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Die Entartung des Weibes und die Kunst

(1914)

Solange die Kunst eines Volkes gesund ist, das heißt, weder in Ästhetentum noch in Publikumsunterhaltung entartet, stellt ste die höchsten Vorstellungen dieses Volkes dar: nicht, wie heute manche denken, das, was in einer Nation ist, sondern das, was die Nation wünscht, daß in ihr sein soll. In Zeiten gesunder Kunst spielen auch die malenden, bildhauenden und dichtenden Frauen keine Rolle und das künstlerische wie jedes andere Schaffen ist den Männern vorbehalten. So kommt es, daß in diesen Zeiten die von den Männern der Nation gewünschten weiblichen Vorbilder geschaffen werden.

Im Laufe der Zeit bekommen die wertvollen Kunstwerke einen immer größeren Einfluß auf die Nation. Um allerzugäuglichsten solchen Einflüssen aber sind die Frauen; und indem sie sich denn nun allmählich den Vorbildern angleichen, welche die großen Künstler aufgestellt haben, kann man endlich sagen, daß die Frauen von den Künstlern ihres Volkes geschaffen werden.

Gewöhnlich machen sich ja die Menschen die ungeheure Bedeutung der Kunst nicht klar, weil sie nur das Nächstliegende sehen; die Bildung der Frauen durch die Kunst ist nur ein geringer Teil der großen Wirkung auf das tägliche Leben, die von der Kunst ausgeht; indessen wollen wir hier bei diesem Einen stehen bleiben.

Das achtzehnte Jahrhundert hatte bekanntlich die Meinung, daß die Kunst dadurch ihre Berechtigung erweise, daß sie die Menschen bessere, mit welchem Bessern denn ein bürgerliches Moralisieren gemeint war. Unsere Klassiker, welche ganz auf dem Boden der bürgerlichen Weltanschauung standen und doch als die Ersten über sie hinaus kamen, setzten an die Stelle des bürgerlichen Tugendspiegels die Humanität. Die Humanität ist ein religiös-sittliches Ideal und wurde schon zu ihrer Zeit nur von Wenigen verstanden; seit etwa Ende der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts, mit dem der allgemeine Kulturrückschritt beginnt, wurde sie der Nation ganz fremd, bis sie in dem Tiefstand am Anfang der achtziger Jahre sogar verspottet werden konnte. Als am Ende der dreißiger Jahre das sogenannte junge Deutschland auftrat, mochte man nicht wieder zu dem immerhin doch rechtschaffenen und tüchtigen achtzehnten Jahrhundert zurück; man glaubte, wie man es noch heute glaubt, daß es, um nicht mittelmäßig zu sein, genügt, wenn man nicht brav ist. So griff man denn damals aus den unklaren Gedanken der Sturm- und Drangzeit eine Auffassung auf, die man etwa als die Lehre vom Recht der Leidenschaft bezeichnen kann; dichterisch hatte sich ihrerzeit die Lehre auf Shakespeare gestützt, der in diesen Dingen Schauspieler und Renaissancenatur war und denn damals als »Natur« erschien. Ähnlich wie heute das Geschwätz von der Persönlichkeit von Personen verübt zu werden pflegt, deren reichlich zwölf auf ein Dutzend gehen, so ging im jungen Deutschland das Leidenschaftsgerede gleichfalls von den Philisternaturen aus, die einfach ihren Mangel an Zucht mit ihm verdecken wollten.

Die literarische Bewegung der achtziger Jahre hat einige Begabungen gezeitigt, welche heute unser literarisches Leben bestimmen. Diese Dichter haben sicher eine höhere durchschnittliche Begabung als das Geschlecht vor ihnen – wenn man die ja immer zur Seite stehenden Ersten der Zeit ausnimmt, damals also Keller und Meyer –, aber geistig bedeuten sie ebensowenig wie diese. Es kann deshalb nicht wundernehmen, wenn von ihnen keinerlei menschliches Vorbild, und sei es noch so bescheiden, geschaffen wird, und wenn sie, ohne sich weitere Gedanken zu machen, das immer wässeriger werdende »Recht der Leidenschaft«, unter Umständen als einfache Empfindsamkeit, herübergenommen haben, bis es denn endlich zu dem »Sichausleben« gekommen ist, das heute jede Bedientennatur im Munde führt. Einige haben eine gewisse Ungebärdigkeit der Geste beibehalten, wie etwa Wedekind, einige haben sie aufgegeben, wie etwa Hauptmann: aber ein grundsätzlicher Unterschied etwa von Geibel oder Heyse ist nicht zu bemerken. Wichtiger als unsere deutsche Literatur von heute ist für unsere Zeit aber die nordische, russische und französische des vorigen Geschlechts.

Alle Einsichtigen klagen heute über die furchtbare Entartung des Weibes: die Abnahme der weiblichen Instinkte, Überhandnehmen der Dirnentriebe und Annäherung an das männliche Wesen. Sicher haben wir viele gefährliche Erscheinungen in unserer heutigen Gesellschaft; aber diese gerade an ihren gefährlichsten Stellen oft so unscheinbare Krankheit unseres heutigen gesellschaftlichen Körpers ist vielleicht die schlimmste unserer bedenklichen Erscheinungen, schlimmer noch als die Landflucht; denn sie wurzelt am allertiefsten im Geistigen.

Shakespeare hatte eine große Reihe anmutiger, edler und natürlicher Mädchengestalten geschaffen, die ganz aus der Seele des englischen Volkes empfunden sind und offenbar sehr auf die Bildung der weiblichen Wesensart in England gewirkt haben; es ist das noch in der heutigen Entartung des englischen Volkes deutlich zu erkennen. Die Frauen- und Mädchengestalten unserer klassischen Dichter haben ähnlich gewirkt; wie oft fiel mir bei einer vollkommenen älteren Frau der Einfluß Goethes auf. Es ist nicht hoch genug an Gottfried Keller zu rühmen, daß er in seiner engeren Welt treulich fortgesetzt hat, was seine großen Vorgänger begonnen haben. Aber schon bei Kleist, dann bei Hebbel treffen wir die kranken Frauengestalten.

Die bloße Mittelmäßigkeit kann ja nicht viel schaden; die Gestalten Hauptmanns werden gewiß keine üble Wirkung auf unser Volk ausüben. Aber schon Wedekind, der, wenn auch sonst in allem unter Hauptmann stehend, doch eine stärkere Persönlichkeit ist, richtet Unheil genug an. Ich betone ausdrücklich, um nicht mißverstanden zu werden: ich meine das nicht moralisierend; ich glaube, daß Leute, welche immer gleich nach Polizei und Staatsanwalt schreien, sich über die Wirkungen der Bücher sehr täuschen. Aber diese kranken, unnatürlichen und gänzlich unwahren Gestalten erzeugen kranke und unnatürliche Menschen.

Und es geht ja doch weit über Wedekind hinaus. Strindberg, in dem eine fürchterliche dämonische Kraft sitzt, noch höher Ibsen, haben eigentlich nur kranke Frauengestalten geschaffen – krank wenigstens für unser deutsches Gefühl, denn in allen Frauen Ibsens wütet irgend etwas gegen das, worin für uns Deutsche die Wesensmitte des Weibes beschlossen liegt, gegen die Mütterlichkeit. Selbst in den »Gespenstern« ist das der Fall.

Einen Dichter hat das vorige Geschlecht hervorgebracht, den man doch zu den Großen rechnen muß: Dostojewski. Ihn kann man ja nicht in einem Atem nennen mit Ibsen oder gar den noch geringeren; aber auch bei ihm sind die Frauen alle krank; und als ob ein Dämon sein Talent geführt hätte, mit dem er doch so gern aufbauen wollte, dessen zerstörende Kraft er selber nicht ahnte: in der Sonja des Raskolnikow hat er einmal die edle, die mütterliche Weiblichkeit geschildert, in einer Straßendirne. Man ist wohl jetzt geneigt, Tolstoi gegen ihn niedriger zu stellen, weil er nicht so tief ist (Tiefe bei einem Dichter entsteht, wenn im entscheidenden Augenblick die Gestaltungskraft versagt): nun, Tolstoi hat ein gesundes Empfindungsleben, und seine Frauen haben alle Natur. Nenn man später einmal richtigere Maßstäbe für die Schätzung haben wird, dann wird man Tolstoi, mit allen seinen kindlichen Schwächen, hoch über Dostojewski stellen.

Aus welchem Punkt sind nun alle diese kranken Frauengestalten zu verstehen, auf welchen Punkt bei den Menschen, welche von ihnen lesen, wirken sie?

Es heißt im Evangelium: Wer sein Leben fortwirft, der wird es erretten. Der Mann muß sein Leben immer fortwerfen; wenn er es nicht tut, sich nicht gänzlich seinem Ziel, seinem Beruf, seiner Arbeit hingibt, dann wird er sofort als ein verächtlicher Schwächling erkannt. Wenn ein Dichter einen solchen Schwächling schildert, wie das etwa in der Weltschmerzperiode öfters geschah, so kann das nie sehr weitgehende Folgen haben, weil das wirkliche Leben gegen die Albernheit solcher Erscheinungen sehr kräftig Einspruch erhebt; die Folge ist dann nur, daß die Dichtung bei den vernünftigen Männern in Mißachtung kommt. Bei der Frau aber ist die Sache nicht so klar. Auch die Frau muß ihr Leben fortwerfen, wenn sie es gewinnen will: sie muß es fortwerfen für Mann und Kind, in scheinbar oft kleinlichen Sorgen und Mühen. Wo nicht viel in der Seele ist, da kann natürlich auch bei der größtmöglichen Hingebung nicht viel werden, und man braucht sich nicht zu verwundern, wenn die meisten Frauen in der Ehe bei Strickstrumpf und Dienstbotengespräch verhutzeln; sie entsprechen da den Männern, die beim Bier und Kannegießern

aufschwemmen. Es ist ja doch aber auch gar nicht nötig, daß nun jeder Mensch eine bedeutende Persönlichkeit wird; das Mittelgut ist denn doch durchaus zu gebrauchen, vorausgesetzt, daß es keine törichten Ehrgeize hat, seine Pflicht tut und sein Leben genießt, wie es dem Mittelgut ja beschieden ist.

Hier aber liegt der Punkt.

Man kann sagen, etwa seit der Julirevolution beginnt bei den Frauen die Vorstellung, daß ihr naturgewolltes Ziel nicht in dem Aufgehen für Mann und Kind liegt, sondern in der Entwicklung dessen, was man Persönlichkeit nennt, nach Art der Männer, aber nach falschverstandener Art der Männer, in der »Behauptung«. Das Ergebnis soll dann die »Kameradschaft« sein.

Nun hat selbst der unbedeutendste Mann von Hause aus soviel Kraft, Leidenschaft und Freiheitssinn, daß er vom Leben ganz gehörig geschunden werden muß, damit etwas aus ihm werden kann, und wenn er etwas Bedeutendes werden soll, so muß er selbst gebrochen werden. Wen Gott lieb hat, den züchtigt er, und er züchtigt ihn ganz gehörig. Das »Sichbehaupten« kommt erst nachher. Beim Weib gibt es da nur eine Eigenschaft, die dem entspricht: außer der jedem jungen Menschen natürlichen Selbstsucht der jungfräuliche Hochmut gegenüber dem Mann; beides muß durch die Liebe gebrochen werden, damit dann die Hingabe entsteht. Wird das versäumt, so ist die einzige Gelegenheit des Weibes versäumt, das Leben fortzuwerfen, und sie behält den kindischen Hochmut und die Selbstsucht durch ihr ganzes Leben.

Das ist aber der Punkt, aus dem die geistige Erkrankung kommt. Man denke an Hedda Gabler oder, wenn man lieber eine Gestalt eines großen Dichters haben will, an die Nastaßja in Dostojewskis »Idioten«. Beide Frauen sind hysterisch aus Hochmut und Selbstsucht. Ganz natürlich muß Hochmut und Selbstsucht zu geistiger Erkrankung führen, denn eine Befriedigung ist ja nicht möglich, es findet im Gegenteil im natürlichen Frauenleben eine immer größere Entfernung von der Möglichkeit der Befriedigung statt; denn wenn eine Frau älter wird und keine Güte zu geben hat, dann wird sie immer mehr vernachlässigt. Aber Hochmut und Selbstsucht haben etwas furchtbar Verführerisches; wenn sie dichterisch dargestellt werden, dann verlocken sie, wie nur das Böse verlocken kann. In beiden Entartungsformen des Weibes sind Hochmut und Selbstsucht der Angelpunkt für das Verständnis, in der Entartungsform der Dirne natürlich nur bei der wirklichen, der Dirne aus Temperament, nicht der aus Temperamentlosigkeit.

Die Stimmen, welche das Übel beklagen, mehren sich ja immer mehr. Möge man sich klarmachen, daß es nicht ein oberflächliches Übel ist, sondern tief, sehr tief wurzelt. Wenn selbst ein Mann wie Dostojewski, den man nur mit Ehrfurcht nennen darf, zu seiner Verschärfung beiträgt, so muß es doch wirklich organisch sein. Dostojewski fühlte wohl den Zusammenbruch der heutigen Gesellschaft und dachte in seinem russischen nationalen Christentum eine Rettung gefunden zu haben: wer die russische Frau von heute kennt, die doch wesentlich durch ihn erzogen ist, wird zugeben, daß sein Mittel falsch war: und wer zwischen den Zeilen lesen kann, der liest vielleicht in seinen Werken, daß er selber an das Mittel nicht glaubte. Von Ibsen und den unter ihm Stehenden ist nicht zu reden: sie schwimmen einfach mit und bilden sich womöglich ein, nach irgendeinem seligen Eiland zu schwimmen.

Die Entartung des Weibes, die Frauengestalten in der Literatur, das alles sind eben nur Teilerscheinungen einer allgemeinen Krankheit: möge Jeder sich selber prüfen, wie weit auch er an dieser schuldig ist.


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