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Nirgends tritt im Leben der Natur die Gegensätzlichkeit zwischen Tod und Leben, Sieg und Unterdrückung des Schwächeren durch die Kraft des Lebensfähigeren stärker hervor als wie in dem dämonischen Wachstum des Urwaldes. Dort ist der Kampf um das Leben von den starken Impulsen einer hemmungslosen und von der Natur bedingten, leidenschaftlichen Fruchtbarkeit erweckt, deren Kontraste von Leben und Tod eng nebeneinander wohnen. Dem Stärkeren gibt der triebhafte Urwald das naturbedingte Lebensrecht, während das Schwache im ewigen Ringen um den Platz an der Sonne dem Tod verfallen ist. Doch auch aus der Vernichtung entsteht hier wieder neues Leben, und so ist es im Wachstum des Urwaldes ein endloser Wirbel von Werden und Vergehen, ein ewiger Wechsel von Sterben und Auferstehen. Über dem Urwald schwebt der Geist geheimnisvoller Ursprünglichkeit, deren magisches Wesen, wie alle elementaren Erscheinungen der Natur, die imaginäre Seele des Menschen mit unwiderstehlichem Zauber erfüllt. Man findet den bezwingenden Einfluß dieser Mystik, die das ganze Leben des indischen Volkes beherrscht, in allen seinen Gefühlsäußerungen, aus denen die ehrfurchtsvolle Scheu vor der Natur und ihren elementaren Kräften spricht. Schon in den alten wedischen Schriften der Hindus wird der Wald als der Sitz von Göttern und Dämonen bezeichnet. Er ist der Ort einsamer Weltentsagung und bildet daher die Heimat der indischen Büßer und Asketen. In seiner Öde und Weltabgeschiedenheit herrscht der Geist des Übersinnlichen, und in der furchterregenden Wildnis seiner Tiefen wohnen die Dämonen, die von den Göttern dazu bestimmt sind, von den Menschen ihre Opfer zu fordern. Es gibt Urstämme in Indien, in deren Leben und Kult der Wald und seine von dem Schleier der Mystik verhüllten Geheimnisse eine bedeutende Rolle spielt. Wohl vermögen auch wir den tieferen Sinn der Ursachen, die das Seelenleben dieser Völker bestimmen, zu erfassen. Denn ist es nicht der Wald, der ihnen zu einer Heimat geworden ist und ihnen mit seinem überströmenden Wachstum und Schatten, Fruchtbarkeit und Leben gibt? Und jene Dämonen, die in den dämmerigen Abgründen der Wälder hausen, sind es nicht die Gefahren, die der Wald neben seinen lebenerweckenden Elementen in sich birgt. Denn unter der dichten Decke seiner unentwirrbaren Laubkronen, unter dem undurchdringlichen Gestrüpp seines Rankenwerkes, in Sümpfen und in der verwesenden Fäulnis seiner Tiefe schwebt der Hauch des Fiebers, das von den Mückenmyriaden zu den Menschen kommt und sie mit der Geißel des Siechtums peinigt. In seinen Schluchten und Abgründen ist die Heimat schleichender Bestien und giftigen Gezüchts, jener Fleisch gewordenen Geister der Tiefe, die von der Menschheit den Tribut des Lebens fordern. Fällt nicht jährlich diesen sichtbaren und unsichtbaren Dämonen des Dschungels eine ungeheure Zahl an menschlichen Leben zum Opfer! Ist es nicht genug, daß die Hungersnöte und Seuchen, die im Lande wüten, Millionen von Menschen vernichten?
Schon seit vielen Jahrzehnten kämpft die Kraft und der Wille des Menschen in Indien gegen diese dunklen Mächte der Zerstörung, deren unheilvollen Einflüssen jene Urwaldvölker mit fatalistischem Denken und der Unzulänglichkeit körperlicher und geistiger Machtmittel gegenüberstehen. Der lebendige Geist abendländischer Kultur hat auch dort, wo dieser undurchdringliche Wall eines uralten, triebhaften Lebens die Herde des Übels umschließt, seinen Weg gefunden, um diesen Boden, den Schoß des Unheils, urbar zu machen und ihn wirtschaftlichen Werten zuzuführen. In vielen Gebieten Indiens, welche einst von dem Chaos der Wildnis überwuchert waren, sind heute die Wohnsitze und die blühenden, fruchtbaren Gefilde der Menschen, die den Sieg über die elementaren Kräfte der Natur triumphierend feiern. Doch wie lange mag dieser Kampf der Menschen über die Herrschaft des Urwaldes währen? Sind nicht die Orte jahrtausendalter Kultur auf Ceylon und dem indischen Festland von diesen Dschungeln wiedererobert und die Reste hoher menschlicher Kultur von der vernichtenden Gewalt seines Wachstums besiegt worden? Auch hier war es die Natur, die in stetem Drängen mit ihrer unbegrenzten Kraft ihre alten Rechte gefordert und den Menschen den Platz an der Sonne abgerungen hat. Selbst jene furchtbaren Feuersbrünste, die in der trockenen Zeit gewaltige Gebiete des indischen Dschungels in Asche legen, werden den Urwald nie vernichten und stets nur neues Leben aus den Resten der Zerstörung erwecken. Es ist der ewige Triumph der Natur, die mit ihrer urwüchsigen Kraft im Kampfe mit den Geistern der Zerstörung den Sieg über alles Vergängliche des Lebens davonträgt.
Über ein Viertel des indischen Festlandes ist mit Urwald bedeckt. Tausende von Quadratmeilen dieser undurchdringlichen Wildnis überwuchern den Boden des Landes und verhüllen dem Menschen die Geheimnisse seines dämmerigen Innern. Die Ruhe des Grabes liegt über der Finsternis seines Abgrundes, der den unerreichbaren Tiefen des Ozeans gleicht. Gespenstisches, phosphoreszierendes Leuchten erfüllt den feuchten Boden der Sümpfe, in deren schwarzen Schlünden die Wurzeln umgestürzter und abgestorbener, gigantischer Bäume und unzähliger Pflanzenleichen faulen. Engumschlungenes Gewirr tausendfältigen Pflanzenlebens flüchtet ewig drängend aufwärts, dem Licht der Sonne entgegen. Es ist ein Kampf der Verzweiflung, der seit Jahrtausenden lautlos unter der alles erstickenden Decke des Wachstums tobt, und unheimlich ist das Wesen dieses dumpfigen Urwaldgrabes und des in der Finsternis wuchernden Lebens, das in geisterhafter Blässe seine Häupter dem Licht zuwendet und der Dunkelheit des Abgrundes zu entfliehen sucht. Ewig triebhaftes Keimen erfüllt den erhitzten, gärenden Boden des Dschungels. Verworrenes Wurzelwerk uralter Baumriesen krampft sich über und unter der Erde ineinander und alles, was leben will, trägt Spuren verzweifelten Daseinskampfes. Turmhoch ragen tausendjährige Stämme titanenhafter Urwaldbäume, an denen schlangenhafte Lianen und schmarotzende Schlinggewächse mit dem eigensüchtigen Triebe würgender Zerstörung emporranken. Ein Meer von Farnen- und Dorngestrüppen bedeckt den warmen dampfenden Boden, aus dem alles Urgestrüpp hervorbricht. Dort unten in diesen Abgründen ist es unmöglich, ohne die Hilfe des Kappmessers auch nur einen Fuß breit vorwärts zu dringen. Überall schweben die Dünste des Fiebers über dem Rankenwerk, durch das sich die engen Wechsel der scheuen Urwaldtiere zwängen.
In tiefen Wurzelhöhlen der Mangroven, unter Felsvorsprüngen und in dunklen Schlammlöchern liegen regungslos die trägen Körper riesenhafter Reptile, die sich in die dunklen, ruhigen Tiefen des Urwaldes zu monatelangem Verdauungsschlaf zurückgezogen haben. Sonst ist das Leben dort unten, wo der Tod wohnt, zur Ruhe des Grabes erstarrt. Was lebt und leben will, drängt sich der Sonne zu. Dieser Sonne Indiens, die oft in Jahren der Dürre auch die Zähigkeit und Lebensenergie des Urwaldes bedroht, der Baumtitanen dichteste Kronen entblättert und so in die lichtlosen Abgründe seines dunkeln Bereiches dringen läßt. Dann schlägt der Tod der Trockenheit alles Leben des Urwalds mit quälender Vernichtung. Selbst die peinigenden Geister der Tiefe, die Fiebermücken, die ihre Heimat in der dumpfen Feuchtigkeit des Waldes haben, sterben in der Trockenheit der Sonnenglut. Das weiche, grüne Meer der Vegetation erstarrt langsam zur gelben farblosen Dürre, und im Rankenwerk der Zweige und Wurzeln knistert der Tod, der auch das Leben des zähesten Schmarotzertums entkräftet. Auch das Tierleben des Dschungels erstirbt dann unter der Gewalt der ehernen Naturgesetze. In die schmalen Wechsel, die durch das sterbende Bambus- und Farndickicht zu den immer spärlicher werdenden Wasserstellen führen, drängt sich die Welt der von Hunger und Durst gequälten Urwaldtiere. Denn der Durst in der Einsamkeit der Wildnis ist schwerer zu ertragen als der Hunger. Er erweckt das Fieber, welches selbst die stärksten Tiere des Waldes zur Ermattung treibt und die Gesetze des Dschungellebens außer Kraft setzt. Ja sogar die wilde, schleichende Bestie des Urwaldes, der Tiger und Panther, vergißt den ewigen Durst nach Blut und Leben, wenn es gilt, die von der sengenden Glut vertrocknete, röchelnde Kehle an den Tümpeln und Wasserläufen mit dem labenden Naß zu netzen. Das muntere Leben der Tiere, welches sonst die rankende Welt der Laubkronen erfüllt, ist verstummt. Matt und flügellahm rasten die Vögel, die sonst kreischend und zwitschernd das dämmerige Grün des Waldes bevölkern. Die scheltenden und balgenden Scharen der Affenmeuten haben ihre Tummelplätze in dem luftigen Dickicht des Astwerkes längst verlassen. In der Not der Zeit sind sie zu einem Volk der Diebe geworden, um draußen auf den Feldern und in den Gärten der vom Hunger gepeinigten Menschen die letzten Früchte und Habseligkeiten zu stehlen. Auch das fürchterliche, gelbgestreifte Gesicht des Tigers und des hungernden Panthers zeigt sich furchtlos mehr denn je in dem Bereich des Menschen, wo sie ihre Opfer aus dem Hinterhalt mit einem mühelosen Schlag der Pranke töten. Furcht und Entsetzen, Tod und Verzweiflung haben ihre Heimat im Urwald gefunden. Und wenn erst die rote Lohe des Feuers mit Glut und Qualm den Wald erfüllt, kennt die Not des fürchterlichen Kampfes ums Dasein keine Grenzen mehr. Knisternd, wie ein Heer hüpfender Kobolde, rasen dann die sprühenden Funken und das verzehrende Meer der Flammen durch das tote Gehölz, die von wahnsinniger Angst erfüllte Welt des Urwaldgetiers vor sich her treibend. Laut berstend öffnen sich die Spalten des glühenden Erdreiches, als ob die Hölle alles Lebendige auf Erden vernichten wolle. Wie glühende Raketen schießen turmhohe Garben der Glut in die Nacht des qualmenden Wolkenmeeres, das die Stätte der Vernichtung in tiefe Finsternis hüllt. In das Knistern und Prasseln des Flammenozeans mischt sich das Donnern stürzender Urwaldstämme, und unter den Tieren flüchtet alles, was noch die Kraft des Lebens in sich spürt, von den Instinkten zähen Lebenstriebes gepackt, hinaus in die kahlen, baumlosen Ebenen und Steppen des Landes. Unter der warmen Asche, welche der Brand dem Boden zu neuem Wachstum hinterläßt, sind die verkohlten Reste unzähligen Lebens begraben. Aus ihren Trümmern bildet die Natur in der Zeit des Monsuns neues Leben und neue Kraft. Und bald, nachdem sich der lebenspendende Quell des Regens über diese Welt der schwarzen Trümmer ergießt, beginnt wiederum diese gesättigte Fruchtbarkeit, die den ewigen Wechsel des Werdens und Vergehens im Urwald von neuem hervorbringt. Aus tausendfältig unsichtbar verborgenen Keimen der Erde regen sich die von leidenschaftlichem Daseinsdrang erfüllten jungen Triebe, und allmählich wird der sprießende, dichte Busch wieder zum Wald, in den das Leben und die Kraft der nimmer rastenden, ewig siegenden Natur zurückkehrt. Nun treten auch die Gesetze des Dschungels wieder in ihr altes Recht, und Leben und Tod ringen in dem Kampf ewigen Wechsels miteinander, bis wieder jener Tag des großen, glühenden Sterbens den Wald mit der Geißel eines unerbittlichen und vernichtenden Naturgesetzes schlägt.