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Zehntes Kapitel.

Merobaudes. Apollinaris Sidonius.

Neben den rein christlichen Dichtungen, die aus dieser Epoche uns erhalten sind, besitzen wir noch eine Anzahl solcher, deren Verfasser zwar Christen waren, obgleich zum grössten Theil nur dem Namen nach, die selbst aber gar nicht, oder kaum von einem christlichen Geiste beseelt sind, vielmehr in Genius und Form die heidnische Dichtung fortsetzen, wie wir dies auch schon von einem Theil der Dichtungen des Dracontius bemerkten. Dieser Fortsetzung der heidnischen Dichtung ist hier zu gedenken, insofern sie manche Beziehung und Einwirkung auf die rein christliche der Zeitgenossen hatte, oder zum Theil selbst als eine solche von dem Mittelalter betrachtet, auch auf die Folgezeit von Einfluss war. Sie ist aber vornehmlich Gelegenheitsdichtung, und in dem ordinären Sinne des Worts, d. h. im Dienste äusserer Zwecke. Hierher gehört vor allem der Panegyricus, ein Staats- und Hofgedicht zur Verherrlichung der Mächtigen, vornehmlich des Kaisers, womit man weniger um Lob, als um reellen Lohn, namentlich Befriedigung des Ehrgeizes durch äussere Auszeichnungen, Aemter und Würden, warb; dies Gedicht vertrat zum Theil, indem es die Thaten der Gegenwart preisend erzählte, in dieser aus der Hand in den Mund lebenden Zeit, welche von der Vergangenheit eine immer mehr sich erweiternde Kluft trennte, selbst das heroische Epos. Claudian war jener Zeit für diese Dichtungsart das unerreichte Vorbild.

An der Spitze dieser Dichter steht in unserer Epoche der Spanier Flavius Merobaudes Fl. Merobaudis carminum panegyricique reliquiae ex membranis Sangallensibus editae a B. G. Niebuhrio. 2. Ausg. Bonn 1824. (Prolegg.) nach den von ihm durch Niebuhr entdeckten poetischen Fragmenten. Durch seine 418 Kriegsthaten, wie durch seine Beredsamkeit zeichnete sich dieser Rhetor, denn er war es von Beruf Wie er selbst in dem zweiten Fragment der Praefatio des Paneg. auf das Consulat des Aëtius sagt., so aus, dass ihm zu Ehren 435 in Rom eine Statue gesetzt wurde. Er verfasste unter andern Dass er auch andere Panegyrici verfasst hat, zeigt die Inschrift der Statue: viro, tam facere laudanda quam aliorum facta laudare praecipuo. einen Panegyricus auf das dritte Consulat des Aëtius, welches in das Jahr 446 fiel; und von diesem sind uns ausser Bruchstücken der prosaischen Vorrede noch 197 Hexameter, freilich manche nur fragmentarisch, erhalten. Merobaudes zeigt sich darin als einen glücklichen Nacheiferer des Claudian, nur dass ihm die hellenische Grazie desselben fehlt, an deren Stelle ein etwas aufgeblähtes Virgilisches Pathos tritt. Aber eine für jene Zeit seltene Eleganz des Ausdrucks und Verses zeichnet diese Dichtung wie auch die Fragmente von vier andern Gelegenheitsgedichten desselben Autors aus, von denen drei auch panegyristischer Natur waren: zwei in Distichen preisen Valentinian III. und seine Familie, eins in Hendecasyllaben (von welchem mehr erhalten) feiert den zweiten Geburtstag eines Sohnes des Aëtius, um den Eltern desselben die schönsten Schmeicheleien zu sagen. Das vierte, wovon wir nur wenige Zeilen (Distichen) besitzen, ist der Ueberschrift und dem Inhalt des Erhaltenen nach auf den Park eines vornehmen Mannes verfasst, vielleicht ein epigrammatisches Gedicht. Diese Gedichte, zumal der Panegyricus, athmen eine durchaus antike Gesinnung, wie denn auch die Mythologie ihre alte poetische Rolle hier fortspielt: in dem Geburtstagscarmen wird zwar der Taufe gedacht – eine Anspielung darauf findet sich auch in dem ersten, dem Valentinian gewidmeten Gedichte –, aber es geschieht in einer, sie heidnischen Vorstellungen assimilirenden Weise. Als Poet wenigstens war dieser Merobaudes Heide geblieben: daher scheint es mir auch zweifelhaft Trotz der im Rhein. Museum, N. F., 28. Bd., gegebenen Beweisführung Jungmanns, der alle sichere Basis fehlt., ob das Lobgedicht auf Christus Proles vera Dei (30 Hexam.) Riese l. l. II, p. 301, Nr. 878., welches eine Handschrift ihm, eine andere Claudian beilegen soll, sein Werk ist, wenngleich es in Reinheit des Ausdrucks und Verses seiner würdig; denn es durchdringt dies Gedicht eine 419 christliche Empfindung, die sich nicht machen lässt, und es entbehrt im Stil ganz jenes Virgilischen Pathos.

Der Hauptvertreter aber dieser heidnisch-antiken, nun von Christen weiter gepflegten Richtung ist in diesem Zeitalter für uns Gaius Sollius Apollinaris Sidonius Gai Sollii Apollinaris Sidonii epistulae et carmina, rec. Luetjohann. Accedunt Fausti aliorumque epistulae ad Ruricium aliosque Ruricii epistulae rec. Krusch. ( Monum. German. hist. Auct. antiquiss. Tom. VIII.) Berlin 1887. ( Praef. in Sidonium von Mommsen.) – – Germain, Essai littéraire et historique sur Apoll. Sidonius. Montpellier 1840. – Fertig, C. S. A. Sidonius und seine Zeit, nach seinen Werken dargestellt. 3 Programme. Würzburg 1845–46. Passau 1848. 4°. – G. Kaufmann, Die Werke des C. S. A. Sidonius als eine Quelle für die Geschichte seiner Zeit. (Dissert.) Göttingen 1864. – Derselbe, C. S. A. Sidonius im Neuen Schweizerischen Museum, 5. Jahrg. Basel 1865. – Büdinger, Apoll. Sidonius als Politiker. Eine universalhistor. Studie. Wien 1881. (Aus den Sitzungsber. der phil. hist. Cl. der Wiener Akad. d. Wissensch. Bd. 97.) – Ampère, a. a. O. T. II, p. 216 ff., von dem auch eine grössere Zahl von Werken auf uns gekommen ist, während von einer ganzen Anzahl Dichter seines Kreises, die er zum Theil überschwenglich preist, fast gar nichts erhalten blieb. – Aus einem der vornehmsten Geschlechter Galliens stammend, wurde Sidonius um 430 in Lyon geboren. Seine Familie war schon längere Zeit eine christliche, da bereits sein Grossvater, Apollinaris, der Praefectus praetorio Galliarum war, die Taufe genommen. Dasselbe Amt bekleidete auch der Vater. Sidonius erhielt eine so vortreffliche Ausbildung, als sie nur jene Zeit gewähren konnte; denn noch immer zeichnete sich das südliche Gallien durch seine Grammatiker und Rhetoren aus. Diese Bildung aber war noch durchaus die überlieferte heidnisch-antike. Panegyristische Declamationen über beliebige Themata, namentlich auch aus der grossen Vergangenheit Roms (wie De laudibus G. I. Caesaris ), philosophische Disputationen im Kreise von Freunden, Gedichte, die er schon von Kindheit an verfasste, waren die Frucht dieser Bildung und der dilettantische Zeitvertreib der vornehmen Jugend neben ritterlichen Uebungen und Spielen. Die Form war dabei alles: Schwierigkeiten zu überwinden, rhetorische, dialektische und metrische Kunststücke das preiswürdigste Ziel; äussere Auszeichnung, rauschender Beifall der erstrebte Lohn. Die antike Ruhmbegier, durch die Zeitverhältnisse auf den Boden der Gesellschaft in der Regel 420 eingeschränkt, erfüllte noch ganz solches Leben, in dem auch das Christenthum nur eine Form war. – Mit seiner Verskunst aber wusste sich Sidonius auch noch grössere Ehren und Vortheile, als das Lob seiner Freunde, zu erwerben. Ein Panegyricus auf seinen Schwiegervater Avitus, als dieser, Kaiser geworden, das Consulat 456 antrat, trug ihm die Auszeichnung einer Bildsäule auf dem Trajansforum inmitten der Statuen der berühmtesten Männer ein. Nach dem Sturze des Avitus noch in demselben Jahre, bekämpfte Sidonius mit einem grossen Theil des gallischen Adels seinen Nachfolger Majorian, um, als sie unterlagen, durch einen andern Panegyricus auf den Sieger (458) nicht bloss dessen Verzeihung, sondern selbst seine Gunst sich zu erwerben. Nach Majorians Untergang hielt sich Sidonius zu dem in Gallien mächtigen Westgothen Theoderich II. Als dieser aber 466 ermordet worden, und durch die Ernennung des Anthemius zum Kaiser im folgenden Jahre die Hoffnungen auf Rom wieder sich hoben, huldigte Sidonius, nach Rom entboten, dort dem neu aufgegangenen Gestirn, indem er den Anthemius zum Antritt des zweiten Consulats mit einem Panegyricus begrüsste (468). Zum Lohn dafür wurde er zum Stadtpräfecten ernannt. Ein paar Jahre später aber, nachdem er eine Zeitlang wieder auf seinen Gütern im Lande der Arverner gelebt, wurde er, der eine so hohe Stufe weltlicher Ehren erreicht hatte, ohne Frage der angesehenste Mann in der dortigen Gegend, ja weit darüber hinaus, zum Bischof der urbs Arverna , des heutigen Clermont-Ferrand, erwählt (um 470). S. Mommsen, Praef. p. XLVIII, der 469 oder 470 annimmt. Und er nahm, so sehr ihm auch die theologische Vorbildung fehlen musste wie die geistliche Gesinnung, diese Wahl an, die ihm ein neues Feld des Ehrgeizes eröffnete. Freilich hatte dies Episcopat damals auch keine geringe politische Bedeutung. Und diese wird auch hauptsächlich der Grund seiner Wahl gewesen sein. Eurich, Theoderichs Nachfolger, dehnte bereits seine Eroberungen nach allen Seiten aus, und bedrohte auch die Auvergne. Der Angriff liess nicht lange auf sich warten, aber die Hauptstadt des Landes widerstand mit seltenem Muth unter der Führung des tapfern Feldherrn Ecdicius und der ebenso kühnen und thätigen diplomatischen Leitung ihres Bischofs Sidonius ein paar Jahre. Endlich von Rom selbst aufgegeben, fiel die Stadt. 421 Sidonius, seiner Güter zum Theil beraubt, wurde auf dem Schlosse Livia, unweit Carcasonne, gefangen gesetzt. Durch die Verwendung von Eurichs Rath Leo, der selbst ein Belletrist war, erlangte er indess bald seine Freiheit; und ein Loblied auf den Westgothenkönig, wie es scheint, verschaffte ihm später auch die Erlaubniss zur Rückkehr auf seinen Bischofssitz. Er starb in den achtziger Jahren des fünften Jahrhunderts Mommsen (l. l. p. XLIX) meint 479. Wenn er bei dieser Annahme auf den Panegyricus auf Anthemius Bezug nimmt und denselben als des Sidonius letztes Gedicht betrachtet, so ist dagegen einzuwenden, dass Sidonius selbst erklärt, erst mit der Besteigung des Bischofsstuhls der Poesie ( ab exordio religiosae professionis ) entsagt zu haben; da er nun in l. IX, ep. 12, wo er dies eben sagt, bemerkt, drei Olympiaden nicht gedichtet zu haben, so kommen wir auf das Jahr 482 ungefähr als Zeit der Abfassung des Briefes, und so könnte frühestens dies Jahr selbst als das seines Todes angenommen werden., nach Gregor von Tours Hist. Franc. l. II. c. 23. An der Glaubwürdigkeit der Erzählung von dem Ende des Sidonius ist kein Grund zu zweifeln; was dagegen die Intriguen von zwei Priestern seiner Gemeinde angeht, deren Gregor eben dort gedenkt, welche selbst zu seiner zeitweiligen Vertreibung vom Bischofsstuhl geführt hätten, so ist es schwer, den Kern der Wahrheit herauszufinden; ganz aus der Luft gegriffen kann diese Erzählung aber auch nicht sein. von seiner Gemeinde sehr beklagt.

Von des Sidonius poetischer Thätigkeit ist uns für jene Zeit nicht wenig erhalten, einmal jene drei oben erwähnten Panegyrici, die offenbar alsbald, nachdem sie gesprochen, einzeln Wenn sich dies nicht von selbst verstünde, so würde es die Praefatio und Widmung in Versen, die den einzelnen vorausgehen, beweisen., dann im Verein mit ihren Praefationes und Propemptica (die ersten 8 Gedichte der Ausgaben) S. Mommsen, Praef. p. L. publicirt waren; darauf ein Buch oder Büchlein ( libellus ) vermischter Gedichte (Nr. 9–24 der Ausgaben) S. Mommsen l. l. in den sechziger Jahren Darauf weist das Vorwort der Briefsammlung hin (l. l, ep. 1), die er nicht lange nach 470 herauszugeben begann. Dort gedenkt er der ›edirten Verse‹, über welche trotz aller Angriffe einer neidischen Kritik das öffentliche Urtheil iam pridem sich so festgestellt habe, dass er sich mit diesem Ruhme habe begnügen können. Vgl. auch Kaufmanns Dissertation S 3.; endlich über ein Dutzend in seiner Briefsammlung zerstreuter Gedichte, aus früherer wie aus späterer Zeit. So sieht man, bei weitem die meisten dieser Gedichte sind vor seinem Episcopat verfasst worden: als er Bischof wurde, entsagte er, wie wir von ihm 422 selbst wissen S. Epp. l. IX, ep. 12, und vgl. das sapphische Gedicht am Ende der Briefsammlung, v. 49 ff., der Poesie, als unverträglich mit der Würde seines neuen Amtes. Indessen hinderte dies nicht, dass er hier und da eine Ausnahme von der Regel machte – wenn er dazu eine besondere Aufforderung hatte – und ein profanes Gedicht verfasste; an die geistliche Dichtung hatte er offenbar bei jenem Gelübde gar nicht gedacht, was für ihn bezeichnend ist, aber ihre Ausnahme erschien ihm auch so selbstverständlich, dass er sogar bei der Erneuerung des Gelübdes In dem erwähnten sapphischen Gedicht, v. 55 ff. die Absicht aussprach, die Märtyrer – offenbar Galliens – in Hymnen zu besingen, sicher nach des Prudentius Vorbild. Dem Saturninus von Toulouse sollte der erste Hymnus gewidmet sein: die Art, wie Sidonius sein Martyrium andeutet, erinnert schon an des Prudentius Hymnus auf Hippolyt. Und so finden sich denn auch einige geistliche Gelegenheitsgedichte, Epigramme, in seiner Briefsammlung zerstreut, so ein paar Inschriften für neugebaute Kirchen in Lyon und Tours S. oben S. 405. (Epp. II, 10 und IV, 18) auf der Bischöfe Wunsch, so eine Nänie auf den Abt Abraham, der aus dem fernen Persien geflohen, bei der Arvernerstadt ein Kloster gegründet (Epp. VII, 17), so ein Epitaphium auf eine fromme Matrone (Epp. II, 8) und auf seinen Grossvater (Epp. III, 12), beide in Hendecasyllaben.

Ueberblickt man aber die Profanpoesie des Sidonius, so treten durch Umfang und durch Sorgfalt der Ausführung – die freilich keineswegs zum Guten immer führte – ausser den drei Panegyrici zwei Epithalamien und zwei, Oertlichkeiten gewidmete Gedichte (auf das Schloss eines Freundes und auf die Stadt Narbo) durchaus in den Vordergrund, welche sämtlich auch einen panegyrischen Charakter haben. In den Panegyrici selbst, wie in den Epithalamien schliesst sich unser Dichter an Claudian und dessen Vorgänger Statius an. Auch bei ihnen muss die antike Mythologie in Verbindung mit der Allegorie den Hauptschmuck liefern, ja meist die Einkleidung selbst bilden. So wird der Panegyricus auf Avitus, um ein Bild von der Composition dieser Gedichte zu geben, mit der Schilderung einer Götterversammlung eröffnet, die Jupiter beruft. Vor ihr erscheint dann das personificirte Rom mit gebeugtem Nacken, 423 kaum Schild und Lanze noch fortschleppend, die ihr beide zur Last geworden sind.         Cura procul erecta caeli de parte trahebat
        Pigros Roma gradus, curvato cernua collo
        Ora ferens; pendent crines de vertice, tecti
        Pulvere, non galea, clypeusque inpingitur aegris
        Gressibus, et pondus, non terror fertur in hasta.
v. 45 ff.
Vor Jupiters Füssen hingeworfen, klagt Roma, der grossen Vergangenheit gedenkend und sie zurückwünschend, wo sie unter seiner Führung Duce te v. 87, also die rein heidnische, zuletzt noch von Symmachus verfochtene Ansicht. ihre glänzenden Waffen bis zu den entferntesten Völkern hintrug. War ihr damals der Erdkreis zu enge, ist sie jetzt selbst sich Grenze.         Cumque prius stricto quererer de cardine mundi,
        Sum limes nunc ipsa mihi.
v. 96 f.
Die Lesart sum ziehe ich der in der Ausgabe von Lütjohann aufgenommenen nec vor, da letztere eine zu unsinnige Uebertreibung enthält.
Ohne Hoffnung ist sie, wenn nicht Gallien etwa einen neuen Trajan ihr sendet. Jupiter antwortet darauf: durch das Fatum wird alles regiert, er selber. Aber Rom soll neuen Muth fassen; aus dem Arvernerland wird ihr ein Retter erstehen in Avitus, der alsbald nach der Geburt ›offenbare Zeichen des künftigen Kaisers gab‹. Der Vater gab ihm darauf die entsprechende Erziehung. Und nun lässt der Dichter Jupiter selbst die Heldenthaten des Avitus von seinen Knabenjahren an erzählen in oft wahrhaft lächerlichen, echt gallisch-französischen Fanfaronnaden S. z. B. v. 339 ff. bis zu seiner Erhebung auf den Thron durch die Westgothen. Diesen Kaiser habe Jupiter Rom gegeben, er werde ihr die verlorenen Provinzen zurückerobern; er werde sie verjüngen, welche Knaben zur Greisin machten. – Mit der Rede Jupiters endet auch fast das Gedicht (602 Hexam.), da der Dichter nur noch in ein paar Versen seinen Glückwunsch hinzufügt. – In dem Panegyricus auf Majorian erscheint Afrika vor der auf dem Thron sitzenden Roma, um Hülfe zu erflehen.

Mit allem Luxus mythologischer Bilder sind namentlich die Hochzeitsgedichte ausgestattet: in dem einen Carmen XI, über die Beziehungen desselben zu den Epithalamien des Statius und Claudian s. Purgold, Archäologische Bemerkungen zu Claudian und Sidonius. Gotha 1878. S. 78 f., auf Ruricius und Iberia (133 Hexam. mit einer Praefatio von 11 Distichen), ist der Preis des Brautpaars Venus und Amor selbst in den 424 Mund gelegt, welche dann mit grossem Cortège anderer Gottheiten zu dem Ehebette, es zu segnen, hinziehen; in dem andern Carmen XV, über dasselbe und namentlich die Benutzung von Ovid, Metamorph. l. VI, v. 1 ff., s. Purgold, a. a. O. S. 102 ff., auf den Philosophen Polemius und Araneola (128 Hexameter mit einer Praefatio von 30 Hendecas.) spielt Pallas eine Hauptrolle zugleich mit zwei Tempeln, von denen der eine fast alle Philosophen des alten Griechenlands, der andere kostbare Teppiche zeigt, wo denn die Braut selbst stickend sich findet: zu welcher Ausführung der Name derselben den Anlass gab. Die Göttin der Weisheit ist es dann auch, welche den Ehebund stiftet. – Auch das Gedicht auf das Schloss ( burgus ) des Leontius (235 Hexam.) Carm. XXII, s. darüber Purgold, a. a. O. S. 85 ff. u. S. 117. hat eine mythologische Einkleidung, die fast die Hälfte des Raumes einnimmt. Der Dichter beginnt nämlich mit einer weitläufigen Schilderung des Bacchuszugs, der sich nach Theben hin bewegt: da vertritt Apollo dem Gotte den Weg, um ihm als würdigeres Reiseziel das Schloss des Leontius anzuzeigen, das darauf mit allen seinen Reizen von ihm eingehend geschildert wird – ein kulturgeschichtliches Bild, welches den anziehenden prosaischen Schilderungen vornehmer Landsitze, wie sie sich in Sidonius' Briefen finden, würdig sich anreiht. Den Vorwurf der Weitläufigkeit aber wehrt der Verfasser in einem prosaischen Nachwort durch den Hinweis auf ältere Dichtungen solcher Art, namentlich auch in den Silvae des Statius ab, der offenbar neben Claudian überhaupt sein vorzüglichstes Vorbild gewesen ist. Auch das früher ›Narbo‹ betitelte Gedicht (512 Hendecas.) Ad Consentium. Carm. XXIII. bietet einzelne interessante kulturgeschichtliche Züge, aber es ist weit weniger ein Preis dieser Stadt, als vielmehr zweier Bürger derselben, des Consentius und seines Vaters: auch dies Carmen hat also einen durchaus panegyristischen Charakter, und prunkt mit mythologischer und historischer Gelehrsamkeit.

Ausser diesen eben betrachteten schliesst die Sammlung der Poesien des Sidonius noch ein paar kleinere Gedichte in Distichen und Hendecasyllaben und drei grössere ein, von welchen letztern eins (Carm. IX; 346 Hendecas.), eine Widmung des libellus an den Sohn des Consuls Magnus, Felix, scherzhaft aber prätentiös aufzählt, was für Stoffe und Dichtungsarten der Leser 425 all in dem Buche nicht zu erwarten habe, während ein anderes, Propempticon ad libellum (101 Hendecas.), das Schlussgedicht ist, worin das Buch an verschiedene Freunde des Verfassers, insbesondere an den Consul Magnus und seine Söhne, adressirt wird. Das dritte, für uns interessanter, ist das Euchariston ad Faustum Reiensem episcopum (Carm. XVI, 128 Hexam.). In dieser poetischen Epistel sagt Sidonius dem auch als theologischen Schriftsteller bekannten Bischof von Riez S. über ihn weiter unten Kapitel 20. für verschiedene Verbindlichkeiten seinen Dank, und bemüht sich offenbar, dem geistlichen Würdenträger gegenüber einen geistlichen Ton anzuschlagen. Hier geberdet sich unser Poet in der Zeit seines Laienthums einmal als ein christlicher, und man kann da recht die Hohlheit seiner Dichtung überhaupt erkennen, die eine blosse Form war. ›Verachte, Saite, den Phöbus und die neun Musen sammt Pallas und Orpheus und das erdichtete Nass der Rossquelle – – vielmehr komme jetzt du Geist, der du eindrangst in die Brust der alten Maria Exod. c. 15, v. 20., als die Pauken schlagend Israel trocken durch die Höhlung des Wasserschlundes zog, – – der du der Hand der Judith, die den Hals des Holofernes traf, halfest‹ – – und so folgen noch über 50 Verse der Anrufung des heiligen Geistes, der ›vor aller Zeit Gott, in der Zeit Christus‹. Dann erst spricht der Dichter seinen Dank mit der Erklärung aus, den Faustus immer ehren und lieben zu wollen, wo er auch weilen würde – und dies letztere wird dann im Hinblick auf die Askese des Bischofs, die ihn zum Anachoreten machen könne, auf das weitläufigste ausgeführt.

Diese Dichtung, mochte sie auch einen christlichen Mantel umschlagen, blieb immer ein Werk der Rhetorik, eine mehr oder weniger nach der Schablone gemachte Poesie des Stils S. in Betreff der von ihm studirten und benutzten Autoren Geislers › Loci similes auctorum Sidonio anteriorum‹ in Lütjohanns Ausgabe p. 351 ff.; sie ist nie ein freier Erguss des Gefühls, ein Kultus des Herzens, oder der Sehnsucht nach dem Idealen entsprungen; im besten Falle vermag sie die wirkliche äussere Welt geschickt zu copiren, und so finden sich denn auch in Sidonius' Gedichten einzelne gelungene schildernde Partien, wie in den Panegyrici von den Völkern der Barbaren, oder in andern Gedichten von Oertlichkeiten, dem Leben und Treiben der Grossen. Z. B. Carm. XXIII, v. 487 ff. Wie diesen 426 Rhetoren an der Poesie die Form alles war, zeigt recht die Art des Lobes, das Sidonius einem verstorbenen Freunde, dem Redner Lampridius als Poeten nachruft: die ›wunderbare Mannichfaltigkeit der Füsse und Figuren‹, die Flüssigkeit der Hendecasyllaben, der Kothurn der Hexameter, die Verskünsteleien der Distichen Elegos vero nunc echoicos, nunc recurrentes, nunc per anadiplosin fine principiisque conexos. Epp. l. VIII, 11. So heisst es auch von seiner Lyrik dort im Folgenden: In lyricis autem Flaccum secutus nunc ferebatur in iambico citus, nunc in choriambico gravis, nunc in alcaico flexuosus, nunc in sapphico inflatus. Vgl. auch das dem Hymnus des Claudian Mamert. gezollte Lob Epp. IV, 3. sind es, die er rühmt, ebenso wie ›die grossen, schönen, ausstudirten Worte‹ ( v. elucubrata ). Und so fehlt es denn auch in Sidonius' Versen selbst, die in prosodischer Beziehung nicht zu tadeln sind, nicht an rhetorischen Kunststücken So namentlich die sogenannten vers rapportes. So ruft in dem Panegyricus auf Avitus Rom aus, v. 79 ff.:
        Vae mihi qualis eram, cum per mea iussa iuberent
        Sulla, Asiagenes, Curius, Paulus, Pompeius,
        Tigrani, Antiocho, Pyrrho, Perseo, Mithridati,
        Pacem, regna, fugam, vectigal, vincla, venenum.
, die der Autor und seine Zeit als besondern Schmuck betrachteten, wie nicht minder die mittelalterliche Gelehrtenpoesie, der unser Sidonius besonders werth blieb. Von einer etwas andern, grössern Bedeutung ist die auffallend häufig sich findende Alliteration, die zwar oft auch mit Absicht angewandt, aber noch öfter von selbst sich eingestellt zu haben scheint, sodass nicht ein Interesse des Witzes, sondern ein musikalisches Gefühl sie hervorrief, dasselbe Gefallen am Gleichklang, das den Gebrauch des eigentlichen Reimes bewirkte. Solcher Alliterationen findet man fast auf jeder Seite, und zwar die auffallendsten, wie in dem eben citirten Panegyricus Vers 194:
        Vasta per ad versas venabula cogere praedas,
oder v. 210 f.:
        – – Procerum tum forte potentior illic,
        Post etiam princeps, Constantius omnia praestat,

oder v. 269 f.:
       Et Pudor: armatas pilo petit im piger alas,
        Pugnando pugnam quaerens, pavidumque per agmen.

Und diese Beispiele sind auf das Geradewohl herausgegriffen.
In witziger Absicht allein findet sich dagegen die Alliteration in der Prosa des Sidonius nicht selten als rhetorischer Zierat gebraucht, wo sich denn der Anklang zugleich über die Wortstämme erstreckt. So das schon von Fertig citirte sedulitas sodalitasque, ferner Epp. VIII, 3 saltim saltuatim, und in demselben Briefe: non tam suspicioni quam fuisse suspectui, und eben da non tam fonte quam fronte.

427 Diese Prosa ist uns in seinen neun Büchern Briefe erhalten, welche Bücher einzeln, oder vielleicht auch mehrere vereinigt S. Teuffel, Geschichte der römischen Literatur 436, 6. edirt wurden, seitdem Sidonius, Bischof geworden, der Dichtkunst entsagen und nun als Prosaiker seinen Ruhm suchen wollte S. das sapphische Gedicht am Ende der Briefsammlung., etwa von 470–483; die Briefe selbst sind zum Theil aber früher verfasst, wie denn die der beiden ersten Bücher wohl sämtlich noch vor des Sidonius Episcopat fallen. S. über die Zeitbestimmung Kaufmanns Dissertation S. 4 ff. und vgl. Mommsen Praef. p. L ff. Symmachus und Plinius waren hier seine Vorbilder: so sagt er selbst in der Widmung des ersten Buchs an Constantius. Wohl die meisten der Briefe sind wirkliche, die zum Theil selbst lange Zeit vor der Publication an die Adressaten gesandt waren, wenn sie auch dann verbessert, möglicher Weise auch erweitert in der Sammlung erschienen; dies gilt ohne Ausnahme ja von den ersten Büchern: später allerdings sind manche nur für die Sammlung, oder wenigstens im Hinblick auf die Veröffentlichung geschrieben worden Das Letztere kann bei einzelnen Briefen der ersten Bücher auch schon der Fall gewesen sein, ja es ist dies sogar sehr wahrscheinlich – wenn auch der Verfasser noch nicht an die Herausgabe einer Sammlung dachte – so bei Epp. I, 2, dem Elogium Theoderichs II., theils als Lobreden oder Nekrologe auf Gönner und Freunde So von Claudianus Mamertus Epp. IV, 11, von Lampridius Epp. VIII, 11., theils um letzteren, wäre es auch nur durch ein kurzes Billet, wie Epp. VIII, 5, ein Andenken zu stiften, da der Autor und seine Umgebung in dieser Briefsammlung eine Ruhmesassecuranz, und wie der Erfolg zeigt, nicht mit Unrecht sah, theils auch endlich um sowohl interessante Erlebnisse, bei denen der Verfasser selbst sich in einem glänzenden Lichte zeigen konnte So das Erlebniss an der Tafel des Kaisers Majorian Epp. I, 11, das bei der Jahresfeier des heil. Justus V, 17., als auch Hervorbringungen desselben der Mit- und Nachwelt mitzutheilen. So sind ja manche Gedichte, und auch eine Rede, die Sidonius als Bischof bei der Wahl eines andern hielt (Epp. VII, 9), in dieser Briefsammlung veröffentlicht. Sie ist daher von einem grossen und vielseitigen 428 stofflichen Interesse, indem sie uns ein reiches kulturgeschichtliches Gemälde der Zeit des Sidonius liefert; und um so mehr, als der Verfasser trotz aller Marotten seines Stils und aller persönlichen Schwächen doch auch hier sein nicht geringes Talent der Darstellung in der Schilderung wie der Charakteristik, sowie in anekdotischer Erzählung zeigt. Die von den französischen Romanschriftstellern der Gegenwart, wie von den französischen Memoirenschriftstellern des Mittelalters so erfolgreich geübte Detailmalerei findet sich schon bei Sidonius; es liessen sich viele Beispiele geben, ich verweise nur auf das Gemälde seines Landsitzes Epp. II, 2, und des eines Freundes II, 9, auf das Porträt des Theoderich I, 2, des Sigismerus IV, 20, und auf die in der vorausgehenden Anmerkung citirten Erzählungen. Nehmen wir die Grandiloquenz der Beredsamkeit unseres Autors hinzu und die Vorliebe für Antithese und Wortspiel, so lässt er die Tugenden und Schwächen der französischen Schriftsteller der neuern Zeit in einer überraschenden Weise bereits erkennen: es ist das gallische Blut im Verein mit der römisch-rhetorischen Bildung. Nur beherrscht auch diese Prosa des Sidonius ganz der heidnisch-profane Geist, wie er ja auch nur auf Heiden und nicht auf christliche Epistolographen, wie einen Hieronymus, als seine Vorbilder hinweist; selbst wo er als Bischof an einen Bischof schreibend die Noth der von Eurich bedrängten katholischen Kirche schildert und sich da einmal einer biblischen Ausdrucksweise bedient (Epp. VII, 6), zeigt das Gesuchte, Geschraubte und Schwülstige der Darstellung, wie innerlich fremd ihm eine solche war. z. B. Ordinis res est, ut dum in hac figuratae Babylonis fornace decoquimur, nos cum Ieremia spiritalem Ierusalem suspiriosis plangamus ululatibus etc. Auch als er jene Bischofswahlrede einem Collegen übersendet, hat er nur in Betreff der Form Besorgniss, die wegen der Eile der Abfassung den Vorschriften der Rhetorik nicht entspreche. Recht bezeichnend für unsern Bischof sind schon die Anfangsworte der Rede: Refert historia saecularis etc. 429

 


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