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Die Macht der Worte

(1918)

Eine Frau, welche in weltlicher Weise dem lebt, was man die gesellschaftlichen Verpflichtungen nennt, und infolgedessen ihre Pflichten als Gattin, Mutter und Hausfrau nicht erfüllte, geriet mit ihrem Mann in Zwistigkeiten, die endlich auf rechtlichem Wege ausgetragen wurden. Die Gatten stritten sich besonders um die Kinder; im Laufe der Auseinandersetzungen erklärte die Frau: »Das Kind gehört zur Mutter.« Dieser Ausspruch machte bei der Gerichtsverhandlung einen solchen Eindruck, daß er das Urteil mit bestimmte.

Das Erzählte ist nicht eine besonders merkwürdige Geschichte; das Wichtige ist vielmehr, daß es eine solche nicht ist, und daß Vorfälle solcher Art alltäglich geschehen. Was sie bedeuten, wird den meisten Menschen auf den ersten Blick nicht klar sein, und eine Erklärung ist daher nicht überflüssig.

Der Satz drückt eine einfache logische Beziehung aus. Die Mutter ist nur insofern Mutter, als ein Kind zu ihr gehört; das Kind – die Sprache ist so arm gewesen, kein besonderes Wort zu bilden für das Kind in unserer Beziehung, wir müssen uns daher mit dem allgemeinen Wort behelfen, welches das jugendliche Alter ausdrückt – das Kind, in der Bedeutung des Wortes, welche hier gemeint ist, ist nur insofern Kind, als es zu einer Mutter gehört.

Der Satz drückt zunächst nicht mehr aus, wie etwa der Satz: Das Roß gehört zum Reiter. Der Reiter ist nur insofern Reiter, als ein Roß zu ihm gehört und umgekehrt; wobei wieder eine Armut der Sprache vorliegt, die für »Reitpferd« nicht ein eigenes Wort gebildet hat, um in einer derartigen Wendung gebraucht zu werden.

Über die logische Beziehung hinaus kann ein solcher Satz aber noch eine Gefühlsbeziehung ausdrücken »der eine sittliche Beziehung; und eine solche kann so weit gehen, daß er einen sittlichen Befehl ausdrückt. Wenn man sagt: Der Schuster gehört zum Leisten, dann meint man nicht mehr bloß, daß der Schuster nur insofern Schuster ist, als er mit dem Leisten arbeitet; sondern man meint, es solle ein Jeder mit seinen Arbeiten in dem ihm von Gott zugewiesenen Lebenskreis bleiben.

Insofern der Satz die logische Beziehung ausdrückt, ist er natürlich immer richtig; in allem aber, was über diese hinausgeht, braucht er nicht immer etwas Wahres auszudrücken. So kann man etwa gegen den Satz, daß der Schuster zu seinem Leisten gehört, sehr begründete Einwendungen machen.

Wenn ein Gelehrter in seiner Stube sitzt und arbeitet, dann hält er solche Dinge auseinander. Der Verstand arbeitet bei ihm ungestört durch die andern Fähigkeiten seiner Seele. Es gibt aber Lagen im menschlichen Leben, wo die andern Fähigkeiten der Seele die Arbeit des Verstandes übertäuben; dann halten wir solche Dinge nicht auseinander.

Solche Lagen sind vor allem die, in welchen der Mansch nicht für sich allein Entscheidungen zu treffen hat, sondern wo die Entscheidung durch das Zusammenwirken einer Anzahl von Iberischen getroffen wird. Denken wir uns, daß die Mutter oder ihr Rechtsanwalt den Ausspruch: »Das Kind gehört zur Mutter« vor einem Einzelrichter tut, so wird der Satz vermutlich wenig Glück machen. Der Richter wird kaltblütig fragen, inwiefern sie ihren Pflichten als Mutter nachgekommen ist. Fallt der Ausspruch vor einem Geschworenengericht, so kann man sicher sein, daß er eine Wirkung zugunsten der Mutter ausübt, trotzdem unzweifelhaft richtig an ihm nur die logische Beziehung

ist und es doch erst der Nachprüfung bedarf, ob die sittliche Beziehung gleichfalls vorhanden war.

Die Gesetze der Redekunst sind die Gesetze der Kunst, durch welche ein Einzelner auf eine größere Menge eine solche Wirkung ausübt, daß sie das tut, was er will. Sie kommen alle darauf hinaus, daß der klare Verstand bei der Menge weniger wach ist als beim Einzelnen dadurch, daß in der Menge die andern Fähigkeiten der Seele die Arbeit des Verstandes übertäuben. Wenn man die herkömmlichen Bezeichnungen behalten darf, dann kann man sagen, es sind Gefühl und Wille bei der Menge leichter in Bewegung zu setzen als beim Einzelnen. Zu den Mitteln, welche die Redekunst verwendet, gehören dann unter anderen auch solche Bildungen wie »Das Kind gehört zur Mutter«, in denen etwas logisch unzweifelhaft Richtiges ausgesagt wird, unter dem man etwas Weiteres erschleicht, solange der Verstand übertäubt wird, welches Erschlichene sich denn als der eigentliche Zweck des Satzes für den Redner herausstellt.

Man kann sagen, daß in der heutigen Welt die Worte eine Macht haben, wie sie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hatten. Das wird uns Deutschen in diesem Kriege klar, wir haben es vorher nicht gewußt. Die Engländer und Franzosen, jedes Volk in seiner Art, beherrschen die Kunst, auf die Masse zu wirken. Wir beherrschen diese Kunst nicht, weil unsere öffentlichen Zustände anders sind als bei den feindlichen Völkern und die Ausbildung der Kunst nicht verlangten. Nun sehen wir mit Erstaunen, wie Völker, die gar keine natürlichen Gegensätze gegen uns haben, uns feindlich gesinnt sind auf Grund von bloßen Gedankengängen; was uns schon unverständlich ist; aber was noch schlimmer ist, von Gedankengängen, die uns als rein unsinnig oder bewußt falsch erscheinen.

Wir haben in den politisch unschuldigen Verhältnissen gelebt – ihr Wert oder Unwert soll hier nicht erörtert werden –, daß jeder auf seiner Stube saß, sich gründlich überlegte, was er machen mußte und dann das tat, was er als richtig gefunden hatte. Mit der geistigen Verfassung, welche wir so in uns erzeugt haben (wir bezeichnen sie heute so, daß wir uns sagen, wir seien politisch unbegabt), gingen wir in den Krieg. Der erste Reichskanzler des Krieges war ein urbildlicher 259 Mann dieser Art, die man wohl als die Beamtenart bezeichnen kann. Es war mit Belgien ein Neutralitätsvertrag geschlossen. Wir haben diesen Vertrag gebrochen, weil die Selbsterhaltung uns dazu zwang. Wir haben die Vorstellung von uns, daß wir zum mindesten eines der wichtigsten Völker der Menschheit sind, und dessen Bestehen ist nötiger als das Halten eines Vertrages. Der Reichskanzler führte das offenherzig in seiner Rede aus. Der Erfolg war, daß Wilson sagte: »Die Deutschen nehmen für sich das Recht in Anspruch, beschworene Verträge als einen Fetzen Papier zu behandeln.« Dieser Satz enthält dieselbe Mischung von Wahrheit und Lüge wie der Satz, daß das Kind zur Mutter gehört. Er hat uns mehr Feinde in der Welt gemacht, als England durch die schändlichste Unterdrückung erworben hat.

Nun, das war in der ersten Zeit des Krieges, seitdem ist nach diesem Muster noch mancher Angriff gegen uns geschehen, jedesmal mit Erfolg.

Das Merkwürdigste ist, daß diese Angriffe im Laufe der Zeit sogar bei uns selber Erfolg haben.

Die Vorstellung oom Selbstbestimmungsrecht der Völker ist offenbar ein Unsinn von derselben Art, wie wir bisher besprochen haben. Wir haben im Vorstellungsschatz des englischen Volkes einen entsprechenden Unsinn im Privatrechtlichen. Solche Sätze pflegen immer mit einem gewissen Brustton ausgesprochen zu werden, der ja für einen vernünftigen Manschen den Satz von vornherein verdächtig macht. Der englische Satz ist » My house is my castle«. Der Satz ist logisch unzweifelhaft richtig; aber wie für den logisch stets richtigen Satz von der Mutter die sittliche Richtigkeit in jedem einzelnen Fall erst bewiesen werden muß, indem nämlich gezeigt wird, daß die Mutter sich auch als Mutter gegenüber dem Kind verhält; so muß in dem Satz vom Haus die sittliche Richtigkeit auch erst bewiesen werden, indem gezeigt wird, daß der Mann sein Haus auch als Haus benutzt, und nicht als etwas anderes; wenn er es etwa als Falschmünzerwerkstätte verwendet, so kann er doch nicht mehr gut verlangen, daß es die anderen als » castle« achten. Wozu noch kommt, daß das Haus ja auch durch sein bloßes Stehen noch in den Rechtskreis anderer » castles« eingreift, etwa durch seine Fenster; die dadurch entstehenden Meinungsverschiedenheiten kann der Besitzer des Hauses durchaus nicht einseitig lösen mit dem Hinweis darauf, daß er doch Herr in seinem Haus ist. Genau so ist der Fehler beim Selbstbestimmungsrecht der Völker; und wenn man genau zusieht, dann findet man, daß hier eben die Ursache aller Kämpfe liegt, wenigstens seit den Zeiten, wo man andere Länder angriff, um ihre Einwohner sich dienstbar zu machen. Etwa, um ein besonders bezeichnendes Beispiel zu wählen: die Polen konnten in ihrem Hause keine Ruhe halten und belästigten dadurch ihre Nachbarn, und diese schafften sich den Ruhestörer vom Halse – auf Grund ihres Selbstbestimmungsrechtes – derart, daß sie Polen unter sich aufteilten. Ob sie in der Tat richtig handelten, ist ja eine andere Frage, es ist auch eine andere Frage, ob sie vom höchsten sittlichen Standpunkt aus im Recht waren, aber gegen die platt moralische Rechtfertigung dürfte nichts einzuwenden sein.

Diesen Unsinn nun, von dem wir noch dazu wissen, daß unsere Gegner sich nicht nach ihm richten, haben wir selber von ihnen übernommen. Natürlich kommen wir in der Wirklichkeit nicht mit ihm aus, und da wir die rednerische Geschicklichkeit nicht haben, welche zu seiner Handhabung gehört, so haben wir uns durch die Übernahme nur geschadet.

Wir fanden, daß Engländer und Franzosen die redekünstlerischen Mittel anwenden, weil sie in ihrem öffentlichen Leben die Gelegenheit haben, sie auszubilden. Wir sind durch ihr Fehlen heute im Krieg offenkundig im Nachteil, und es gibt deshalb eine Menge Menschen bei uns, welche raten, daß wir unsere Verhältnisse ändern sollen, um die uns mangelnden Fähigkeiten gleichfalls zu entwickeln.

Nun sind aber doch wahrscheinlich die letzten Ursachen in solchen Erscheinungen nicht in geschichtlichen Zufälligkeiten zu suchen; sie müssen tiefer liegen, im Wesentlichen der Völker verankert sein. Wie im Leben der Einzelnen durchaus nicht notwendig die guten Eigenschaften Erfolg verschaffen, so geht es auch im Leben der Völker. Erfolg haben diejenigen Einzelnen und Völker, die Eigenschaften besitzen, welche den Zeitumständen entsprechend sind. Heute herrschen die Massen, und deshalb haben die Völker den meisten Erfolg, die nach ihrer Natur über die Mittel verfügen, welche bei der Herrschaft der Massen nötig sind.

Wenn man die englische und französische Sprache näher betrachtet, dann wird man bald finden, wie sich die Vorteile unserer Feinde erklären. In der französischen Sprache wiegen die rednerischen Begriffs- Verallgemeinerungen zu sehr vor, und im Englischen kann man sich überhaupt nicht scharf ausdrücken, sondern kann immer nur so ungefähr sagen, was man meint, indem man den andern halb erraten läßt. Es ist in beiden Fällen natürlich von der heutigen Gebrauchssprache die Rede, die ja denn aber nur eine letzte Folge ist. Die Franzosen verwenden mit Vorliebe Worte, welche Begriffe ausdrücken, in denen alle Katzen grau sind, um dann geschickt immer den gerade erwünschten Sinn den Worten vorzuschieben. Wenn etwa von Paris die Rede ist, dann wird von der »Hauptstadt der Welt« gesprochen. Die »Hauptstadt der Welt« muß man natürlich gesehen haben, sie gibt natürlich den Ton an, wenigstens in allem, was den Franzosen wichtig erscheint, und es ist natürlich ein Verbrechen, wenn man sie beschießt. Sagte man nüchtern »Paris«, so müßte man erst beweisen, daß man es notwendig gesehen haben muß, und so fort. Da der Engländer sich nicht genau ausdrücken kann, so muß er denselben Satz mehrmals in etwas anderer Form sagen. Dadurch prägt er sich dem Zuhörer ein und wirkt zuletzt auf ihn wie eine erwiesene Wahrheit, während er nur eine mehrfach wiederholte Behauptung ist.

Man kann an einer Rede von Clemenceau und Lloyd George die Eigenschaften der Sprache studieren; man kann sie auch an mittleren Schriftstellern beobachten. Ein großer Teil der Eindrucksfähigkeit von Dickens liegt in den beständigen Wiederholungen, und wenn man Gedichte oder Dramen von Viktor Hugo liest, dann kann man sehen, wie auf entsprechend gerichtete Menschen die allgemeinen Redensarten fast zauberisch wirken.

In unserer deutschen Sprache liegen beide Richtungen nicht. Sie wird nie eine Sprache der Redner im heutigen Sinn werden können, und deshalb wird auf unser Volk die Redekunst dieser Art nie Eindruck machen, es wird mit den Mitteln dieser Kunst auch nie auf andere Völker wirken können. Unsere deutsche Sprache ist zu wertvoll, als daß sie sich für solche Zwecke hergäbe.

Die alten Sprachen haben eine Redekunst erzeugt; aber die hatte ganz andere Grundlagen als die Redekunst der Engländer und Franzosen; sie kam nicht durch die Mängel, sondern durch die Vorzüge der beiden Sprachen, die als Rednersprachen übrigens so voneinander verschieden sind, wie es ihrer sonstigen Verschiedenheit entspricht. Diese Kunst setzte vor allen Dingen eine hohe Begabung der zu Überredenden voraus. Aber eine Besprechung dieser Dinge würde zu weit führen.


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