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Auf meiner Reise von Madras nach Bombay kam ich, die glühend heißen Steinwüsten des Dekhans passierend, durch den Staat Hyderabad. Er ist das größte Staatengebilde Indiens, welches nicht unmittelbar unter der Herrschaft Englands steht und daher zum großen Teil auch die Reize seiner Ursprünglichkeit bewahrt hat. Diese von westlicher Kultur wenig beeinflußte Wesensart des Landes konnte ich besonders in seiner von malerischen Reizen erfüllten Hauptstadt Hyderabad beobachten. In ihren Mauern glaubte ich mich in die Zeit vergangener Jahrhunderte zurückversetzt. Das Leben bunter, orientalischer Bewegtheit wogt in farbiger Flut durch die engen, von dem Schatten hoher, schmaler Häuser verdunkelten Straßen und Gassen, die auf beiden Seiten von strotzend gefüllten Händlerbuden begleitet sind. In Hyderabad hat der Nizam seinen Wohnsitz. Es ist der regierende Fürst des Landes, das unter der wohlwollenden Oberhoheit der Briten steht. Sein Palast liegt mitten im farbigen Getriebe der Stadt. Er ist in sarazenischem Stil erbaut und von einem großen, von Kolonnaden begrenzten Hof umgeben, in dem sich Tausende von gurrenden Tauben tummeln. Der Palast ist alt. An seiner mit maurischen Bogen und bunten Arabesken verzierten Fassade bröckelt farbiger Verputz herab, und der reiche, barockartige Stuck, der an den Wänden der Hallen und Gänge emporklettert, ist der Nistplatz der Tauben, deren Exkremente sich, von den Gesimsen herabhängend, zu einer Art Tropfsteingebilde verhärtet haben.
Doch einsam und verlassen liegt das märchenhafte, träumerische Schloß und seine Höfe und Gärten, die es umfassen. Denn der Nizam ist ein von dem Geiste der Wanderlust erfüllter Mann, dem es anderswo besser gefällt als zwischen den Grenzpfählen seines Staates, dessen Geschick der englische Resident in Gemeinschaft mit den eingeborenen Ministern des Fürsten lenkt. Einst sah ich den Nizam im Süden des Landes. Eine eigenartige Erscheinung mit apathischen Gesichtszügen, auf denen sich Weltfremdheit und -verachtung ausdrückte. Seine Gestalt trug die mittelalterliche Tracht seines Landes, und auch der Hofstaat erschien in dem Gepränge exotisch-bunter Kostüme. Turban und Brustlatz waren mit schweren Diademen und Behängen von großen, blinkenden Edelsteinen geschmückt, und in den Ohren trug der Monarch haselnußgroße Smaragde und Diamanten. Sein Reichtum ist ebenso märchenhaft und wundersam wie seine Launen, mit denen er das Heer seines malerischen Stabes in ständigem Atem hält.
Der Nizam unterhält in seinem Lande ein eigenes Heer. Die Soldaten seiner Garde, in historischen Uniformen, mit bizarren Kopfbedeckungen und kunstvollen alten Waffen, bilden einen mittelalterlichen lebendigen Bestandteil des Palastes. In den schattigen Gärten des Schlosses beschäftigen sich kleine Höflinge mit vielerlei grotesken Spielzeugen, unter denen sich große, holzgeschnitzte Tiere auf beweglichen Rädergestellen, Elefanten, Kühe und eine ganze Menagerie wilder Bestien mit fratzenhaften Gesichtern befinden. Der junge Prinz reitet auf einem munteren Zwergpony kriegerische Attacken auf die Reihen der hölzernen wilden Tiere, die er mit seiner langen Reitpeitsche bearbeitet. Livrierte Lakaien, mit langen Haar wedeln in den Händen, rennen schwitzend hinterher, um dem Angriff der Mücken auf das schmale Gesichtchen der kleinen Hoheit zu wehren. Ein echt indisches Idyll in stimmungsvoller Umgebung, welche die Gedanken an die Vergangenheit und Unberührtheit dieses Landes wach werden läßt. In den Anlagen, die zwischen den Kolonnaden liegen, leuchten aus grünen Beeten feurige Blumen. Rieselnde Fontänen plätschern im sonnenglitzernden Wasserbecken, an dessen Rand Pfauen ihr farbenprächtiges Rad schlagen und sich die Scharen weißer Tauben tummeln.
In der Nähe liegen die Staatselefantenställe, in denen sich die ewig schaukelnden, dunklen Körper einiger hundert Rüsselträger befinden. Eine Elefantenkolonne schleppt auf dem Rücken ungeheure Schilfrohrbündel, die Futtervorräte ihrer Genossen, herbei. Mit schnarrendem Trompeten und lebhaftem Winken mit den Rüsseln werden die Ankömmlinge, die wie wandernde Strohmieten aussehen, begrüßt. Man zeigt mir herrliche, goldstrotzende Schabracken und reich verzierte Palankine von ungeheurem Wert, mit denen man bei festlichen Gelegenheiten gegen hundert dieser Tiere aufzuzäumen imstande ist. Auch einen kleinen zoologischen Garten nach europäischem Muster besitzt die Residenz des Nizams. Träge liegen die durstlechzenden Tiere, prachtvolle Exemplare von Königstigern, Löwen und Panthern, hinter den Gittern ihrer Käfige, über denen die glühende Sonne des indischen Sommers brennt. Der Garten, der hohe, schlanke Palmengruppen und schattige, weitverzweigte Bäume mit duftenden Blüten beherbergt, ist öde und verlassen. Nur wenig scheinen sich die eingeborenen Bürger für diese Tiere zu interessieren, die der Nizam draußen in der Wildnis seines Staates in Gruben und Fallen einfangen ließ, um die Könige des Urwalds seinem Volke in der Nähe zu zeigen.
Draußen vor den Mauern des Parkes flutet das bunte Leben der Menschen vorüber. Durch einen ewig grauen Nebel von Staub und Dunst bewegt sich die hin und her wogende Masse hastiger Fußgänger, Reiter und Gefährte. Selten sah ich das Leben einer orientalischen Stadt in solch farbiger Mannigfaltigkeit und Bewegtheit wie in den von allen Reizen des blendenden Sonnenlichtes überfluteten Stadtvierteln. Was mich an diesem regen Treiben besonders erfreut und meine volle Bewunderung erweckt, ist die Ursprünglichkeit seines Wesens und die Echtheit dieser unverfälschten Art, in der sich das Volk hier frei und unabhängig von allen fremden Einflüssen zeigt. Noch immer scheint die Bevölkerung trotz aller Versuchungen, die in der Gestalt der lebensfremden Kultur drohen, die alte Tradition bewahrt zu haben, denn man sieht fast nichts, was einem an die Einflüsse des Abendlandes erinnern könnte.
Die Einwohner Hyderabads sind meist mohammedanischen Ursprungs und Glaubens, was auch besonders die vielen weißleuchtenden Moscheen, die teils mitten in der Stadt und an ihrer weitläufigen Peripherie hegen, zeigen. Ihre große, stämmige Gestalt unterscheidet sie von den Hindus, und viele von ihnen tragen lange, ehrwürdige Barte nach Art der Moslems. Ihre Kopfbedeckungen bilden übermäßig große Turbane, während die Tracht aus weiten Pluderhosen besteht, die wie geraffte lange Tücher um die Beine wehen. Vielfach tragen die Männer bunte, kurze Westen oder weiße Überhemden, die bis zu den Knien herabhängen. Doch auch viele Hindus, Tamulen aus dem Süden, mit kahlen Schädeln und schwarzen Haarknoten im Genick, halbnackte Brahmanen mit entblößtem Oberkörper und den Zeichen Shivas auf der Stirne, Shiks, Radputen begegnen mir in dem tumultuarischen Treiben der Straßen. Überall, wohin das Auge blickt, findet es die starken Kontraste von blendendem Licht und tiefen purpurnen Schatten, das grelle Farbenspiel, mit welchem die Gewänder der Menschen, die bunten Fassaden der Häuser und die tausendfältigen Auslagen der Händlerbuden, die Straßen erfüllen. Das kribbelnde Leben, welches über die von feinem weißen Staub bedeckten Straßen wogt, wird zwiefach gesteigert durch die huschenden und flimmernden Schattenrisse, mit denen sich alles Lebendige auf dem kreidigen Gesicht der Straße widerspiegelt.
Im Zentrum der Stadt erhebt sich ein dekorativer, in strahlendem Weiß leuchtender Torbogen, der von minarettartigen Türmchen flankiert ist. Unter seinen schattigen Gewölben hocken die Gestalten fliegender Händler mit duftenden Backwaren und nackte Bettler, welche, ein mitleiderweckendes Lächeln auf ihren verdorrten Zügen, um Almosen jammern. Einer von ihnen, ein blinder bärtiger Greis, zum Skelett abgemagert, in Lumpen gehüllt, wackelt unaufhörlich murmelnd mit seinem kahlen, alten Schädel. Krampfhaft schließt er die weit vorgestreckte Knochenhand, wenn ein Kupferpies hineingleitet. Eingeborene Polizisten des Nizam, die turbanartige Tschakos und weiße Uniformen nach europäischem Muster tragen, laufen scheltend und gestikulierend hin und her, um die Ordnung der Straße aufrechtzuerhalten. Doch die Menge kümmert sich nicht viel um die Hüter des Gesetzes, die drohend ihre Knüppel über den Köpfen der vorbeiziehenden Menschen schwingen.
Ehe ich weitergehe in diese farbenschillernden Gassen, wo die Textilhändler ihre herrlichen Teppiche und die mit lebhaften Mustern und Farben bedruckten Stoffe zeigen, lasse ich das laut pulsierende Leben der Straße an mir vorüberziehen. Wie sehr unterscheidet sich doch das freie und ungebundene Treiben der von allen Reizen der Ursprünglichkeit erfüllten Stadt von der Einförmigkeit der südlichen Städte, deren Wesen den Charakter des Alltags trägt. Hier in der von quellendem Leben erfüllten Residenz des Nizams ist nichts, was das unruhevoll wandernde Auge ermüden könnte; denn reich ist die Fülle an wechselvollen Eindrücken, die in malerischer Farbigkeit an dem Beschauer vorüberziehen. Mitten in der Stadt scheint sich das gesamte Dasein eines großen Teils der Bevölkerung auf der Straße abzuspielen, denn man arbeitet, faulenzt, ißt und schläft auf der Straße, und ich sehe viele Menschen, die dort am Tag und in der Nacht ihr ganzes Lebenswerk verrichten. Man kommt, geht, plaudert, handelt, feilscht und bettelt im Schatten der Häuser und unter den senkrecht herabfallenden Strahlen der Mittagssonne, die zitternd auf der weißen Staubschicht der Straße liegt.
Drüben am Rande einer langen, niedrigen Mauer kauern die Gestalten schlafender Lastträger, die, ohne von dem tosenden Lärm des Verkehrs gestört zu werden, ihre Mittagsruhe halten. Zwischen ihnen hocken andere Männer mit großen Turbanen und farbigen Gewändern, die von grünen Palmblättern Reis essen, Betel kauen und ein beschauliches Spiel mit farbigen, hölzernen Stäbchen machen. Eine Kamelkarawane rastet an der einen Seite der Straße, während die Treiber im Schatten ihrer wiederkäuenden Tiere und Lasten Siesta halten und mit den wasserschöpfenden Hindufrauen am Brunnen schäkern. Geschäftige Handwerker sitzen niedergekauert vor ihren offenen, kleinen Werkstätten über der Arbeit. Für das Leben, das um sie braust, haben sie weder Ohr noch Sinn. Auch die fetten, behäbigen Lebensmittelhändler hocken teilnahmslos, wie Statuen, auf ihren farbigen Polstern und saugen mit behaglichem Phlegma an dem Meerschaummundstück der gurgelnden Hookah, die sie wie ein Heiligtum zu ihren Füßen bewahren. Fast werden sie erstickt von den gehäuften Stapeln ihrer Waren, die in wirrem Durcheinander oft die Hälfte der Straße bedecken. In den Basaren gibt es kein freies Fleckchen Erde, das nicht bevölkert und von den Händlern mit Beschlag belegt ist. Halbwilde, räudige Hunde, denen man Abfälle zuwirft, treiben sich in diesem Wirrwarr umher. Keuchende Ponys, deren faule Reiter mit ihren Fettwänsten fast das doppelte Gewicht des geduldigen Lasttieres haben, hoppeln im Trab vorüber. Ochsenkarren mit Lasten, Tragsänften, Juttkas, Soldaten des Nizams auf stolzen Arabern, Radfahrer und endlose Fußgängerkolonnen, Kamel- und Maultierkarawanen, mit ungeheurem Ballast bepackt, ziehen in buntem Wirbel an mir vorbei. Kaum ist es möglich, in diesem heißen Brodem, der von dichten Staubwolken und Myriaden aufgewühlter Bakterien geschwängert ist, zu Atem zu kommen. Doch so geht es vom frühen Morgen bis zum späten Abend, denn es ist die Hauptverkehrsstraße der Residenz, durch die sich das hin und her wogende Leben der Bevölkerung notwendigerweise drängt.
Weiter drinnen im Weichbild der Stadt sind die großen Märkte. Sie bieten ein reizvolles Bild von malerischer Wirkung, an dessen starken Kontrasten von Hell und Dunkel und einem schimmernden Farbenspiel sich die Augen kaum satt zu sehen vermögen. Elefanten schleppen Säcke mit Reis und Getreide herbei. Von Karren lädt man Waren, die aus der Provinz zum Markte gebracht werden, und in großen, niederen Bretterverschlägen hegen viele Hunderte von Zentnern Hülsenfrüchte, Bananen, Mangostinen, Kürbisse und hunderterlei Früchte, über denen Wolken von Wespen und Mücken schwärmen. Auf diesen Märkten und auch im Basar sieht man auch öfter die tief verschleierten Frauen der Mohammedaner und ihre Sänften, die mit herrlichen, kostbaren Tüchern verhängt sind. Nur selten findet man ihre geheimnisvoll verhüllten Gestalten in den bewegten Straßen der Stadt. Um so mehr beobachtet man hinter den Fenstergittern der schmalen Häuser die schwarzen Glutaugen der Haremsfrauen, die neugierig aus den Zenanas auf das Treiben der Stadt herabblicken.
Bei den Stoffhändlern ist alles, was die Web- und Wirkkunst des Landes bietet, zu haben. Es ist, als ob dieser Teil der Straße zu einem festlichen Empfang geschmückt wäre, denn reiche Stoffe in allen Webarten, in zarten und leuchtend grellen Farben und selten schönen Mustern sind hier in bunter, malerischer Unordnung aufgestapelt. Ich bewundere die echten, farbenfrohen Dessins, welche zum Teil gewebt und gedruckt, die kostbarsten Stoffe schmücken. Auch seltene alte, handgeknüpfte Orientteppiche findet man neben zarten Musselinen in allen Nuancen, schwere Seidenstoffe und kunstvolle Stickereien, orientalische Kleidungsstücke, weite, bestickte Hosen, Westen und golddurchwirkte, breite Sarrongs, wie sie die vornehmen Frauen der Hindus und Moslems tragen. Weiter drüben locken mich die Buden der Waffenschmiede und Kunsthandwerker, unter deren geschickten Händen die Wunder herrlich gearbeiteter Gegenstände, dekorative Waffen, getriebene Metallarbeiten und Fayencen geboren werden. Nur selten sehe ich unter diesen Erzeugnissen Stücke, die einen unechten Charakter haben. Wohl finde ich auch in den übrigen Basaren die Massenprodukte einheimischer und abendländischer Industrien, doch im großen und ganzen scheint hier der traditionell gute Geschmack und die einheimische, ursprüngliche Wesensart der Menschen und des Landes erhalten geblieben zu sein.
Ich beobachte dies auch vielfach an der Art, wie sich die vornehmen Eingeborenen zu kleiden pflegen, und bin überrascht, daß innerhalb der Grenzen dieses Staates und seiner Stadt der Einfluß des Westens sich noch so wenig Geltung verschaffen konnte. Oft begegnen mir unter der Menge bärtige, finster dreinblickende Männer in mittelalterlich anmutenden, exotischen Trachten mit golddurchwirkten Turbanen und kostbaren, schweren Gewändern. Ihre wehrhafte Freiheit bekunden sie durch offen zur Schau getragene Waffen, Dolche und Pistolen, deren geschmückte Griffe drohend aus dem Brustlatz oder Leibgürtel ihrer malerischen Kleidung hervorblicken.
Am nächsten Tage unternehme ich eine Fahrt nach Golkonda, einer alten Felsenfestung von mittelalterlichem Gepräge. Wie eine Insel ragt dieses kleine Gebirge von natürlich gewachsenem Fels aus der steinigen Wüste empor. Leider blieb mir der Eingang in die mit modernen Kriegsmitteln ausgestattete alte Zitadelle versagt, und ich fuhr hinüber zu den alten verwitterten Königsgräbern der alten Kaufen, die sich mit ihren weißen Kuppeln und Türmchen wie eine märchenhafte Stadt aus der Ödheit ihrer Umgebung erheben. Nachdem ich die Nacht dort im Rasthaus zugebracht habe, fahre ich am Morgen wieder zurück in das bunte Getriebe der Stadt und kehre am späten Abend erst nach Sekunderabad zurück. Diese Stadt ist öde und langweilig. Ihre Wichtigkeit besteht in einer starken englischen Militärbesatzung, die mit ihrer monotonen Umgebung in gutem Einklang steht und ihr wachsames Auge stets auf die Residenz des Nizam gerichtet hält. Nun befinde ich mich wieder im Indien von heute, während das Reich des Nizams, welches den reizvollen Charakter stolzer Vergangenheit trägt, schon weit hinter mir hegt.