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Aussichten des Kunstgewerbes

(1913)

Die kunstgewerbliche Bewegung in Deutschland hat nun schon eine solche Zeit hinter sich, daß man imstande ist, über ihre Erfolge und Leistungen ein Urteil zu fällen; wenn wir mit unserem Wollen und Schaffen nicht im Dunkeln tappen mögen, so ist es doch immer nötig, daß wir uns von Zeit zu Zeit klarmachen, was von unseren Absichten denn nun erreicht, was nicht erreicht wurde. Die kunstgewerbliche Bewegung hat gleich zu Anfang allgemeine Anteilnahme erregt, Männer von Begabung wendeten sich ihr zu und widmeten ihr die Arbeit ihres Lebens, öffentliche Anstalten, Behörden und Publikum unterstützten sie, und wirklich ist ja doch nun etwas entstanden, was mindestens aus unserem heutigen Leben nicht mehr auszustreichen ist.

Das Kunstgewerbe in früheren Zeiten ruhte in erster Linie auf dem Handwerk, und zwar, wie man nach allen Anzeichen vernünftigerweise schließen muß, nicht so, daß nun unter den Handwerkern sich eine besondere Art von Kunsthandwerkern mehr oder weniger von den anderen abgeschieden hätte, sondern die einfache Brotarbeit, das, was der Tag und Bedarf an bloß nützlichen Dingen verlangte, war überall bei den Handwerkern das Gewöhnliche; sie hatten aber den Geschmack, die Fertigkeit und den guten Willen, vorkommende Aufträge auf höhergeartete Arbeiten zu erfüllen oder bei besonderen Gelegenheiten solche Arbeiten von sich aus zu machen, auch ohne Auftrag.

In zweiter Linie ruhte das Kunstgewerbe damals auf der Frauenarbeit. In Klöstern, in den Familien gab es viele Frauen von Bildung, Geschmack und handwerklichen Fähigkeiten, welche schöne Arbeiten herstellten, nicht für den Verkauf, sondern für den eigenen Verbrauch der Familie oder für den Schmuck der Kirchen.

Man hat nun, als man das Kunstgewerbe neu beleben wollte, sich die Bedingungen nicht genügend klargemacht, unter denen damals in diesen Kreisen die heute so viel bewunderten Kunstarbeiten entstanden. Die Hauptbedingung, die Bedingung, welche heute nie wieder zu schaffen ist, war unbezahlte Arbeitszeit.

In den weitaus meisten Fällen macht den Reiz der kunstgewerblichen Arbeit eine sehr mühsame Herstellung aus, und bis zu einem gewissen Grade kann man sagen, daß der Unterschied von Kunstgewerbe und eigentlicher Kunst darin liegt, daß bei jenem Mühe und Fleiß bewußt das Urteil über den Wert der Arbeit mitbestimmen, bei dieser nicht.

Die neuzeitliche bürgerliche Gesellschaft hat bekanntlich die Arbeitsformen des Mittelalters zerstört, nicht aus Unkenntnis, Leichtfertigkeit oder ähnlichen Ursachen, wie von politischen und sozialen Idealisten oft angenommen wird; es handelt sich da um einen gesellschaftlichen Entwicklungsvorgang, den man ja beklagen oder bejubeln mag, auf keinen Fall aber seiner Zeit anders leiten konnte oder heute aus der Welt zu schaffen vermag. Das Kunstgewerbe war seiner Zeit natürlich innerhalb der damaligen Verhältnisse entstanden, ohne daß jemand die Absicht gehabt hätte, es zu begründen; es mußte mit dem Untergang dieser Verhältnisse auch untergehen.

Solche Entwicklungen nun sind aber nur bis zu einem gewissen Punkt wissenschaftlich zu begreifen. Wie die großen Umwälzungen der Menschheit, der Übergang etwa von der antiken Gesellschaft zur feudalen, von der feudalen zur bürgerlichen immer einen geheimnisvollen Grund aufweisen, den unser nachspürender Verstand nie erklären kann, so auch die kleineren Umwälzungen, die jene begleiten und durch sie erzeugt werden. Wir gebrauchen hier gern das unbestimmte Wort »die Zeit« –- »die Zeit verlangt dieses«, »die Zeit erzeugt jenes«; in diesem Wort fassen wir erkennbare und unerkennbare Dinge zusammen, Um diesen langen Umschweif zu beenden: auch dort, wo es eigentlich scheinbar gar nicht nötig gewesen wäre, daß das Kunstgewerbe verschwand, konnte es sich nicht mehr halten. Die »Zeit« war anders geworden. Deshalb etwa verschwindet plötzlich das katholische Kirchenkunstgewerbe, weshalb sind plötzlich keine guten Buchbinder mehr vorhanden? Die Anregung zum heutigen Kunstgewerbe kam aus England, aus einem sozialistisch-romantisch-ästhetischen Kreis, sie kam nicht aus dem Leben, den Verhältnissen und Umständen, sondern aus einer Sehnsucht und Theorie.

Wenigstens gestreift werden muß hier die Frage der gesamten heutigen Kunst: entsteht die heutige Kunst durch das Fliehen aus der häßlichen Wirklichkeit von heute, oder durch ihr tieferes Erfassen als eine neue Schönheitsmöglichkeit? Mir scheint, die romantischen Engländer waren wie alle Romantiker zu dünne Männer, sie hatten nicht die Kraft, von außen in das Innere zu dringen, und so fanden sie sich ab mit der alten, uralten Auskunft in allen Fällen, wo die Kraft versagt: sie fanden, daß die heutigen Trauben sauer sind. Das heutige Wirtschaftsleben ruht nicht mehr auf der Handarbeit und den Handwerksmeistern, sondern auf der Maschine und dem Großgewerbe. Wenn im natürlichen Fortgang der Dinge sich aus dem heutigen Leben allmählich wieder Schönheit entwickelt, so muß sie aus den heutigen Lebensbedingungen kommen, aus der Maschine und dem Großgewerbe; und sehr wahrscheinlich wird dieser Vorgang genau so sein wie seiner Zeit beim Handwerk, nämlich ohne bewußte Absicht Einzelner, vielleicht so, daß man ihn lange Zeit überhaupt nicht merkt.

Die Engländer gingen nun bewußt wieder auf das Handwerk zurück:

ja in ihrer Nichtachtung der heutigen Verhältnisse trieben sie es so weit, daß sie Schönheitsmöglichkeiten von heute ablehnten. Ruskin, den man als einen geistigen Vater der Bewegung betrachten muß, preist einmal die durch die handwerklichen Unzulänglichkeiten der älteren Arbeitsvorgänge entstandenen Unregelmäßigkeiten eines venetianischen Glases gegenüber der geistlosen Vollendung eines heutigen Erzeugnisses; aber unzweifelhaft liegt doch in der Genauigkeit und Sauberkeit der neuzeitlichen Arbeit für das Kunstgewerbe die Möglichkeit ästhetischer Reize; man darf eben nicht, wie es jene Engländer fast immer taten, die Kunst mit dem Kunstgewerbe verwechseln.

Unmittelbar und auf verschiedenen Umwegen kamen die englischen Anregungen nach Deutschland, und hier ist nun wirklich ein neues Kunstgewerbe entstanden.

Gleich von Anfang an zeigte sich ein neuer Stil, der eigentlich fix und fertig war, als er das erste Mal auftrat.

Bei den Engländern waren die Führer der Bewegung Theoretiker und theoretisierende Künstler gewesen, bei den Deutschen hatten die Künstler die Führung. Dadurch ergab sich, daß die Wirklichkeit, ohne daß man es merkte, sofort einen größeren Einfluß gewann; man stand ihr nicht mehr mit theoretisch verbundenen Augen gegenüber. Das war ein Vorteil. Für die Betrachtung aber wurde die Sache jetzt recht verwickelt, denn die englischen Gedanken und Worte wurden beibehalten, ohne daß man sich klarmachte, daß ein teilweise neuer Geist in die Sache hineingekommen war; man sprach immer noch von Handwerk und von der Beherrschung des Stoffes, man schuf aber im Geist der Maschine, sprach sogar ausdrücklich vom »Geist des Maschinenalters« und schuf, ohne überhaupt eine Ahnung vom Stoff zu haben, verfiel also gleich in einen der schlimmsten ästhetischen Fehler der heutigen Industrie, die man eben bekämpfen wollte. Mit anderen Worten: eine Anzahl Künstler wie Eckmann, Behrens, van de Velde und andere entwarfen Zeichnungen für Töpfe, Stühle, Geldtaschen, Buchschmuck, Tapeten, Schmuck, Löffel, Gläser und alle möglichen anderen Gebrauchsgegenstände. Nach diesen Zeichnungen wurde nun von Handwerkern und Fabriken gearbeitet.

Wenn man sich den verhältnismäßigen Erfolg der deutschen Kunstgewerbebewegung erklären will, so wird man finden, daß die Erklärung darin liegt, daß sie die bestehenden Zustände gar nicht grundsätzlich änderte; sie tat nichts, als daß sie an die Stelle der früheren Musterzeichner, die herkömmlich und gedankenlos arbeiteten, neue Musterzeichner setzte, die höher standen und in dem neuen Stil zeichneten. Aber gerade hierin liegt das Gesunde der deutschen Bewegung, sie ist gar nicht das, was sie sein wollte, aber sie bahnt etwas Neues an. Es wäre ja nicht das erste Mal, daß neue geistige Werte aus einem Mißverständnis entstanden.

Nur daß eben wegen der gedanklichen Unklarheit der deutschen Führer doch die Entwicklung noch weit davon entfernt ist, rein und klar zu sein. Noch immer spuken die Vorstellungen von Handwerk und Handarbeit und richten vielfachen Schaden jeder Art an.

Ein Beispiel möge genügen.

Die ersten Drucke aus den Anfängen der Buchdruckerkunst sind noch heute unerreicht schöne Vorbilder. Die Ursache war, daß man aus der Zeit der Handschriften her offenbar noch viele Männer von Geschmack hatte, die zu der neuen Kunst übergingen; diese schnitten die Typen, setzten und ordneten das Satzbild und das ganze Buch; außerdem, weil doch ein Buch immer noch kostbar war, verwendete man nur das allerschönste Papier. Da man noch keine Maschinenpresse hatte, so druckte man mit der Handpresse; das ging sehr langsam und verbesserte den Druck nicht, denn wenn man einen guten Drucker hat, so kann man heute auf der Maschinenpresse viel gleichmäßiger drucken, und noch dazu gleich tausend Bogen hintereinander, als früher auf der Handpresse. Aber die hohe Schätzung der schönen Inkunabel ist, dank der kunstgewerblichen Romantik, auf die Handpresse übergegangen, und so druckt man denn heute ganz sinnlos schöne Bücher mühsam auf der Handpresse, statt das Geld lieber auf das Papier zu verwenden. Der Druck ist doch gerade das Muster einer maschinenmäßigen Herstellung gegenüber dem Abschreiben. Die Schönheit muß hier also entstehen nicht aus dem Persönlichen, welches der Handarbeit anhaftet, sondern aus der Sauberkeit, den guten Verhältnissen, der Vorzüglichkeit des Rohstoffes, der verhältnismäßigen Billigkeit und ähnlichem.

Drucker wie Bodoni oder Didot waren da vor hundert Jahren zeitgemäßer als die Darmstadter Presse.

Der eine Teil dessen, was krank ist an dem neuen Kunstgewerbe, rührt von dieser Unklarheit und der noch spukenden Romantik her. Das mittelalterliche Kunstgewerbe war kein eigentliches Gewerbe, sondern eine Summe von gelegentlichen Einzelleistungen für besondere Gelegenheiten und Personen. Die – man muß das Schlagwort wohl gebrauchen – demokratisierende neue Zeit ist solchen Erscheinungen ungünstig. Das Bestreben geht offenbar daraufhin, daß alle Leute dieselben Kleider tragen und in denselben Möbeln wohnen, und der Unterschied ist etwa, daß die Stoffe bei den einen echt, bei den andern nur scheinbar echt sind. Durch ihre Romantik verleitet, haben sich die Führer des Kunstgewerbes zu einem großen Teil an die reichen Leute gewandt; aber man denke an ein Zimmer, das etwa Lancret ausgeschmückt hat und an ein Zimmer von van de Velde, man wird den Unterschied sofort sehen; das Zimmer von Lancret mußte von Lancret selber mit seinen eigenen Händen gemacht werden, das Zimmer van de Veldes wird von andern nach seinen Angaben gemacht; das eine kann nur einmal vorhanden sein, das andere kann zu Tausenden hergestellt werden; das neue Kunstgewerbe sündigt gegen seinen eigenen Geist; wenn es sich an Einzelne wendet und nicht an Alle. Eine zweite Krankheit, von der man eigentlich annehmen sollte, daß sie langst hätte überwunden sein müssen, rührt daher, daß die Künstler nur Musterzeichner sind.

Eins der englischen Schlagwörter war die Entwicklung aus dem Stoff, die Beherrschung des Stoffes. Wo ein Handwerker kunstgewerbliche Arbeiten macht, ergibt sich das von selber, wenigstens bis zu einem gewissen Punkt; denn wir werden immer sehen, wie die Stile im Kunstgewerbe, welche ja anderswoher zu kommen pflegen, immer die Neigung haben, den Stoff zu vergewaltigen; man denke an gotische Schränke, welche sinnlos die Zinnenkränze von Burgmauern wiederholen, vermutlich zum ständigen Ärger der Handwerker und Besitzer, denen die aufgeleimten Klötzchen immer abbrachen. Das Schlagwort von der Entwicklung aus dem Stoff hat auch das deutsche Kunstgewerbe beibehalten, aber die Künstler, welche die Entwürfe machen, bekümmern sich in Wirklichkeit wenig um Eisen, Leder, Holz oder Faden: sie bedenken nur ihre Linie. Wenn wir aber erst den Nachwuchs haben, so wird dieser Übelstand sich gewiß von selber verbessern.

Bei dem ersten Übelstand wird die Heilung sehr viel schwerer sein. Diese Fragen liegen ja überhaupt im letzten Grunde nicht im Ästhetischen, sondern im Sozialen und Wirtschaftlichen, auch sie kommen, wie alle Fragen der heutigen bürgerlichen Gesellschaft, auf Fragen der Organisation hinaus. Die Romantik wäre längst überwunden, wenn die Vereinigung des Kunstgewerbes mit dem Großgewerbe so einfach wäre.

Ein Beispiel: Fabriken von Kleiderstoffen lassen sich Muster zeichnen von einem guten Künstler und von ihren alten, bewährten Musterzeichnern, welche grauenhaft geschmacklose Entwürfe liefern; sie lassen danach weben und schicken die Reisenden aus. Wenn die zurückkommen, sind fast nur die abscheulichen Muster bestellt.

Man kann dann natürlich auf den Geschmack des Publikums schelten, oder wenn man tiefer gehen will, auf den Geschmack der Verkäufer; aber schließlich hat doch jede Erscheinung ihre Ursache, und mit der Behauptung, daß die Welt im Argen liegt, fördert man nichts. Mir scheint, der Grund liegt darin, daß man noch nie versucht hat, die Gesetze der Mode zu erforschen. Jede Erscheinung hat ihre Gesetze, auch die Mode. Jene geschmacklosen, alten Zeichner fühlen sie, weil sie eben selber mit zu dem geistigen Mittelstand gehören, welcher der Mode unterliegt, die Künstler fühlen sie nicht, weil sie zu denen gehören, von denen unter Umständen die Mode ausgeht. Im Geschäftlichen hat aber nicht der Künstler Erfolg, sondern der geschmacklose alte Zeichner. In Paris scheint man jetzt Versuche zu machen, die Mode bewußt zu leiten: von Herrn Poiret kann man zwar nicht lernen, wie man schöne Kleider macht, aber man kann von ihm lernen, wie man Kleider – und vielleicht sogar schöne – verbreiten kann.


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