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Rede. Leipzig, 7.3.1922
Bei unserem heutigen Rundgang durch die Meßhäuser Leipzigs ist wohl allen Teilnehmern unauslöschlich der tiefe Eindruck von der Tatkraft des werktätigen Deutschland geblieben, von seinem unerschütterlichen Willen, sich durch Arbeit seine Freiheit wieder zu erkämpfen. Die Leipziger Messe von heute ist für uns mehr als eine Einrichtung für den Warenaustausch; sie ist ein Spiegelbild unserer schaffenden Arbeit, ein Gradmesser für den Stand der wirtschaftlichen Produktion. Das Bild, das wir hier von unserem wirtschaftlichen Leben sehen, ist gewaltig; in Tausenden von Verkaufsständen häufen sich die Muster bester Qualitätsware, bewährten deutschen Gewerbefleißes, hochentwickelter moderner Technik. Unser aller Wunsch ist, daß dieser gewaltige Eindruck sich in der dauernden Wiederaufrichtung unserer Wirtschaft auswirken möge.
Herr Geheimrat Rosenthal hat uns soeben sachverständig die Notwendigkeit verstärkten Exports auseinandergesetzt. Das ist zweifellos richtig. Deutschland, das für den Bezug von Rohstoffen und Lebensmitteln auf das Ausland angewiesen ist, kann wirtschaftlich nur dann gesunden, wenn es ihm gelingt, durch die Ausfuhr von Industrieerzeugnissen sich wieder Guthaben im Ausland zu verschaffen. Aber die Erreichung dieses Ziels ist aus Gründen, die nicht an uns liegen, schwer, und weit sind wir noch von ihm entfernt. Die Tatsache, daß in den letzten beiden Monaten der Wert unserer Ausfuhr den unserer Einfuhr überstieg, unsere Handelsbilanz also in geringem Ausmaß aktiv geworden ist, darf uns noch nicht zu übertriebenem Optimismus Anlaß geben; denn diese Aktivierung unserer Handelsbilanz beruht nicht auf gesunden und natürlichen Vorgängen, sie ist in der Hauptsache auf den in den letzten Monaten stark eingeschränkten Rückgang der Einfuhr von Lebensmitteln und Rohstoffen zurückzuführen. Eine dauernde und anhaltende Aktivität der Handelsbilanz kann aber nur aus einer gesunden und natürlichen Entwicklung der Volkswirtschaft hervorgehen.
Für diese gesunde Weiterentwicklung unserer Volkswirtschaft sind bei uns alle Voraussetzungen gegeben: Arbeitswille und Fleiß, Leistungsfähigkeit und Erfindungsgeist, moderne technische Entwicklung und hohe Qualitätsarbeit. Mit Befriedigung können wir auch feststellen, daß durch Anspannung aller Kräfte unser Wirtschaftsleben nicht unbeträchtliche Fortschritte aufweist. Die erste Quelle unserer Kraft, die Steinkohlenförderung, zeigt im letzten Jahre mit 136 Millionen Tonnen einen kleinen Fortschritt gegenüber dem Vorjahr mit 131 Millionen Tonnen; sie weiter zu steigern, wird unsere wichtigste Aufgabe der Zukunft sein. Die Eisen- und Stahlproduktion hat sich gegenüber dem Vorjahr ebenfalls gehoben. Unser Verkehrswesen hat sich gleichfalls günstig weiterentwickelt, wenngleich der Eisenbahnerstreik der letzten Woche hier wieder einen Rückschlag gebracht hat, unter dem fast alle Zweige der Industrie auch jetzt noch leiden. Aber alle gesunden Kräfte, die in unserem Volk leben und die an sich geeignet sind, uns der Gesundung zuzuführen, können sich nicht frei entfalten: Sie werden niedergehalten durch die schweren Lasten, die dem geschwächten und verstümmelten deutschen Wirtschaftskörper durch die Verpflichtungen des Versailler Friedensvertrags auferlegt sind. Ich brauche hier im Kreise wirtschaftlicher Sachverständiger die finanziellen Lasten, die auf unseren Schultern ruhen, und die Folgen, die sie für uns haben, nicht darzulegen; Sie kennen ja alle die Schwierigkeiten und Nachteile, die dem deutschen Wirtschaftsleben erwachsen sind durch den ungünstigen Stand unserer Währung, durch die unbestimmbaren Schwankungen in der Bewertung unseres Geldes im Ausland, durch die Zweifel des Auslandes an unserer Kreditwürdigkeit, hervorgerufen durch die ungewisse finanzielle Lage des Reiches. Es ist Ihnen bekannt, daß die Reichsregierung dem Obersten Rat der Siegerstaaten offen erklärt hat, daß Deutschland bei bestem Willen und ernstlicher Bemühung Ermäßigung der uns in London auferlegten Zahlungen beanspruchen muß. Wir haben durch die Tat unseren ernsten Willen gezeigt und alle Gründe, die die Unmöglichkeit dieser Erfüllung dartun, unumwunden mitgeteilt und haben auch den Eindruck gewonnen, daß die Erkenntnis ihrer Richtigkeit und die Auffassung in weiten Kreisen des Auslandes Boden gewonnen hat, die Fortsetzung des Krieges auf dem Gebiete der Wirtschaft könne nur Unheil bringen für ganz Europa. Wir wollen auch jetzt noch hoffen, daß es gelingen wird, die großen Schwierigkeiten, die unsere wirtschaftlichen Kräfte an ihrer Ausnutzung hemmen und die nicht nur ein Hindernis der deutschen Wirtschaft, sondern der Weltwirtschaft überhaupt sind, im Wege der internationalen Verständigung zu beseitigen und das große Problem, der Welt wieder Ruhe und wahren Frieden zu geben, zu lösen. Die bevorstehende Konferenz in Genua möge dafür vorbereitende Schritte tun. Jedenfalls sind wir für unseren Teil bereit, aufrichtig und ehrlich an dieser Aufgabe mitzuarbeiten.
In der Kette der Tatsachen und Ereignisse, die der wirtschaftlichen Verständigung der Völker dienen können, ist die Leipziger Messe nicht das letzte und nicht das unwichtigste Glied. Hier treffen sich die Kaufleute der ganzen Welt, hier wird Angebot und Nachfrage der Völker ausgeglichen, hier kommen im friedlichen Wettbewerb In- und Ausländer im großen Umfang zusammen. So ist die Leipziger Messe, die auf eine mehrhundertjährige Geschichte zurückblicken kann, immer ein wichtiger Faktor gewesen für die wirtschaftliche Verständigung der Völker, und heute ist sie mehr als dies; sie ist Schrittmacher und Vorkämpfer für die Wiederherstellung der Weltwirtschaft.