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Der Mensch pflegt gewisse Tiere und Pflanzen wegen des Nutzens, den sie ihm bringen. Im Lauf der Zeit hat er durch Züchtung erzielt, daß der Nutzen größer wird. Dadurch können Schwierigleiten entstehen. Die betreffenden Geschöpfe sind von Natur so gebaut, daß ihre Glieder, Tätigkeiten, Fähigkeiten, und alles Übrige, was der Mensch von ihnen benutzen kann, in einer solchen Beziehung zu ihrem ganzen Wesen stehen, wie es für ihre Art gerade lebensnotwendig ist. Wenn der Mensch durch seine Züchtung das ihm Nützliche einseitig stärkt, so wird offenbar die Ausgeglichenheit in der Natur des Geschöpfes gestört; stellt man sich auf den Standpunkt des Geschöpfes, so muß man das Gezüchtete als entartet oder krankhaft bezeichnen.
Etwa das Schwein ist ein Tier, das bei geringer Körperbehaarung unter kalten Himmelsstrichen lebensfähig sein muß; es hat deshalb die Fähigkeit, eine Fettschicht zu bilden, durch welche es gegen die Kälte geschützt wird. Dadurch wird es für diese Gegenden ein wichtiges Schlachttier und wird deshalb seit undenklichen Zeiten als Haustier gezüchtet.
Dem Menschen ist das Schwein an sich gänzlich gleichgültig; ihm ist nur wichtig, daß es sich schnell und gut mästet. Er hat also durch alle Mittel, welche dem Züchter zu Gebote stehen, neue Rassen erzeugt, welche frühreifer und mastfähiger sind als die Naturschweine.
Diese einseitige Züchtung aber hat das natürliche Gleichgewicht zerstört, das in dem Körper des Naturschweins vorhanden ist. Die Knochen sind brüchig geworden, Herz- und Lungenfähigkeit hat abgenommen, die Muskeln sind geschwächt und anderes mehr. Die neu gezüchteten Schweine sind im biologischen Sinn entartete Tiere. Dadurch aber entstehen Erscheinungen, welche dem Zweck widersprechen, den der Mensch mit den Schweinen hat. Die entarteten Tiere sind nicht so widerstandsfähig gegen Krankheiten; es treten die Seuchen auf, welche die Schweinebestände von Jahr zu Jahr mehr schwächen; und so ist es heute schon dahin gekommen, daß manche Gutsbesitzer die Schweinezucht ganz aufgegeben haben, da sie wegen der Seuchenverluste nicht mehr einträglich ist. Man braucht kein Seher zu sein, um zu sagen, daß in absehbarer Zeit, wenn nicht eine Gegenbewegung kommt, das Schwein aus unserer Wirtschaft ausscheiden muß.
Natürlich aber kommt die Gegenbewegung. Man besinnt sich darauf, daß das Tier ein Lebewesen ist, das seinen Zweck in sich beschlossen hat, und beginnt wieder biologisch wertvolle Tiere zu züchten.
Es ist nun sehr merkwürdig, daß die Menschheit seit undenklichen Zeiten das Schwein als Haustier gehabt hat, aber bis vor ganz kurzem niemals solche Eingriffe in die Lebensfähigkeit der Rassen machte. Man kann sich nicht anders denken, als daß früher die Menschen ein stärkeres Gefühl für das Lebensfähige hatten. Dieses Gefühl wird sich wohl durch das engere Zusammenleben mit dem Tier entwickelt
haben; denn da, wo die früheren Menschen der Natur ferner standen, haben sie es nicht gezeigt; sie haben etwa die unheilvollen Folgen der Wälderverwüstung nicht gefühlt. Es würde denn hier so gehen, wie es oft geschieht, daß das Fehlen dieser Gefühle durch die Erfahrung nnd verständig bewußte Leitung der Dinge ersetzt werden muß.
Aus dem Beispiel der von den Menschen gezüchteten Tiere und Pflanzen können wir nun Schlüsse auf den Menschen selber ziehen. In den einfacheren Zuständen leben die Menschen so, daß die Ausgeglichenheit des Lebewesens sich von selber einstellt. Körperliche Arbeit jeder Art, bei welcher nicht der eine oder andere Teil des Körpers besonders angestrengt wird, wechselt ab mit geistiger Arbeit, welche jene körperliche Arbeit leitet und lenkt und in freien Zeiten zu ständiger Leistung in Religion, Dichtung, Kunst und anderem kommt. Diese einfacheren Zustände haben sich sehr lange erhalten; wir haben sie noch bei den Bauern und kleineren Rittergutsbesitzern. Durch die mannigfaltige Ausgliederung der Arbeit wird nun etwas Ähnliches erzeugt, wie der Zustand bei dem gezüchteten Vieh. Es werden gewisse Fähigkeiten, Kräfte, Leistungen usw. gesteigert, ohne Rücksicht darauf, ob diese Steigerung nicht vielleicht einseitig ist und also die Ausgeglichenheit gestört wird, welche für ein biologisch tüchtiges Geschöpf notwendig ist.
Die Alten wußten sehr viel besser als wir die Gefahren eines solchen Zustandes, da es bei ihnen Staaten gab, die wesentlich aristokratisch waren; die Aristokratie aber, solange sie gesund ist, hat immer die Kalokagathie als Zielbild für ihre Mitglieder vor Augen, jene biologische Ausgeglichenheit, die nur ins Menschlich-Sittliche übertragen ist. Es wird erzählt, daß einst die Korinther, die ein Bourgeoisstaat waren, mit den Athenern, die sich, ähnlich wie manche Schweizer Kantone von heute, bei demokratischer Verfassung doch noch ihre aristokratische Gesellschaft in Tüchtigkeit erhalten hatten, Krieg anfangen wollten. Der athenische Gesandte ging mit den korinthischen Herren in eine Volksversammlung und wies sie auf die Leute hin, die da saßen; sie waren alle irgendwie durch einseitige gewerbliche Tätigkeit körperlich entstellt; und er hielt ihnen vor, daß man mit solchen Männern gegen ein so wohlgewachsenes Volk, wie die Athener seien, keinen Krieg führen könne.
Auch wir heute wissen, daß Entartungserscheinnngen bei uns auftreten, und es ist uns auch ganz klar, daß sie in den Städten zu finden sind, in den Kreisen der Fabrikarbeiter, der Kaufleute, der Unternehmer, der Gelehrten, der Beamten und ähnlichen. Es machen sich auch Gegenbewegungen bemerkbar. Der Sport ist eine solche, die Versuche der Rückkehr zu naturgemäßer Lebensweise, der Kampf gegen die Laster wie der Alkoholismus, gegen die Krankheiten wie die Tuberkulose und anderes mehr. Es ist aber klar, daß diese Gegenbewegungen nie endgültige Besserung schaffen können, denn es werden hier immer nur Folgen bekämpft, nie Ursachen.
Hier versagt nämlich die Ähnlichkeit mit dem Tier. Der Mensch kann Tiere züchten, aber nicht sich selber. Dem Tier gegenüber steht er wie ein Gott; und so kann auch nur Gott Wandel schaffen in der unheilvollen Entwicklung unserer Zivilisation; müssen wir uns ja doch sagen, daß manche der Versuche der heutigen Menschheit eher schädlich wirken; wie denn etwa der Kampf gegen die Krankheiten die natürliche Ausmerzung allzu geschwächter Menschen hindert.
Die Tiere sind abhängig vom Menschen; wie der die Eltern auswählt und die Jungen aufzieht, so werden sie. Aber wenn das einzelne Tier über sich selber nachdenken könnte, so vermöchte es doch wenigstens für sich die günstige oder ungünstige Entwicklung zu beeinflussen. Auch die Menschen sind abhängig. Wir haben nicht die Wahl, ob wir die Großstädte zerstören wollen und in Verhältnissen leben, wo gleichmäßig Körper, Geist und Seele sich gesund entwickeln können. Wir können nur glauben, daß Gott mit der Entwicklung, welche die Kulturmenschheit seit etwa zwei Jahrhunderten genommen hat, seine guten Absichten verfolgt. Aber jeder Einzelne kann für sich, ja, auch für seinen kleinen Kreis, tätig sein, daß die Schädigungen gemildert, vielleicht sogar aufgehoben werden.
Es ist eine sehr tiefe Einsicht unserer christlichen Religion, daß unser Leib Gottes Tempel ist. Wenn wir wieder verstehen würden, was Gott ist, dann könnten wir auch diesen tiefen Gedanken fassen, und dann wäre Vielen geholfen.
Die Leute auf dem Lande sind ja gewiß nicht sittlicher als die Leute in der Stadt. Dennoch, wenn man dauernd auf dem Lande lebt und nur gelegentlich in die Großstadt kommt oder Wirkungen des großstädtischen Lebens spürt, kann man sich einer tiefen Verachtung des städtischen Lebens nicht erwehren, die rein sittlicher Natur ist. Sie geht auf die gedankenlose Selbstverwüstung des Lebens in der Großstadt. Es ist ein großes Unglück, daß durch die Häufung von Menschen und Mächten in der Großstadt die Großstadt auch für unsere Kultur so wichtig geworden ist, daß sie die Richtung für das geistige Leben des Volkes angibt. Dadurch wird ihre Gedankenlosigkeit und Leere auch auf die Teile des Volkes übertragen, die in günstigeren Verhältnissen leben. Man kann sagen, daß die Leute auf dem Lande viel eher ohne Glauben an Gott auskommen könnten, als die Leute in der Stadt; sie können schließlich auch ohne ihn leben, denn sie leben so, daß eine innere Ausgeglichenheit bei ihnen möglich ist; bei den Städtern müßte der Glaube an Gott und eine gereifte Einsicht alle Schäden des künstlichen Lebens bekämpfen, die sonst zu Unnatur, Sinnlosigkeit, Laster und Krankheit führen.
Durch diesen Krieg, der vielleicht ein neues Zeitalter einleitet, ist zum ersten Male ein wertvolles Band zwischen dem Abendland und dem Orient geschaffen, denn die Verbindung Englands mit dem Osten mußte fruchtlos bleiben, da sie nur Ausbeutung und Unterdrückung zum Zweck hatte. Unser Abendland hat eine hochentwickelte Zivilisation und eine verkümmerte Seele; der Orient hat wohl lange geschlummert; aber er hat sich die Kraft der Seele erhalten. Der wirtschaftliche Aufschwung des Orients wird ja wohl nicht ausbleiben, und alle Schatten, die dieser Aufschwung schon bei uns hatte, werden noch tiefer sein als bei uns; aber vielleicht kommt aus der religiösen Inbrunst des Ostens wieder eine seelische Kraft, welche die Schäden der Zivilisation dort wie hier überwindet, welche bewirkt, daß auf das materialistische Zeitalter ein geistiges Zeitalter folgt, auf die Krankheit und Entartung Gesundheit und Natur. Wie das geschehen soll, das können wir ja nicht wissen: wir wissen nur, daß es uns nötig ist.