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Noch auf einem andern Felde historischer Darstellung war, wie wir schon früher fanden, das Beispiel des Hieronymus von grossem Einfluss gewesen. Ich meine das Heiligenleben. 450 Wir sahen, wie noch in der vorigen Periode nach Hieronymus so bedeutende Schriftsteller als Rufin und Sulpicius Severus auf diesem Feld der asketischen Biographie Werke verfassten, die eine grosse Wirkung nicht bloss auf die Zeitgenossen, sondern auch auf das spätere Mittelalter, ja selbst noch weiter hin übten. Dieser Zweig der Literatur wurde schon damals einer der beliebtesten und populärsten, und sicher gar viel gepflegt, und zwar auch von solchen, die keine Schriftsteller waren; die Grundwerke von manchen der spätern Heiligenleben werden in diese Epoche fallen, so schwer dies auch im einzelnen Falle nachzuweisen sein mag. Sicher datirte und in ihrer ursprünglichen Gestalt haben sich aber meines Wissens nur wenige aus diesem Zeitalter erhalten. Sie zeigen in der Ausführung einen sehr verschiedenen Charakter. Namentlich zwei Hauptklassen lassen sich unterscheiden. Die einen sind Werke der Rhetorik, die sich an die heidnischen Panegyrici mehr oder weniger anschliessen, zum Theil selbst Reden, zur Feier des Heiligen gehalten, in welchem Falle sie der Form nach in das Gebiet der kirchlichen Beredsamkeit gehören; die andern dagegen sind erzählende Berichte, die vor allem die Thatsachen, namentlich die Wunder der Heiligen, durch Aufzeichnung der Nachwelt sichern wollen; die Thatsachen selbst sollen hier das Lob des Heiligen und seiner durch die Reliquien auch über das Grab hinausgehenden Wirksamkeit verkünden. Das sind die populären Erzählungen, die im Ausdruck ebenso schlicht als jene rhetorischen Kunstwerke überladen und schwülstig sind. Es versteht sich aber, dass die beiden Hauptklassen auch in einander übergehen: wir wissen z. B., dass man einfache Berichte, gleichsam als Rohmaterial, Stilkünstlern zusandte, um sie rhetorisch aufzuputzen (s. unten S. 453), wie andererseits auch Rhetoren auf die Sammlung und Sichtung der Thatsachen nicht minder Gewicht legen: so Ennodius in seinem Leben des Epiphanius.
Gehören seine Vitae, die wir oben schon betrachteten, trotzdem der ersten Klasse an, so nicht weniger das früher mit Unrecht dem Honoratus von Marseille beigelegte Leben des heiligen Hilarius von Arles Hilarii Arel. vita et quod superest opusculorum eiusdem in: Leonis M. opera ed. Paschasius Quesnellius. Paris 1675. 4. Ende des Tom. I. Und in der auf Grund der Quesnellischen verbesserten Ballerinischen Ausgabe (s. weiter unten bei Leo) Ende des zweiten Bandes., das wohl Ende des fünften 451 Jahrhunderts In dem Eulogium des Heiligen im letzten Capitel heisst es: Tot annorum spatiis evolutis, in tuorum filiorum renasci non cessas honoribus atque reparari. Hilarius starb aber um die Mitte des Jahrhunderts., also von einem Zeitgenossen des Ennodius, verfasst ist. Es ist derselbe blumen- und bilderreiche schwülstige Ausdruck als bei diesem, und man bemerkt darin leicht gewisse bildliche Lieblingsphrasen der Kanzelberedsamkeit jener Zeit So heisst es von der Bekehrung des Hilarius durch den heil. Honoratus: in corde praeclari cespitis sanctum semen aratro fidei percolendum iaciebat peritus agricola, quod orationum perennibus donis et lacrimarum fluentibus rivis irrigabat. c. 2. Namentlich wird c. 11 die Beredsamkeit des Hilarius schwülstig gerühmt; Perlen, Gold und Silber müssen zugleich dazu herhalten; aber besonders bemerkenswerth ist dort folgende Stelle: Si peritorum turba defuisset, simplici sermone rusticorum corda nutriebat, at ubi instructos supervenisse vidisset, sermone ac vultu pariter in quadam gratia insolita excitabatur, se ipso clarior apparebat, sodass selbst die berühmten Redner seiner Zeit von Staunen ergriffen worden wären. Man hatte also eine doppelte Kanzelberedsamkeit, eine für das Volk, die andere für die rhetorisch Gebildeten. Die letztere musste zugleich die Genüsse der heidnischen Beredsamkeit jetzt ersetzen.; auch die von dem Autor gemachten eingewebten Reden fehlen nicht (s. c. 2 und 3), wie bei Ennodius. Von Hilarius selbst besitzen wir eine Vita seines Vorgängers auf dem Bischofsstuhl von Arles, des heil. Honoratus, desselben, der ihn für ein geistliches Leben überhaupt erst gewonnen hatte. Diese Vita ist nun in der Form einer Predigt, die am Todestag des Heiligen, wahrscheinlich bei Gelegenheit der ersten Feier desselben 430, gehalten wurde, gegeben. Hier ist natürlich der oratorische Charakter vollkommen gerechtfertigt; der Autor will vielmehr betrachten, als erzählen: darf er doch das meiste aus der Lebensgeschichte des vor kurzem Verstorbenen bei seinem Publikum, der Gemeinde, der jener so lange vorgestanden, als bekannt voraussetzen. Hilarius sagt selbst an einer Stelle (c. 6), dass er alles mehr kurz berühre als erzähle: das Leben des Heiligen ist ein geistlicher Panegyricus des Hilarius, die Gemeinde zu erbauen und zur Nacheiferung anzuregen. Dass der Autor selbst zu seinem Helden in einer so innigen Beziehung stand, der er auch mit dankbar bewegtem Herzen gedenkt (c. 5), gibt seiner Rede natürlichen Schwung und Wärme. Seine Beredsamkeit unterscheidet sich sehr vortheilhaft von der eines Ennodius. Nicht bloss ist hier Wahrheit der Empfindung und ein freier Erguss eines vollen Herzens, sondern der Ausdruck zeichnet sich auch 452 durch eine verhältnissmässige Reinheit der Sprache und Ungekünsteltheit des Stiles aus, die recht den grossen Unterschied zwischen dieser und der folgenden Epoche in Bezug auf die klassische Bildung zeigt. Diese Arbeit lässt wohl erkennen, dass die Lobsprüche, welche die Zeitgenossen der Beredsamkeit dieses gallischen Bischofs zollten, in der That gut begründet waren. Als von allgemeinerem Interesse sei noch hier bezeichnet, was c. 3 von dem Klosterleben auf der Insel Lerina und dem Einfluss der Askese dort auf die Barbaren bemerkt wird. – Hilarius hat sich übrigens auch als Dichter versucht, indem in seinem oben erwähnten Leben unter seinen Werken auch versus fontis ardentis aufgeführt werden, von ihnen sind nur 4 Hexameter durch Gregor von Tours in dessen Buch De cursu stellarum c. 14 aufbewahrt, die sich auf die Quelle von Grenoble beziehen.
Wenigstens ein treffliches Beispiel der zweiten Klasse der Heiligenleben besitzen wir aus dieser Epoche in dem 511 verfassten Gemäss dem Eingang der Epistula Eugippii ad Paschasium: ›Ante hoc ferme biennium, consulatu scilicet Importuni‹. Leben des Severinus von dem Presbyter Eugippius Ueber die verschiedenen Formen des Namens s. Büdinger am unten a. O. S. 5 und Arndt im Literar. Centralbl. 1878, S. 388 und 1879, S. 1622., seinem Schüler. Acta Sanctorum Ian. I. – Eugippii Vita s. Severini rec. Sauppe. Berlin 1677 ( Mon. Germ. hist. Auct. antiquiss. Tom. I, Pars posterior). – Eugippii Vita s. Severini rec. Knoell. Wien 1886 ( Corp. scr. eccl. lat. Vol. IX). – – Rettberg, Kirchengeschichte Deutschlands. Göttingen 1846. Bd. I, S. 226 ff. – Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. 5. Aufl. Berlin 1885. Bd. I, S. 43 ff. – Büdinger, Eugipius, eine Untersuchung. Wien 1878. (Aus den Sitzungsber. der Wiener Akad. der Wissensch. phil.hist. Cl. Bd. XCI). – Knöll, Das Handschriftenverhältniss der Vita s. Severini, in: Sitzungsber. d. Wiener Akad. d. Wissensch. phil.hist. Cl. Bd. XCV. Die Anregung zur Abfassung der Vita empfing dieser durch den Beifall, den das Leben eines Mönches Bassus fand, welches ein edler Laie damals geschrieben: Severins Wunder, meinte Eugippius, dürften auch nicht verborgen bleiben. Jener Laie war zur Ausführung der Arbeit selbst bereit, wenn nur Eugippius ihm das Material liefern wollte, und so setzte dieser seine Denkschrift ( Commemoratorium ) von dem Leben des Heiligen auf, die er aus der täglichen Erzählung der ältern Klosterbrüder und aus dem, was er selbst erfahren, schöpfte. Aber nachher mochte er nun diese Aufzeichnungen nicht einem Laien zur Bearbeitung überlassen, der vielleicht in solchem Stile das Leben schriebe, dass die Ungelehrten es 453 zu verstehen Mühe hätten; er forderte daher einen gelehrten Diakon Paschasius Ueber ihn s. Büdinger, a. a. O. S. 17 ff. dazu auf, in einem Schreiben, dem wir die obigen Angaben entnahmen. Dieser aber lehnte in seiner uns auch erhaltenen Antwort die Aufforderung ab, da die Beredsamkeit der Gelehrten dem Commemoratorium nichts hinzufügen könne: gerade die Einfachheit und Leichtverständlichkeit der Rede des Eugippius findet er zu rühmen. Direxisti commemoratorium, cui nihil possit adicere facundia peritorum – – Et ideo quia tu haec, quae a me narranda poscebas, elocutus es simplicius, explicasti facilius – –
Wenn wir nun von der Schrift selbst Kenntniss nehmen, so beginnt sie mit dem Auftreten des Heiligen, der aus dem Orient kam Von seinem Vaterlande und seiner Herkunft wird hier nichts erwähnt, weil, wie wir aus der › Epist. ad Pasch.‹, die als Vorwort dient, erfahren, Severin darüber volles Schweigen beobachtete; seiner Rede ( loquela) aber nach, bemerkt hier Eugipp, sei er Lateiner gewesen, den die Liebe zur Askese nach dem Morgenlande geführt, von dem er eine genauere Kenntniss zeigte., in einer kleinen Stadt Asturis, ›in der Nähe von Noricum Ripense und Pannonien‹, während der unruhigen Zeit, die dem Tode des Attila folgte. Er fordert in der Kirche den Klerus und die Bürger mit aller Demuth zum Gebet, Fasten und Wohlthun auf wegen des Herandrohens der Feinde. Aber man verachtet seine Rede. In seine Wohnung zurückgekehrt, weissagt er Tag und Stunde des drohenden Verderbens, und beeilt sich dann den Ort zu verlassen. Er zieht darauf in die nächste Stadt, um seine Predigt zu wiederholen, aber während man auch dort noch Zweifel ihm entgegenbringt, erscheint der Gastfreund, bei dem er in Asturis wohnte, um den Untergang seines Ortes durch die Verwüstung der Barbaren zu verkünden, die ein gewisser Mann Gottes vorausgesagt. Man zeigt ihm Severin: er erkennt ihn. Nun fleht man den Heiligen um Verzeihung an und befolgt seine Gebote. Drei Tage darauf erschreckt ein Erdbeben die aus föderirten Barbaren bestehende Besatzung so, dass sie die Stadt verlassen und sich in der Verwirrung der Nacht unter einander tödten; und also die römischen Kolonisten von diesen gefährlichen Hütern befreit sind. – In solchem Stile fährt die Erzählung fort, einzelne Ereignisse aus dem Leben des Heiligen berichtend, die nur lose mit 454 einander verknüpft werden. Durch ein ›Eodem tempore‹, ›Post haec‹ u. dergl. Es ist in der That also eine Notizensammlung von anekdotischem Charakter, die möglichst chronologisch geordnet scheint, und in ungeschminkter Darstellung nur das Thatsächliche geben will, d. h. die merkwürdigen Handlungen, Prophezeiungen und Wunder des Heiligen. In den letzten Kapiteln wird noch die asketische Lebensweise desselben geschildert, die Anordnungen, die er bei seinem herannahenden Tode traf, dieser selbst, und die ihm folgenden Ereignisse, welche seine Schüler sechs Jahre danach (488) zugleich mit der übrigen römischen Bevölkerung das Land zu verlassen nöthigten, wobei sie denn die Leiche des Heiligen mit sich führten, bis sie im Lucullischen Castell bei Neapel eine feste Stätte für dieselbe fanden. Erst im Anfang des 10. Jahrhunderts wurden Severins Gebeine in Folge eines Einfalls der Sarazenen nach Neapel übertragen. S. unten Bd. 3, S. 208 f. Dort ward ein neues Kloster von ihnen errichtet, wo Eugippius später selbst Abt wurde und sein Commemoratorium verfasste. Er lebte noch bis in das 4. Jahrzehnt des 6. Jahrhunderts nach Büdinger, a. a. O. S. 23. – Er hat auch Excerpta aus den Werken Augustins verfasst, die viel Anerkennung fanden. Dieselben sind von neuem edirt als Pars 1 des Vol. IX des Corp. scr. eccl. lat. Wien 1885 von Knöll. Der nicht geringe historische Werth dieser Lebensgeschichte eines durch werkthätige Menschenliebe ausgezeichneten Mannes, welcher durch moralischen Muth und seltene Klugheit auch den arianischen Barbaren imponirte, ist allgemein anerkannt und namentlich von Rettberg und Wattenbach trefflich gewürdigt.