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Im Jahre 1639 trat Mazarin, der bis dahin päpstlicher Diplomat gewesen war, in französische Dienste. Er kam nicht zum erstenmal an den Pariser Hof und er kannte ihn: es war kein strahlender, heiterer Hof, wie er es in früheren Jahren gewesen und in späteren wieder wurde. Ein finsterer und grämlicher Sonderling hauste in dem festlosen Louvre. Der spätgeborene Sohn des fröhlichen Heinrich empfing ihn mit stotterndem Munde. Er konnte seine Worte nicht recht hervorbringen. Kalt und lieblos, mit der gehässigen Natur der Verschüchterten hasste er im Grunde alle, die ihm dienten. Die Frauen liebte er nicht; die Königin vernachlässigte und verschmähte er. Bisweilen schloss er mit einem ihrer Fräulein in seltsam zager Weise lange und langweilige Liebesfreundschaften: die schöne und stolze Marie von Hautefort lachte über den königlichen Verehrer; die fromme Lafayette ging ins Kloster. Seine Günstlinge waren junge Männer, mit denen er jagen ging, und vieles wurde darüber gesagt und geschrieben. Die Jagd, besonders die Vogeljagd, war seine Leidenschaft; sonst verdrängte eine Liebhaberei die andere; der König malte und komponierte, er hatte immer Kammermusik, die ihn sehr erfreute; er war ein guter Gärtner, spickte und briet wie ein Koch und war ein Meister im Einmachen von Früchten. Wer Gunst wollte, machte mit, beim Schustern – denn auch das hatte Ludwig XIII. gelernt – oder beim Arkebusieren. Und da es sein Gelüste war, Sterbende zu beobachten, so gab es seltsame Unterhaltungen bei Hof, wenn in einem der weiten schlecht erleuchteten Säle der blasse König und die Herren um ihn die verzerrten Gesichter verröchelnder Kranker nachmachten und ein unangenehmes Gelächter den Meisterspieler belohnte. »Sagen Sie dem König,« sagte der Graf von La Rocheguyon, der im Sterben lag, zu dem Kammerherrn, der in hohem Auftrage sich nach seinem Befinden erkundigen kam, »sagen Sie ihm, dass er bald kommen kann. Ich habe ihm oft geholfen, die anderen darstellen. Nun bin ich an der Reihe.«
Eines Tages fiel es ihm ein, seinen ganzen Hof zu rasieren; nur ein Restchen Bartes liess er am Kinn stehen. Mit ingrimmiger oder läppischer Beifallsgrimasse boten Marquis und Grafen in seidenen Puffärmeln, in kurzen Mänteln und Federhüten ihr Kinn dem königlichen Schermesser dar; und so ward die Fliege Mode.
Einen rasierte der König nicht. Einen Herrn an seinem Hof liess er aus, und niemand wagte die Möglichkeit nur anzudeuten. Das war der Mann, den er hasste und an dem er festhielt, den er verwünschte und fürchtete, wie keinen, gegen den er manchmal aufzischte und dessen eisernen Willen im Nacken zu fühlen ihm dennoch ein schreckliches Bedürfnis war, für den er seine Mutter aus dem Lande gejagt hatte, dem er gestattete, seine Frau, die Königin, zu misshandeln und zu demütigen, für den er die schöne Marie von Hautefort, die er liebte, vom Hofe gewiesen, dem er jeden seiner Lieblinge opferte, und sich dann doch freute, auf den Herrn von Troisville, den abenteuerlichen Kapitän seiner berittenen Musketiere, weisen und sagen zu können: »Da ist ein Mann, der mir auch den Kardinal umbringt, wenn ich es ihm befehle!«
Welch ein Hof! Im Louvre dieser König, und zu Ruel oder zu Paris im Palais Cardinal, das er sich erbaut hatte und das nachmals das Palais Royal hiess, der grosse Geistliche, dessen furchtbarer Wille Europa veränderte, der Politik, der Regierung Frankreichs und aller Länder nach ihm eine neue Gestalt gab. Heute noch leben und leiden wir unter seinen Ideen. Denn wenn es je einen Staatsmann gab, der sich nicht von der Woge tragen liess, sondern mit bewusstem Willen, mit weitschauender Erkenntnis, allen Machtverhältnissen der Zeit, allen Wahrscheinlichkeiten entgegen arbeitete, so war es Richelieu. Er hatte ein Programm von Anfang an. »Ich hatte Eurer Majestät versprochen,« schrieb er in seinem »Politischen Testament«, »all meine Kraft, all die Autorität, die Eure Majestät mir zu verleihen geruhen würde, daran zu setzen, die Partei der Hugenotten zu vernichten, den Stolz der Grossen zu beugen, alle Untertanen zu ihrer Pflicht zu zwingen und Ihren Namen bei fremden Völkern zu jener Höhe zu erheben, die ihm gebührt.« Er hatte es vollendet, mit Blut und Schrecken und List, mit Kanonen und Heerscharen im Feld, mit Verstellung und grausamer Unerbittlichkeit am Hofe. Seine kalte Schlauheit, sein unhörbares Anschleichen gegen die immer neuen Feinde, die ihn und sein Werk bedrohten, die grausame Sicherheit im Treffen, die Mischung von Tücke und Grösse, von Furcht und Mut in seinem Wesen, geben ihm etwas von einem grossen katzenartigen Raubtier, das geschreckt werden kann, um mit doppeltem Grimm anzufallen. Und dies alles in einer seltsamen Maskerade: da seine immer unbefriedigte Seele mit ihrem fürchterlichen Ernst Geckereien vereinte. Halb dieser Geckerei und halb seinen wechselnden Berechnungen entsprach es, den zarten wohlgebauten Körper mit dem gepflegten Spitzbart in immer neue Kostüme zu hüllen, so dass er bald im Purpur des Kirchenfürsten erschien, bald als parfümierter Kavalier in Seide und Federhut vor den Damen tanzte, oder in Kürass und Stulphandschuhen den Armeen voran ritt. Und nie hat es einen gebrechlicheren Titanen gegeben, bei dessen grimmigsten Taten und Entscheidungen die Ärzte mit Pillen und Salben und Medizinflaschen das leidende Leben zu verlängern sich mühen mussten. Ein unerfülltes, ewig offenes Konto im Buch seines Schicksals quälte ihn: der so unerbittlich hassen konnte, sehnte sich nach Freundschaft und Liebe; aber Fürstinnen und Kurtisanen hatten ihn verschmäht, weil seine Werbung rauh oder gemacht war und ihm die siegende Gewandtheit fehlte, die irgendein zierlicher Abbé, ein frischer Offizier besass. Der Mann, der alle Gefängnisse füllte, der siebenundvierzig Todesurteile über politische Gegner hatte fällen lassen, der eine schwarze Liste aller Verdächtigen führte und überall seine Spione hatte, der, wenn er, von seinen Garden umgeben, ausfuhr, unter Seide und Purpur ein Kettenhemd trug, um sich vor Meuchelmördern zu schützen, – wollte um jeden Preis lachen und geliebt sein. Düstere Melancholien quälten ihn, wenn er nicht arbeitete; es kam vor, dass er, nach irgendeiner schweren Erregung, wenn wieder einmal das Spiel nach dem furchtbarsten Einsatz gewonnen war, brüllend, wiehernd durch sein Haus lief, dann, über das Billard gebeugt, starr stehen blieb, und zuletzt in Schweiss gebadet niederstürzte und einschlief. Sein Ausruhen hatte etwas von Verzweiflung an sich; die reinen Geister kommen solchen Menschen nicht nahe; und wenn er die Spassmacher glänzend zahlte, die ihn zum Lachen brachten, und selbst menschlich-witzig mit ihnen scherzte, blieb er doch immer gefährlich: wehe, wenn sie es nicht trafen, wenn sie sich nicht vollkommen genug beugten, seine schlechten Verse, die Dramen, die er entwarf und unter dem Namen eines mitarbeitenden Literaten aufführen liess, nicht genug lobten. Er verlangte Unterwerfung und liebte die Intimität nicht; der Graf von Gramont traf ihn einmal unvermutet im Park, da er Springübungen machte; ein Blick liess den Höfling die Gefahr erkennen: er sprang sofort mit und sagte: »Ich kann es noch besser, Eure Eminenz!«
Zwischen ihm und dem König war eine scheele Freundschaft. Ludwig XIII. jagte seine Mutter, jagte zuletzt selbst Troisville fort, als der Kardinal es forderte; aber er war innig erfreut, wenn er ihn in Kleinigkeiten ärgern konnte. An dem verödeten Hof war Schrecken und trübes Flüstern oder gewaltsame Orgien. Bei den regelmässigen Unterhaltungen fand höchstens die Jugend ihre Freude. Wie oft, wenn wieder ein Komplott entdeckt und vereitelt war, waren Prinzen und Herren aus den Zimmern des Louvre oder denen ihrer eigenen Schlösser nach ihren Pferden geeilt und wie toll nach der Grenze gesprengt, um dem Kerker, der Folter, dem Beil zu entgehen. Durch das Beil hatte der Herzog von Montmorency, der »erste Baron Frankreichs«, der Bruder der Prinzessin von Condé, geendet, durch das Beil sein Vetter, der Graf von Montmorency-Bouteville, der Marschall von Marillac, der Graf von Chalais-Talleyrand und wie viele andere. Bassompierre, der Liebesheld, der Schmuck des Hofes, sass seit Jahren in der Bastille, ebenso der Marschall von Vitry und der Graf von Cramail; im Schloss von Angoulême sass der Marquis von Châteauneuf in schwerer Haft; verbannt war der Herzog von Epernon, verbannt der Marschall von Estrées, die Herzogin von Chevreuse, die von Guise mit ihren Söhnen, der Prinz von Marsillac, die Marquis von Montrésor, von La Châtre; verbannt wurde noch im letzten Jahre Richelieus das ganze Haus Vendôme. – Der Graf von Bourbon-Soissons war bei Sédan von einem rätselhaften Pistolenschuss gefallen; die anderen Prinzen vom Geblüt hatten sich bedingungslos vor dem Minister gebeugt: der Bruder des Königs, der Herzog von Orléans, der sich so oft leichtfertig wider ihn erhoben hatte, war ebenso oft zu Kreuze gekrochen; der Prinz von Condé verheiratete seinen knirschenden Sohn mit einer Nichte Richelieus, der zarten Clémence von Maillé-Brezé. »Alle Kniee beugten sich vor ihm.«
Nicht mehr der Adel und die Grossen regierten in Frankreich, sondern das Ministerium. Das war das Neue, der Anfang unserer Zeit. Richelieu brauchte und fand die tüchtigsten Mitarbeiter. Sie waren nicht grosser Herkunft, sie hatten keine reinen Hände, aber sie leisteten viel.
So hatte er auch Mazarin gefunden. Dieser stieg, als er ankam, bei dem Staatssekretär Grafen Chavigny in der Rue du Roi de Sicile ab, der, gewandt und heiter, ehrgeizig und plänevoll, die der seinen ähnlichste Natur hatte. Sein legitimer Vater, Claude Le Bouthilier, war Finanzminister; Chavigny galt für einen natürlichen Sohn Richelieus, aber dies mochte Verleumdung sein: seit Generationen waren die bürgerlichen Le Bouthilier Helfer und Freunde der Familie Richelieu, und wurden nun vom Kardinal belohnt. Chavigny war Mazarins erster Freund in Frankreich.
Durch ein königliches Patent vom April des Jahres war »der Herr Jules Mazarin, geboren in der Stadt Rom, wegen der wichtigen und lobenswerten Dienste, die er dem Gemeinwohl in verschiedenen Verhandlungen, Verträgen und Geschäften geleistet« als Franzose naturalisiert worden. Der Akzent des neuen Franzosen blieb ein schlechter, und noch lange entschuldigte er sich in wichtigen Briefen, dass er sie diktieren müsse, weil er des Französischen nicht mächtig genug wäre. Spanisch sprach er viel besser, so dass die Frau von Motteville ihn einen »halben Spanier« nennt. Und gerade das ward für ihn von unendlichem Nutzen.
Er sollte als französischer Gesandter nach Hamburg geben, wo die ersten Friedensverhandlungen im Dreissigjährigen Kriege begonnen wurden, als man es wichtiger fand, ihn nach Savoyen zu schicken. Victor Amadeus, den er für Frankreich gewonnen hatte, war schon 1636 gestorben. Seine Witwe Christine von Frankreich, »Madame Royale«, führte für ihren minderjährigen Sohn Karl Emanuel II. die Regentschaft. Die beiden Brüder ihres Mannes, der Kardinal Moriz und der Prinz Thomas waren spanisch gesinnt und wollten die Herzogin nicht im Lande regieren lassen, die gleichwohl, von einem Jesuiten namens Monot beraten, vor französischer Hilfe Angst hatte. In grossem Zorn schrieb Richelieu an den König von den »Extravaganzen«, der »Blindheit und dem Eigensinn« der Herzogin … »wenn eine Frau fähig wäre auf Vernunft zu hören«, und ähnliche unhöfische Äusserungen über die Schwester seines Herrn entfahren ihm. Es kam zum Krieg; französische und spanische Armeen rückten in Savoyen ein und kämpften wilde Schlachten, bis Mazarins Geschicklichkeit im Jahre 1640 alle versöhnte, und den Prinzen Thomas – für viel Geld – zu französischen Diensten bewog. All diesen Menschen begegnete er bei seinem steigenden Weg auf immer verändertem Plan wieder; alle spielten in seinem Dasein oder in dem seiner Familie Rollen, die sein Selbstgefühl beglücken mussten.
Dann wurden die Streitigkeiten mit dem päpstlichen Hofe geschlichtet; der alternde Urban VIII. gab dem Drängen Richelieus nach, die lang hinausgeschobene Promotion wurde vollzogen und im Konsistorium vom 16. Dezember 1640 dreizehn neue Kardinäle ernannt, darunter Giulio Mazarini, den der allerchristlichste König nominiert hatte. Ein päpstlicher Kämmerer brachte die Insignien nach Frankreich; in der Domkirche von Valence, im Dauphiné, wo der Hof sich befand, überreichte Ludwig XIII. ihm das Barett. Er ward Kardinaldiakonus, ohne Priester, ohne Diakonus zu sein und ohne Titelkirche. Er erwies dem König seinen Dank, indem er auf seine Kosten ein Regiment italienischer Soldaten anwerben liess, das hinfort seinen Namen trug.
Aber so hoch er gestiegen schien, so wichtige Aufträge er bekam, ist er doch in diesen Jahren in Frankreich wenig hervorgetreten. All die Memoirenschreiber, die später so viel von ihm zu sagen haben, erwähnen seiner in diesen Jahren gar nicht. Er war für sie eine der »Kreaturen« Richelieus, dazu ein Italiener, ein Fremder, devoter und höflicher als man es in Frankreich gewöhnt war, weniger gefürchtet und auch weniger geachtet als die andern. Was war solch ein Mann, ob er Kardinal, ob er Gesandter hiess, für den hochmütigen französischen Adel?
Scheinbar nahm er an dem, was im eigentlichen Frankreich geschah, kaum einen Anteil. Er vermittelte nur. Er war etwa drei Jahre in Richelieus Diensten, als jene berühmte letzte Verschwörung gegen Richelieu versucht ward, deren Verlauf ihr eine so wunderliche Tragik gab. Der Kardinal-Herzog hatte den jungen Cinq-Mars, einen Sohn seines verstorbenen Freundes, des Marschalls von Effiat, dem König zum Gesellen gegeben, um einen ihm ganz ergebenen Mann am Hofe selbst zu haben. Der einundzwanzigjährige schöne Junge wurde zum Grossstallmeister von Frankreich ernannt, ward des Königs und der Frauen Liebling, tanzte, trank und jagte, dann langweilte er sich an dem öden Hof, ward unzufrieden, und so auch der Kardinal mit ihm. Seine scheinbare Grösse berauschte ihn: in törichtem Ehrgeiz wollte er selbst erster Minister werden; da er sich vom Kardinal schon verworfen fühlte, liess er sich in eine Verschwörung zu seinem Sturz und in ein geheimes Bündnis mit Spanien ein. Es ward entdeckt. Als die Staatssekretäre lange, geheime Konferenzen mit dem König hatten, wurde dem Vicomte von Fontrailles, einem der Verschworenen, bange, und er warnte Cinq-Mars, der nicht darauf achten wollte. »Gut,« sagte Fontrailles, »Sie werden noch gross genug sein, wenn Ihnen der Henker den Kopf von den Schultern genommen haben wird: ich bin von zu geringer Statur.« Fontrailles war klein und buckelig; er entkam als Kapuziner verkleidet. Die anderen starben auf dem Schafott. »Ich möchte gern wissen, welches Gesicht der Herr Grossstallmeister jetzt schneidet,« sagte der König in der Stunde, da Cinq-Mars enthauptet wurde. Der Kardinal, der in seiner letzten Krankheit lag, genoss noch seine Rache. Auf einem Schiff den Rhône hinaufgezogen, schleppte er den gefangenen Präsidenten de Thou, der an der Verschwörung nicht teilgenommen, aber von ihr gewusst und seine Freunde nicht verraten hatte, in einer zweiten Barke hinter sich her zur Hinrichtung. Vom Rhôneufer ward sein von Geschwüren zerstörter, leidender Körper in einer eigens erbauten Sänfte von vierundzwanzig Trägern über Land nach der Loire getragen. Häusern wurden die Mauern weggerissen, um ihn möglichst schmerzlos in sein Zimmer zu bringen; dann fuhr eine ganze Flotte die Loire hinab, während Reitereskadronen beiden Ufern entlang ritten. Der Herzog von Enghien liess die Schleusen öffnen, um Wasser in die ausgetrockneten Kanäle strömen zu lassen: so kam der sterbende Minister siegreich nach Paris zurück.
Den Herzog von Bouillon rettete die Einsprache der ihm verwandten Familien Nassau und Hessen und die Drohung seiner Frau, Sédan den Spaniern auszuliefern. Aber er rettete sich nur, indem er dieses sein Fürstentum und die Stadt Sédan an Frankreich abtrat. Mazarin war es, der den Vertrag vermittelte und dann als Vertreter der französischen Regierung die Festung für Frankreich in Besitz nahm. Das war im September und Oktober 1642. Am 4. Dezember starb Richelieu.
»Wenn es einen Gott gibt,« sagte Urban VIII, der immer witzige Papst, als er die Nachricht vernahm, »so wird er wohl büssen müssen; wenn es keinen Gott gibt, war er ein braver Mann.«