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1921.

Genußsucht und soziales Elend

Brief an den Reichskanzler. Berlin, 16.2.1921

In wenigen Wochen sollen in London Entscheidungen fallen, die auf Menschenalter hinaus unser Wohl und Wehe bestimmen werden. Harte Proben stehen uns bevor, ein fester und einiger Wille ist erforderlich. Soll unser Volk in diesen Stürmen zusammenstehen, so muß auch in der Lebensführung die Rücksicht geübt werden, die der Ernst der Zeit verlangt.

Deshalb ergeht meine Bitte an Sie, hochverehrter Herr Reichskanzler, bei den Regierungen des Reichs und der Länder nachdrücklich dahin zu wirken, daß mehr als es bisher geschah, im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten den Auswüchsen entgegengewirkt wird, die das öffentliche und teilweise auch das private gesellschaftliche Leben zeigen. Lärmende Genußsucht und sittenloses Vergnügungstreiben machen sich vielfach rücksichtslos und aufdringlich in aller Öffentlichkeit breit, in einer Zeit, da allenthalben Not an uns herandrängt und keine Hilfe genügt, um das Elend zu bewältigen. Auch die Veranstaltungen gutgemeinter Wohltätigkeit nehmen manchmal einen Charakter an, der mehr die Genußsucht gewisser Kreise als menschenfreundliche Zwecke erkennen läßt; die Wohltätigkeit bedarf nicht des glänzenden Festgewandes und der lauten Fröhlichkeit in diesen Tagen der ernsten Sorge; wer in brüderlicher Gesinnung geben will und wer fremder Not helfen kann, gebe im Stillen. Die eigene Würde und die Würde Deutschlands verlangen, daß jeder, der sich mit dem Schicksal seines Volkes verbunden fühlt, sich heute mehr denn je fernhält von lärmender Genußsucht und daß, soweit nicht die eigene Einsicht sich durchsetzt, die zuständigen Behörden solchen Auswüchsen mit den gesetzlichen Mitteln entgegentreten.

Ich wäre Ihnen, hochverehrter Herr Reichskanzler, dankbar, wenn Sie, den ich mit mir in dieser Beurteilung eins weiß, alle beteiligten Regierungsstellen im Reiche und in den Ländern zu einer einheitlichen Einwirkung in diesem Sinne veranlassen könnten, und bin in herzlicher Wertschätzung Ihr ergebenster Ebert.


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