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Viertes Kapitel.

Dracontius.

Eine eigenthümliche und zum Theil echt poetische Behandlung der Schöpfungsgeschichte finden wir gegen die Neige des Jahrhunderts in einer grössern Dichtung eines afrikanischen Poeten enthalten wieder, von der sie den grössten Theil des ersten Buchs bildet, welcher wohl schon frühe, jedesfalls vor dem siebenten Jahrhundert unter dem Titel ›Hexaëmeron‹ selbständig edirt, das ganze Werk, selbst aus dem Gedächtniss der Menschen, verdrängte; ja in den zwei Handschriften, die uns jenes, dort De deo betitelt, überlieferten, ist dasselbe einem andern, dem Augustinus, beigelegt. Der Autor aber ist Blossius Aemilius Dracontius Dracontii carmina ex mss. Vatican. duplo auctiora iis quae adhuc prodierunt, recens. F. Arevalus. Rom 1791. 4°. (Prolegg.) – Carminis de deo quod Dracontius scripsit, liber II, e cod. Rhedig. emend. ac suppletus a C. E. Gläser. Breslau 1847. 4°. lib. III, ib. 1848 (Progr.). – Dracontii carmina minora plurima inedita ex cod. Neapol. ed. F. de Duhn. Leipzig 1873. – Dracontii carmina profana ed. Bährens in dessen Poetae lat. minores, Vol. V. Leipzig1883, p. 126 ff. – – Barwinski, Quaestiones ad Dracontium et Orestis tragoediam pertinentes. Pars I. De genere dicendi. Göttingen 1887 (Diss); Pars II. De rerum mythicarum tractatione. Gymnasial-Programm von Deutsch Crone. 1888., einer der interessantesten Dichter dieser Epoche, ein wahrer Poet, insofern seine christliche Dichtung mit seinem Leben auf das innigste verwebt erscheint. Ausser dem genannten grössern Werk besitzen wir von ihm noch eine 384 Elegie von 158 Distichen, welche auch im Geleite des Hexaëmeron publicirt wurde. Es ist dieselbe Satisfactio betitelt und an den Vandalenkönig Gunthamund, der von 484 bis 496 in Afrika regierte, gerichtet. Dieses Gedicht sowie einzelne Stellen des grössern Werkes geben uns über den Dichter interessante Aufschlüsse: sie werden noch erweitert durch eine Anzahl Profandichtungen, meist offenbar Jugendproducte, die unlängst von ihm entdeckt worden sind. Die Carmina profana sind theils Schularbeiten, wie die Versification der Fabel des Hylas, in dem Auditorium des Grammatikers Felicianus vorgetragen, oder aus der Rhetorenschule hervorgegangene versificirte Declamationen (eine Controversia und eine Deliberativa), welche nur als Zeugnisse für das Fortleben der überlieferten antiken Schulbildung in Afrika damals von Werth sind, zumal die Praefatio des erst erwähnten Gedichts auch beweist, dass selbst die Vandalen an dem grammatischen Unterricht in Verein mit den Romanen sich betheiligten. Auch zwei Hochzeitsgedichte finden sich da, das eine während der Gefangenschaft verfasst, welche eine seltsame Mischung des mythologischen Prunks und der wollüstigen Sinnlichkeit des antiken Epithalamiums mit christlichen Gesinnungen zeigen. Dazu kommen noch zwei erzählende Gedichte, von welchen das eine (655 Hexam.) den Raub der Helena, das andere (601 Hexam.) die Fabel von der Medea zum Gegenstand hat. Alle diese Gedichte des Dracontius – ebenso wie der schon früher veröffentlichte Orestes – haben für uns kein weiteres Interesse, namentlich schon um deswillen, weil sie, verschollen, ohne alle Wirkung auf das Mittelalter geblieben sind. Er stammte aus einer der vornehmen Possessoren-Familien Afrikas, die trotz der Eroberung des Landes im Besitze von Gütern geblieben war; einer dieses Namens war in den sechziger Jahren des vierten Jahrhunderts Vicarius dieser Provinz gewesen. Dracontius erhielt die grammatisch-rhetorische Bildung seines Standes und widmete sich der juristischen Laufbahn: wie es scheint, war er Anwalt bei dem Proconsulat Carthagos; er verheirathete sich und hatte zahlreiche Kinder. So bittet er Gott am Schlusse der grössern Dichtung, l. III, v. 690 f.:
        Sit mihi longa dies felici tramite vitae,
        Sit domus haec felix, felix numerosa propago.
So lebte Dracontius offenbar in den glücklichsten Verhältnissen, bis er den Zorn des Königs Gunthamund sich zuzog, der nicht nur ihn selbst auf das härteste, sondern auch seine Familie traf. Dracontius ward in den Kerker geworfen, mit Schlägen misshandelt Satisfact. v. 312. – in welcher grausamen Weise ja die Vandalen zu strafen pflegten – und seiner Güter 385 beraubt, so dass die Seinigen mit Noth zu kämpfen hatten. Sein Verbrechen aber hatte er durch eine Dichtung begangen: wie er selbst in der Satisfactio sagt, bestand seine Schuld darin, einen Fremden sogar als seinen Herrn besungen zu haben, statt des eigenen, vandalischen Fürstenhauses.         Culpa mihi fuerat dominos reticere modestos,
        ignotumque mihi scribere vel dominum.

v. 93 f. Dass es ein Gedicht war, zeigt v. 105:
        Te coram primum me carminis illius – – paenitet.
Seine Schuld war aber noch vergrössert worden durch den ›boshaften Mund‹ seines Angebers. 2. Epithalam. (Carm. min. VII.) v. 128 f.
Es war wohl der römische Kaiser: und die geheimen Beziehungen des romanischen Adels und der katholischen Geistlichkeit Afrikas zu Byzanz waren mit Recht den Vandalen verdächtig.

Dracontius hatte schon längere Zeit den Zorn des Königs erfahren, als er sein Reuegedicht verfasste. Er sagt darin zum König v. 120:
        Tempore tam longo non decet ira pium.
Der Dichter wendet sich in demselben zunächst an Gott, der die Herzen der Menschen lenkt; alles was sie thun, Gutes und Schlechtes, ist deshalb eine Folge der Gnade oder des Zorns Gottes. Wie Gott einst Pharaos Herz verhärtet, so liess er den Dichter, wegen seiner langen Sündhaftigkeit, das Unerlaubte begehen, dass er statt die triumphreichen Kriege der Asdingen zu erzählen, wovon er Lohn und Lob ernten konnte, gewisse Gefahren suchte (v. 21 ff.). Nur ein Sinnloser, getrieben vom himmlischen Zorne, vermochte das. Er erinnert an Nebucadnezar, dem nicht bloss der Sinn, sondern selbst die Gestalt durch Gottes Zorn verändert worden sei. Wie Gott aber diesen wiederherstellte, so möge er des Dichters Herrn befehlen, dass er es mit ihm thue. Er will dann sein, des Vaters und Grossvaters (Genserich) Lob singen. Auf der Welt ist das Gute und Böse gemischt: wie die Schlange den Tod und die Heilmittel in sich trägt, so nützt und schadet zugleich auch der Buchstabe (v. 64). Nachdem der Dichter dann Gott für seine Schuld, die er hier genauer bezeichnet (s. Anm. 1), um Verzeihung gebeten, wendet er sich darauf mit derselben Bitte an den König, der gegen ihn so gnädig, wie er gegen andere pflege, sein möge. (Und Gunthamund zeigte sich in der That, namentlich im Gegensatz zu seinem Vorgänger Hunerich, auch gegen die Katholiken, 386 d. h. zugleich die Romanen, sehr milde.) S. Dahn, Die Könige der Germanen I, S. 258. Dracontius rühmt insonderheit die Milde des Königs den gefangenen Feinden gegenüber. Er fordert ihn auf, Gott im Verzeihen nachzuahmen, um das Volk nicht Lügen zu strafen, das ihn Rex pius nenne. Die Gnade sei der wahre Ruhm der Fürsten, da sie ihnen allein gehöre. Gott belohne auch seine Milde, wie sich dies schon während seiner Regierung gezeigt. Hier gedenkt Dracontius einer Niederlage der Mauren in des Königs Abwesenheit, sodass er selbst kein Blut zu vergiessen brauchte. Hieran wird vermittelst der Verse: Quod pereunt hostes, regis fortuna vocatur – Quod pereunt populi, temporis ordo regit etc., eine lange, an dieser Stelle schwer begreifliche Episode über den Satz: ›Alles zu seiner Zeit‹ (v. 219 bis 264) eingeschaltet, eine triviale Paraphrase desselben, in Anknüpfung an den Prediger Salomonis. Der Dichter stellt dem König auch noch das Beispiel seines ›berühmten, waffenmächtigen‹ Vorfahren – des Genserich – vor Augen, der dem gelehrten Vincemalos mit den Worten verziehen habe: Nicht dem Menschen verzeihe ich, aber seine Zunge verdient es.

Das Reuegedicht hatte keinen Erfolg gehabt; Dracontius aber erhielt sich die Hoffnung auf die Gnade Gottes, die er nachzuahmen den König aufgefordert; in dieser Hoffnung sich zu bestärken, vielleicht auch um dem Könige das Vorbild Gottes in jener Beziehung wirkungsvoll vorzuführen, unternahm er es in dem grössern Werke Ich halte dies also für nach der Elegie abgefasst. Aus der Vergleichung der nicht wenigen übereinstimmenden Stellen beider Dichtungen lässt sich, so weit ich sehe, kein sicheres Urtheil in dieser Frage entnehmen. Zu meiner Ansicht bestimmen mich folgende Erwägungen: 1) es lässt sich erwarten, dass der Dichter die › Satisfactio‹, sobald als er konnte, verfasst haben wird; 2) das grössere Werk gibt, wie oben schon angedeutet, nur eine ausführliche Motivirung des Hauptsatzes, worauf die Elegie sich gründet, der Barmherzigkeit Gottes; 3) der Dichter geht darin zu der Drohung fort, dass Gott die Unterdrücker unterdrücke. Auch erscheint es mir einer poetischen Natur, wie sie in der That Dracontius besass, der in beiden Dichtungen von Herzen spricht, würdiger anzunehmen, dass er in dem grössern Werk Gedanken des kleinern ausgeführt, als dass er in diesem in solchen Fallen blosse Reminiscenzen aus jenem gegeben habe. Hierin bestärken mich auch Einzelheiten bei der Vergleichung, auf die ich, Weitläufigkeit zu vermeiden, einzugehen mir versage, um so mehr, als sie nur eine subjective Ueberzeugung zu gewähren im Stande sind., einer Dichtung in Hexametern von drei Büchern, die Gnade ( Pietas ) Gottes zu besingen. So steht auch dieses Werk zu seinem Autor in der innigsten Beziehung, 387 die allein auch seine ganze Anlage wie Ausführung erklärt, und ihm eine individuelle Wärme verleiht, in der der Reiz und die Originalität der Dichtung wesentlich beruhen. – Das erste Buch (754 V.) feiert vornehmlich, wie die Gnade Gottes sich in der Schöpfung der Welt offenbart hat. Der Eingang scheint durch die persönlichen Verhältnisse des Dichters bedingt worden zu sein. Die Natur, spricht er da aus, folgt nur dem Befehle Gottes. So kommt auch das Schlimme von ihm, aber Gott straft nicht, ohne vorher gedroht zu haben – hier gedenkt der Dichter u. a. der Prodigien. Nur wer in der Sünde verharrt, erfährt Gottes Zorn. Gott will das Menschengeschlecht erhalten, dem er den Erdkreis gegeben, welchen er in sechs Tagen schuf (v. 115) Und hierauf beginnt nun die Erzählung der Schöpfung, die Partie des Werkes, die unter dem Titel ›Hexaëmeron‹ selbständig edirt ward. Mit Begeisterung preist der Dichter das erste Werk Gottes, das Licht. Schön ruft er aus: Quanta spes mundi praemissa est principe luce! (v. 132). Beim dritten Schöpfungstag gibt Dracontius eine ausführlichere Schilderung des Paradieses, die anziehend schöne poetische Züge enthält         Sunt ibi sed placidi flatus, quos mollior aura
        Edidit exsurgens nitidis de fontibus horti.
        Arboribus movet illa comas, de flamine molli
        Frondibus impulsis immobilis umbra vagatur;
        Fluctuat omne nemus et nutant pendula poma.
v. 192 ff.
: wie überhaupt diese ganze Darstellung der Schöpfung durch Lebendigkeit, Farbenreichthum und Abwechslung sich auszeichnet. Besonders hervorgehoben sei die Schilderung der Vögel, die in bezeichnender malerischer Weise mit dem Verse beginnt: Exilit inde volans gens plumea laeta per auras (v. 240). Naturgetreu und schön auch: (Ales) Frondibus insidens vento cum fronde movetur. Nach der Schöpfung des Menschen schildert der Dichter, wie alsbald der Anblick der Welt in diesem das Bedürfniss der Gesellschaft, der Mittheilung erweckt. Manche andere eigene und hübsche Züge finden sich, wie z. B. die freudige Ueberraschung der Erzeltern über die nicht erwartete Wiederkehr der Sonne (v. 417 ff.). So auch die Bemerkung nach der Schöpfung der Eva:
        Somnus erat partus, conceptus semine nullo,
        Materiem sopita quies produxit amoris,
        Affectusque novos blandi genuere sopores.
v. 390 ff.
Das Leben jener im Paradiese ›nach der Thiere Art‹ und der 388 Sündenfall werden darauf noch dargestellt. Die Thorheit der Erzeltern, zu glauben sich vor Gott verbergen zu können, gibt dem Dichter zu einer Episode (v. 500 ff.) Anlass, worin er, nachdem er die Allwissenheit Gottes constatirt, ausführt, dass in manchen Fällen die Menschen selbst zukünftiges voraussehen, ja Thiere und leblose Wesen es anzeigen können. Der Tod, fährt er dann fort, den die Sünde in die Welt gebracht als ihre Strafe, ist zugleich dank der Milde Gottes ein Segen als Erlösung von den Leiden der Welt. Poena mori crudelis erat, sed vivere peius: ruft der unglückliche Dichter aus (v. 548). Ja, Gott, der dem Menschen trotz des Falles die Herrschaft der Erde lässt, und diese fortblühen und Frucht tragen, und ihn selbst sein Geschlecht fortpflanzen, will ihn sogar von der Strafe des Todes durch die Unsterblichkeit wieder erlösen. Für diese werden nun hier mannichfache Beweise, wie sie sich meist schon bei den ältesten Apologeten finden, namentlich solche, welche die Natur darbietet, vorgebracht (v. 625 ff.), und dabei auch des Phönix ausführlicher gedacht (v. 653 ff.). Hier wird auch die Sage vom Hirsch, der durch Fressen von Schlangen das Geweih sich erneut, v. 640 erwähnt. – In Betreff des Phönix vgl. auch die Medea des Dracontius, v. 104 ff. – Der Dichter endet das Buch mit einem Preise Gottes, seiner Allmacht und seiner Barmherzigkeit, der die Mächtigen hinstrecke, die Unterdrücker unterdrücke, und ein barmherziger Rächer ( pius ultor ) die Zerschlagenen aufrichte: ihn bittet er, sein Auge auf ihn zu wenden und ihn, den niedergeworfenen, ein wenig zu erheben, ihm beizustehen, da er bereue, auf dass er sein Lob in diesem Gedichte zu singen vermöge.

Das zweite Buch (etwas über 800 V.) In der Ausgabe von Gläser 813, der von Arévalo 808 V. Ich citire bei diesem und dem folgenden Buche nach Gläser. preist die Gnade Gottes, wie sie nach der Schöpfung in der Erhaltung der Welt Vgl. insonderheit v. 74, 97, 185., und namentlich durch die Sendung Christi, sich bewährt hat. Bei letzterer (v. 96 ff.) verweilt der Dichter am längsten, sie bildet den Kern des Buches, dessen Darstellung, oft eine sehr abspringende, eines festen Gedankenganges entbehrt. Der Dichter gedenkt in der Kürze der Wunder Christi (v. 115 ff.), dann der, welche Gott selbst in der Natur vollbringt, die ihn in ihren Elementen und Erscheinungen, wie 389 durch ihre Geschöpfe lobt, selbst durch die Schlange. Die Erwähnung der letztern führt den Autor auf den Tod, den der Mensch durch die Sünde verdiente, und damit auf dessen Sündhaftigkeit selbst. Der Mensch sei schlimmer als die todbringenden Thiere, die nur denen schaden, die sie angreifen. Und der Mensch wüthet gegen sein eigenes Geschlecht: Kriege zu Wasser und zu Lande, Bruder- und Kindermord; die eigene Mutter mordet, schlimmer als die Stiefmutter, das Kind selbst vor der Geburt; ja nicht einmal die Todten lässt man in Ruhe, indem man sie mit Beschwörungen heimsucht. – Dieser lange Excurs v. 234–335 ist als Spiegelbild der Zeit des Dichters von grösserm Interesse. – Der Mensch verdiente noch schlimmeres als den Tod, meint er dann. Er sei im Gegensatz zu der Natur, die Gott gehorcht, das Böse, des Verbrechens kühner Erfinder, aller und sein eigener Feind         Est homo grande malum, legis transgressor et audax
        Criminis inventor, scelerumque repertor et auctor – –
        – – inimicus et hostis
        Omnibus atque suus – –
v. 357 ff.
; ›ein frevelhaftes Geschlecht sind wir von der Geburt an ( scelerata propago Nascimur ), die nicht die Barmherzigkeit, noch der Zorn Gottes je zähmt.‹ Hier gedenkt der Dichter der Sündfluth, die ihm zu einer hübschen Schilderung die Gelegenheit bietet (v. 376 ff.), sowie des Untergangs von Sodom. Ohne die Sünde wäre die Welt ein Paradies, das der Dichter hier ausmalt. Der Fall der Engel entschuldigt nicht den Menschen. Trotz alle dem aber sandte Gottes Barmherzigkeit Christus. Sein Verrath, Tod, Höllenfahrt – und diese ausführlicher geschildert v. 531 ff. Poesievoll ist die Schilderung der Wirkung des Lichtes, das Christus begleitet. – Die Darstellung ist hier im Ausdruck antikisirend. – Auferstehung und das zukünftige Gericht, das er halten wird, werden erwähnt; dann Judas' Tod: so gross auch sein an Christus verübtes Verbrechen ist, er würde Verzeihung gefunden haben, wenn er sie gehofft hätte (v. 562). So ist die Barmherzigkeit Gottes, der auch die stumme Bitte erhört. Christus wäscht mit seinem Blut unsere Sünden ab: nur müssen wir glauben. Die Macht des Glaubens zeigt der Dichter dann vornehmlich an Abrahams Beispiel, indem er Isaacs Erzeugung erwähnt (v. 620 ff.). Mit einem allgemeinen Lob Gottes, namentlich seines Erbarmens (v. 687 ff.), worin freilich manche Wiederholungen sich 390 finden, hauptsächlich aus dem Ende des ersten Buchs, schliesst das zweite. Bezeichnend ist, dass vor allem der Gedanke wiederkehrt, dass Gott die Unterdrückten erhebt, die Stolzen niederwirft, wie denn zuletzt noch auf die Rettung der Juden aus der ägyptischen Knechtschaft und den Untergang des Pharao hingewiesen wird.

Das dritte Buch (gegen 700 V.) Bei Gläser 699, bei Arévalo 682. hebt wieder mit einem allgemeinen Lob Gottes an, namentlich seiner Güte, wie sie sich in dem Erntesegen offenbart. Hiermit wird der Egoismus der Menschen, die mit den Gaben Gottes Wucher treiben, contrastirt, und doch lieben diese Thoren durch ihren Geiz nicht sich, sondern ihre Erben, indem sie selbst nicht bloss das irdische, sondern auch das ewige Gut verlieren. Der Dichter gedenkt hier der Parabel vom reichen Manne und Lazarus (v. 54 ff.). Die Liebe zu Gott muss vielmehr dem Menschen über alles gehen. Ihr muss er alles opfern können: hiervon ist Abraham ein glänzendes Beispiel wieder; nur um dies der Welt zu geben, hatte Gott das Opfer Isaacs verlangt (v. 134 ff.). Auch andere zeigten, ›wie die sichere Hoffnung auf die Zukunft sie das gegenwärtige Leben herrlich verachten liess‹ (v. 169 f.). Hier wird der drei Männer im Ofen und des Daniel in der Löwengrube gedacht. Dabei erwähnt der Dichter die Thierkämpfe des Amphitheaters ausführlicher (v. 191 ff.) Was der Glaube vermag, zeigen auch die Wunder, welche Petrus vollbrachte. – Damit aber nicht ein Profaner, ›dem das heilige Gesetz Gottes verborgen‹, an solchen Thaten, namentlich der des Abraham, zweifle, weist der Dichter auf Heldenthaten des klassischen Alterthums hin von solchen, die sich oder die Ihrigen opferten, aus andern Motiven, vornehmlich des Ruhms (v. 251 ff.), wobei er aber den Selbstmord als Verbrechen bezeichnet. So werden hier Menoeceus, der Sohn des Creon, Codrus, Leonidas, die Brüder Philaeni Die Carthager, s. Valer. Maxim. V, c. 6., der ältere Brutus, Virginius, Manlius Torquatus, Scaevola, Curtius, Regulus, die Einwohner Sagunts vorgeführt, in einer Darstellung, die nicht durchaus des Sinnes für antike Grösse ermangelt. Auch solche Frauen gibt es, die das Kühnste vollbrachten, indem die Leidenschaft ihnen den Muth gab: Judith, Semiramis, Tomyris, Euadne, Dido, Lucretia sind hier die 391 Beispiele. Hierauf geht der Dichter wieder zum Lobe des einigen Gottes über, dem die unwissende Natur gehorche, dessen Gebote aber der Mensch, welcher was Recht, was Unrecht ist weiss, verachte. ›Ein frevelhaftes Geschlecht sind wir und verdienen kein Erbarmen, von welchen ich der erste, mehr noch als ein Sünder bin‹         Gens scelerata sumus, nil de pietate merentes,
        Quorum primus ego, plus quam peccator habendus.
(v. 565). Und hiermit beginnt denn der Autor sich jeder Schuld anzuklagen. Diese Uebertreibung scheint nur die Verzeihung Gottes ihm um so mehr sichern zu sollen. Er gedenkt dann seiner gegenwärtigen Lage, und wir sehen, dass er auch diese Dichtung noch im Gefängniss schrieb Vincla legant. v. 597.; hier erwähnt er, wie Sklaven, Clienten und Verwandte ihn verliessen. Gott möge sich des reuigen erbarmen, und ihm die Gunst seines Herrn zurückgeben, ihn wiederherstellen, wie einst die Todten durch die Weissagung des Hesekiel Hesek. c. 37. – welches Wunder der Dichter ausführlich beschreibt (v. 626 ff.). Glück und Ehre möchten ihm und seinem Hause zurückkehren, und dereinst das Paradies ihn aufnehmen. Diese Stelle zeigt recht, dass das Werk hier sein Ende fand: nicht etwa noch Bücher verloren gegangen sind. Sie erinnert an den Schluss der ›Hamartigenia‹, nur dass Prudentius bescheidener in seiner Bitte ist. Auch der Schluss dieses Buchs ist zum Theil nur eine Wiederholung des Schlusses des ersten. Die Idee des Buchs aber, die den Zusammenhang mit dem ganzen Werke vermittelt, ist die, dass die Gnade Gottes unsere unbegrenzte Liebe zu ihm verlangt, die in dem festen Glauben, dem sichern Vertrauen auf ihn sich bekundet, das eine Bürgschaft, wenn nicht des irdischen, doch des himmlischen Glückes ist.

So sucht der Dichter in seiner verzweifelten Lage sich durch das ganze Werk zu trösten, das erst durch die persönliche Beziehung zu ihm seine volle innere Einheit erhält. Durch die Mischung des subjectiven, lyrischen Elements, das am reinsten in den Eingängen und Schlüssen der Bücher in Apostrophen an die Gottheit hervortritt, mit dem der Erzählung und Didaktik empfängt das Werk einen ganz eigenthümlichen Charakter. Für solche Originalität musste aber dem grössern Publikum jener Zeiten das Verständniss und Interesse fehlen; auch lässt sich nicht leugnen, dass bei dem Charakter der Dichtung die 392 Uebersichtlichkeit der Darstellung, die sich leicht in Excurse und Episoden verliert, namentlich im zweiten Buche oft leidet, und andererseits die mitunter fast wörtlichen Wiederholungen in den Klagen und Bitten des Dichters ermüden: so erscheint es nur sehr natürlich, dass der die Schöpfungsgeschichte und den Sündenfall betreffende Abschnitt, allerdings auch mit dem ganz subjectiven Schluss, d. h. das ganze erste Buch von v. 116 an, wie bemerkt, auch allein publicirt wurde. Es war dies schon vor Isidor geschehen, der von Dracontius nur ein Hexaëmeron creationis mundi , im heroischen Versmass verfasst, kennt. De vir. illustr. c. 24: Dracontius composuit heroicis versibus Hexaëmeron creationis mundi, et luculenter quod composuit scripsit. Eine solche Ausgabe wurde von neuem veröffentlicht zugleich mit der › Satisfactio Dracontii Hexaëmeron ab Eugenio II, episc. toletano, emendatum eiusdemque elegia etc. denuo ed. ac notis illustr. J. B. Carpzov. Helmstadt 1794. durch den auch sonst, wie wir unten sehen werden, literarisch thätigen Bischof Eugen II. von Toledo in den vierziger Jahren des siebenten Jahrhunderts auf den Wunsch des Westgothenkönigs Chindaswinth (642–49), wie die Vorrede des Herausgebers selbst aussagt, und diese Ausgabe, in der beide Werke verstümmelt erscheinen, denn die Elegie wurde von Eugenius selbst nicht bloss einer ästhetischen, sondern auch einer theologischen, ja vielleicht auch einer politischen Censur und Correctur unterworfen Er weist darauf in der Vorrede selbst bin: Dracontii cuiusdam libellos, multis videns erroribus involutos – – subcorrexi: hoc videlicet moderamine custodito, quo superflua demerem, semiplena supplerem, fracta constabilirem et crebro repetita mutarem etc. Unter den libellos ist offenbar das Hexaëmeron und die Elegie gemeint, aber wie ein Vergleich mit der Arévalo'schen Ausgabe zeigt, trifft, wie dieser schon richtig bemerkt, das von Eugen Gesagte fast durchaus nur die Elegie; der Text des Hexaëmeron zeigt nur wenige und unbedeutendere Abweichungen, und abgesehen davon, dass dasselbe mit v. 116 des ersten Buchs erst beginnt, fehlen von letzterm nur vier Verse. In der Elegie aber hat Eugen nicht bloss viele Verse weggelassen, die meisten ohne Frage nur, weil sie ihm › superflui‹ erschienen, einige aber, wie die auf die vandalischen Könige bezüglichen, entweder aus politischer Rücksicht, wie Arévalo meint, da dem katholischen Westgothenkönige das Lob der arianischen Vandalen, einst der Gegner seines Volkes, nicht gefallen konnte, oder weil sie Eugen nicht verstand: er hat sogar seinem bischöflichen Gewissen anstössige Stellen geändert und dabei einzelne Verse selbst hinzugefügt, wie dies Arévalo (Prolegg. p. 92 f.) gut nachgewiesen., erhielt allein, wie es scheint, eine 393 weitere Verbreitung, so dass in ihr vorzugsweise die Werke auch der Neuzeit überliefert wurden. Dies ist mit der von Sirmond zuerst herausgegebenen Elegie sicher der Fall gewesen. Was das Hexaëmeron dagegen angeht, so ist es annoch fraglich, ob der erste von Morel besorgte Druck desselben, dem alle andern vor Sirmond folgen (s. Arévalo, Prolegg. p. 46), auf die Edition des Eugenius sich gründet, die dann in einem unvollständigen Manuscript vorgelegen, oder auf eine andere handschriftliche Ueberlieferung. Erst Arévalo's Ausgabe stellte sie nach Entdeckung der Vaticanischen Handschrift wieder her.

 


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