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Während nun, wie wir sahen, alle bedeutendere literarische Thätigkeit in Frankreich mit Gregor von Tours Ende des sechsten, in Italien Anfang des siebenten Jahrhunderts mit Gregor dem Grossen, in Spanien um die Mitte desselben Jahrhunderts erstirbt, und damit Hand in Hand die wissenschaftliche Bildung im ersten Lande auf das tiefste herabsinkt, im letzten offenbar in ganz enge Kreise sich zurückzieht, in Italien zwar trotz alles Mangels an Productivität bis auf einen gewissen Grad sich behauptet, aber eben steril bleibt Damit soll nicht gesagt sein, dass nicht noch Verse gemacht wurden, wie die des Bischofs von Mailand Benedictus Crispus bezeugen († 725), der als Diakon an einen frühern Schüler ein Arzeneibüchlein in fehlerhaften Hexametern richtete, um ihn in die ärztliche Kunst einzuführen. Es enthält dasselbe Heilmittel gegen eine Anzahl Krankheiten. Etwas besser als diese trockenen versificirten Recepte ist das von ihm als Bischof auf den Angelsachsenkönig Ceadwalla, der 689 auf einer Pilgerfahrt in Rom starb, in Distichen verfasste Epitaphium, welches Beda ( Hist. eccl. l. V, c. 7) und nach ihm Paulus Diaconus ( Hist. langob. l. VI, c. 15) uns erhalten haben. Beide Werkchen des Crispus sind herausgegeben von Mai, Classicor. auctor. T. V, p. 391 ff., und vgl. ebenda p. XLIII. – findet mit der zweiten Hälfte des siebenten Jahrhunderts die christlich-lateinische Literatur einen ganz neuen fruchtbaren Boden im äussersten Norden des Abendlandes, soweit letzteres einst zum Weltreich der Römer gehört hatte, bei einem germanischen Volke. Die Angelsachsen werden jetzt die Vertreter der Weltliteratur, sie übernehmen die Führung. Aber auch in ihrer literarischen Thätigkeit erscheinen als ihre Vorläufer, zum Theil als ihre Lehrer, ihre keltischen Nachbarn, die Iren.
620 Columbanus In: Maxima Bibliotheca veterum patrum et antiquor. scriptor. ecclesiasticor. Ed. Lugduni. Tom. XII, 1677. fol. p. 33 f. und bei Migne, Patrol. lat. T. 80, p. 285 ff. ist selbst da ein merkwürdiges Beispiel. Allerdings sind in neuerer Zeit, so von Hertel, a. a. O. S. 427 ff., die folgenden Gedichte dem berühmten irischen Missionar, dessen Vita wir eben behandelt haben, abgesprochen worden. Und so wenig mir auch die Begründung Hertels genügt, so kann ich doch nicht leugnen, dass auch mir Zweifel an der Authenticität gekommen sind. Zu einer gründlichen und sicheren Entscheidung fehlt aber noch das Material. Trotz seiner strengen asketischen Richtung bewahrte er sogar bis in das Greisenalter das Interesse für die antik-ästhetische Bildung, welches der grammatische Jugendunterricht ihm eingeflösst. Dies zeigen ein paar Gedichte, deren Verfasser in dem einen selbst durch die Anfangsbuchstaben sich Columbanus nennt. Dies Acrostichon (in Hexametern) ist an einen Hunald gerichtet. Im Hinblick auf die rasche Vergänglichkeit des gegenwärtigen Lebens fordert er den Freund auf, nur an das ewige zu denken, und allem unnöthigen irdischen Ueberfluss zu entsagen. Einen ganz ähnlichen Inhalt hat eine unmittelbar darauf folgende längere Epistula ad Sethum in demselben Versmass. Auch hier ermahnt der Asket, der im Text sich Columbanus nennt, ›die Freuden des flüchtigen Lebens zu verachten‹, namentlich den Reichthum: seine Stelle sollen vertreten ›die Dogmen des göttlichen Gesetzes, der heiligen Väter keusches Leben, und alles was die gelehrigen Meister vordem schrieben oder die gelehrt-beredten Sänger in Dichtungen sangen‹ (v. 11 ff.). – Ein solcher Platz wird also der Literatur und der Dichtung – sei auch nur die christliche gemeint – von Columban unter den unvergänglichen Schätzen angewiesen. Gedenke des Alters, fährt er dann fort, und gibt hier eine so lebendige drastische Schilderung seiner Gebrechen, dass man wohl bemerkt, wie er sie selbst schon erfahren. – Merkwürdig durch das Versmass ist ein anderes Gedicht, die Epistula ad Fedolium: sie ist bis auf ihren Schluss, der aus sechs Hexametern besteht, in adonischen Versen geschrieben – vielleicht nach dem Vorbild des Carm. VII, l. I der Consolatio des Boëthius. Diese Verse, die, was für das rein ästhetische Interesse recht bezeichnend ist, als eine blosse Formspielerei erscheinen Columban nennt sie selbst › frivola nostra‹., sendet Columban als kleines Geschenk an den Freund, um als 621 Erwiderung eine gleiche Gabe von ihm zu erhalten: denn Geschenke des vergänglichen Reichthums wünsche er nicht, und hiermit wendet er sich wieder gegen die Habsucht, deren verderbliche Folgen der Dichter an einer Reihe von Mythen des Alterthums schildert, so erwähnt er das goldene Vlies und Troja's Untergang, Polydor, Danaë, Amphiaraus; er endet, indem er dem Freund das Versmass, das ihm vielleicht neu sei, mit allen Einzelheiten erklärt und es auf die berühmte Sängerin der Trojaentsprossenen, Sappho, zurückführt. In diesem wie in den beiden andern Gedichten findet sich Horaz benutzt. Auch dieser Umstand spricht dafür, dass alle drei Gedichte denselben Verfasser haben. In einer Handschrift nennt sich der Autor des letzten in der Ueberschrift auch Columbanus. S. Hertel, a. a. O. Aus den hexametrischen Schlussversen aber erfahren wir noch, dass Columban im 72. Jahre dieses Gedicht verfasst hat. Andere Gedichte sind ihm sicher mit Unrecht beigelegt.
Aus demselben spricht eine Kenntniss der antiken Dichtung und ein ästhetischer Sinn für sie, wie sie in jenem Zeitraume nur in den Werken der Angelsachsen wiederkehren; indessen trugen solche Hinweisungen auf Literatur und Dichtung als einen wahren Schatz des Lebens, wie in der obigen Epistel, auch im Kreise der Mönche Columbans ihre Frucht, wie die vielen uns durch das Kloster Bobbio erhaltenen Handschriften beweisen. Eine derselben zeigt denn auch recht, wie in Irland selbst und speciell in dem Kloster
Bangor, von dem Columban ausging, wenigstens die geistliche Poesie gepflegt wurde. Es ist ein
Antiphonarium dieses Klosters
In:
Anecdota quae ex Ambrosianae bibliothecae codd. nunc primum eruit Muratorius. Tom. IV. Padua 1713. 4°. p. 119 ff., das aller Wahrscheinlichkeit nach noch aus dem siebenten Jahrhundert stammt.
S. Muratori's Prolegg. p. 121 und 124. Diejenigen von den darin befindlichen geistlichen Gesängen, welche mit Gewissheit den Mönchen von Bangor beizulegen sind, zeigen statt des metrischen einen rein rythmischen Charakter, obgleich sich ihre Formen, wie bei den oben
S. 555 betrachteten Hymnen, an Metra anschliessen und aus solchen erwachsen erscheinen, auch in einzelnen Fällen die Verse in der That metrisch sind; dagegen stellt sich hier schon der Reim vollständig durchgeführt ein. So findet sich ein alphabetischer Hymnus auf den heiligen Comgill, den ersten Abt des
622 Klosters, den Lehrer Columbans, in Versen, deren Rythmus dem ambrosianischen Metrum entspricht, in einreimigen Strophen von verschiedener Verszahl (meist acht, aber auch zehn und fünfzehn) gleich den altfranzösischen Tiraden, und mit einem Refrain von vier einreimigen Zeilen desselben Rythmus, von denen aber nach der ersten Strophe nur zwei allemal wiederholt werden. Noch sei bemerkt, dass in zwei Strophen A und D
alle Verse mit dem betreffenden Buchstaben beginnen. Ferner eine
Memoria abbatum nostrorum
, worin die Aebte von dem heiligen Comgill an bis auf Cronanus gefeiert werden, in sechs sechs- bis achtzeiligen einreimigen Strophen desselben Rythmus, mit einem Refrain von einem Reimpaar. Endlich die in der Form merkwürdigste und vielleicht älteste, zugleich poesievollste dieser Hymnen, die
Versiculi familiae Benchuir
, ein Loblied auf das Kloster Bangor in vierzeiligen Strophen von einem dem
Dimeter iambicus catalectus
, wie ihn Prudentius in einem seiner Cathemerinon angewandt (s. oben
S. 258), entsprechenden Rythmus und mit ganz durchgeführtem
überschlagenden weiblichen Reim, der allerdings zum Theil noch blosse Assonanz ist. Höchst beachtenswerth ist noch, wie in diesen Gedichten trotz dem Aufgeben des quantitativen Princips der Widerstreit zwischen Wort und Versaccent so gewöhnlich, im letzten Gedicht fast die Regel ist, natürlich von den Reimsilben abgesehen.
Um ein Beispiel zu geben, das zugleich eine hier gewöhnliche Verschleifung des i vor i zeigt:
Navís numquám turbáta Nuptiís quaqué paráta,
Quamvís fluctíbus tónsa Regí domíno spónsa.
Hält man (wie W. Meyer) solche Betonung für unmöglich, so berücksichtigt man den Vortrag im
Gesange nicht.