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Sechstes Kapitel.

Commodianus.

Ist die Prosa der jungen christlichen Literatur Roms schon verhältnissmässig reich, wie wir sahen, vertreten, so desto weniger die Poesie, von der nur zwei Werke, und noch dazu eines und desselben Dichters, sich erhalten haben, die unbestritten 89 sowohl christlich als dieser Periode angehörig sind, und auch sie haben zum guten Theil im Inhalt wie in der Form einen der Prosa verwandten Charakter. Ich meine die Werke des Commodianus Commodianus, Carmen apologeticum adversus iudaeos et gentes. Ed. J. B. Pitra, in dessen Spicilegium Solesmense, Tom. I. Paris 1852 (Nachtrag, Tom. IV). – Das Carmen apolog. des Commodianus, revidirter Text mit Erläuterungen von H. Rönsch in Kahnis' Zeitschr. für die histor. Theologie Bd. XLII. 1872. (Berichtigungen und Zusätze Bd. XLIII). – Commodiani carmina, recogn. E. Ludwig. Leipzig 1877–78. – * Commodiani carmina, rec. et commentario crit. instr. Dombart. Wien 1887. ( Corp. script. eccl. lat. Vol. XV) ( Praef.). – – Ebert, Commodians Carmen apolog. s. oben S. 26, Anm. 1. – Leimbach, Ueber Commodians Carmen apolog. im Osterprogramm der Realschule von Schmalkalden 1871. von Gaza: die Instructiones per litteras versuum primas , eine Sammlung von Acrostichen, in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre des dritten Jahrhunderts verfasst Es ist nicht leicht, die Zeit der Abfassung genauer zu bestimmen. Das erste Buch scheint früher als das zweite geschrieben und vielleicht selbständig edirt worden zu sein: in ihm finden sich nur die beiden ersten Bücher der Testimonia Cyprians benutzt, im zweiten Buch dagegen auch das dritte Buch der Testimonia sowie das Buch De habitu virginum Cyprians. Die Abfassungszeit der genannten Bücher Cyprians lässt sich aber auch nicht genauer sicher bestimmen. Das erste Buch der Instructiones, und zwar in der Ausdehnung, die ihm meiner Ansicht nach gegeben werden muss (s. unten S. 90), erscheint mir jedenfalls früher als das Carmen apologet. geschrieben (s. meine Abhandlung S. 416), während das zweite später als dieses geschrieben sein kann (s. ebenda Anm. 113)., und ein 249 geschriebenes Carmen apologeticum , beide in einer Art volksmässiger, rythmisch gebildeter Hexameter. Was wir von dem Dichter wissen, erfahren wir aus seinen Werken Denn was Gennadius De vir. ill. c. 15 über ihn sagt, hat er sicher auch nur aus den Instructiones geschöpft., in deren ersterm er sich selber als Autor bekannt gibt. Commodian, aus dem syrischen Gaza, wo er auch seine Werke verfasst hat, war als Heide geboren und erzogen Ueber seine Kenntniss der klassischen Literatur Roms s. Dombarts Ausgabe, Praef. p. IV ff.; zum Christenthum wurde er durch das Studium der Bibel, zunächst des Alten Testaments geführt, indem er auch allem Anschein nach zuerst Proselyt der Juden war. In der christlichen Gemeinde scheint er schon zur Zeit der Abfassung des ersten Werks eine höhere Stelle eingenommen zu haben; in der Handschrift des andern Werks wird er sogar als Bischof bezeichnet, und seine theologische 90 Gelehrsamkeit macht dies auch gar nicht unwahrscheinlich. Seine Benutzung der Testimonia Cyprians hat Dombart nachgewiesen in Hilgenfelds Zeitschr. f. wissensch. Theologie, Jahrg. 22, S. 374 ff., seine Kenntniss des Pastor des Hermas Harnack in: Theolog. Literaturzeitung 1879, S. 52. In beiden Dichtungen zeigt er sich übrigens als Chiliast und Patripassianer, indem er in seiner Trinitätslehre am unmittelbarsten an Noëtus aus Smyrna sich anschliesst, der auch zeitlich wie örtlich ihm nahe steht. S. Ebert, a. a. O. S. 415 f.

Die Instructionen bestehen aus 80 Acrosticha, von welchen schon dem Inhalt nach die ersten 45 eine Abtheilung, die folgenden 35 eine andere bilden, sodass eine Eintheilung des Werks in zwei Bücher, welche auch in den Handschriften sich findet Nur ist dort mit Unrecht das erste Buch mit dem 41., statt mit dem 45. Acrostich geschlossen, denn die Acrosticha 42–45 schliessen sich dem Inhalt nach unmittelbar an 41 an, indem sie auch, wie dieses, von den letzten Dingen handeln und den Charakter der ersten Abtheilung haben: sagt doch das 15. im Eingang De die iudicii propter incredulos addo, damit sind aber Juden und Heiden gemeint, wie auch v. 4 bestätigt. Das 46. Acrostichon aber hebt die zweite Abtheilung ganz schicklich an, indem es den › Catacuminis‹ gewidmet ist, seine beiden ersten Verse zeigen geradezu den Beginn einer neuen Abtheilung an. Warum also noch der falschen Abtheilung der Mss., die doch aus einer Jahrhunderte späteren Zeit stammen, folgen? – Dass aber der Verf. selbst zwei Bücher unterschieden, dem steht die Stelle des Gennadius a. a. O.: scripsit mediocri sormone quasi versu librum adversus paganos, keineswegs entgegen, nur scheint Gennadius hiernach bloss die erste Abtheilung der Instructionen gekannt zu haben. Denn dass er mit jenem librum nicht das › Carmen apologeticum‹ gemeint hat, erscheint mir gewiss, namentlich im Hinblick auf die folgende Behauptung des Gennadius, Commodian sei Tertullian gefolgt, was sich offenbar vornehmlich auf die Polemik gegen die Mythologie in den Instructionen bezieht, während der Patripassianismus des Carmen der Behauptung widerstreitet, wie schon Leimbach richtig bemerkt, S. 28; eine Uebereinstimmung mit Lactanz aber, die Gennadius zu der falschen Annahme, als sei Commodian auch diesem gefolgt, verleitet, zeigt sich in den Instructionen ebensowohl als in dem ›Carmen apolog.‹, wenn auch in jenen nicht der doppelte Antichrist sich findet. – Hierzu kommt, dass der letzte Satz im Artikel des Gennadius, worin derselbe rühmt, Commodian habe » voluntariae paupertatis amorem« gelehrt, wohl zu Instr. l. I, acr. 29 u. 30 passen kann, aber nicht zu v. 27 des ›Carmen apologeticum‹., wohl berechtigt erscheint. Nur die erste Abtheilung ist apologetisch-polemischer Natur und wendet sich an die Heiden und Juden; auf diese Abtheilung bezieht sich auch allein die 91 Praefatio , welche das erste Acrostichon bildet. Der Verfasser sagt nämlich hier, dass er, der selber früher geirrt und die Götter verehrt habe, den Irrenden, den Heiden, die ihn dauern, den Weg des Heils zeige, und selbst belehrt, die Unwissenden in der Wahrheit unterweise: perdoctus ignaros instruo verum; daher denn auch der Titel. In den zwanzig zunächst folgenden Acrostichen verspottet der Dichter im ganzen wie im einzelnen die Verehrung der Götter, die auch er als Dämonen betrachtet, und welchen er denselben Ursprung, als später Lactanz leiht; namentlich bietet seinem Spotte die volksthümlich anthropomorphische Vorstellung, die er mitunter geschickt mit der physischen der Philosophen combinirt, eine bequeme Handhabe: so fragt er z. B. (acr. 6), wenn Saturn nun auch den Jupiter verschlungen hätte, wo wäre dann der Regen hergekommen? Es war ja nicht schwer, die Mythen durch rein verstandesmässige Betrachtung absurd erscheinen zu lassen. Hin und wieder geschieht dies hier selbst mit einigem Humor. Aber auch ihre Unsittlichkeit wird zur Zielscheibe der Polemik gemacht. Im übrigen empfängt man auch hier von neuem davon den lebhaftesten Eindruck, zu welchem Sammelsurium der heidnische Kultus des Weltreichs geworden war. So lernen wir hier in dem (offenbar asiatischen) Ammudas acr. 18 wieder eine neue Gottheit kennen. In den darauf folgenden Gedichten (acr. 22 ff.) richtet sich die Polemik gegen die Heiden selber, den Aberglauben des altersschwachen Zeitalters, die Sinnlichkeit, die nur dem Genusse des Augenblicks lebt, insonderheit auch gegen die Reichen, und gegen solche, die als Proselyten des Thors bei den Juden ihr Heil suchten, ohne darum ihren Göttern zu entsagen. Von diesen judaisirenden Heiden wendet Commodian sich dann gegen die Juden selber, denen mehrere Acrosticha gewidmet sind. Endlich handelt er in einer Reihe anderer (acr. 41 ff.) von den jüngsten Zeiten, dem Antichrist, der Rückkehr der verlorenen Stämme, dem Ende der Welt, der ersten Auferstehung und dem jüngsten Gerichte, auf welches er bei seiner Aufforderung zur Bekehrung in den vorausgehenden Stücken schon wiederholt hingewiesen, ihr Nachdruck zu verleihen; eben deshalb schliesst er auch mit dieser Schilderung Er kündigt sie darum auch acrost. 25, v. 19 an. die erste Abtheilung, deren 92 Acrosticha, sieht man also, wohl ein Ganzes bilden, und in einer gewissen Ordnung (wenigstens im grossen) aufeinander folgen.

Die zweite Abtheilung, die mit dem 46. Acrostichon Catecuminis beginnt, hat einen ganz andern Inhalt und Charakter. Paränetischer Natur, richtet sie sich an die Christen, indem zuerst die Catechumenen, dann die Gläubigen überhaupt, insonderheit die Pönitenten, hierauf in verschiedenen Stücken die Apostaten ermahnt werden; andere Acrosticha haben dann Fehler und Untugenden, wie sie zum Theil speciell die Gegenwart der Betrachtung des Verfassers nahe legte, zum Gegenstand, während eine Anzahl wieder an einzelne Klassen der christlichen Gemeinde, wie an die Matronen, die Lectoren, Diakonen und die Geistlichen überhaupt, die Armen, sich wenden. Das letzte Acrostichon aber, Nomen Gazaei Die Mss. haben allerdings Gasei . überschrieben, worin der Verfasser noch einmal an das Ende der Dinge erinnert, gibt, ausnahmsweise von unten gelesen, die Worte: Commodianus mendicus Christi Es schliesst dies Acrostichon mit den Versen:
    Omnia non possum conprehendere parvo libello;
    Curiositas docti inveniet nomen in isto.

Die Acrosticha sind von sehr verschiedener Grösse, wie sich denn welche von sechs und von vierzig Versen finden; sie enthalten in den Anfangsbuchstaben, wie die Form einzelner zeigt, z. B. De die iudicii , oder Infirmum sic visita , die Ueberschriften. So erscheint diese Dichtungsform hier um so mehr als eine geistlose Spielerei, indessen im Geiste des Zeitalters; wenn nicht der Verfasser etwa damit den praktischen Zweck verfolgte, was nicht ganz unwahrscheinlich ist, dem Gedächtniss einen Halt zu gewähren, indem er seine Gedichte so zum Auswendiglernen empfahl. Merkwürdiger ist die Bildung des Verses; es ist ein ohne Rücksicht auf Quantität und Hiatus gebildeter Hexameter, dessen Rythmus wesentlich auf die Beobachtung der heroischen Cäsur und des Eintretens zweier Senkungen nach der fünften Hebung sich gründet; er würde dem deutschen gleichen, wenn überall an der Stelle der Quantität der grammatische Accent ihn beherrschte; dies ist aber gewöhnlich nur im zweiten Hemistich der Fall, und auch hier 93 nur in eingeschränkter Weise. D. h. ausserhalb der Cäsur, indem eine solche genügt, die vorausgehende Silbe zu ›heben‹, sowie die folgende als Senkung erscheinen zu lassen, sodass da eine Collision des Versaccents mit dem grammatischen eintreten kann, z. B. acr. 1, v. 8:
        Inscia quod pergit periéns dèos quaerere vanos.
    Siehe übrigens über die Versbildung Commodians Hanssen, De arte metrica Commodiani, Strassburg (Diss.) 1881, u. vgl. W. Meyer, Anfang und Ursprung der lat. u. griech. rythmischen Dichtung in: Abhandl. der Münchener Akad. I. Cl. Bd. XVII, Abth. 2 (mit den Ansichten des Verfassers stimme ich jedoch mehrfach nicht überein).
Der Vers des zweiten Werks des Commodian ist ebenso gebildet, wenn auch hier einzelne correcte, d. h. den Gesetzen der Quantität entsprechende Hexameter sporadisch sich finden, und der Rythmus im allgemeinen etwas flüssiger ist.

Dass aber die ältesten uns erhaltenen Denkmäler der christlichen lateinischen Dichtung bereits diese entschieden volksmässige Richtung verfolgen, den Accent zu dem alleinherrschenden Princip des Verses zu machen, und selbst in einer dem Ursprung nach unnationalen, ganz kunstmässigen Versart, ist im Hinblick auf die Bildung des modernen Verses, zunächst in den romanischen Sprachen, höchst beachtenswerth Zumal sich zu diesem vom Accent beherrschten Verse hier im letzten Acrostichon schon ein, wenn auch durchaus unvollkommener, Reim gesellt; alle Verse dieses Acrostichon lauten nämlich in o aus, wie die oben S. 92, Anmerk. 2 citirten. Vgl. auch l. II, acr. 8, wo, was weniger auffällt, sämtliche Verse in e, beziehungsweise ae, auslauten., und zeigt zugleich recht wieder, wie das Christenthum nicht bloss den Volks, sondern auch den Provincialgeist, wenn ich so sagen darf, emancipirte, denn es erscheint mir mit nichten ohne Belang, dass der Verfasser jener Dichtungen ein Syrer war, ein Mann, wenn nicht von semitischer Herkunft selbst, doch von semitischer Bildung. Auch der sprachliche Ausdruck der Acrosticha lässt dies wenigstens in negativer Weise erkennen, und um so eher bei der Schwierigkeit, die die enge, festbegrenzte Schranke dieser Dichtungsart darbot. Der Ausdruck ist meist hölzern steif, und klebt prosaisch am Boden, und ist schon durch seine Ungelenkigkeit und lapidare Kürze häufig sehr dunkel; andererseits zeigt er in Constructionen, manchen eigenthümlichen Wörtern, und in dem besondern Gebrauche anderer den Einfluss der römischen Umgangssprache und damit auch etwas volksmässiges.

94 Das Carmen apologeticum des Commodian, wie das andere Werk der erste Herausgeber betitelt hat Mit dem Zusatz › adversus iudaeos et gentes‹, während Rönsch statt gentes paganos setzt, ›wegen der Notiz des Gennadius‹ (s. dieselbe oben S. 90, Anm. 3); aber diese Notiz auf das ›Carmen apolog.‹ zu beziehen, halte ich, wie ich oben zeigte, für unrichtig., besteht aus nahezu 1060 Versen, von denen aber einzelne, zumal gegen das Ende der Dichtung, nur bruchstückweise erhalten sind. Auch sind einzelne Verse offenbar ausgefallen. Sein Inhalt schliesst sich wie in der allgemeinen Tendenz, so auch in manchen Einzelheiten an die erste Abtheilung der Instructionen an. Der Eingang erinnert ganz an die Praefatio derselben; auch hier begründet der Verfasser seinen Beruf zur Vermahnung der Heiden mit der eigenen Bekehrung. Indem er dann zeigt, dass des Menschen Bestimmung eine höhere ist, als gleich dem Thiere nur dem sinnlichen Genusse zu leben oder irdischen Vortheilen nachzustreben, ermahnt er die Heiden den Hafen aufzusuchen, ehe der schon drohende Sturm kommt. Darauf beginnt er seine Unterweisung im Christenthume (v. 89 ff.); er stellt an die Spitze derselben die Lehre von dem dreieinigen Gott, und lässt dann die Geschichte seiner Offenbarung folgen, erst im alten, dann im neuen Bunde, wobei er sich als entschiedenen Monarchianer zu erkennen gibt. Nachdem er noch auf die Lesung der Bibel selbst verwiesen, und gegen die weltlichen Studien, namentlich auch die gerichtliche Beredsamkeit, polemisirt hat, wie gegen das Weltleben überhaupt (v. 585 ff.), wendet sich Commodian gegen die Juden, die, einst das auserwählte Volk, jetzt von Gott verworfen sind; die Heiden sollen nämlich ihr Seelenheil nicht bei ihnen suchen, welche selbst solche als Proselyten des Thors zuliessen, die noch dem Götzendienst treu blieben. Die diesem huldigen, werden aber im zweiten Tode zu Grunde gehen; und das Ende der Welt nahet, die Erfüllung der 6000 Jahre: nur wer an den dreieinigen Gott glaubt, wird dann wiedergeboren werden, um unsterblich zu sein. Und hiermit geht dann der Dichter zu einer Schilderung der letzten Dinge über, welche das letzte Drittel des Werks einnimmt, und den der Form und dem Inhalt nach bedeutendsten und interessantesten Theil desselben bildet.

Wann wird das eintreten? so fragen manche: hebt er an (v. 805). Viele Zeichen werden ein solches Verderben verkünden, 95 aber der Anfang wird unsere siebente Verfolgung sein. Schon pocht sie an die Thür. Ich nehme noch immer als Subject zu pulsat (v. 809) persecutio an, dagegen zu cingitur ense (so nach Dombarts Conjectur) als Subject das folgende qui , wie ich auch mit Dombart lese, nämlich Apolion. – Aus dieser Stelle ergibt sich übrigens das Datum der Abfassung des Gedichts, s. meine Abhandlung, S. 408 ff. Und der König Apolion furchtbaren Namens rüstet sich schon mit den Gothen über den Strom zu setzen, um die Verfolgung der Heiligen zu zerstreuen. Die Gothen erobern Rom und erlösen die Christen, die sie wie Brüder behandeln (v. 818), während die Heiden von ihnen bedrückt werden. (Merkwürdig dies Bündniss des Germanenthums mit dem Christenthum!) Da erhebt sich aber diese zu befreien ein Cyrus – es ist Nero, der aus dem Versteck, wo er aufbewahrt war, hervorkommt, nachdem vorher Elias prophezeit hat. Nero, der Rom wiedererobert, gesellt sich noch zwei Cäsaren zu, und wüthet nun gegen die Christen 3½ Jahr. Da kommt aber die Rache (v. 887 ff.): es erhebt sich zu Nero's Verderben ein König im Osten, der Mann aus Persien mit einem Heere von vier Völkern, den Persern, Medern, Chaldäern und Babyloniern. Es ist der andere Antichrist, der eigentliche. Er zieht gegen Rom; Nero mit den beiden Cäsaren eilt ihm entgegen: sie werden besiegt und getödtet, ihr flüchtiges Heer aber verbrennt selbst Rom. Der Sieger dagegen geht nach Judäa, und thut dort Zeichen und Wunder, sodass die Juden ihn anbeten. Er ist ihnen zum Antichrist gesetzt, wie Nero den Heiden (v. 933). Die Juden erkennen indess mit der Zeit den Trug des falschen Propheten, und bitten Gott, ihnen zu helfen. Darauf erscheint denn Christus, oder, wie unser Dichter von seinem monarchianischen Standpunkt sagt, Gott mit den verlorenen Stämmen der Juden, die sein Heer bilden (v. 941 ff.). Sie haben jenseits Persien im verborgenen gelebt, ein reines, tugendhaftes, und damit glückseliges Dasein, sie nährten sich nur von Früchten, starben nur durch das Alter. Wie sie jetzt dahin ziehen, Gott an ihrer Spitze, frohlockt die ganze Natur, entzückt die Heiligen zu empfangen. Alles grünt vor ihnen, aller Orten entspringen Quellen, stehen Speisen bereit; und die Wolken eilen herbei, sie zu beschatten, wie die Berge sich niederlegen, damit sie nicht ermüden. Wie die Löwen schreiten sie daher, alle Völker besiegend. An Beute reich, singen sie 96 Hymnen. Mit ihnen besiegt nun Christus den Antichrist und sein Heer, und sie nehmen Besitz von der heiligen Stadt, Jerusalem. Dann folgt schliesslich noch (v. 993 ff.) die Beschreibung des jüngsten Tages und jüngsten Gerichts, die uns nur trümmerhaft überliefert ist, auch kürzer ausgeführt, viel weniger interessantes bietet.

Die Behandlung der Sage vom Antichrist, die hier zuerst in der christlich-lateinischen Literatur, insbesondere der Poesie erscheint, ist dagegen höchst merkwürdig. Die beiden verschiedenen Elemente, aus denen dieselbe sich entwickelte Siehe das Genauere darüber in meiner Abhandlung, S. 404 ff., sind hier in der doppelten Gestalt des Antichrist vertreten, von welchem Paar der eine den andern überwindet, um dann selbst von Christus besiegt zu werden. Die Grundlage der Sage bildet das jüdische Dogma vom Antimessias, das aus den Weissagungen der Propheten sich entwickelt hatte, namentlich des Ezechiel und Daniel; dazu kam dann als das andere Element die römische Volkssage von der Wiederkehr Nero's, der nicht gestorben, sondern zu den Parthern geflohen sein sollte. Wie aber in der Apocalypse dem Antichrist Nero der Pseudopropheta zur Seite gesetzt ist, so tritt in unserer Dichtung dieser, selbst als Antichrist, ja eigentlich als der höhere, hingestellt, jenem entgegen. Auch bei Lactanz Instit. l. VII, c. 16 ff. Vgl. oben S. 83. finden wir eine Erinnerung an den doppelten Antichrist wieder. – In diesem Theile der Dichtung erhebt sich auch der Ausdruck einigermassen Was auch in den denselben Gegenstand behandelnden Acrostichen, namentlich acr. 42, der Fall ist., ja an einzelnen Stellen, wie in der Erzählung von den verlorenen Stämmen der Juden, selbst zu einer wirklich poetischen Diction; freilich hat hier der Verfasser auch aus der jüdischen Volkspoesie geschöpft, die er da offenbar grossentheils nur reproducirt. Ueberhaupt aber ist die Darstellung in dem Carmen, schon weil sie der Fessel des Acrostichon entledigt ist, eine lebendigere und flüssigere als in den Instructionen. Im übrigen zeigt der Ausdruck hier dieselben volksmässigen Eigenthümlichkeiten und Mängel, wie dort. 97

 


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