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Wie in einem glänzenden dramatischen Aufbau ging Mazarins Laufbahn mit letzten Verwicklungen und Lösungen, mit Gepränge und Staatsaktionen und Fanfaren ihrem Abschluss zu.
Aber ehe es ihm gelang, sein Werk zu vollenden, trat in dem merkwürdigen Schicksal des Mannes die merkwürdigste Schwierigkeit ein, ein bittrer Zwiespalt und zugleich die gefährlichste Versuchung. »Die heikelste Sache, die er je zu lösen gehabt,« nennt er sie selbst, er, der so unaufhörlich sein Leben lang in den schwierigsten Verschlingungen zu tun hatte. Sie kam ihm aus seinem eigenen Hause und dem, auf das er sein Haus gepfropft hatte, dem königlichen Hause von Frankreich. Und er löste sie mit der kalten, herzlosen Sachlichkeit, die er den Fragen der Politik wie den Menschenschicksalen entgegenbrachte.
Der junge König überliess sich seiner Führung, aber mit jedem Jahr, um das er älter wurde, ward das Gewicht seiner Stellung wie das seiner Persönlichkeit fühlbarer. Die Frage, wann der Tag kommen würde, an dem die Regierung des Italieners endete und Ludwig XIV. selbst sie an sich nahm, schwebte unausgesprochen auf allen Lippen. Wie, wenn es ihm zu lange wurde und er, wie so viele Fürsten vor ihm und nach ihm, der steten Bevormundung müde, den allzu mächtigen Minister beseitigte? Als Furcht oder Hoffnung erfüllte dieser Gedanke die Seelen. Und man zweifelte nicht, dass vor allem der Kardinal selbst in solcher Sorge leben musste. Noch lange nachher wurde allgemein gesagt und geglaubt, dass er die Erziehung des jungen Königs absichtlich vernachlässigt und ihn von allen Staatsgeschäften ferngehalten hätte, um unentbehrlich zu bleiben und ihm die Übernahme der Regierung zu erschweren. Es wäre völlig verkehrt gewesen: die Unwissenheit traut sich am meisten zu. Erstaunt und erbittert schreibt Brienne vom Jahre 1658: »Der Einfluss des Kardinals wuchs beständig, obgleich der König älter wurde.«
Um den entscheidenden Einfluss auf den König zu haben, hatte Mazarin sich schon Anfang 1645 die Oberaufsicht über seine Erziehung übertragen lassen. Gouverneur des Königs war der Marschall von Villeroy, und dessen Stellvertreter ein Herr von Brisacier gewesen, beide ergebene Werkzeuge. Unter dem Abbé und spätern Bischof Beaumont de Péréfixe, der den Unterricht leitete, waren neun Lehrer angestellt worden, die ihn im Schreiben und Zeichnen, Mathematik und Kriegswissenschaft, in körperlichen Übungen und Musik, später auch im Italienischen zu unterweisen hatten. Latein und Geschichte scheint Beaumont sich vorbehalten zu haben; aber die Kenntnisse des Schülers sind immer sehr unbedeutend geblieben. Noch sind Hefte mit Übersetzungen aus Caesars »De bello Gallico« vorhanden, die der König später dem Grafen von Béthune für seine Sammlung schenkte, sowie eine bemerkenswerte Schreibübung, die der Kleine auf Diktat eines seiner Lehrer – er hiess Etienne Le Bé – zehnmal schrieb: »Hommage est deub aux roys, ils font ce qu'il leur plaist«, »Den Königen ist man Unterwerfung schuldig, sie tun, was ihnen beliebt«; und achtmal steht darunter der Name »Louis« geschrieben. Er war erst drei Jahre alt, als man ihm eine Landkarte »L'Europe française« schenkte.
Als Kind übermütig und ungezogen, wurde er bald sehr ernst und beherrscht. Früh wusste er den Herrn zu spielen; als Neunjähriger wies er den Grosskämmerer, Herzog von Joyeuse, der zu spät gekommen war, scharf zurecht. »Wenn ich nicht geglaubt hätte, dass es Mama nicht recht sein würde, hätte ich den Ersten Präsidenten schweigen geheissen und hinausgejagt,« sagte er, als Molé im Januar 1651 die Befreiung der Prinzen in starken Worten gefordert hatte. In Bourg weinte er vor Zorn über die Frondeure in Bordeaux. »Ich werde nicht immer Kind sein,« sagte er, »und diese Halunken werden mir nicht lange mehr Vorschriften machen!« Dabei war er sonst fügsam, hörte gerne zu, wenn man ihm etwas erklärte, und liess sich überzeugen. Er selbst sprach wenig; die witzigen und lebhaften unter seinen Spielgefährten, wie der junge Graf von Guiche, der Chevalier von Rohan, der Herr von Tréville hielten ihn für dumm. Sie bildeten mit andern Söhnen des Adels eine kleine Kompagnie in Uniform, die der König kommandierte, mit denen er militärische Übungen machte und eine Miniatur-Festung, mit vorspringenden Winkeln, mit Wall und Graben und Glacis, die im Garten des Palais Royal für ihn angelegt war, verteidigte oder belagerte und stürmte. Der jüngere Brienne erzählt, wie er mit seinem Bruder, mit dem kleinen La Châtre und andern Kindern, als der König fünf Jahre alt war, in diese Kompagnie eintrat, und wie damals eine Kammerfrau der Königin, Frau von Lasalle, selbst kriegerisch gekleidet, mit Federhut und Degen, sie in einer Galerie des Louvre unter Trommelwirbel empfing, indem sie jedem ein kleines Gewehr und einen Kuss gab. Später kommandierte der König selbst, die Übungen wurden ernster. Er besass auch eine vollständige kleine Armee aus Silber mit allen Waffengattungen, Maschinen, Geschützen und Kriegsgerät jeder Art, die zum Unterricht im Kriegswesen benutzt wurde. Seit 1654, also seit seinem fünfzehnten Jahr nahm er an bestimmten Wochentagen an Sitzungen teil, bei denen zunächst leichtere Angelegenheiten erörtert wurden. Allmählig besprach der Kardinal mehr und mehr mit ihm und führte ihn methodisch in die Staatsgeschäfte ein. Auch an den wirklichen Kriegsoperationen der Armeen liess er ihn immer mehr und näher teilnehmen. Im Juli 1655 schreibt er aus dem Lager bei Marolles an die Königin: »Der Vertraute« – das ist der König – »ist unermüdlich; er hat den ganzen Marsch der Armee mitgemacht und ist jetzt, ehe er sich ausgeruht, noch weggeritten, um die Vorposten bei Avesnes zu sehen … er war fünfzehn Stunden zu Pferde … er lacht den ganzen Tag, und doch sterben wir Hungers, denn die Bagagewagen sind nicht angekommen.« Sicherlich bot Mazarin seine ganze Liebenswürdigkeit auf, den jungen König zu unterhalten und zu gewinnen; aber er war keineswegs zu nachsichtig gegen ihn; er tadelte die mütterliche Schwäche der Königin; er ermahnt ihn oft und findet ihn wiederholt zu träge und nicht fest genug, und als Ludwig anfangs jene Sitzungen des Staatsrats langweilig fand, und sie verliess, um in der Vorhalle mit seinem Vorleser Berthaut, dem Bruder der Motteville, Gitarre zu spielen oder eine Ballettfigur zu besprechen, da sprach der Kardinal seine Meinung darüber in einer Weise aus, dass Berthaut es für geraten hielt, seine Stellung aufzugeben.
Bei jenen grossen Belagerungen in Flandern im Jahre 1658 tauchte gelegentlich auf der Düne vor den jubelnden Truppen der junge Mann im schwarzsamtenen Leibrock mit der weissen Schärpe und dem Hut mit wallenden Straussfedern auf, in dessen Namen sie kämpften, und verschwand wieder. Mühsam hielt der Kardinal den Ungeduldigen im Hintergrund und meist einige Stunden vom Kriegsschauplatz entfernt. Nach Dünkirchen wurde das südlich von Calais gelegene Bergues St. Vinox angegriffen; und hier wurde der König krank. Erst verheimlichte er, dass er sich nicht wohl fühlte; am 30. Juni musste er es dem Kardinal gestehen und nach Calais zurückkehren, wo die Königin war. Es scheint Typhus gewesen zu sein, und die Krankheit verschlimmerte sich rasch. In der Nacht vom 6. zum 7. Juli wurde er mit den Sterbesakramenten versehen. Am Abend hatte er den Kardinal mit Zeichen gebeten, ganz nahe zu kommen und ihm leise gesagt: »Sie sind ein entschlossener Mensch und der beste Freund, den ich habe; darum bitte ich Sie, es mir zu sagen, wenn meine letzte Stunde herannaht, denn die Königin wird nicht den Mut haben, aus Sorge, das Fieber zu steigern.« Ungeheuer war die Aufregung in Frankreich; in allen Kirchen war das Allerheiligste ausgestellt und ringsherum lagen die Menschen auf den Knien und beteten für die Genesung des Königs. Um Colberts Haus drängte sich die Menge, die die Nachrichten erfahren wollte. »Einen jungen König sterben sehen, ist schrecklich,« schreibt Mademoiselle. Es gab aber auch Leute, die sagten, dass die Krankheit eine Strafe Gottes für die Auslieferung Dünkirchens an die Ketzer sei. Der siegreiche Feldzug drohte zu stocken. Am Hofe begannen die vorbereitenden Verschiebungen, eine merkliche Bewegung vor allem um den nächsten Thronerben, den Herzog von Anjou, der puppenhaft kindisch, von einer perversen Zartheit und nicht ohne Tücke, das Widerspiel seines Bruders war. Seine Umgebung, die bis dahin bedeutungslose junge Kavaliere und alte Damen gewesen, wurden jetzt wichtig und besprachen kommende Veränderungen. Des Herzogs Günstling, der junge Graf von Guiche, der älteste Sohn des Marschalls von Gramont, der in der Schlacht an den Dünen verwundet worden, lag in Calais, ein schöner und begabter junger Mensch, aber geziert, unklug und haltlos. Gegen wen die Bewegung sich zunächst richtete, war klar; eine Hofdame Frau von Fiennes – »die alte Teufelin« wurde sie genannt – scheint dem Prinzen den Rat gegeben zu haben, Mazarin sogleich nach des Königs Tode zu entlassen und ihn zugleich zu verhaften und sich seiner Schätze zu bemächtigen. Auch die Frau von Choisy gab politische Ratschläge. Sie verhehlten ihre Freude nicht. Alte Feinde aus der Fronde begannen sich zu rühren, der Herzog von Brissac, der kaum aus dem Bann zurückgekehrt war, der Marquis von Jarzé, der einst so schmählich vom Hofe gejagt worden. Der Kardinal schrieb an Turenne, »er habe nichts zu fürchten, was immer geschehe,« aber er traf Vorkehrungen; Colbert erhielt die nötigen Aufträge: die Garnisonen von Vincennes und die der Bastille wurden verstärkt; die Freunde und Anhänger des Kardinals verständigt, sich bereit zu halten; die kostbarsten Schätze im Palais Mazarin wurden gepackt, um sofort nach Vincennes überführt werden zu können. Gleichzeitig aber, während er sich gegen Handstreiche sicherte und gewissermassen gegen den neuen König rüstete, scheint Mazarin auch Versuche gemacht zu haben, die Umgebung des Thronfolgers für sich zu gewinnen.
Indessen standen sechs Ärzte um das Krankenbett des Königs, und Mazarin sprach in einem Briefe die Furcht aus: »turba medicorum perdidit imperatorem«; auf den Rat eines aus dem nahen Abbeville berufenen Arztes, du Saussoy, gab man ihm Brechwein, ein damals neues, von den einen gepriesenes, von den andern ebenso heftig bekämpftes Mittel, und seine Krankheit begann sich zu bessern; er hatte einen ausserordentlich kräftigen, ungeschwächten jungen Körper; am 10. Juli schien er ausser Gefahr, und am 22. wurde er nach Compiègne gebracht. Alle Pläne waren zerflattert, und die Damen und Herren, die so voreilig Politik gemacht hatten, wurden sämtlich vom Hofe oder aus Paris verwiesen. Diese Gefahr war vorüber. Aber noch am 28. August schrieb Mazarin besorgt und vorwurfsvoll an die Königin: der junge König »emanzipiere sich zu sehr; er bleibe zu lange auf, das sei höchst gesundheitschädlich; sie müsse energischer gegen ihn sein«.
An dem aufgeregten Hoflager in Calais während der Krankheit des Königs, unter den Bestürzten, Wichtigtuenden oder Verschlossenen, die fragend und flüsternd durch Zimmer und Gänge schritten oder an den Türen horchten, war der fassungslose Schmerz, das verzweifelte Weinen eines jungen Mädchens aufgefallen: Marie Mancinis, der Nichte des Kardinals. Von den acht Kindern seiner verstorbenen Schwester war sie das vierte und das mindest begnadete gewesen. Lang aufgeschossen und mager, mit dunkler Haut und noch unfertigen Zügen hatte Frau von Motteville sie bei ihrer Ankunft »vollkommen hässlich« gefunden. Die stille Frau Mancini hatte, wie es scheint, im Hause ihre heftigen Eigenheiten; sie mochte diese Tochter von Anfang an nicht leiden und zeigte es ihr. Sie hatte sie nur ungern mit nach Frankreich genommen und sie hier, wie zuvor in Rom, sofort in eine Klosterschule geschickt. Die Vorsteherin, die dort ihren Unterricht leitete, die Mère Marie Elisabeth, war eine kluge Frau aus vortrefflicher Familie. Sie war die Schwester Guillaume von Lamoignon's, der, als Bellièvre im März 1657 gestorben war, obwohl noch jung und einfaches Mitglied der Chambre des Requêtes, zu seinem Nachfolger als Erster Präsident des Pariser Parlaments berufen wurde. »Wenn der König einen besseren Mann als Sie in seinem Reiche gefunden hätte, so würde Ihnen dieses Amt nicht gegeben haben,« soll Mazarin zu ihm gesagt haben. Der Mère Marie Elisabeth fiel Maries ausserordentliche Begabung auf. Sie las und las. Nach anderthalb Jahren wurde sie an den Hof gebracht, weil Mazarin daran dachte, sie mit dem Sohne des Marschalls von La Meilleraye zu verheiraten. Aber dieser sah ihre damals kaum zehnjährige Schwester, die wunderschöne Hortense, als er erklärte, nie eine andre zur Frau nehmen zu wollen, und von da an durch Jahre ihr treuer und hartnäckiger Bewerber blieb. Das war 1655 gewesen, und Marie war am Hofe geblieben, aber die Abneigung ihrer Mutter hielt sie von Gesellschaften und Vergnügungen fern auf ihrem Zimmer, wenn die kleineren Schwestern Hortense und Marianne um den Kardinal und die Königin sein durften. Und als Marie, die dies mit all der Bitterkeit empfand, deren ein leidenschaftliches Kind fähig ist, zuletzt aufbegehrte, da ging die Mutter zum Oheim und klagte über sie. Und der Kardinal hielt ihr in harten Worten ihre Undankbarkeit vor. So stark war dieser unerklärte mütterliche Hass, dass sie noch auf ihrem Totenbette den Kardinal beschwor, Marie ins Kloster zu tun, denn sie sei böse von Natur, und ihr verstorbener Gatte, dessen Prophezeiungen stets eingetroffen seien, habe aus den Sternen vorausgesagt, dass sie viel Unheil in der Welt verursachen werde. In ihren Memoiren erzählt Marie Mancini, noch lange seien ihre schlimmsten Träume die von ihrer Mutter gewesen. So spannen sich bittere Familientragödien in das grosse Drama der Zeit.
Plötzlich, wie das bei Mädchen in diesem Alter vorkommt, war Marie schön geworden. Sie war immer gross gewesen, ihre Gestalt reifte zu schlanker Fülle: ihre Augen bekamen Glanz und Feuer, sie hatte herrliche Zähne, ihr Haar war schwarz und üppig, ihre Züge voll Ausdruck. Die häufige Anwesenheit des ernsten jungen Königs hatte die Kinder in ihren Spielen eher gestört; Marie zog ihn jetzt mit Lebhaftigkeit ins Gespräch und es scheint, dass die Gespräche rasch einen neuen Reiz für beide bekamen. Das Mädchen hatte die geistige Führung, und sie bewog den jungen König, dessen Bildung eine durchaus praktisch-militärische war, die Gedichte und Romane zu lesen, die sie liebte; sie las ihm vor, und als man sich eines Abends im kleinen Hofkreise um die Königin langweilte, wie zumeist, forderte der König Marie auf zu rezitieren, und sie trug Szenen aus dem »Cid« und aus »Horace« vor mit lebhaftem Beifall der Königin und aller Anwesenden; es war ihr erster öffentlicher Erfolg.
Wenige Monate vorher hatte der König sich in ein zierliches Ehrenfräulein seiner Mutter, von La Mothe Argencourt, in erster Bezauberung plötzlich verliebt, so dass er bleich und rot wurde, als sie ihn eines Abends zum Tanze holte. In harmloser Eitelkeit rühmte das Mädchen sich solchen Erfolges. Sie wurde in ein Kloster verwiesen und dem König die Sache so dargestellt, dass er ihre Bestrafung richtig fand. Um so ungehemmter wendete sich jetzt sein erwachendes Liebesbedürfnis der jungen Mancini zu, und als er hörte, wie heftig Mariens Verzweiflung während seiner Krankheit gewesen war, wurde er doppelt ergriffen. Da die Königin und der Kardinal nichts daran zu finden schienen, sah Marie Mancini sich plötzlich wie Aschenbrödel aus ihrer traurigen Verstossenheit in Herrlichkeit versetzt, vom König geliebt und selbstverständlich vom Hof sogleich umdrängt und gefeiert. Mariens Geist war hochstrebend; sie forderte viel und regte ihren Freund zu geistiger Tätigkeit an; Mademoiselle wie die Motteville und andre berichten, dass der König in dieser Zeit fröhlicher und reifer zugleich, gesprächiger und vor allem gebildeter ward. Mariens ältere Schwester Olympe, die Gräfin von Soissons, der der König, als sie Kinder waren, sich angeschlossen hatte, sah mit Bitterkeit und Bosheit im Herzen zu, blies an und vermittelte und berichtete alles, was vorging, in genauen Briefen dem Kardinal. »Sie schmollen jeden Augenblick miteinander wie zwei Kinder,« schreibt sie, »und ich habe dem König gesagt, dass man alles mögliche darüber redet; seitdem kennt er mich nicht mehr.« Keinen Augenblick verlor der Kardinal den Verlauf dieses Liebesspiels aus den Augen. In Fontainebleau, wohin der Hof übersiedelte, war das Fräulein von Mancini auf Jagden und Spazierritten in den weiten Wäldern, in Konzerten auf dem Wasser, in glänzenden Festen und Unterhaltungen der Mittelpunkt. Wenn sie vergassen, welche Rolle der junge Mann, der sie liebte, auf der Bühne der Welt spielte, wurden sie plötzlich daran erinnert. Im Herbst hatte der Hof einen neuen Gesprächsstoff: die bevorstehende Vermählung des Königs mit der Prinzessin von Savoyen. Eingeweihte wussten schon lange davon; vielleicht war nach Turin ein Wink gegeben worden, vielleicht hatte »Madame Royale« Christine von Savoyen, die Schwester Ludwigs XIII., ihre Tochter angetragen; jedenfalls hatte der Abbate Amoretti, ihr Agent, beim Kardinal zahlreiche Audienzen, und der Oberintendant Nicolas Foucquet, der seine Pläne auf die Zukunft einstellte, hatte schon im August die Nichte einer Freundin, das Fräulein von Treseson, spätere Gräfin Cavour, ein kluges und gewandtes junges Frauenzimmer, auf geschickten Umwegen am savoyischen Hof untergebracht, um von allem, was vorging, zeitig unterrichtet zu sein und sich den Einfluss der künftigen Königin von Frankreich zu sichern; auch hier wie überall schlauer, als klug war. Eine unbedingte Zusage erreichte Amoretti nicht, aber es wurde eine Begegnung in Lyon verabredet, um zu sehen, ob die Prinzessin dem König gefiele. »Ich kann Ew. Hoheit nichts Positives versprechen,« schrieb Mazarin am 4. Oktober an die Herzogin-Witwe, »aber der König unternimmt die Reise mit grosser Freude und wünscht nichts sehnlicher, als dass die Sache zustande komme, und die Königin ebenso. Und was mich betrifft, wenn es mich einen Teil meines Blutes kostete, ich wünschte, die Sache wäre schon gemacht.« Erst sollte nur der Kardinal mit dem König reisen; dieser wünschte die Anwesenheit seiner Mutter bei solcher Entscheidung, und so reiste auch ihr Hofstaat, und auch die bestürzte Marie Mancini wurde zur Mitreise befohlen.
Grosse Vorbereitungen wurden getroffen, und Colbert bekam viel zu tun; die prächtigsten Hofkleider für den König, ein schwarzes und ein rotes für den Kardinal, neue Toiletten für die Nichten, neue Uniformen für die Garden mussten eilends angefertigt, reiche Geschenke für den savoyischen Hof besorgt werden. Dann wurde die Reise angetreten, nach der Art der Zeit, ein unendlicher Zug von Prachtkarossen, berittenen Garden, Hofbeamten und Dienerschaft ohne Zahl, Lastwagen, auf denen das Gepäck, aber auch die Betten, Teppiche, Möbel, Vorhänge mitgeführt wurden, bewegte sich durch die Herbstlandschaft über Auxerre und Dijon, mit Aufenthalten, Empfängen und Festlichkeiten, so dass es fast einen Monat währte, bis man am 24. November Lyon erreichte. Es mochte manchem eine wunderliche Reise zur Brautschau dünken, auf der der König, den die Fahrt in der Karosse mit seiner Mutter und den älteren Prinzessinnen langweilte, zumeist zu Pferde neben der beglückten Marie Mancini ritt und sich stundenlang ununterbrochen mit ihr unterhielt, ihr beim Richten des Sattels, der Bügel, beim Auf- und Absitzen die Aufmerksamkeiten eines galanten Kavaliers erwies. Zuletzt, als die andern Damen der Kälte wegen die Wagen aufsuchten, sassen nur noch sie und der König zu Pferd.
Vier Tage nach dem französischen Hof trafen die savoyischen Damen ein, mit nicht weniger Pracht, Karossen, Sänften, Livreen, Maultieren mit schwarzen und roten Decken, darauf gold- und silbergestickte Wappen, Garden und Pagen in dunklem Sammet und bunter Seide. Man fuhr ihnen entgegen; ungeduldig verliess der König seinen Platz im Wagen seiner Mutter, bestieg ein Pferd, sprengte voraus, warf einen Blick in die Karosse, in der die ihm zugedachte Braut sass, und kam wieder zurück. »Nun, mein Sohn?« fragte die Königin. »Sie ist kleiner als die Frau Marschallin von Villeroy,« antwortete er, »sie hat einen sehr guten Wuchs; die Hautfarbe«, er zögerte ein wenig, »ist olivbraun, es steht ihr aber gut; sie hat schöne Augen, kurz, sie gefällt mir und ich finde sie nach meinem Geschmack.« »Das ist mir sehr angenehm zu hören,« erwiderte die Königin.
Dann begegneten die beiden verwandten Höfe einander mit Umarmungen und Begrüssungen, Komplimente und alte Erinnerungen wurden ausgetauscht, überall war festliches Gedränge, Besuche und Gegenbesuche, mit den üblichen Rangstreitigkeiten und Kränkungen, – die Kurprinzessin blieb die ganze Zeit krank zu Bett, um niemandem den Vortritt lassen zu müssen, dem er ihrer Meinung nach nicht zukam. Der König unterhielt die Prinzessin hauptsächlich von militärischen Dingen. Alles schien glänzend zu gehen. Mademoiselle konnte es sich nicht versagen, Marie Mancini, die bei der ersten Begegnung nicht mitgewesen war, zu erzählen, wie gut die Prinzessin dem König gefallen habe.
Bereits am zweiten Tage war die Stimmung verändert. Zwar die Feste, die der französische Hof, die die Stadt, die der Gouverneur, der Erzbischof gaben, dauerten fort, aber der junge König behandelte die Prinzessin mit auffälliger Kälte und unterhielt sich in ihrer Gegenwart beinahe nur mit Marie Mancini. Am 1. Dezember war der regierende Herzog von Savoyen, Carl Emanuel II., der Bruder der Prinzessin, angekommen und unter Kanonenschüssen durch die Spalier bildenden Garden eingeritten. Er trug Trauer. Überlegen, lebhaft und witzig, hielt er sich dennoch kühl zurück und verliess schon zwei Tage später, nachdem er sich am Vorabend kurz verabschiedet, die Stadt wieder, ohne dem Kardinal einen Besuch gemacht zu haben. Er hatte den Plan seiner Mutter von Anfang an missbilligt und fühlte sich in einer schiefen Stellung, die er durch hochmütig-kalte Höflichkeit und ein Benehmen, als ginge ihn die ganze Sache nichts an, zu retten suchte. Mademoiselle, die in ihren Memoiren die Vorgänge in Lyon am ausführlichsten beschrieben hat, schildert, wie er sein Pferd beim Abreiten am frühen Morgen immer wieder über die kleinen Mäuerchen an der Promenade setzen liess, wie um seine ärgerliche Gleichgültigkeit zu zeigen, und ausserhalb des Weichbildes angelangt, laut sagte: »Adieu, Frankreich, ich verlasse dich ohne Bedauern und für immer!«
Die ganze Sache war eine pomphafte Komödie gewesen, eines jener diplomatischen Meisterstücke Mazarins, in dem jeder Zug überlegt, jede Person mit kalt berechnender Psychologie ins Spiel gestellt war, und alle den Willen des unangenehmen Spielers im Purpur ausführen müssten, ohne es zu wollen, ohne es zu ahnen, die Herzogin-Witwe, die Prinzessin und Marie Mancini. Die Reise nach Lyon war frühe genug angekündigt worden und hatte lange genug gedauert, dass an allen Höfen Europas darüber gesprochen wurde, auch an dem zu Madrid. »Esto no puede ser y no serà,« »Das kann nicht sein und wird nicht sein«, hatte König Philipp IV. gesagt, als er von diesem Verlobungsplan erfuhr. Das hatte der Kardinal gewollt, und noch, ehe der französische Hof in Lyon anlangte, war bereits mit Eilpferden Don Antonio Pimentel de Prado, Graf von Benavente, einer der tüchtigsten spanischen Offiziere und Diplomaten, einst der Geliebte der Schwedenkönigin, angekommen, ja dem Hof bis Macon entgegengefahren, hatte von dort durch einen Kurier eine dringende geheime Audienz beim Kardinal verlangt, und als man in Lyon ankam, sofort erhalten. Mademoiselle erzählt, der Kardinal sei ins Zimmer der Königin getreten mit den Worten: »Ich habe Ew. Majestät eine Nachricht mitzuteilen, die Sie nicht erwartet und die Sie aufs äusserste überraschen wird.« »Sollte mein Bruder schicken und mir die Infantin anbieten?« hatte die Königin geantwortet, und der Kardinal: »Ja, das ist es, gnädige Frau.« Allerdings glaubt sie, dass dies erst in Lyon geschah. Die ganze Zeit während des savoyischen Besuches wohnte Pimentel in einem Zimmer neben dem des Kardinals; die ganze Zeit hindurch führten sie wichtige Verhandlungen. Der Umgebung wurde gesagt, es sei ein Herr aus Lüttich, der den Kardinal kenne und in Privatangelegenheiten da sei. In der Tat kannte ihn der Minister aus den Niederlanden, da Pimentel ihn, als er im Bann war, an die deutsche Grenze geleitet und ihm auch den Antrag gemacht hatte, in spanische Dienste zu treten. Seit Jahren war es der Lieblingsgedanke, der grösste Wunsch der Königin, Ludwig XIV. mit der Tochter ihres Bruders zu verheiraten, die Häuser von Spanien und Frankreich auszusöhnen und eng zu verbinden. Marie war die Aufgabe zugefallen, den König zu fesseln, damit der leicht zu Entflammende sich nicht etwa ernstlich in die kluge Prinzessin von Savoyen verlieben sollte. Darum hatte dieses Mal niemand das wenig höfliche und unpassende Benehmen des Königs gerügt, das den Hof aufs äusserste überraschte, Marie entzückte, die savoyischen Damen tief verletzte. Die Tage vergingen; was sie erwarteten, was sie zu hören gekommen waren, ereignete sich nicht, das Benehmen gegen sie war sonderbar, die Stimmung des Hofs war eine verhaltene; man kann sich die Empfindungen, die Beratungen in ihren Zimmern vorstellen. Ob Madame Royale von der Anwesenheit des spanischen Agenten erfuhr, ob, wie es scheint, Lyonne, der immer die schwierigsten Aufträge erhielt, zu ihr geschickt wurde, um die peinliche Mitteilung zu machen, ist nicht klar festzustellen. Lyonne scheint es auch bereits dem Herzog mitgeteilt zu haben, der die tiefe Beleidigung empfand, der seine Mutter sich ausgesetzt hatte, und darauf so schnell und demonstrativ abgereist war. Der Kardinal, zur Rede gestellt, gab alles zu. Er sei verzweifelt, aber »um des Weltfriedens willen müsse die spanische Heirat sein,« sagte er. Die alte Dame soll totenbleich geworden sein, aber sie fasste sich und sagte, sie verstehe die politischen Notwendigkeiten: was jedoch werde geschehen, wenn die spanische Heirat nicht zustande käme? Dann, versicherte der Kardinal, werde Ludwig XIV. nie eine andere Prinzessin als ihre Tochter zur Frau nehmen. Die Herzogin verlangte dieses Versprechen schriftlich, der Kardinal wehrte sich, die Unterredung wurde sehr erregt, aber die empörte Mutter setzte ihren Willen durch. Dann fuhr sie nach Hause in den erzbischöflichen Palast, in dem sie ihre Zimmer hatte, und weinte sich aus. Noch am selben Abend schickte ihr der Kardinal Ohrgehänge mit den herrlichsten Diamanten und andres Geschmeide kostbarster Art, Fächer und Parfüms; und ziemlich getröstet, die neuen Diamanten in den Ohren, erschien sie bei der Königin, die der Schwägerin liebevoll zuredete. Am nächsten Tage beim Abschied weinte die Herzogin wieder, und kaum waren, die man so schmählich irregeführt hatte, fort, als man sie verhöhnte, über die ölig breite Art der alten Herzogin und ihre Tränen spottete. »Sie ist selbst die grösste Komödiantin der Welt,« sagte die Königin zu Mademoiselle, »ich gönne diesen Leuten die Blamage von Herzen.«
Über die Prinzessin Margarete, deren Lage die peinlichste war, spottete man nicht. Man bewunderte ihre Haltung. Sie hatte, wie bitter sie getroffen war, während all dieser Tage eine kalte Würde gezeigt, als wünschte sie nichts und wüsste von nichts, und hatte sich nie etwas vergeben. Einmal nur in einem Gespräch mit Mademoiselle und dem Marschall von Gramont über die Ehe ihrer Schwester, der Kurfürstin von Bayern, offenbarte sie ihr heisses Gemüt. Sie heiratete bald darauf den Herzog von Parma, einen ziemlich armseligen Menschen, ward keine glückliche Frau und starb früh.
Der französische Hof blieb noch einige Zeit in Lyon, die Königin hatte ihre Zimmer im Kloster Ainay, der König wohnte im Hause eines Herrn Mascarani auf der Place Bellecour, und in den andern Häusern dieses schönsten Platzes der Stadt waren sein Bruder, der junge Herzog von Anjou, Mademoiselle, der Kardinal und seine Familie einquartiert. Jeden Abend, wenn die Königin sich zurückgezogen hatte, begleitete der junge König das Fräulein von Mancini nach Hause, kutschierte ihren Wagen selber, um, wenn sie eine Strecke gefahren, einzusteigen; oder sie machten lange Mondscheinspaziergänge unter den Baumalleen des Platzes. Der Kardinal lag meist an der Gicht zu Bett und die Königin verbrachte viele Stunden in seinem Zimmer. Frau von Venel, die Gouvernante der jungen Mädchen, denn auch Hortense und Marianne waren mitgekommen, hatte strengen Auftrag zu wachen: die Schlafzimmer lagen im Erdgeschoss. Aus dem Schlaf stand die Gouvernante auf, wie Hortense in ihren Erinnerungen erzählt, und tastete die Betten ab. Es brauchte solcher Vorsicht nicht. Marie Mancinis Stolz war ein besserer Schutz.
Erst in der zweiten Hälfte des Januar kehrte der französische Hof nach Paris zurück. Wieder war die Reise durch die stete Huldigung des Königs entzückend für Marie, und der Karneval des Jahres 1659 wurde die glücklichste Zeit ihres Lebens. Fest folgte auf Fest; andere Liebespaare, der Marquis von La Meilleraye und die kleine Hortense, der Marquis von Alluye und Denise du Fouilloux schlossen sich ihnen an; »unsere Kabale,« schreibt Marie Mancini in ihren Erinnerungen; Zu S. 502. Der Historiker ist Paul Viollet in »Le roi et ses ministres etc.« auf S. 150: »nos rois avaient miné l'empire sourdement«.
Zu S. 523. Es gibt, wie Lucien Pérey in ihrem Buch »Le roman du grand roi« gezeigt hat, dreierlei Memoiren Marie Mancinis:
1.
Les Mémoires de M.L.P.M.M.Colonne G. Connétable du royaume de Naples. A. Cologne chez Pierre Marteau 1676 und 1677, die eine Fälschung darstellen.
2. Apologie ou les véritables Mémoires de madame Marie Mancini, connétable de Colonna, écrits par elle-même, chez Jean van Gelder, à la Tortue 1678, die zu Leyden herauskamen und eine Verballhornung der echten in Spanien erschienenen Memoiren der Fürstin durch einen gewissen Brémont sind.
3.
»La Vérité dans son jour, les véritables Mémoires de M. Mancini, connétable Colonne«, ohne Datum und Druckangabe.
Von diesem, dem echten Büchlein, ist nur ein einziges Exemplar bekannt, das sich in der Pariser Nationalbibliothek befindet. Ich besitze eine Abschrift davon.
es war das Wort, für was man heute eine Clique, eine Coterie nennen würde. Auf einem Ball im Arsenal erschienen die beiden Mancini und die Ehrenfräulein der Königin als griechische Göttinnen, während Mademoiselle und andere Damen eine Gruppe von Bäuerinnen aus der Bresse bildeten, deren hübsches Kostüm sie in Lyon bewundert hatten, und die begleitenden Herren als Schäfer kamen. Man machte fröhliche Ausflüge in die winterliche Umgebung; bei einem Spaziergang im Bois-le-Vicomte bei Melun, da Marie Mancini ihre Hand an den Degenknauf des Königs stiess und sich leicht wehe tat, riss der verliebte und galante Fürst den Degen aus der Scheide und schleuderte ihn von sich … Der lästig aufpassenden Frau von Venel überreichte er, als er die Damen beschenkte, eine Schachtel, die statt der erwarteten Konfitüren lebende Mäuse enthielt, so dass sie unter dem Gelächter des jungen Volks die Flucht ergriff. Die Venel hatte strenge Weisungen: die Sache, die sie anfangs gewähren lassen, die ihnen in Lyon zweckdienlich erschienen war, begann der Königin und dem Kardinal Sorge zu machen.
Wie ein grosser Teppich aus zahllosen einzelnen Fäden, so setzt sich die Weltgeschichte aus ungezählten bunten Einzelschicksalen zusammen, die in wunderbarer Verschlingung die grosse Ornamentik bilden, die sich für unser rückschauendes Auge zeichnet, und die wir willkürlich genug die »Geschichte« nennen.
Da der spanische Hof sich so wenig als möglich vergeben, sein Entgegenkommen auf das geringste beschränken wollte, hatte Don Antonio Pimentel offiziell nur ein Glückwunschschreiben zu des Königs Genesung mitgebracht, das er, angeblich auf der Durchreise nach Flandern begriffen, überreichen sollte; alles andere waren mündliche und unverbindliche Äusserungen, so ernst gemeint sie sein mochten und müssten. Der Kardinal und Lionne, der jenen langen nächtlichen Besprechungen an der Place Bellecour zugezogen worden, hatten einen Waffenstillstand, als lediglich im spanischen Interesse liegend, abgelehnt, aber einen Frieden angeboten, ungefähr, wie Lionne ihn in Madrid entworfen und gesucht hatte. Dafür hatte Pimentel keine Vollmachten und musste erst nach Madrid berichten. Inzwischen verliess er am 17. Dezember Lyon, um sich nach dem entfernten Montargis bei Orleans zu begeben, da Neugier und Aufsehen in Lyon zu gross geworden waren; der geheimnisvolle Spanier, von dem alle Welt sprach, sollte aus dem Gesichtsfeld verschwinden. Auch Mazarin brauchte Zeit; er war durch den Bündnisvertrag verpflichtet, sich in Friedensunterhandlungen nicht einzulassen, ohne sich mit England ins Einvernehmen zu setzen. Dort war Cromwell am 13. August gestorben. Mademoiselle sagt, dass der eben erfolgte Tod des kaum geborenen Söhnchens der Prinzessin von Conti dem französischen Hof die Schmach ersparte, um den Vernichter der englischen Monarchie Trauer anlegen zu müssen. Immerhin war die Hoftrauer für den Lord-Protector angeordnet worden. Mazarin, der mit Richard Cromwell bereits freundschaftliche Briefe gewechselt hatte, wusste, wie jede Regierung in gleicher Lage, seine Sonderverhandlungen in solchem Licht darzustellen, als ob sie seiner Bündnispflicht nicht widersprächen. Er richtete an den französischen Gesandten in London, Herrn von Bordeaux, ein langes Schreiben, in dem er Pimentels Sendung als einen ziemlich bedeutungslosen Zwischenfall, vermutlich eine nicht ehrlich gemeinte spanische List erklärte und seine Loyalität betonte, die er durch die Ablehnung des Waffenstillstandes bewiesen. In diesem Sinn sollte der Gesandte den Protector informieren. Ähnliches schrieb er an Gravelle in Frankfurt am Main, und endlich wurden von Paris aus die andern Verbündeten, Schweden und die Mitglieder des Rheinbunds, durch eine Art Zirkularnote verständigt, in der die Gefährlichkeit, die Feigheit und Hinterlist der spanischen Anerbietungen betont wurde, die aber gleich den früheren Noten damit schloss, dass man die Verhandlungen trotzdem nicht völlig abweisen dürfe, da sich ja immerhin Nützliches ergeben könnte. An den spanischen Grafen Peñeranda, der indessen Vizekönig von Neapel geworden war, schrieb Mazarin einen kurzen freundlichen Brief, in dem er den leidenschaftlichen Wunsch und die Hoffnung aussprach, dass Gott diesen Verhandlungen einen guten Erfolg und der Christenheit den langersehnten Frieden geben möchte. Er wusste, dass dieser Brief in Madrid vorgelegt werden würde.
Am 11. Februar erhielt Pimentel zu Montargis die nötigen Vollmachten, um einen Präliminarfrieden abzuschliessen. Am 13. kam er nach Paris und wurde wieder geheimnisvoll in der königlichen Bibliothek in der rue La Harpe einquartiert. Am 23. Februar stellte Mazarin ihm eine Art Ultimatum, und er musste um neue Instruktionen nach Madrid schreiben. Bis zum Eintreffen der Antwort wurde er gebeten, sich in einem Landhause, das der Staatsekretär Le Tellier in Chaville besass, verborgen zu halten. Erst nach Wochen konnten die Verhandlungen wieder aufgenommen werden. Jetzt wohnte der Unterhändler im Palais Mazarin, der Kardinal im Louvre. Langsam, Schritt für Schritt, kamen sie vorwärts, bis sie so weit waren, dass Mazarin im Einvernehmen mit England in einen Waffenstillstand willigte, der am 8. Mai 1659 unterzeichnet und kundgemacht wurde, ein ungeheures Ereignis nach fünfundzwanzig Kriegsjahren. Schon vorher waren, die öffentliche Meinung vorzubereiten, vierzigstündige Gebete in allen Kirchen angeordnet worden, den Segen des Himmels für das Friedenswerk zu erflehen. Jubel wie Tadel folgten, denn die französischen Militärs waren vielfach empört über die Störung des Feldzugs, da sie bei der Schwäche der Spanier die vorteilhaftesten Siege voraussahen.
Bei einem verschwenderischen Fest, das Lionne am 18. Mai in seinem Schlosse Berny bei Sceaux gab, das vom Nachmittag bis zum nächsten Morgen währte, und zu dem fast der ganze Hof erschien, zeigte der spanische Unterhändler sich zum erstenmal öffentlich und wurde sehr gefeiert. Der Waffenstillstand war auf zwei Monate geschlossen worden. Bei den Verhandlungen erschwerten, wie vor zweieinhalb Jahren in Madrid, drei Fragen die Einigung: was Frankreich von dem eroberten und besetzten Gebiete behalten oder herausgeben sollte, die Forderungen, die Spanien für Condé stellte, und was mit Portugal zu geschehen hätte, das Frankreich als unabhängiges Reich und Bundesgenossen, Spanien aber als abgefallene Provinz ansah. Pimentel erbat eine neue Frist, um nochmals nach Madrid zu schreiben, die Mazarin weigerte. Am 4. Juni 1659 wurde der Präliminarfriede von Paris unterzeichnet. Er enthielt 89 Artikel über die Fragen, die erledigt waren, in 13 weiteren Artikeln wurden diejenigen, über die zu entscheiden Pimentel keine Vollmacht hatte, den endgültigen Verhandlungen vorbehalten, die zwischen den leitenden Ministern beider Reiche an der spanischen Grenze stattfinden sollten.
Am 23. Juni wurde Lionne, der Mazarins wesentlichster Mitarbeiter für auswärtige Politik geworden war, zum Staatsminister ernannt. Die Käuflichkeit und Erblichkeit der Ämter schuf sonderbare Verhältnisse. Brienne war Staatsekretär des Auswärtigen. Verdrossen über die stete Zurücksetzung, wäre er bereit gewesen, Lionne das Amt zu verkaufen, und wiederholt hatten zwischen beiden darüber Verhandlungen stattgefunden; sie waren an dem Widerspruch von Briennes Sohn gescheitert, der die Anwartschaft auf die Stelle besass und nicht verzichten wollte. Erst einige Jahre nach dem Tode des Kardinals, als der jüngere Brienne beim König in Ungnade gefallen war, kam der Verkauf für den ungewöhnlich hohen Betrag von einer Million Francs zustande und wurde ein weiterer Schritt zur völligen Zerrüttung von Lionnes niemals sehr geordneten Vermögensverhältnissen. Er war ein ausserordentlicher Arbeiter und zugleich ein Spieler von Natur; in seinem Hause ging es übel zu, seine schöne Frau hatte einen schlimmen Ruf; dennoch verraten seine intimen Briefe an seinen Oheim Humbert von Lionne in Grenoble eine stete Freude an seinem beschäftigten Dasein, an einem gelungenen lateinischen Spruch für sein Wappen, wie an dem ungeheuren diplomatischen Werk des Friedensschlusses. »Ich will gerne sterben, wenn es gelingt und fertig ist,« hatte er nach dem Waffenstillstand geschrieben. Und Eines hatte ihm leid getan, wie er dem Oheim schrieb: dass an seinem Fest in Berny nicht auch schon die künftige Königin von Frankreich teilgenommen hatte.
Auf der spanischen Heirat beruhte das ganze Gebäude des Friedens; durch die Vorspiegelung der savoyischen Verlobung war er herbeigeführt worden. Die dynastische Familien- und Kabinettspolitik der Zeit, die unklaren Erbaussichten, die damit verbunden waren und die als ein ausserordentlicher Gewinn erschienen, vor allem auch, dass die Königin ihr ganzes Herz an diese Heirat gesetzt hatte, liess sie weit über reale Machtfragen Bedeutung gewinnen.
Und während Europa, in Erwartung dieses feierlichen Schlusses, den Verhandlungen mit äusserster Spannung folgte, lebten die beiden Kinder, der König und Marie Mancini, glückselig und, wie es schien, unbekümmert ihrer Liebe. Sie verbargen sie nicht, dachten gar nicht daran, sie zu verbergen. Man mag sich vorstellen, was am Hof darüber geredet wurde. Als der Karneval vorüber war, hatte Marie in einem Ballett noch einmal aufzutreten gewünscht, und der König hatte sofort die Wiederholung angeordnet. »Wie, in der Fastenzeit?« rief die fromme Königin entsetzt; sie jedenfalls »werde nicht im Louvre bleiben, wenn das geschähe, sondern ins Kloster von Val-de-Grâce gehen.« »Bitte, gehen Sie!« hatte der König geantwortet und nur da Marie selbst darum bat, hatte er das Ballett absagen lassen. Im März war Don Juan von Österreich – er war ein natürlicher Sohn des spanischen Königs und einer Schauspielerin – auf der Durchreise inkognito in Paris gewesen. Er hatte einen weiblichen Hofnarren mitgehabt. Die Spassmacherin, die Capitor hiess, wusste, was in der Luft lag, und pries in ihren Scherzreden die Infantin, die im Lande Königin werden sollte. Marie Mancini fand ihre Scherze unschmackhaft, Capitor antwortete mit Narrenfreiheit und wurde ausgewiesen. Alles war bestürzt, aber der König blieb unerbittlich.
Bei dem Fest im Schloss Berny hatte Pimentel die beiden zusammen gesehen; weder der König noch das Fräulein hatten sich seiner Gegenwart zuliebe Zwang angetan. Was der schweigende und höfliche Spanier dachte, das zeigte er vermutlich nicht, aber es scheint, dass er am nächsten Tag unter vier Augen dem Kardinal eine Andeutung machte. Die Abreise des Ministers nach der Grenze war bereits festgesetzt. Offenbar auf seinen Wunsch fragte die Königin nun ihren Sohn, wie er sich zur spanischen Heirat und zur Durchführung des Friedensvertrages zu stellen gedenke. Er antwortete, »der Friede sei ja noch nicht endgültig geschlossen.«
Don Juan war offenbar in einer Familienmission, den künftigen Schwiegersohn seines Vaters zu sehen, gekommen, und hatte seine Erscheinung königlich gefunden. Wenn Ludwig wie andere junge Leute Leidenschaften, Vergnügungen, wenn er ein verborgenes Liebesverhältnis gehabt hätte, man hätte es bei dieser politischen Eheschliessung ohne Frage übersehen. Aber das gerade war es nicht, und dass es das nicht war, erregte Aufsehen und verursachte die Störung. Der Papst in Rom sprach lächelnd von der Sache, erkundigte sich freundlich und staunend, ob der König noch immer ein keusches Leben führe, erhielt lächelnd und befriedigt die Bestätigung.
Hier war ganz andres im Gange. In ungezählten Liebesgesprächen hatten die beiden ihre Wünsche und die Schwierigkeiten erörtert. Und dann geschah das Unerhörte und Unerwartete, dass Ludwig XIV. dem Kardinal erklärte, »es sei sein königlicher Wille, seine Nichte, das Fräulein von Mancini, zur Frau zu nehmen: er wüsste keinen besseren Weg, die langen und grossen Dienste des Ministers sichtlicher zu belohnen.«
Wer mag sagen, was in der Seele des Kardinals vorging? Er arbeitete an der Krönung seines Lebenswerks, an einem jener Friedensschlüsse, wie deren ein oder zwei in einem Jahrhundert vorkommen, der die Grenzen der Länder Europas neu bestimmen und das Schwergewicht der Politik auf lange Zeit hinaus verlegen sollte, und er wusste es. Es war das gleiche Werk, das er einst als unbedeutender, unerfahrener junger Mensch gleichsam an einem Eckchen mitangefasst hatte, und das jetzt, nach dreissigjähriger aufreibender und wechselvoller Arbeit, in seiner Bedeutung ausserordentlich erhöht, in seine Hände zur endgültigen Entscheidung gelegt war. Und es war der erfolgreichen Lösung ganz nahe; da kam dieses so unmögliche und doch so gefährliche und in gewissem Sinn so verlockende Hindernis … Es mochte eine unerhörte Glanzesfülle versprechen, wenn seine Nichte Königin von Frankreich wurde. Aber, wenn das eine Versuchung für ihn war, so hat er sie im Augenblick von sich gewiesen. Er liebte diese Nichte nicht, noch liebte sie ihn; sie war nicht in seinem, er nicht in ihrem Vertrauen. Sie hatte den König seinem Einfluss nur entfremdet. Sie war stolz, heftig, eigenwillig und unabhängig und ein leidenschaftliches schönes Weib. Mazarin wusste, was sie als Königin und geliebte Frau, für die nächsten Jahre zum mindesten, bedeutet hätte. Sie führte mit dem König nicht nur Liebesgespräche und über Literatur. Mit besonderem Verdruss hatte der Kardinal bemerkt, dass sie mit den Ministern, mit dem ersten Präsidenten über Staatsangelegenheiten zu sprechen begann. Auf der andern Seite unabsehbare Folgen: sein Werk, das krachend, unter ungeheurem Lärm und Verwirrung zusammengestürzt wäre, die eingegangene Verpflichtung, peinliches Gerede an allen Höfen, in Frankreich Wutausbrüche im Adel wie im Volk über die Missheirat. Es war nicht daran zu denken. All dies hatte er sicherlich schon überlegt und entschieden, als die erstaunliche Werbung kam; nicht aus edler Uneigennützigkeit, sondern aus kalter sachlicher Erwägung und Erkenntnis des Möglichen und Nötigen.
Er verständigte die Königin sofort. Die stolzen Worte, die die Motteville der Königin Anna in den Mund legt, ihre Erzählung, dass der Kardinal die Denkbarkeit dieser Ehe in zweideutigen Worten nahegelegt und sie ihm erwidert hätte: »Wenn der König solcher Erbärmlichkeit fähig wäre, würde sie mit ihrem jüngern Sohn sich an die Spitze des empörten Frankreich gegen Ludwig und den Kardinal stellen,« sind eine Hoferfindung, die der guten Dame zugetragen wurde und die sie glaubte. So hat dieses dem Kardinal demütig hingegebene Weib niemals zu ihm gesprochen. Sie verhielt sich in der ganzen Angelegenheit weit schwächer als der Kardinal. Aber sie war ausser sich. Sie hielt ihrem Sohn seine Pflichten, den Wortbruch, die Schrecken erneuten Kriegs vor, aber völlig vergeblich. In höchster Dramatik spielten sich in den Zimmern des Louvre die üblichen bürgerlichen Familienszenen ab. Er habe der Geliebten geschworen, dass er sie heiraten würde und werde sein Wort halten. So oder ähnlich muss der junge Ludwig XIV. sich in diesen langen und stürmischen Unterredungen ausgesprochen haben. Ebenso vergeblich redete der Kardinal mit seiner Nichte. Dem König konnte er nichts vorschreiben, aber in seiner eigenen Familie handelte er rasch und entschlossen. Er ordnete an, dass Marie mit ihren beiden Schwestern und mit Frau von Venel Paris sofort zu verlassen und sich nach La Rochelle, wo er selbst Statthalter war, zunächst aber nach Fontainebleau zu begeben hätte. Die Königin wagte es ihrem Sohn nicht mitzuteilen; Marie musste es ihm sagen, und die ganze entfesselte Leidenschaft des Zwanzigjährigen kam zum Ausbruch. Er tobte, grollte, drohte Mazarin zu entlassen, dann bat er wieder, warf sich der Königin und dem Kardinal zu Füssen und beschwor sie, die Ehe zu gestatten. Die Königin war nahe daran, sich erweichen und wenigstens die Reise aufschieben zu lassen; der Kardinal blieb unbeweglich: lieber werde er seine Nichte erstechen, als das Vertrauen, das er an diesem Hof noch vom hochseligen König her genossen, so zu missbrauchen, und einen Schritt zu gestatten, der ihn seine Ehre kosten müsste. Indessen lag Marie in verzweifelten Tränen. Der König eilte von ihr, die er zu trösten, zu beruhigen suchte, wieder zu den andern und zu ihr zurück, wiederholte seine Schwüre … aber dass sie wirklich reisen sollte, dass er es zuliess, das warf den ersten furchtbaren Zweifel, einen Vorschauer ihres Schicksals, in das Herz des jungen Mädchens. Der König, der nie über Geld verfügen durfte, kaufte der Königinwitwe von England, die zu Saint-Germain lebte und stets in Not war, ihre schönsten Perlen für 78 000 Livres ab und schenkte sie Marien zum Abschied. Sie fragte, »was sie ihr nun noch sollten?« – Der Kardinal sagte kein Wort und ordnete die Zahlung an.
Am letzten Abend sass die Motteville bei der Königin, als der König eintrat und mit seiner Mutter, die ein Licht nahm, in ihr Ankleidezimmer ging, um ganz allein mit ihr zu sprechen; nach einer Stunde kam er mit verweinten Augen wieder heraus und ging eine Treppe höher nach den Zimmern der Mädchen hinauf; nur Hortense war bei seiner Unterredung mit ihrer Schwester zugegen. Am andern Tag begleitete er sie zu ihrem Wagen; als er ihr hineinhelfen wollte, brach er in Tränen aus. Da sprach Marie Mancini die berühmten Worte, die Racine, als er dem König zehn Jahre später seinen eigenen Liebesroman in römischem Kostüm auf der Bühne vorführte, die scheidende Berenike fast gleichlautend sagen liess: »Sie sind König, Sie weinen und doch muss ich gehen!« Dann aber, als der Kutscher die Pferde antrieb, sank sie im Wagen zurück und schluchzte: »Er hat mich verlassen!«
Das war am 21. Juni. Am 25. Juni brach der Kardinal selbst mit einem grossen Gefolge von wohl sechzig Prälaten, Herzogen, Marschällen und Edelleuten, hundert berittenen Garden, dreihundert Mann zu Fuss und zahllosem Tross und Dienerschaft auf, um sich zu den Friedensverhandlungen zu begeben. Er fuhr über Vaux, wo er den Finanzminister besuchte und noch eine Unterredung mit ihm hatte, dann nach Fontainebleau und holte dort seine Nichten ab. In Poitiers, wo sie am 6. Juli eintrafen, trennten sich ihre Wege. Die traurige Marie mit ihren Schwestern und der Gouvernante fuhren nach La Rochelle, während er selbst südwärts nach Bayonne und St. Jean de Luz reiste.
Der leidende und übermüdete Mann, der seine Neffen und Nichten mit Ausnahme der kleinen Marianne nie sehr freundlich behandelte, war in dieser Zeit besonders erbittert auf sie. Zu Ostern war sein Neffe Philippe Mancini mit dem Grafen von Guiche, Bussy und andern jungen Leuten, die, während die Königin immer frömmer wurde, noch zu den »esprits forts« zählten, bei dem Grafen von Vivonne, dem ersten Kammerherrn des Königs, in dessen Landsitz Roissy zu Gast gewesen, und sie hatten am Karfreitag dort eine Orgie gefeiert, von der Schlimmes erzählt wurde. Sie sollten Frösche getauft, Menschenfleisch gegessen, Spottlieder auf den König gesungen haben. Bussy, dem die Sache durch eine Verkettung weiterer Torheiten und Missgeschicke zum Verhängnis wurde, versichert, dass ausser dem übermütigen Trinken und Singen nichts davon wahr gewesen. Der Karfreitag genügte für die Empörung in der Geistlichkeit, im Volk und bei Hof. Alle, die teilgenommen hatten, wurden auf ihre Güter verbannt. Obwohl Mancini, der wusste, dass er sich besonders zu hüten hatte, sich mit dem Abbé Le Camus von den andern abgesondert und das Haus bereits am Karfreitag morgen verlassen hatte, liess sein Oheim, der stets mit ihm unzufrieden war und den es wütend machte, dass aus seiner Familie Ärgernisse kamen, die gegen ihn ausgenützt wurden, ihn verhaften und von sechs Polizeisoldaten nach der Festung Breisach bringen und dort internieren, wo er sich tödlich langweilte und unglücklich fühlte. Er, der alles für die Welt tat, wollte zeigen, dass er mit solchen Vorgängen nichts zu tun hatte und sein Haus in Zucht hielt.
Seine grössere Sorge war mit Mariens Verbannung nicht beendet. Er wusste, dass der König erbittert und verstimmt war, und was er hörte, war nicht beruhigend. Der König sah schlecht aus und als er durch Vivonne, seinen Kammerherrn, erfuhr, dass Marie nach ihrer Abreise heftiges Fieber gehabt, war er sogleich von Chantilly, wo er sich mit Jagden zu betäuben suchte, nach Paris zurückgekommen, und als die Königin ihn in hilfloser Bestürzung gefragt, ob er Nachrichten von Fräulein von Mancini erhalten, hatte er überlaut und aufgeregt geantwortet: »Man braucht sich nach Leuten nicht zu erkundigen, die man umbringen will.« So weit ging sein Argwohn; er war selbst schlaflos und fieberisch, so dass die Ärzte über seinen Zustand berichteten. Mazarins Macht ihm gegenüber war zuletzt nur die seiner eigentümlichen Stellung im Königlichen Hause, seines langjährigen grossen Einflusses. Um die Abreise durchzusetzen, hatte er ihm erlauben müssen, mit Marien im Briefwechsel zu bleiben. Am 11. Juli waren die Mädchen in La Rochelle eingetroffen und zur grossen Freude der kleinen Marianne mit Kanonenschüssen, Feuerwerk, Paraden und Abordnungen empfangen worden. Schon unterwegs waren ganze Pakete von Briefen hin- und hergegangen, von den reitenden Musketieren des Königs besorgt. Der Kardinal verlangte, dass diese Briefe Colbert und dessen Vetter Colbert du Terron, der in La Rochelle Intendant war, übergeben und durch die Post bestellt werden sollten. Der Grund war klar, und die Folge ein geheimer Briefwechsel neben dem überwachten. Ein ganzes Netz und Gegennetz spannte sich von Paris und La Rochelle nach den Aufenthaltsorten auf dem Reiseweg des Kardinals. »Ich kann nicht viel tun«, schreibt die Gouvernante, Frau von Venel, die dem Kardinal regelmässig berichtet, »alle Frauenzimmer hier sind für Mademoiselle, und das Haus hat soviel Treppen und Türen, dass man unmöglich alle überwachen kann.« Briefe, die man ihr nicht zeigt, kann sie nicht zu Gesicht bekommen, denn »Mademoiselle nimmt die Briefe einer bestimmten Person mit ins Bett.« Marie war schön, klug und unglücklich, und niemand konnte wissen, wie der König sich zuletzt entscheiden würde; jetzt hielt er zu ihr und bot seine Gunst, und so gewann sie selbst den Intendanten du Terron für sich. Der aber konnte nicht wissen, dass Mazarin wieder den Leibkammerdiener des Königs, Blouin, gekauft hatte, aus dessen Händen der Intendant die Geheimbotschaften erhielt, und so sein Verrat verraten war, ehe er ihn noch recht begangen und ihn selbst Angst und Gewissensbisse packten. Das ist die widerwärtige Kehrseite dieser stilvollen höfischen Pracht: dass alle Wände Ohren haben, dass vom Lakaien bis zum Ehrenfräulein und Würdenträger jeder irgend jemandem verkauft ist, dass niemand ein Wort sprechen kann, ohne dass es belauert, hinterbracht, zumeist entstellt wird, dass hier, wo alle Macht und alle Vorteile der Erde gegeben und genommen werden können, schlimmer als an irgendeiner Börse, gespielt, geschachert und vor allem verraten und betrogen wird, der Purpur endloses giftiges Gewürm deckt. Die Venel, die selbst schön, gewinnsüchtig und herzlos war, hatte forschende, ermahnende, gezwungene Gespräche mit ihrer Herrin, und man mag denken, wieviel Bitternis und Lüge dieser scheinbar freundliche Verkehr zwischen beiden Frauen brachte, da in seinem Grunde die Feindseligkeit entgegengesetzter Naturen und Interessen lag. »Mademoiselle me fait passer de méchantes heures,« schreibt die Gouvernante, die Quälerin und Opfer zugleich war. Da die vierzehnjährige Hortense die Vertraute ihrer Schwester ist und ihr mitten im Gespräch »Zeichen zu schweigen macht«, versucht die Venel, die kleine Marianne auszuforschen und zum Horchen anzustellen; aber die grossen Schwestern merken es und Marianne wird ausgesperrt, wenn sie miteinander zu sprechen haben. »Elles me font sortir avec la plus grande fureur«, schreibt die Kleine selbst empört an den Kardinal. Marie lag tagsüber auf ihrem Bette, empfing Besuche, wenn sie nicht anders konnte, und schloss sich gerne mit Hortense und einem arabischen Astrologen ein, der in der Stadt berühmt war.
»Meine Schwester Marie
Treibt Astrologie,«
schreibt die kleine Marianne, die ihre Briefe an den Oheim zumeist in drolligen Knittelversen abfasst, die ihn und die Königin vergnügen. Jetzt freilich hatte er für Unterhaltung wenig Sinn. Man kann sich vorstellen, wie oft er sein »Ah, bestia, bestia!« vor sich hingezischt haben mag, wenn er die Briefe der Venel erhielt. Die Gouvernante versuchte den Astrologen für ihre Absichten zu gewinnen; der Kardinal befahl, ihn »fortzujagen«, da »darüber geredet werde«. »Er selbst könne seiner Nichte, wenn sie so sehr wünsche, ihre Zukunft zu kennen, ihr wahres Horoskop stellen: wenn sie sich nicht so aufführe, wie er wolle, werde sie das unglücklichste Geschöpf der Welt werden; wenn sie seinem Rat folge, werde sie niemanden zu beneiden brauchen.« Marie, die sich schlecht verstellen konnte, schrieb selten und kurz: »Ihre Handlungen,« schreibt sie einmal, »würden die einer gehorsamen Tochter sein, was ihre Gefühle angehe, müsste sie Gottes Gnade abwarten.« Der Kardinal liess ihr schliesslich sagen, »sie brauche ihm gar nicht mehr zu schreiben«. Plötzlich aber wurde sie heiter, war völlig verändert; die Venel begreift den Grund nicht, aber der Kardinal erfährt, dass die Königin bei ihrem letzten Gespräch vor der Abreise ihrem Sohn versprochen hat, dass er auf seiner Reise nach der Grenze Marie in La Rochelle, besuchen dürfe. Die bittersten Vorwürfe für die Schwäche der Königin sind die Antwort. Die Sache ist ein Affront für den Spanischen Hof. Mazarin bekommt heftige Nierenkoliken vor Verdruss. Da die Zusammenkunft nicht mehr zu vermeiden ist, bestimmt er, dass die Mädchen nach dem nahen Saint-Jean d'Angély fahren sollen, der Königin auf der Durchreise ihre Aufwartung zu machen. Das lässt sich schliesslich mit der Etikette erklären. Und am 9. August erscheint der Marquis du Fouilloux und bringt der Beglückten die erwartete Mitteilung, dass sie mit ihren Schwestern an den Hof befohlen sei. Die Venel ist wie immer, wenn sie vom Kardinal keine Weisung hat, verzweifelt: zwischen ihrer heftigen jungen Herrin, der gebietenden Majestät des Königs und dem bittern, harten Kardinal, von dem sie abhing, mag man ihre Aufregung begreifen. Sie wusste auch nicht, »was die Damen anziehen sollten!«
Die Reise dauerte zwei Tage. Marie und Hortense waren glücklich, Marianne sang; in Saint-Jean d'Angély traf der König drei Stunden vor dem übrigen Hof ein und hatte eine lange Unterredung mit Marie allein, blieb dann am Abend bis zwei Uhr nach Mitternacht mit den Mädchen zusammen, und am nächsten Tag, nachdem sie der Königin ihre Aufwartung gemacht und mit ihr zur Messe gegangen waren, besuchte er sie nochmals. Hortense, die zeitweise zugegen war, erzählt in ihren Erinnerungen, wie unendlich zärtlich der König gegen ihre Schwester gewesen und sie immer wieder um Verzeihung gebeten, dass sie um seinetwillen so leiden müsse. Dann reiste der Hof weiter und der Marquis du Fouilloux begleitete die Mädchen wieder nach Ra Rochelle zurück.
An dem gleichen Tag, an dem Marie den König wiedersah, war Mazarin zum ersten Mal mit dem spanischen Minister Don Luis de Haro zusammengetroffen und hatte die Verhandlungen mit ihm begonnen.
Sicherlich kämpfte der König schwer und bitter. Er hatte von Kindheit an einen ausserordentlichen Begriff von seiner Stellung und von seinen Pflichten. Aber es war jene erste übermächtige Bezauberung, in der die Sinne noch eine verschleierte Rolle spielen und die Welt neben der Geliebten verschwindet. Und er war verstrickt, ohne Möglichkeit, dem Kampf auszuweichen. Er liebte Marie Mancini nicht nur, er hatte ihr sein Wort gegeben, und er war nie leichtsinnig in Versprechungen und im Halten. Aber das Gewicht seiner Stellung und der politischen Ereignisse, die unabwendbar weitergingen, lag zwangvoll auf ihm, und er fühlte es. Das hatte auch Marie, die mädchenhaft eine ganz andere Weltvorstellung hatte, empfunden, als er sie damals nicht festgehalten hatte, wenngleich ihre Hoffnungen und Träume ihr immer wieder ein glücklicheres Ende vorspiegelten. In Paris, wo die Zeitung seit Juni die bevorstehende Heirat mit der Infantin ankündigte, wurde schon der Hofstaat der künftigen Königin vorbereitet, und mit sonderbar zwiespältigen Gefühlen mag der König, dem die Muster zur Begutachtung vorgelegt wurden, seine Entscheidung getroffen haben. An wen mochte er denken, als er, wie Colbert am 5. Juli, vierzehn Tage nach Mariens Abreise, an den Kardinal berichtete, statt der vorgeschlagenen Livree, zum Schrecken des Sparsamen, eine dreimal so teure, blausammtene mit Silberborten auf scharlachrotem Tuch, für die künftige Königin befahl?
In den Pyrenäen sass der Mann, der schwerkrank, mit seinem zähen Willen, seiner unerbittlichen Einsicht in die Dinge der Welt, ihr Schicksal entschied. Die Briefe, die er dem König schrieb, sind ausserordentlich. Am 28. Juni, erst zwei Tage von Paris entfernt, hatte er ihm geschrieben: »Wie oft, wenn Sie mich nach dem Weg fragten, ein grosser König zu werden, habe ich Ihnen nicht gesagt, zuerst müsse man sorgen, sich von keiner Leidenschaft unterjochen zu lassen; wem dies Unglück widerfährt, der kann beim besten Willen nicht das Richtige tun!« Am 12. Juli bat er ihn von Montlieu aus, den Verkehr mit seiner Nichte aufzugeben; er, der König, wisse offenbar nicht, was in Paris und im Lande, was in Flandern und Deutschland darüber geredet würde … Zur Antwort erfuhr er den Auftritt, den der König mit seiner Mutter gehabt hatte, und bekam jenen Anfall von Nierenkoliken. Er musste mehrere Tage in Cadillac liegen bleiben; mit Ärger und Sorgen ringend, schrieb er am 16. Juli, sowie die nachlassenden Schmerzen es ihm gestatteten, einen langen Brief an den König: »Man sagt,« heisst es darin, »Sie schliessen sich den ganzen Tag ein, um Liebesbriefe zu schreiben, und man beschuldigt mich, dies heimlich zu begünstigen, um den Frieden zu verhindern. Meine Nachgiebigkeit gegen Sie, dass ich Ihnen gestattete, jener Person hie und da Nachricht zukommen zu lassen und von ihr zu erhalten, führte zu einem langen und beständigen Briefverkehr … Die Folge ist Skandal. Keiner Ihrer Untertanen vom Höchsten bis zum Geringsten wird Ihr Verhalten billigen … Gott hat die Könige eingesetzt, für das Wohl ihrer Untertanen zu leben. Und ich sage Ihnen, es ist nicht mehr Zeit, zu zögern, und wenn Sie auch der Herr sind, in gewissem Sinn, zu tun und zu lassen, was Ihnen gutdünkt, so sind Sie doch Gott für Ihre Taten verantwortlich um Ihres Seelenheils willen und der Welt um Ihrer Ehre willen.« Und warnend sagt er, seelenkundig, wohl wissend, welche Töne anzuschlagen sind, dass der Prinz von Condé begierig wartet, was der König tun werde, weil dann seine Gelegenheit und die vieler anderer kommen würde. Und er schliesst: »Wenn ich nicht die Antwort erhalte, die ich Sie mir eiligst zu geben beschwöre, wenn ich nicht mehr hoffen kann, dass Sie den Weg gehen, der für Ihr Wohl, für Ihre Ehre und für den Bestand Ihres Reiches notwendig ist, dann bleibt mir nur übrig, die Wohltaten, die der hochselige König, Sie und die Königin auf mich zu häufen geruht haben in Ihre Hände zurückzulegen und mich und meine Familie einzuschiffen, um den Rest meiner Tage in einem italienischen Winkel zu beschliessen …« und endlich: »Ich erwarte Ihre Antwort, ehe ich mit Don Luis de Haro zusammentreffe, denn das gestattet Ihre Ehre und Ihr Gewissen nicht, Ihren neuesten Diener dem König von Spanien in Ihrem Namen Versprechungen machen zu lassen, die Sie nicht halten können.«
Auf diesen Brief antwortete der König in unbestimmten Worten mit freundlichen Versicherungen seines Vertrauens, und Mazarin, der bereits in St. Jean de Luz eingetroffen, erwiderte am 29. Juli offen, »die Worte Seiner Majestät seien sehr schön und eine Ehre für ihn,« aber »in gutem Französisch nenne man das, der Frage ausweichen« und er wiederholte seine Warnungen und Drohungen. Gleichzeitig wechselte er erregte Briefe mit der Königin, die wieder ihrerseits in Paris nicht minder erregte Gespräche mit ihrem Sohn hatte. Und die Königin zeigte die Briefe Mazarins dem König, und der König schickte, die er vom Kardinal erhielt, an Marie, wodurch die Verwirrung und Aufregung vermehrt ward. Und dann fand die Begegnung auf der Reise statt, die Marie mit neuer Hoffnung erfüllte, und der Kardinal, von allem unterrichtet, schrieb aufs höchste gereizt, an die Venel – und diese Briefe waren bestimmt, von Marien gelesen zu werden –: »Ich weiss nicht, was sie sich einbildet, da der König bereits unmittelbar vor der Hochzeit steht; ich weiss nicht, welche Rolle sie nachher zu spielen gedenkt; ich jedenfalls werde tun, was ihre und meine Ehre erfordert, das weiss ich.« Das war am 31. August. Drei Tage vorher hatte er dem König geschrieben: »Sagen Sie mir, bitte, welche Rolle soll dieses Mädchen spielen, wenn Sie einmal verheiratet sind? Glauben Sie, dass ich infam genug bin, sie ein entehrendes Gewerbe ausüben zu lassen? Wenn ich sie nicht klüger machen kann, dafür wenigstens werde ich sorgen, dass die Welt ihre Narrheit nicht erfährt … Sie schreiben wieder ganze Bände an sie und entzünden so Ihre eigne Leidenschaft von neuem …« und verärgert, wie er war, schrieb er seinen ganzen Groll und sein Urteil über Marie auf viele Seiten hin, und der König, der Marie vergötterte, war für sie und war persönlich verletzt. Seine Antwort war kalt, kurz und ungnädig. Mazarin erkannte den begangenen Fehler und antwortete mit seiner Demission. Es ist das Schreiben eines gekränkten treuen Dieners: er »verstehe, was der König wolle, der noch nie in diesem Tone zu ihm gesprochen«: er habe zu geben. Aber nur für seine Person; an der Sache hält er zähe fest. Hatte er erst nicht verhandeln wollen, ohne vom König die Zusicherung zu haben, dass er die Abmachungen auch halten werde, so will er ihn jetzt noch so weit binden, dass er sie zu halten gezwungen wird: »Ich werde die Artikel des Friedensvertrags und der Heirat unterzeichnen,« schreibt er, »und dann werde ich mich nach dreissigjährigen Diensten zurückziehen, befriedigt, dass Ihr Staat und Ihre Heere in dieser Zeit keine Einbusse erlitten haben.« Er hatte bereits den Brief entworfen, der die Werbung um die Hand der Infantin enthielt, und den Marschall von Gramont schon beauftragt, ihn nach Madrid zu bringen; nur die Unterschrift des Königs fehlte noch. Und er hatte dafür gesorgt, dass auch Marie Mancini davon erfuhr.
Am Tage, an dem er seinen Abschied einreichte, dem 3. September, fiel die Entscheidung. Das stolze Geschöpf, das geliebt sein wollte, erkannte, dass es unabwendlich so kommen, dass der König, in den Ketten der Form festgehalten, zuletzt nachgeben und die Infantin heiraten werde. Sie wollte nicht verlassen und verlacht dastehen. Am 3. September schrieb sie an den König, entband ihn seines Worts, bat ihn, ihr nicht mehr zu schreiben, und teilte dies dem Kardinal mit. Dann bat sie um die Erlaubnis, La Rochelle, das ihr unerträglich geworden, zu verlassen und übersiedelte nach dem nahegelegenen Brouage, das heute ein verfallenes Dorf, damals eine kleine Hafenstadt mit öden Wällen, weitem Ausblick auf das Meer und stillen südlichen Gärten war. Dort sass sie und weinte und las. Aber nicht ein Wort von ihrer Trauer und ihrem Schmerz ist in ihren stolzen Briefen zu finden. Sie war eine Römerin von der Art ihres Bruders Paolo, der bei Saint-Antoine gefallen war, ihrem Oheim völlig ungleich; »die tollste und die beste der Familie«, nennt sie Saint-Simon. Der König wollte an den Bruch nicht glauben und schrieb ihr weiter, aber er erhielt keine Antwort mehr. Was sie vorausgefühlt hatte, geschah. Am 21. September setzte er seine Unterschrift unter die Werbung. Am Geburtstag der Infantin tanzte er im Louvre und sagte: »Als Hauptacteur in der Komödie kann ich nicht weniger tun.« Er liess ihr wohl noch sagen: die Hochzeit sollte ja erst im Frühjahr sein, bis dahin könne noch manches geschehen; dies und ähnliches, ein Geschenk von ihm, ein Hündchen, das sie bei ihrer letzten Begegnung gestreichelt hatte, machte sie noch erbeben, aber im Grunde ihrer Seele hatte sie abgeschlossen.
Sie hatte, nachdem sie einen Augenblick ans Kloster gedacht, nur noch den einen Wunsch, sich so rasch als möglich anders zu verheiraten, aus Stolz und vielleicht um den Riss noch vollständiger zu machen, aber nicht mit dem Konnetabel Colonna, dessen Verwandte bei Mazarin in Saint-Jean de Luz um sie warben; sie wollte in Frankreich bleiben. Das aber wollten der Kardinal und die Königin nicht. Wenn der ganze Hof das Fräulein von Mancini lobte, wenn sie selbst erfreut waren, das Hindernis endlich aus dem Wege geschafft zu sehen, so verziehen sie ihr die schweren Stunden nicht, die ihr Widerstand ihnen bereitet hatte. Mazarin hatte sie ein Stück seiner letzten Lebenskraft, seiner Lebenszeit gekostet. Die Königin, animalisch wie sie war, fühlte tiefstes Mitleid mit ihrem Sohn und nur Hass für das Weib, durch das er und sie gelitten hatten, und sie gab diesem Hass Ausdruck. Sie befahl der Gräfin von Soissons, Mariens boshafter Schwester, ihr zu schreiben, dass der König wieder wie früher mit ihr verkehre, wohl wissend, dass Marie dadurch besonders gekränkt wurde; und sie sprach den rücksichtslosen Wunsch aus, Hortense und die kleine Marianne nun wieder um sich zu haben, so dass Marie in dem einsamen Hafenstädtchen mit ihrer unangenehmen Gesellschafterin allein geblieben wäre. Sie weinte, als der Befehl kam, so verzweifelt, dass die Schwestern sie nicht verlassen wollten. Aber sie hatte wohl das Verlangen, auch mit einem reiferen Menschen, als die beiden kleinen Mädchen waren, zu sprechen, und es scheint ein wunderliches Schicksalspiel, dass sie den Wunsch äusserte, die junge Frau Scarron, Françoise d'Aubigné, die Gattin des verkrüppelten Dichters, die sie von Paris her kannte, möchte nach Brouage kommen und ihr Gesellschaft leisten. Frau Scarron sah viel Ehre in dieser Einladung, aber sie musste ablehnen, weil es ihr am Geld für die Reise und die nötige Ausstattung fehlte. Sie ist später als Frau von Maintenon die Gattin des Königs geworden, auf den Marie Mancini verzichten musste.