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Zwölftes Kapitel.

Ennodius.

Als ein merkwürdiger Repräsentant des Vereins beider Richtungen der Literatur, der alt überlieferten heidnisch-profanen und der neu ersprossten christlichen, erscheint am Ende dieser Epoche ein Autor, der zugleich Rhetor und Bischof, Prosaiker und Poet war. Er schliesst sich an Sidonius an, nur dass das christliche Element in seiner literarischen Thätigkeit weit mehr vertreten ist. Es ist Magnus Felix Ennodius Magni Ennodii episcopi Ticinensis opera I. Sirmondus in ordinem digesta multisque locis aucta emendavit ac notis illustr. Paris 1611. – * Magni Felicis Ennodii opera omnia rec. Hartel. Wien 1882 ( Corpus script. eccl. Vol. VI.) – * M. Fel. Ennodi opera rec. Vogel. Berlin 1885. ( Monum. German. hist. Auct. antiquiss. Tom. VII.) (Prolegg.) – – Fertig, Magnus Felix Ennodius und seine Zeit. Passau 1855. 4°. (2 Abhandlungen). – Magani, Ennodio. 3 Voll. Pavia 1886., 433 der auch wie jener aus dem südlichen Gallien, wahrscheinlich von Arles, stammte, und um 473 geboren war. Von vornehmer Familie, aber unvermögend, fand er nach dem frühen Tod der Eltern, in Oberitalien, wahrscheinlich in Pavia bei einer Tante, dann nach deren Tode in einem reichen und frommen Hause eine Zuflucht, wo er in der Tochter eine Frau gewann, und so allen Sorgen entrissen wurde. Hier trat er, der eine rein heidnische Bildung erhalten und eine grosse Gelehrsamkeit sich erworben hatte, auch zuerst dem Christenthum näher, wenn dasselbe ihn auch noch nicht tief ergriff, denn er lebte nicht christlich, wie er selbst sich in seinen Bekenntnissen anklagt. Durch Schicksale genöthigt, trat er zu Pavia in den Priesterstand: aber erst eine schwere Krankheit, die ihn dem Tode nahe brachte, rief eine innere Umwandlung in ihm hervor. Er gelobte damals sogar, der Profanliteratur ganz entsagen zu wollen. Als er genesen – wie er glaubt, durch die Fürsprache des heil. Victor – schrieb er, Gott dafür zu preisen, die Beichte über sein früheres Leben Von Sirmond › Eucharisticum de vita sua‹ betitelt. nieder, welcher wir diese Angaben verdanken. Augustins Confessionen hat er in ihr, so kurz und skizzenhaft sie auch gegen diese ist, offenbar sich zum Vorbild genommen. Von dem übrigen Leben des Ennodius haben wir keine so zusammenhängende Nachricht. Nachdem er dem geistlichen Stande mit Eifer sich gewidmet, stieg er, der Diakon geworden Ob in Pavia oder in Mailand, wo er jedenfalls längere Zeit sich aufhielt? In dem Streit über diese Frage, in welcher Vogel (Prolegg. p. X) die letztere, Magani (a. a. O. Bd. I, S. 252) die erstere Meinung vertritt, ist, soviel ich sehe, die von mir schon in der ersten Auflage S. 415, Anm. 2 (s. hier S. 435, Anm. 2) hervorgehobene Stelle der Hymne auf Ambrosius gar nicht berücksichtigt worden. Die Frage harrt um so mehr noch der Entscheidung, als beide genannte Autoren zu wenig unbefangen ihr gegenübertraten, da sie in zu naher Beziehung zu andern wichtigern Fragen steht, in welchen sie ganz entgegengesetzter Ansicht sind. Die Entscheidung derselben gehört aber vor das Forum der Kirchengeschichte, dem ich sie überlassen muss., gewiss wesentlich in Folge seiner von den Zeitgenossen bewunderten rhetorischen Bildung, welche er und 434 andere praktisch sehr wohl zu verwerthen wussten, bis zur Stufe eines Bischofs, und zwar von Pavia, empor (511). Ein Zeugniss für sein Ansehen in der Kirche ist, dass er von dem Papst Hormisdas zweimal als Gesandter an den Kaiser Anastasius nach Constantinopel geschickt wurde, um eine Aussöhnung mit der morgenländischen Kirche zu erzielen, freilich resultatlos. Er starb 521.

Ennodius erzählt uns selbst in der autobiographischen Skizze, wie er in seiner Jugend sich ganz der Poesie, d. h., auch nach seiner eignen Ausdrucksweise – – poëtarum me gregi – – indideram, delectabant carmina quadratis fabricata particulis, et ordinata pedum varietate solidata. Die Mannichfaltigkeit der Metren galt für den Hauptschmuck, so besteht denn auch das Epithalamium des Ennodius aus Distichen, Hexametern und sapphischen Strophen, woran sich noch zwölf adonische Verse schliessen., der Versfabrication hingab, und sich darauf wunderbar viel einbildete: die Form war dabei alles. Indessen hat sich verhältnissmässig wenig von seinen Versen erhalten, und das meiste wenigstens aus späterer Zeit. Es sind zwei Bücher Carmina , von denen das zweite nur Epigramme umfasst. Das erste enthält neun Gedichte, meist reine Gelegenheitspoesien, so ein Hochzeitsgedicht, ein für den Grammatiker Deuterius verfasstes Carmen in Distichen, worin dieser einen Quästor um einen Garten bittet, also ein versificirter Bettelbrief; ein Empfehlungsschreiben, mehrere panegyrische Gedichte (mit Vorreden in Prosa), wovon eins einen Dichter, ein anderes einen Redner preist, ein drittes zur Feier des dreissigjährigen Jubiläums des Priesterthums des Bischofs Epiphanius von Pavia verfasst ist, endlich auch ein paar beschreibende. Die letzten sind stofflich noch am interessantesten. Das eine, in Distichen, schildert eine Reise nach Bregantio in den Cottischen Alpen, die Ennodius im Auftrag seines Bischofs unternahm, und wobei er die Sommerhitze der Ebene und die Winterkälte des Gebirges zugleich zu ertragen hatte, das andere, in Hexametern, eine Fahrt auf dem übergetretenen Po, der weitaus das Land überschwemmte. Nur eins der Gedichte hat durch seinen Gegenstand einen specifisch geistlichen Charakter, es ist ein Glückwunsch, zur Feier des dreissigsten Jahrestags der Priesterweihe des Bischofs Epiphanius verfasst, also ein geistlicher Panegyricus. Alle diese Gedichte, im Ausdruck bald schwülstig, bald 435 trivial, oder auch beides zugleich So heisst es im Eingang des Itinerarium Padi:
        Umor Castalius veniat, quo Thracius Orpheus
        Naufraga diffuso succendit pectora fluxu.
, sind ohne jede wahre Inspiration der Phantasie oder des Gemüths geschrieben. Bemerkenswerth ist, dass die antike Mythologie, wo sie in ihnen erscheint, schon so zur blossen poetischen Formel oder Kunstmittel geworden ist, dass selbst in dem zuletzt genannten priesterlichen Glückwunsch Orpheus citirt wird, und in dem Hochzeitsgedicht unser Verfasser, der schon Diakon war und sich der Askese geweiht hatte, sich nicht scheut, die Venus nackt vorzuführen, und Amor gegen die Jungfräulichkeit, die ihre Herrschaft immer bedrohlicher erweitere, polemisiren zu lassen.

Auch in den 151 Epigrammen, die das zweite Buch bilden, begegnen wir einer seltsamen Mischung von Geistlichem und Profanem. So finden sich da nicht wenige christliche Epitaphien – in welchen auch einmal der Parcen gedacht wird (ep. 2) – Gedichte auf kirchliche Bauten, Basiliken und Baptisterien, auf Bischöfe und Heilige, aber andererseits auch schmutzige Satiren im Geiste Martials gegen Eunuchen und Schandbuben ( De adultero et molle , ep. 51 ff.) und wollüstige alte Weiber, oder auch ein Halbdutzend auf die Liebe der Pasiphaë (ep. 25, 29 ff., 103), zu welchen eine Abbildung auf einer Trinkschale den Anlass gab. – Und solcher Profanpoesie gegenüber noch zwölf Hymnen! Sie finden sich nur in der ältesten Handschrift seiner Werke. Für die Autorschaft des Ennodius spricht aber nicht bloss der von Sirmond, und mit Recht, angeführte Grund: stylo et genio auctorem satis produnt Ennodium , sondern auch, dass auf eine Abfassung solcher Gedichte Ennodius selbst am Schlusse des Carm. VI hinweist ( Cantem quae solitus, dum plebem pasceret ore, – Ambrosius vates carmina pulchra loqui), und wenn Ennodius dem Mailändischen Klerus angehörte v. 24 des Hymnus auf Ambrosius (Carm. XV): Sedis memento, lux, tuae. – Kirchenlieder scheinen aber diese Hymnen nicht geworden zu sein, wie auch Daniel (l. l. I, p. 150, Anm.) sie in keinem Breviarium fand. Eine derselben ist in sapphischer Strophe, die andern alle im iambischen Dimeter. Auch in ihnen glüht kein Funke wahren dichterischen Feuers; so schwülstig die Carmina, so trocken sind oft diese Hymnen: wo der Rhetor die gemachten Blumen verschmähte, kommt die dürre Prosa im Ausdruck zu Tage. Einige davon schliessen sich noch an die Hymnendichtung des Ambrosius an, wie denn auch fast alle in iambischen 436 Dimetern verfasst sind, nur dass die Verse oft nicht zu Strophen sich verbinden; eine ganze Anzahl aber sind Märtyrern und Heiligen gewidmet: dem Cyprian, Stephan, Ambrosius, Nazarius, Martin und Dionysius (der unter Constantius lebte), der Jungfrau und der heil. Euphemia.

Der Schwerpunkt der literarischen Production des Ennodius liegt aber in der Prosa, wie er denn selbst die Beredsamkeit offenbar über die Poesie stellte, und sich ihr, auch wenn er sie nicht gelehrt, gewidmet hatte. Wir besitzen denn auch von ihm noch eine ganze Reihe Dictiones , theils Werke der überlieferten Schulberedsamkeit, theils der geistlichen. Die erstern machen eine Lehrthätigkeit des Ennodius als Rhetor sehr wahrscheinlich: namentlich die zehn controversiae und die fünf ethicae oder suasoriae , die so ganz in der alten traditionellen Form gehalten sind, dass nicht nur die Themata dort aus der heidnischen Vergangenheit Roms und hier aus der Mythologie entlehnt sind So findet sich unter den controvers.: In eum qui praemii nomine Vestalis virginis nuptias postulavit; auch eine In tyrannum , ein früher so beliebtes Thema, fehlt nicht; – die ethicae zeigen solche Themata wie: Verba Menelai cum Troiam videret exustam oder Verba Iunonis cum Antaeum videret parem viribus Herculis extitisse., sondern auch die Götter selbst noch vom Redner angerufen werden. Dazu kommen noch Schulreden in einem andern Sinne, bei der Einführung von Verwandten in die Schule eines Grammatikers, bei der Verlegung eines Auditorium in Rom u. s. w. Gegenüber diesen heidnisch-profanen Leistungen des Rhetors stehen die geistlichen Gelegenheitssermone des Priesters, von denen einzelne auch, wie die Dictio incipientis episcopi , blosse Musterstücke sind: hier sehen wir also den profanen Rhetor in einen Lehrer geistlicher Beredsamkeit umgewandelt. Diese an die Urkunden und Briefformulare erinnernden Producte mögen in den nächsten Jahrhunderten wissenschaftlicher Finsterniss manchem gute Dienste geleistet haben, zumal sie sich durch ihre Kürze empfahlen. Alle diese Dictiones zeichnen sich durch Einfachheit der Periodisirung aus, nur führt die Kürze mitunter zur Unklarheit; diese wird für uns, nicht für jene Zeit, dadurch nicht selten vermehrt, dass die Wahl des Ausdrucks sich schon so weit von der klassischen und selbst der silbernen Latinität entfernt. Wichtiger, und namentlich von historischer Bedeutung, 437 auch weit umfänglicher als diese Producte seiner Beredsamkeit sind sein Panegyricus auf Theoderich und seine Apologie der römischen Synode, die den Papst Symmachus freisprach. Der Panegyricus wurde auch in Veranlassung der Parteinahme des Gothenkönigs für diesen Papst, gleichsam als Danksagung dafür, wie schon Fertig richtig bemerkte, verfasst, zwischen den Jahren 504 und 508. S. über diese Schrift auch Cipolla, Della occasione in cui Ennodio compose il suo panegirico a Re Teodorico, in: Archivio stor. ital. Ser. 4. Tom. XI, 1883, p. 353 ff. Diese Lobrede ist offenbar mit besonderer Sorgfalt von unserm geistlichen Rhetor ausgearbeitet worden, und sie kann daher recht zum Massstab für den Geschmack jener Zeit wie die Befähigung des Ennodius selbst dienen. Wie in den Panegyrici in Versen, wiegt auch hier das malerische Element in der Darstellung vor Recht bezeichnend ist der Ausdruck picta verba, den als synonym mit dicendi ornamenta Ennodius im Eingang der Apologie dem letztern zur Seite stellt. Er spricht ebenda auch von einer loquela, quae peniculo artis est colorata.; nicht bloss finden sich sehr ausgeführte Schilderungen von Gefechten und Heerzügen, sondern es wird auch die Würze des Ausdrucks in bildlicher, metaphorischer Redeweise gesucht, wobei denn oft mit einer sehr geschmacklosen Kühnheit verfahren wird, wie wir ihr kaum in der neuesten Literatur begegnen Ein paar Beispiele: Nimis velociter tempus maturae laudis adripui; et quasi non in primordiis fluvius etiam torrentis fatiscat ingenii, sic per narrationis famem fruges perfectae aetatis invasi. – – Adhuc in cano flore degebas adulescentiae, nec virtutum messem lacteus ante experimentum culmus attulerat – – et evisceratas diuturna quiete mentes occasionis pabulo subiugavit. – – Serranum scipionibus aratra pepererunt., die sich in der Beziehung doch Freiheit genug nimmt. Andererseits ist nicht zu leugnen, dass dieser Panegyricus auch von wirklicher oratorischer Begabung zeugt Um nur ein kleines Beispiel zu geben: Instantibus Gepidis, amne, pestilentia, iter quod declinasset fugiens, contra nudatos vagina gladios transvolasti., und scharfsinnige Bemerkungen sowie treffende Sentenzen mit glücklichem Erfolg hier und da sich eingestreut finden. – Die Apologie aber ist zur Widerlegung einer bestimmten Flugschrift verfasst, welche unter dem Titel Adversus synodum absolutionis incongruae erschienen war, indem unser Autor derselben zunächst Satz für Satz folgt, um 438 die Behauptungen der Gegner zurückzuweisen. Seine Darstellung scheint mitunter auf Tertullians Apologeticum als ihr Vorbild hinzudeuten.

Auch von geschichtlichem Interesse sind zwei Biographien von Heiligen, die Ennodius geschrieben hat, von denen die eine das Leben eines Vorgängers auf dem Bischofsitze von Ticinum, des einst ihm befreundeten heil. Epiphanius († 496), behandelt, der auch mehrmals in die politischen Verhältnisse Italiens in bedeutender Weise einzugreifen berufen war. Und gerade diese geschichtlich wichtigen Handlungen desselben sind mit besonderer Ausführlichkeit von Ennodius dargestellt, sodass die Lebensbeschreibung stofflich keinen geringen historischen Werth hat. Auch ist die Erzählung fliessend, und der Ausdruck, mindestens im allgemeinen, weniger gesucht und prätentiös als in dem Panegyricus; indessen hat Ennodius seinen rhetorischen Neigungen hier durch Einflechtung mancher, und selbst längerer Reden der Handelnden, nach dem Vorgang der alten Historiker, genuggethan: denn diese Reden sind zum grössten Theil, zumal in der Form, nur rhetorische Kunstproducte unsers Autors. Viel kürzer als diese Biographie ist die andere, das Leben des lerinensischen Mönchs Antonius. Sie hat auch einen andern Charakter. Während das erste Werk die Lebensbeschreibung einer nicht unbedeutenden geschichtlichen Persönlichkeit ist, ist dies ein blosses Heiligenleben, das der Autor auch nur auf den Wunsch eines andern, eines Abtes Leontius, verfasst hat. Bot sich dort stoffliche Mannichfaltigkeit dar, so hier stoffliche Armuth. Antonius, von angesehener Familie, aus Pannonien gebürtig, wird nach dem frühen Tode der Eltern von dem heil. Severin erzogen; nachdem dieser gestorben, kommt er später in Folge der Stürme der Völkerwanderung nach Italien, wo er sich in der Nähe des Comersees auf einen unzugänglichen Berg als Einsiedler zurückzieht; als aber der Ruf seiner Heiligkeit fromme Pilger ihm zahlreich zuführt, begibt er sich, um vor dem Hochmuth sich zu schützen, nach dem damals so berühmten Kloster Lerinum. Dies einfache Leben, das kaum eine Wundergeschichte schmückt, hat unser Autor nun rhetorisch aufgeputzt, und so, möchte man sagen, hier einen christlichen Panegyricus in Prosa geschrieben, indem er den Stoffmangel, nicht etwa durch ideale Vertiefung, sondern durch die Künste des Stils zu ersetzen suchte. Und so 439 ist denn der Ausdruck hier wieder oft so schwülstig und gesucht wie möglich. Man höre nur, wie ein simpler Mord hier ausgedrückt wird: Iste animam Dei manibus concessam per elisi fragmenta gutturis effugavit.

Noch ist ein didaktisches Werkchen des Ennodius anzuführen, und in der That aus kulturgeschichtlichem Interesse erwähnenswerth. Es ist die kurze Paraenesis didascalica , wie Sirmond dies Werkchen betitelt hat, die Ennodius auf Bitten von zwei jungen Freunden, Ambrosius und Beatus, gleichsam als Wegweiser zur rechten Ausbildung der Jugend verfasste, und zwar in Prosa und Versen, eine Mischung, die dem gesunkenen Geschmacke besonders zusagte. Nach Usener, Anecdoton Holderi. Ein Beitrag zur Geschichte Roms in ostgothischer Zeit. Leipzig 1877. S. 6, zwischen 505 und 509. Die Liebe Gottes und des Nächsten stellt er an die Spitze seiner Unterweisung, dann fordert er die Beobachtung der drei Tugenden, Verecundia, Fides und Castitas, die er selbst redend in Versen (Distichen, Hexameter und sapphische Strophen) einführt, nachdem er in Prosa die eigene Ermahnung gesprochen. Die göttlichen Güter sollen aber durch die liberalen Studien einen Schmuck erhalten, und so wird denn zuerst die Grammatik empfohlen, welche für die Rhetorik schult; letztere ist die Krone der Wissenschaften, gleichsam die Mutter ( quasi genetrix ) der Poetik, Jurisprudenz, Dialektik und Arithmetik, die erst durch ihre Versicherung von Werth sind. Wie der Autor es die Rhetorik selbst sagen lässt, – denn sie auch wie die Grammatik werden redend eingeführt – vermag sie nach Belieben den schneeweiss Reinen zum schwarzen Verbrecher, und den Schuldigen zum Unschuldigen durch ihren Mund zu machen – man sieht, es ist die von der griechischen Sophistik herstammende Redekunst – ›wer unsern Studien dient‹, ruft sie am Schluss aus, ›der befiehlt dem Erdkreis‹. Zuletzt gedenkt der Autor noch einiger ausgezeichneten Rhetoren Roms, bei welchen die Jünglinge dort sich bilden könnten, und empfiehlt ihnen auch das Haus einer ebenso frommen als geistreichen Dame; wie wir denn auch sonst Zeugnisse von der Rolle, welche Frauen auch damals in der Gesellschaft spielten, bei Ennodius finden. – So bezeichnend die kleine Schrift in ihrer ganzen Anlage, wie wir sie hier darlegten, für jene Zeit ist, so unbedeutend ist sie in der Ausführung im einzelnen, und zeigt damit recht sowohl die 440 Oberflächlichkeit der Bildung des Ennodius als die geringe Tiefe seines Geistes.

Endlich besitzen wir von ihm auch eine Briefsammlung, die umfänglich genug – denn es sind neun Bücher –, aber bei weitem nicht von gleichem Interesse als die seines Geistesverwandten Sidonius ist. Zwar sind es wohl alle Briefe im eigentlichen Sinne des Wortes, Schreiben, die zunächst nur für den Adressaten bestimmt waren, und insofern haben sie einen eigenthümlichen geschichtlichen Werth; aber dies schliesst nicht aus, dass manche für den Verfasser doch nur rhetorische Exercitien waren, wozu er auch den unbedeutendsten Anlass begierig ergriff; ja in allen dominirt die Phrase so entschieden, dass der Inhaltskern unter ihrer weitläufigen Schale oft ein sehr unbedeutender ist; sehr viele der Briefe sind auch nur ganz kurze Billets. Trotzdem liefert die Sammlung im ganzen manches Material für ein detaillirtes Bild der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Kultur jener Zeit, sowie für das Porträt des Verfassers.

 


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