem Leben der Sannyasis oder Yogis nichts gemein haben und zu der Gilde der Schausteller Indiens gehören. In gewissem Sinne ähneln ihnen jedoch die Sadhus, welche vielfach ihr Büßertum dem Volk mit einer theatralischen Pose vor Augen führen und sich nur zum Schein mit dem Nimbus der Heiligkeit und Religiosität umgeben. Viele von ihnen sind nichts anderes als gewerbsmäßige Bettler, die mit der Miene der Entsagung und des Scheinasketentums im Volk eine mitleidsvolle Teilnahme und Ehrfurcht erwecken. Die Sannyasis dagegen, welche einer besonderen hinduistischen Sekte angehören, sind von dem Gedanken der Askese durchdrungen. Ihre Lehre und ihr Leben ist von tiefer Religiosität und philosophischem Wissen und Denken getragen. Sie befinden sich meist in der abgelegenen Einsamkeit der Wälder und meiden die Berührung mit der großen Masse des Volkes. Mehrere von ihnen sah ich in Nordindien, in Benares und in Puri, wo sie in einer Dornenwildnis in der Nähe der Stadt ein Einsiedlerleben führten.

Die Sadhus, unter denen sich jene Jahrmarktsgestalten des religiös-festlichen Lebens befinden, folgen jedoch in großer Anzahl diesen Volksmassen, die sich während der traditionellen Feste in den Zentren religiösen Kultes sammeln. In solchen Zeiten blüht der Weizen ihrer magischen Künste, die sie, auf dem Wege ihrer echten Artgenossen folgend, in übertriebener Weise nachahmen und ihnen den Sinn tiefen, religiösen Ausdrucks zu geben verstehen. Nie traf ich in Indien eine solch große Anzahl Sadhus, wie ich sie während dieses Pilgerfestes im Süden gesehen habe. In großen Mengen fand ich sie in der Nähe des Tempels, im Gewühl der Straßen und bei den religiösen Prozessionen, in denen sie dem Volke gerne die Leiden ihres zermarterten Körpers und die Insignien des Märtyrertums zeigen. Bis zur Unkenntlichkeit haben diese Männer der Selbstpeinigung ihren Körper und das Gesicht mit Asche beschmiert. Ihr Haar hängt wild in langen Strähnen herab, und auf ihren mageren Schultern schleppen sie die Marterwerkzeuge, Nagelbretter, Gebetbänke, eiserne Haken und Spitzen, welche sie durch das Fleisch ihres zerschundenen Körpers bohren. Manche von ihnen wälzen sich meilenweit durch den fußhohen Staub der Straßen, wieder andere wandeln auf Nagelschuhen, deren Spitzen sich bei jedem Schritt tiefer in das Fleisch der Fußsohlen zu bohren scheinen. Doch viele dieser Selbstpeinigungen, welche die gewerbsmäßigen Sadhus zeigen, sind Augentäuschungen. Die begeisterte und leichtgläubige Menge des Volkes sieht jedoch in ihnen die Träger übernatürlicher Kräfte und die Verkörperung göttlichen Geistes, und so blickt man mit Bewunderung und heiliger Scheu auf das Treiben dieser Männer.

Jene Heiligen, die draußen an der Mauer das Volk herbeiziehen, sind Meister ihrer geheimnisvollen Kunst. Sie bieten ein merkwürdiges Bild fanatischen Tuns, dessen Anblick Entsetzen und Abscheu erweckt, und das Volk pilgert in Scharen hinaus zu ihnen und betrachtet mit Ehrfurcht die nervenpeitschende Pantomime dieser »Gottbegnadeten«, deren mit Staub und Asche beschmierter Körper wie die zu Stein erstarrten Götterbilder ihrer Tempel anmuten. Doch ich bin entsetzt über diese Bilder, die sich in immer mehr gesteigerter Grausamkeit meinen Augen zeigen, und fast habe ich die Überzeugung, daß vieles, was ich von diesen martervollen Szenen sehe, dem wirren Geiste eines bis zum Wahnsinn gesteigerten Fanatismus entspringt, denn manche dieser Menschen müssen unter der Einwirkung des sich selbst auferlegten Martyriums von großen körperlichen Qualen gepeinigt sein. Mit stoischer Ruhe und Geduld und ohne die geringste Äußerung des Schmerzes starren diese Augenpaare, als ob die Sinne der körperhaften Welt des Diesseits entrückt wären, in die blendende Sonne. Manche von ihnen sitzen mit verklärtem Lächeln, als ob ihre Züge aus Stein gemeißelt wären, regungslos mit übereinandergeschlagenen Beinen auf schmalen Gebetsbänken, auf denen das Ruhen ihres Körpers in unbeweglicher Lage großen körperlichen Schmerz verursachen muß.

Geradezu bewunderungswürdig ist die ungeheure Kraft des Willens, mit der die Fakire ihren Körper beherrschen. Mit eintönigem Lispeln und Murmeln von Gebeten bewegen sie ihre blutleeren, vertrockneten Lippen, ohne sich auch nur im geringsten um die Menge, die sie bestaunt, zu kümmern. Diese Ruhe, die sie bewahren, ist von einer überwältigenden Wirkung auf den Beschauer. Auf ihrer Stirne tragen sie das Zeichen Shivas oder irgendeiner Sekte, der sie angehören. Amulette, die aus Muscheln oder Steinen, Holzstücken oder getrockneten Samenkapseln irgendeines heiligen Baumes angefertigt sind, hängen um den Hals oder die Arme. Diese fetischhaften Stücke sollen zauberische Kraft und Heilwirkung besitzen. Krampfhaft halten sie die Embleme ihrer Sekten oder religiösen Gemeinschaften wie kostbare Kleinode in ihren mageren Händen. Vor ihnen steht die Opferschale, in der sie Geld oder Nahrungsmittel sammeln. Manche dieser Sadhus werden auf diese Weise wohlhabende Männer, die sich nach erfolgreicher Betätigung als »Heilige« bald zur Ruhe setzen können.

Vor der magischen Kraft, die den Fakiren anhaftet, beugt sich das Volk in Ehrfurcht. Man läßt sich von den Sadhus beraten und helfen. Mit Zauberformeln, Handauflegen und anderen geheimnisvollen Mitteln suchen sie Krankheiten zu vertreiben, böse Geister und Unheil zu bannen. Ihre Magie genießt infolge des starken Volksaberglaubens und der von ihnen gezeigten scheinbaren Wunder ein großes Vertrauen in der breiten Masse der Gläubigen. Massensuggestion ist eines dieser Mittel, welches ihnen Achtung und Glauben in der Seele ihrer Mitmenschen schafft. Trotzdem scheinen sie auch die Psyche ihrer Stammesgenossen meist gründlich erfaßt zu haben, was mich um so mehr wundert, als den meisten von ihnen das Wesen intellektueller Ideenentwicklung fehlt, und sie offenbar, einem mehr instinktmäßigen Triebe der Nachahmung folgend, die Schwächen des Volkes auszunutzen verstehen. Ich habe jedoch in Indien auch viele Sannyasis gesehen, die aus der Überzeugung eines religiösen Glaubens und philosophischen Wissens diese asketische Meditation ausüben, um durch sie der göttlichen Idee nähergebracht zu werden. Es sind Anhänger des Mönchordens der Shankaras. Sie leben in Klöstern oder durchwandern das Land, um sich in der Fremde und Einsamkeit der Wildnis ihren Bußübungen hinzugeben.

Doch unter denen, die ich an Srirangams Straße finde, ist keiner dieser von einer höheren Idee bewegten Sannyasis. Es sind alles meist Sadhus, jene mit wunderlichen Tricks arbeitenden, akrobatenhaften Schauspieler, welche die Augen und den Sinn der Menschen durch ihre Kunststücke zu verblüffen vermögen. Alle, die da unter der brennenden Sonne im Staube der Straße sitzen, liegen oder gar begraben sind, gleichen den leblosen Figuren eines Jahrmarktpanoptikums. Ja, sogar büßende Frauen und Kinder und die Körper der von furchtbaren Krankheiten heimgesuchten Menschen befinden sich in ihren Reihen. Grauenerregend sind die oft mit geradezu sadistischer Wollust herbeigeführten Qualen, mit denen die Büßenden ihre Körper schinden. Da hängt einer wie ein leblos erscheinender Körper mit dem Kopfe nach unten am Astwerk eines Baumes. Neben ihm hocken nackte Sadhus auf Nagelbetten oder in Dornenlagern, mit unmöglichen Verrenkungen der Gliedmaßen oder auf einem Beine stehend. Mit hoch erhobenen, abgestorbenen, skeletthaften Armen sitzt einer neben dem anderen, ohne daß sie sich jemals selbst beachten.

Aus dem Boden starrt eine zerkrampfte, klauenhafte Hand. Es ist ein lebendig begrabener Sadhu, dessen von einer großen Energie des Willens geförderte Atemübung ihm das tagelange Begrabensein unter der Erde möglich macht. Es ist das Eigenartigste, was ich unter diesen merkwürdigen Willensäußerungen der Sadhus beobachten konnte. Später habe ich in einer Stadt des nördlichen Indien einer unglaublichen Szene beigewohnt, bei der sich ein Yogi nach zwölftägigem Begrabensein aus seiner Gruft befreien ließ. Das Grab war durch schwere Steinplatten beschwert, so daß eine vorherige oder zeitweilige Öffnung desselben unmöglich war. Alle Öffnungen des Körpers waren mit Wachs verschlossen. Wie ein starrer Leichnam wurde der Körper aus der Erde gehoben. Atem- und Herztätigkeit sind während des totenähnlichen Schlafes auf ein kaum merkbares Minimum geschwunden, so daß erst die angestellten Wiederbelebungsversuche dem Körper das Leben zurückgeben mußten. In Benares sah ich am Ufer des Ganges einen Sadhu, der rings um sich her lodernde Feuerbrände aufgeschichtet hatte. Unter der sengenden Sonne, inmitten der flackernden Lohe, saß dieser Mensch, dessen Gestalt in der flimmernden Luft des Feuers zu schweben schien.

Manche dieser blutrünstigen Selbstpeinigungen und die aus der abergläubischen Seele des Volkes geborenen Opferungen religiöser Märtyrer sind von der englischen Regierung unterbunden, ja sogar verboten worden. Es ist eine der rechtlichen Maßnahmen, zu welcher sich die Behörde aus menschlichen, doch auch vielfach aus sittlichen Gründen notwendigerweise gezwungen sah. So hat man in Südindien das besonders in Malabar übliche Martyrium, welches sich während des Charakpujha (Schwingfest) zu Ehren der Göttin Durga vollzieht, streng verboten. Das hierzu auserwählte Opfer wird mittels eines Hakens, der durch das Fleisch des Rückens gebohrt wird, an einem hohen Maste aufgehängt und unter fortwährenden Schwingungen in den Straßenprozessionen mitgeführt.

Doch kaum unterscheiden sich diese Grausamkeiten von jenen, welche sich die Sadhus selbst zufügen. Zweifellos sind sie jedoch das Zerrbild jener weltweisen Lehre von der Entsagung, der Askese und Abtötung des Fleisches, die den Geist und die Seele des Menschen mit dem Göttlichen verbinden soll. Man findet die philosophischen Darlegungen des asketischen Gedankens und seine Lehren schon in den ältesten Schriften der Brahmanen, den Upanishaden. Es ist die tiefsinnige Idee der in Paroxysmus gesteigerten Auswüchse, welche wir in Indien von heute im Leben dieser echten und unechten Sadhus beobachten können. Sie erfüllen uns mit Schauder und Mitleid und bilden einen Teil jener an Wahnsinn grenzenden Irrtümer, die aus dem krankhaft gesteigerten und geschürten religiösen Empfinden des indischen Volkes erwachsen.


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