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Ansprache beim Besuch in Württemberg. Stuttgart, 28.8.1919
Als Badener, dem Schwarzwald kein Fremder, fühle und denke ich mit Ihnen und habe Verständnis für die Sorge meines Vaterlandes, aber es muß doch eins berücksichtigt werden: Wir sind an die Schaffung der Verfassung gegangen, nach einem furchtbaren Krieg, nach einem Zusammenbruch auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet, wie ihn noch kein Volk erlebt hat. Dazu sind uns Friedensbedingungen aufgezwungen worden von eminenter wirtschaftlicher und politischer Tragweite. Das machte es notwendig, die vorhandenen Kräfte des Reichs möglichst zusammenzufassen in eine einheitliche, geschlossene Organisation. Das zwang uns, auch manchem in den Weg zu treten, was vielleicht gerade dem Süden lieb und wert war. Aber ich darf Sie versichern, wir haben bei dem Bestreben nach einheitlicher Zusammenfassung gleichfalls nicht verkannt, was für den Fortbestand des Reichs unerläßlich ist. Die Wahrung der Eigenheit unserer deutschen Stämme und die Wahrung des politischen staatlichen Eigenlebens der Einzelstaaten, die Vereinheitlichung des Reiches und die Wahrung der Stammeseigenschaften lassen sich sehr gut vereinigen. Die Tatsache, daß Herr Haussmann, ein Württemberger und Süddeutscher von echtem Schrot und Korn, Vorsitzender des Verfassungsausschusses war, und daß alle wichtigen und entscheidenden Fragen fast in Übereinstimmung entschieden worden sind, darf Ihnen die Versicherung geben, daß nach der Richtung hin von der Reichsleitung alles geschehen ist, um die Eigenart der Süddeutschen und Württemberger zu schützen.
Nun zur auswärtigen Politik! Unsere Stellung zum Ausland ist so ungeheuer schwierig und unglücklich, wie sich nur denken läßt, und wenn wir dem Ausland gegenüber die Stellung uns wiedererobern und erhalten wollen, die wir brauchen, um leben zu können, dann ist es notwendig, daß wir ohne Unterschied der Stammeseigenschaften Schulter an Schulter uns fest zusammenschließen und eine einheitliche Front gegenüber dem Ausland bilden. Dementsprechend müßte auch die auswärtige Politik ganz in die Hand der Reichsleitung gelegt werden. Dann werden wir gezwungen, uns immer zu vereinheitlichen.
Es blieb leider herzlich wenig an Soldaten übrig. Was lag da näher, als unsere verschiedenen militärischen Kräfte in eine Hand zu legen und diese Einheitlichkeit zu organisieren, um sie ungehemmt im ganzen Reiche verwenden zu können. Wir befinden uns da in Übereinstimmung mit allen militärischen Stellen, und ich glaube, dafür bürgt mein Freund Noske, daß die Führung der militärischen Geschäfte so erfolgt, daß darin Komplikationen zwischen Nord und Süd nicht entstehen werden.
Auf wirtschaftlichem Gebiete: Die Eisenbahnen waren ja ein Stolz der Staaten. Die Zeiten sind vorüber, und doch bilden sie die Grundlagen unseres Wirtschaftslebens. Darum halte ich es für wichtig, sie ebenfalls unter einheitliche Leitung zu bringen; doch dürfen Sie versichert sein, daß auch hierbei die Interessen der süddeutschen Staaten gewahrt werden.
Die Steuerfrage bildet ein bitterböses Kapitel. Ein vielfaches von dem, was früher ausreichte, um unsere Gliedstaaten und unsere Gemeinden zu finanzieren, muß heute unseren Gegnern zugeführt werden. Das können wir nicht, wenn wir keine Möglichkeit haben, die Finanzen des Reiches einheitlich auf die Leistungen einzustellen.
Das sind die wichtigsten Gebiete, die nach der neuen Verfassung vereinheitlicht worden sind. Im übrigen ist der Charakter des Föderativstaates vollauf gewahrt. Sie dürfen versichert sein, daß die Reichsleitung und ich alles getan haben, um zu vermeiden, daß bei der Durchführung der Verfassung Komplikationen zwischen den einzelnen Volksstämmen entstehen. Ich glaube, daß Sie alle mit der neuen Grundlage für unser Staatswesen zufrieden sein werden, und wünsche, daß auf dieser Grundlage das neue Deutschland, die neue Deutsche Republik sich festigen und glänzend entfalten werde zu neuem Glück und zur neuen Freude des deutschen Volkes.
Danach ein Wort über die wirtschaftlichen Sorgen. Die Verfassung ist aufgebaut auf der Grundlage der Demokratie. Jeder hat das Recht der freien Meinungsäußerung und der freien politischen Betätigung, aber Freiheit ohne Zügel und Schranken ist Anarchie. Solchen Weg machen wir nicht mit. Jeder hat neben seinen Rechten im Staate auch Pflichten, und nachdem nun von der nach dem freiesten Wahlrecht der Welt gewählten Nationalversammlung die Verfassung des Reiches festgestellt worden ist, verlangen wir von jedem, mag er stehen, wo er will, daß er diese Verfassung respektiert. Es wird uns aufgegeben, ihr den notwendigen Respekt zu verschaffen. Das gilt auch für die Pflichten des Einzelnen gegenüber unserem gemeinsamen Wirtschaftsleben. Wir können nicht zulassen, daß in wahnsinniger Verblendung die Grundlagen unseres Wirtschaftslebens systematisch zerstört werden durch sinnlose Streiks. Was vom Reich geschehen kann, um die Kohlenversorgung sicherzustellen und berechtigte Ansprüche zu befriedigen, das wird geschehen mit allen möglichen Mitteln, die wir besitzen.
Schließlich zu den Kriegsgefangenen. Ich gebe die Versicherung ab, daß alles, was in den Kräften der Regierung stand, getan wurde, um unsere kriegsgefangenen Brüder sobald als möglich in die Heimat zurückzuführen. Leider werden der Durchführung der englischen Bereitwilligkeit, jeden Tag etwa 2000 deutsche Kriegsgefangene zurückzuführen, im Obersten Rat in Paris neuerlich Schwierigkeiten gemacht. Ich benutze diese Gelegenheit, um an alle Menschenfreunde der Welt den dringenden Appell zu richten, uns in diesem Kampfe um die Befreiung unserer Brüder beizustehen. Es gibt kein Menschenwerk, das edler ist, als die Befreiung unserer unschuldigen Kriegsgefangenen in Frankreich und England.