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Zweites Kapitel
Frieden und Feste

Mazarin hatte die Reise von Fontainebleau nach Saint-Jean de Luz der grossen Hitze wegen zumeist des Nachts gemacht; in allen Provinzen, durch die er kam, hatten die Statthalter seine Anwesenheit mit grossen Empfängen und Festen gefeiert, aber schlaflos und leidend, mit Arbeit und Korrespondenzen überlastet, von der Sorge um die unzeitgemässe Leidenschaft des Königs für seine Nichte gequält, konnte er die Feste und das Herannahen der für ihn so grossen Tage kaum geniessen. »Ich bin sehr niedergeschlagen,« hatte er am 26. Juli an Turenne geschrieben, »da ich wütende Gichtanfälle habe, zu einer Zeit, in der ich nötiger als je ein bisschen Gesundheit brauchte.« Der spanische Minister war mit seinem Gefolge in Fontarabia jenseits der Grenze eingetroffen; Mazarin schien Saint-Jean de Luz sobald nicht verlassen zu können. Er hatte daraus wenigstens den Vorteil zu ziehen gehofft, dass Don Luis de Haro ihn würde aufsuchen müssen; aber der spanische Stolz liess das nicht zu. Denn ob dem Kardinal der römischen Kirche, ob dem Granden von Spanien der Vorrang gebührte … die jener Zeit so überwichtige Etikette schuf auch hier Schwierigkeiten.

Mit vielem Scharfsinn wurde ein Verfahren ersonnen, bei dem beide Teile einander nichts vergeben durften. Die Bidassoa umfloss nahe ihrer Mündung ein Inselchen, das als herrenlos galt und namenlos war; die Falkeninsel, die Spitalsinsel, die Fasaneninsel war sie von den Anrainern genannt worden; der letzte Namen ist ihr geblieben. Etwa hundertzwanzig Schritt lang und vierzig breit, ward sie nun durch eine Kommission, in der Spanien durch den Baron Wattenwyl, Frankreich durch den Marquis von Chouppes vertreten war, zwischen beiden Reichen geteilt, und in der Mitte wurde auf gemeinsame Kosten ein Pavillon errichtet. Je drei Säle und je eine Galerie lagen auf französischem, auf spanischem Boden; in der Mitte führte ein offener Gang zu einem verschlossenen dunkeln Zimmer; dann kam der gemeinsame Konferenzsaal, in den man nur durch die Galerien von beiden Seiten gelangen konnte. Zwei Schiffbrücken führten von jedem Ufer zur Insel; hohe Bretterzäune, die längs und quer von dem Gebäude zum Ufer liefen, verhinderten, dass irgend jemand es umgehen oder anders als von seinem Lande aus betreten konnte. Der Plan liegt bei den Akten in den französischen Archiven.

Zwei Tische waren in dem Konferenzsaal aneinander gestellt, die sich an der Grenze berührten, vor jedem der Tische stand ein Lehnstuhl; so konnten die beiden Minister einander gegenüber sitzen, und doch jeder im eigenen Lande bleiben. Es war der höchste Triumph des ungebrochenen Prestige. Am 13. August standen die Musketiere des Kardinals dem französischen Ufer entlang, als er mit vielen Karossen, prächtig geschirrten Handpferden, Garden und Dienerschaft, im ganzen wohl fünfhundert Personen, unter Trompetenschmettern nach der Insel fuhr. Die spanische Abordnung kam auf einer reichgeschmückten Staatsbarke mit der einströmenden Flut die Bidassoa heraufgefahren und landete auf der spanischen Seite, während Kavallerieabteilungen dem Ufer entlang ritten.

Im Konferenzsaal trafen sich die beiden Minister mit Umarmungen, mit gemachten oder wirklichen Tränen. Dann wurden die Prälaten und Herren des Gefolges vorgestellt. Jeder hatte ihrer sechzig mitgebracht; mehr Personen durften die Insel nicht betreten. Und dann begannen die Verhandlungen zwischen Don Luis und Mazarin, die am ersten Tage fünf Stunden währten. Inzwischen hatten die Spanier die Planken durchbrochen und das Gefolge mischte und unterhielt sich. Man hatte, durch frühere Vorfälle gewarnt, Spott und Streit gefürchtet, weil die spanischen Edelleute noch ihre engen spanischen Hosen, die Franzosen weite moderne Beinkleider trugen; aber es fiel nichts vor. Mazarin hatte seine Räume mit kostbaren Möbeln und Wandteppichen aus seinem Pariser Palast schmücken lassen, und beide Minister hielten in ihren Sälen grosse Büfetts mit kalten Speisen und Getränken, an denen die spanischen und französischen Herren sich gesellig zusammenfanden, denn es war der Wunsch beider Regierungen, die Völker, die einander so lange und so bitter gehasst hatten, so rasch und wirksam als möglich zu versöhnen.

Wider Mazarins Erwarten war Don Luis de Haro nicht von Pimentel begleitet, der bis dahin die Verhandlungen mit der französischen Regierung geführt hatte, sondern von dem Staatsekretär Don Pedro Coloma. Der spanische Unterhändler war in Ungnade gefallen; man warf ihm vor, seine Vollmachten überschritten zu haben und in seinen Zugeständnissen zu weit gegangen zu sein. Die spanische Ratifikation des Präliminarfriedens war Mazarin erst unterwegs zugekommen.

Don Luis und Mazarin verhandelten und beschlossen, Lionne und der Staatsekretär redigierten die einzelnen Artikel. Im Eingang des Friedensvertrags wird versichert, dass »nur die Leiden ihrer guten Untertanen, der väterliche Wunsch, ihren Ländern die Ruhe wiederzugeben, die beiden Monarchen zu diesem Frieden bewogen«; er soll für alle ihre Nachkommen gelten und sie wie ihre Untertanen einander von nun an brüderlich lieben. Der vierte Artikel spricht eine gegenseitige Amnestie für alle Kriegsvergehen aus; in den folgenden Artikeln wird Spaniern und Franzosen Freizügigkeit und für ihren Handel im andern Reiche die Meistbegünstigung zugesichert. Sehr ausführliche Bestimmungen wurden für den Seehandel ausgearbeitet; auch nach Ländern, die mit Spanien im Kriege liegen, sollte Frankreich alles ausser Kriegsbannware, und Lebensmittel selbst nach den kriegführenden Ländern, nur nach Portugal nicht, einführen können. Alles Privateigentum wird nach Artikel 28 zurückerstattet, nur der während des Kriegs verbrauchte Ertrag oder eingezogene Forderungen sind ausgenommen. Wenn es je, »was Gott verhüte«, zu einem Bruch zwischen beiden Reichen kommen sollte, werden alle Privatpersonen sechs Monate Zeit haben, sich und ihre Habe unbehelligt in Sicherheit zu bringen.

Im Präliminarfrieden hatte Frankreich bereits auf einen grossen Teil seiner Eroberungen in Flandern und Katalonien, auf alle in Italien verzichtet; an den Pyrenäen erhielt es Roussillon, Conflans und Cerdagne, im Norden Artois, sowie Streifen und Teile von Flandern, Hennegau, Luxemburg, dort wie im Süden ungefähr die heutige Grenze entsprechend den Artikeln 34 bis 59 des Vertrages. Solche Zugeständnisse hatte Mazarin mit Rücksicht auf die Heirat gemacht. Im Jahr 1644 hatte Spanien die gegenseitige Rückgabe aller Eroberungen verlangt, »wie es unter christlichen Staaten üblich sei«, und auch 1656 war es noch lange nicht zu diesen Abtretungen bereit gewesen. Dass es jetzt darein willigen musste, dass die Lage eine für Frankreich so unvergleichlich günstigere geworden, war der Triumph von Mazarins weitschauender Diplomatie. Im westfälischen Frieden hatte er den deutschen Reichsfürsten die Landeshoheit und das Recht Bündnisse zu schliessen, gewähren lassen, um zehn Jahre später den Rheinbund gründen zu können. Durch das Bündnis mit England hatte er den Sieg der Waffen zugunsten Frankreichs entschieden, der Heere, die er mit so ausserordentlicher Energie und Zähigkeit, bei so ungeheuren Schwierigkeiten und Widerständen auf Kriegsfuss erhalten hatte. Und nun hatte er noch das Glück, dass England nach dem Tode Cromwells zu schwach geworden war, ihn irgendwie zu behindern. Er allein stand als Sieger da. Dennoch konnte und wollte er nicht diktieren. Auch hatten die Spanier bei diesen Verhandlungen einen Vorteil, den sie nützten. Es war für Mazarin nicht möglich, ohne Ergebnis zurückzukommen, viel weniger möglich als für den spanischen Minister, der ein gleichgültiges, fatalistisches Volk hinter sich hatte, während er die heissen, leicht aufflammenden, boshaft kritischen Franzosen im Rücken wusste. Der venezianische Gesandte sieht eine besondere Geschicklichkeit Haros darin, dass er Mazarin in diesen Erdwinkel gelockt, aus dem er nicht wieder fortkonnte. Nun kam der unbewegliche Stolz, die gelassene zähe Ruhe der Spanier ihnen zugute, und Don Luis besonders war durch seine sanfte Kälte berühmt. Schwere, nervenzerstörende Arbeit mögen die Verhandlungen für Mazarin gewesen sein. Um so mehr als er, wie überlegene und energische Menschen gerne tun, fast alles selbst machte. »Seine Eminenz,« sagt der jüngere Brienne, »schrieb Tag für Tag alle Einzelheiten der Verhandlungen mit unglaublicher Genauigkeit und Mühe eigenhändig nieder und schickte die Depeschen durch Kurier an Herrn Le Tellier, der sie den Majestäten vorlas und dem Kardinal die Antwort schickte. Er hat dadurch die Lebenszeit, die ihm noch gegönnt war, beträchtlich gekürzt.«

Am 16. und 19. August fand die zweite und dritte Sitzung statt, am 22. die vierte, die eine der wichtigsten war.

Der spanische Hof fand, dass Pimentel in den Zugeständnissen, die den Prinzen von Condé betrafen, zu weit gegangen war. Wie im Jahr 1656 verlangte man, dass der Prinz seine Statthalterschaften und Würden zurückerhalten müsste. Es war eine bemerkenswerte Ehrenfrage für den spanischen Hof, vielleicht auch eine des Ansehens, dass er seine Freunde nicht preisgab. Mazarin wieder fand es unvereinbar mit der Ehre und den Interessen des französischen Königs und verletzend für die Prinzen, die ihrer Pflicht treu geblieben, einen Mann, der Rebell und Hochverräter geworden, aufzunehmen als wäre nichts geschehen. Er stellte die Gegenforderung, dass Spanien das Haus Braganza im »aufständischen« Portugal anerkenne. Davon wollte Don Luis nichts hören. Er drohte, Condé Sardinien oder Neapel als selbständiges Fürstentum oder eines an der französischen Grenze in Flandern einzuräumen; der Prinz selbst wünschte für diesen Fall die Freigrafschaft Burgund zu erhalten. Mazarin gab – in der zehnten Sitzung – zuletzt nach, für greifbare Entschädigungen: die Spanier mussten auf weitere wichtige Plätze im Hennegau und in Luxemburg verzichten.

Die Artikel 79 bis 88 regeln Condés Stellung: »Nur aus Grossmut will der König von Frankreich vergessen, was er getan und ihn in Gnaden aufnehmen«; der Prinz erklärt, er »würde gerne sein Blut geben, das Geschehene ungetan zu machen«. Die Statthalterschaft der Guyenne erhielt er nicht zurück, die Stellung als Grossmeister des französischen Hofs nur für seinen Sohn. Auch allen seinen Anhängern wurde Verzeihung gewährt.

Die Frage, die den beiden Höfen bei diesem Friedensschluss die Hauptsache schien, die Heirat der Infantin, war in dem Präliminarfrieden nur grundsätzlich vorausgesetzt, ihre Regelung den endgültigen Verhandlungen überlassen worden. Ihre Wichtigkeit war eine psychologische, weil die Ehe ein Wunsch des Blutes für die Königin Anna, und den Höfen wie den Völkern ein Symbol des Friedens war. Für den französischen Minister und seinen Herrn verband sich damit ein grosser Zukunftstraum, der ihr auch einen realen Machtwert zu geben schien: das Erbrecht auf den spanischen Thron, die Verbindung beider Reiche, die künftige Weltherrschaft. Aber bei der ersten Sitzung, in der von der Heirat gesprochen wurde, erklärte Don Luis de Haro, dass König Philipp die Hand der Infantin zu bewilligen bereit sei, die jedoch auf ihre Erbrechte in Spanien Verzicht leisten müsste. Auch hier zeigte sich die Unsicherheit und Vieldeutigkeit aller politischen Werte und Formulierungen. Die spanische Forderung, die dem Herkommen nach selbstverständlich war, die aber die Hoffnungen zu vernichten schien, die man in Frankreich mit der Werbung verband, und denen zuliebe man soviel wirklich besetztes Gebiet fahren lassen wollte, war in gewissem Sinn bedeutungslos. Solange männliche Nachkommen des spanischen Königs lebten, war der Verzicht überflüssig, und wenn es keine mehr gab, musste er wirkungslos werden. »All diese schönen Verzichterklärungen sind Unsinn,« soll Philipp IV. selbst gesagt haben, »wenn mein Sohn stirbt, muss meine Tochter erben.« Mögliche Ansprüche der österreichischen Habsburger lagen im Schatten der Zukunft, und für sie war der Verzicht nicht ohne Bedeutung. Der spanische Minister, gestützt auf die Tradition, die Form, und die öffentliche Meinung seines Landes, gab nicht nach, und auf Mazarins wohlbedachten Wunsch, dass der Verzicht für die spanischen Niederlande und die Freigrafschaft nicht gelten sollte, konnte er noch weniger eingehen, da er damit eine künftige Teilung des Reichs gutgeheissen hätte. Da, im letzten Augenblick, als Lionne und Don Pedro Coloma die einzelnen Artikel des Heiratsvertrages ausarbeiteten, hatte Lionne einen Einfall; die Infantin sollte nach Artikel 93 des Friedensvertrags eine Mitgift von einer halben Million Taler in Gold bekommen; im Artikel 4 des Ehevertrages folgte auf den Absatz, in dem dies festgesetzt war, der Verzicht; und da setzte Lionne zur Verbindung die Worte ein: »gegen die Zahlung dieses Betrages verzichtet die durchlauchtigste Infantin und so fort …« Don Pedro verwahrte sich und zögerte, aber es war schwer, beim Vertragsabschlusse selbst zu gestehen, dass man die eben ausgemachte Mitgift nicht ernstlich zahlen wolle, obwohl es, wie beide, wie alle wussten, für das bankrotte Spanien unmöglich war. Jedenfalls gab Don Pedro nach, vielleicht mit schweren Ahnungen, und dieses »gegen die …« »moyennant  …« wurde in den Vertrag aufgenommen. Das war die sogenannte Lionnesche Klausel, ein genialer juristischer und diplomatischer Einfall, der weltgeschichtliche Folgen hatte und Europa Ströme von Blut kostete. Denn die Mitgift der Infantin ward nie bezahlt, der Verzicht ward ungültig, und als die spanischen Habsburger ausstarben, hatte Frankreich eine Grundlage für seine Ansprüche: der spanische Erbfolgekrieg war hier mit einem verhängnisvollen Wort eröffnet.

Eine andere Frage von zukunftschwerer Bedeutung, die durch die Jahrhunderte ungelöst blieb, hing mit dieser zusammen: die belgische Frage, wie denn in diesem Frieden der Grund zu den Machtverhältnissen des modernen Europa gelegt wurde.

Paris liegt der Grenze zu nahe und ist, wie viele Kriege schon damals bewiesen hatten, feindlichen Einfällen aus Nordost immer ausgesetzt. Richelieu hatte aus Belgien einen neutralen Pufferstaat unter holländischem und französischem Schutz machen wollen; die Holländer hatten auf einem Teilungsvertrag bestanden. Einige Jahre später fanden sie Frankreich als Grenznachbarn zu gefährlich und hatten ihren Sonderfrieden geschlossen. Mazarins Pläne waren von Anfang an weiter gegangen als die Richelieus: er wünschte die spanischen Niederlande zu erobern und zu einem französischen »Vorwerk« zu machen, so dass Paris nun erst wirklich »das Herz Frankreichs und der sicherste Ort im Königreich würde.« Erst die Fronde, dann das schlechte Wetter, das im Spätherbst 1658 eingetreten war, hatte die Eroberung Belgiens unmöglich gemacht, und um dieser grossen aber unsicheren Hoffnung willen den Krieg fortzusetzen, auf die Gefahr hin, dass Holland jetzt an die Seite Spaniens trat, schien ihm nicht richtig. Das vor allem wurde ihm von der französischen Militärpartei verübelt: sie sahen ein Kriegsziel nicht erreicht. Belgien, das ewig der Boden für die Kämpfe von Ost und West war und den Ehrgeiz und die Politik der Grossmächte reizte und beschäftigte, blieb eine Insel zwischen ihnen, zunächst im unsicheren Besitz einer fernen Macht. Immerhin öffnete die Heirat mit der Infantin und die Lionnesche Klausel für Frankreich Aussichten für die Zukunft.

Mazarins geistreichster und bitterster Kritiker, Saint-Evremond, befand sich in seinem Gefolge; er gehörte zu den zahlreichen durch den Minister verärgerten Offizieren, und kritisierte ihn zum eigenen Verderben, das ihn nach dem Tode des Kardinals ereilte, als sein berühmter Brief an den Marquis von Créqui über den »lächerlichen Frieden« durch Zufall – bei einer der Hausdurchsuchungen nach dem Sturz Foucquets – entdeckt wurde.

Wie zumeist bei den Friedenschlüssen zwischen den Grossmächten wurden die schwächeren Staaten rücksichtslos geopfert. Frankreich gab, da Spanien darauf bestand, Portugal preis. Zwischen Lionne und Don Pedro Coloma war es dabei zu heftigen Erörterungen gekommen. Im Artikel 60 wurden ihm drei Monate Zeit gegeben, zu einem Frieden mit Spanien zu gelangen, und in einem Geheimartikel verpflichtete sich Frankreich, es nach dieser Frist in keiner Weise zu unterstützen. Der französische Agent, der eben nach Portugal unterwegs war, der Chevalier von Jant, wurde kurzweg desavouiert, und als er sich heftig beschwerte, in die Bastille gesperrt.

Statt seiner wurde der Marquis von Chouppes nach Lissabon geschickt, die unangenehmen Mitteilungen zu überbringen und zu rechtfertigen; das Volk bewarf seinen Wagen mit Steinen; aber mit dem Hofe verständigte er sich, und insgeheim kam noch mit Mazarins Wissen Graf Schomberg mit Truppen ins Land. Auch war die Entwickelung nicht aufzuhalten: neun Jahre später musste Spanien Portugals Unabhängigkeit anerkennen. Ludwig XIV. schrieb später in seinen Memoiren: »Verträge werden nicht immer buchstäblich beobachtet, und die Interessen der Kronen sind solcher Natur, dass die Fürsten nicht immer frei sind, sich zum eigenen Schaden zu verpflichten«; und seine Politik gegen Portugal wird eine »ehrenhafte und grossmütige« genannt. Jant bezeichnete in einer Schrift die Vertragsbestimmungen bezüglich Portugals als »gegen die guten Sitten« und »daher ungültig«.

Der spanische Minister erhob seinerseits keine Einwendung dagegen, dass Mazarin den Herzog von Lothringen, Spaniens Bundesgenossen, beraubte. Der Herzog, dem Fuensaldaña und Condé misstrauten, sass seit 1654 zu Toledo in Haft; seine Soldregimenter waren, darüber empört, zu den Franzosen übergegangen. Mazarin begehrte seine Freilassung erst, als er sich in den Artikeln 62 bis 78 des Friedensvertrages das Herzogtum Bar, eine Reihe lothringischer Städte und Festungen und das Recht des Durchmarsches durch das übrige Lothringen gesichert hatte. Man begreift, dass der Herzog, als er Ende Oktober eintraf, wütend ward. Man sagte ihm Höflichkeiten, gab ihm guten Rat; er protestierte, machte neue Vorschläge, bat, drängte, schrie und drohte, und »setzte mit grossem Lärm und Toben über den Fluss«. Don Luis verlangte schliesslich noch eine Zusammenkunft mit Mazarin, aber nichts geschah. Mazarin fühlte sich »nicht berufen, für den Bundesgenossen der Spanier einzutreten«; und diese fanden ihn zuletzt mit Geldversprechen ab. Mazarin gab ihm später das Herzogtum Bar zurück; die Festungswerke von Nancy musste er schleifen.

Die den Schaden hatten, brauchten für den Spott nicht zu sorgen. »Alle Bettler Europas kommen hieher,« sagte Don Luis de Haro verächtlich; und Mazarin meinte lächelnd: »Man sieht, dass die Komödie zu Ende geht, da alle Acteurs auf der Bühne erscheinen.« Auch Karl Stuart war angekommen. Er hatte schon vorher versucht, da der Krieg beendet und Cromwell tot war, wieder nach Frankreich kommen zu dürfen und eine Zusammenkunft mit Ludwig XIV. erbeten. Mazarin hatte es verweigert. Obwohl das Offensiv- und Defensivbündnis mit England abgelaufen war, betrachtete er die Republik als befreundete Macht und hielt es für falsche Politik, anders zu handeln. Allerdings änderte sich seine Bundestreue mit jeder Verschiebung der Lage. Er missbilligte das republikanische Regiment und machte in Gesprächen kein Hehl daraus, hatte es Pimentel gegenüber als ein »skandalöses Beispiel für die Monarchien« bezeichnet. Das hatte den Klugen nicht gehindert, politischen wie persönlichen Vorteil daraus zu ziehen. Noch am 6. Juli hatte er an Herrn von Bordeaux geschrieben, »wenn in England die Republik bleiben sollte, werde man dort vielleicht die Wandteppiche von Whitehall verkaufen«; er rechnete darauf für seine Sammlungen. In den letzten Tagen des Monats war ein gewisser Bodkin mit besonderen Aufträgen des Stuart in St. Jean de Luz angekommen. In Fontarabia bei Don Luis weilte als sein Vertreter Sir Henry Bennett, der spätere Minister Lord Arlington. Die Spanier hatten dem Stuart, der dafür alle englischen Eroberungen herauszugeben versprach, schon 1656 Truppen für eine Landung in England zugesagt, waren aber nicht in der Lage gewesen, ihr Versprechen zu halten.

Eben bereitete er einen neuen royalistischen Aufstand in Chester vor, dem eine Landung folgen sollte. Mazarin wusste davon und hatte Turenne gestattet, die Stuarts zu unterstützen, sich aber ausdrücklich vorbehalten, ihn zu desavouieren, wenn die Sache misslang. Daraufhin hatte der Marschall dem Herzog von York, der ihn heimlich in Amiens aufgesucht hatte, sein eigenes Infanterieregiment, 1200 Mann, Waffen für mehrere tausend Mann, Geschütze, Munition und Lebensmittel sowie Transportschiffe zur Verfügung gestellt; aber alles scheiterte daran, dass der Aufstand durch den Generalmajor Lambert niedergeschlagen ward.

Indessen wurde Bodkin in St. Jean de Luz von Mazarin empfangen, dem er die erstaunlichsten Anerbietungen machte. Karl II. war bereit, ihm Irland als erbliche Statthalterschaft zu übergeben; ja, er deutet an, dass Mazarins Erben es als Königreich besitzen könnten. In den schriftlichen Vorschlägen vom 30. Juli heisst es wörtlich »s'approprier ce beau royaume«. Der König wollte Mazarins Nichte Hortense heiraten und seine Schwester Henriette Philippe Mancini zur Frau geben. Dafür sollte ihm der Kardinal die nötigen Truppen und Mittel zur Eroberung Englands zur Verfügung stellen. Vor allem müsste Galway besetzt werden. Sollte Mazarin Irland nicht selber behalten wollen, so könnte er es für die Krone Frankreichs haben, das durch diesen Besitz England für immer in Schach halten könnte! All das bot ihm der künftige englische König an, und Mazarin lehnte alles ab. Er war klug genug, die Unfähigkeit der Stuarts zu erkennen: »Wenn ihnen die Sache nicht von selbst glückt«, hatte er an Turenne geschrieben, »ihre Klugheit und ihre Führung wird es nicht machen.« Er verhielt sich so vorsichtig und doppelzüngig als möglich. Als auch Sir Henry Bennett um eine Audienz bei ihm ansuchte, lehnte er es ab, ihn zu empfangen, liess ihm jedoch sagen, dass er dadurch seiner Sache besser dienen könne.

Am 1. August traf General Lockhart als offizieller Vertreter der englischen Republik in St. Jean de Luz ein und wurde sogleich von Mazarin empfangen. Auch Don Luis de Haro empfing ihn, dem er die englische Friedensbereitschaft mitteilte. Aber der Tod des einen Mannes Oliver Cromwell hatte genügt, England aus der Reihe der Grossmächte zu streichen. Man hielt es nicht einmal der Mühe wert, mit ihm Frieden zu schliessen. Es genügte dem spanischen Minister, dass Frankreich sich in einem Geheimartikel verpflichtete, England in keiner Weise mehr gegen Spanien zu unterstützen.

Ende September traf Karl II. selbst, der Frankreich unerkannt durchreist hatte, in Fontarabia ein, wo er Don Luis bat, ihm nur 4000 Mann Fussvolk und 1500 Reiter zu geben; mehr brauche er nicht. Don Luis gewährte nichts; Mazarin, dem Don Luis diese Bitte weitergab, empfing den Prätendenten nicht einmal, und als er dem Marquis von Ormond, der mit dem Stuart gekommen war, auf seinem Weg zur Fasaneninsel begegnete, sagte er ihm das, was der Gesandte der Republik hören sollte und wollte: dass Ludwig XIV. nicht seine Hand dazu bieten werde, ein Regiment zu stürzen, mit dem er unter dem Druck der Notwendigkeit ein Bündnis geschlossen. Und in einem Schreiben an den Gesandten Bordeaux in London vom 19. Oktober erklärte er nunmehr, von den Besprechungen Turennes mit dem Herzog von York nichts gewusst zu haben. Seine Bundestreue hatte ihn auch nicht gehindert, bei der ungünstigen Lage seiner englischen Freunde, Beamte und Offiziere in Dünkirchen durch Jesuiten und andere Agenten bearbeiten und bestechen zu lassen, um die Festung für Frankreich zurückzugewinnen; aber es war nicht gelungen. Drei Jahre später bestach Ludwig XIV. den geldbedürftigen König von England selbst, der ihm Dünkirchen für einige Millionen überliess.

Es gab noch andere Mächte, die bei dem Friedenschluss gekränkt wurden. Der Papst, der sich jahrelang bemüht hatte, zwischen den Kriegführenden zu vermitteln, wurde wie beim westfälischen Frieden übergangen und nicht zur Beteiligung und Unterschrift zugelassen. Man erwies ihm nur die Höflichkeit, in einem Artikel zu sagen, dass »Seine Heiligkeit gebeten werden sollte, das Friedenswerk gutzuheissen und zu segnen.«

Die beiden Minister fühlten sich in ihrem Beratungszimmer als eine Art obersten Rats, sie beschlossen in den Artikeln 99 und 100 zwischen dem Papst und Modena und Parma Frieden zu vermitteln, ein Beschluss, der gleichfalls in die Form einer Bitte an Seine Heiligkeit gekleidet wurde, und sie erklärten im Artikel 101 »mit grossem Missfallen den gegenwärtigen Kriegszustand in Deutschland und im Norden zu sehen«; denn zwischen Schweden und Polen war seit vier Jahren Krieg. Karl X. hatte Warschau erobert, und der Zar, der Kaiser, Brandenburg und Dänemark hatten einen Bund gegen Schweden geschlossen, dem auch Holland beigetreten war, um zu verhindern, dass die Ostsee ein schwedisches Meer ward.

Frankreich und Spanien nahmen es auf sich, auch dort zu vermitteln und den Weltfrieden herbeizuführen. Zwischen dem mit Frankreich verbündeten Modena und Spanien wurde Friede geschlossen, über Monaco und Graubünden Bestimmungen getroffen; der Vertrag von Cherasco über Mantua, der erste Vertrag, den Mazarin zum Abschluss gebracht hatte, erneuert. Savoyen erhielt Vercelli zurück. So verbanden sich in diesem Frieden Mazarins diplomatische Anfänge mit seinem grossen letzten Werke.

Der hundertsechste Artikel bestimmte, dass alle Kriegsgefangenen entlassen werden sollten. Dann folgten noch Ausführungsbestimmungen. Am 7. November 1639 wurden 180 öffentliche und 8 Geheimartikel des Friedensvertrags unterzeichnet. Wenige Tage vorher war der spanische Thronerbe, der Infant Don Felipe Prospero, erst zehn Monate alt, gestorben. Sein Tod schien den französischen Erfolg, besonders den Lionnes zu erhöhen; aber im Jahr 1661 gebar die Königin Maria Anna einen zweiten Sohn, der als Karl II. König von Spanien wurde.

Mazarins Hauptwerk war getan; mit Klugheit und Mässigung. Richelieu hatte einst die Absicht geäussert, Spanien solche Bedingungen aufzuerlegen, dass es davon abgeschreckt werden sollte, je wieder gegen Frankreich Krieg zu führen. An ihn erinnerten Mazarins Gegner, die Belgien, Mailand, das ganze linke Rheinufer forderten. Mazarin wollte den besiegten Feind weder vernichten noch demütigen, sondern versöhnen und gewinnen. Die Bedingungen waren für Spanien nicht drückend, die Form ehrenvoll. St. Evremonds Ironie »er dachte wohl, dass Frankreich geeint und gleichsam in sich geschlossen, sich besser erhalten würde, als bei zu grosser Ausdehnung, eine Vorsicht, deren wenige Minister fähig sein dürften«, war unbeabsichtigtes hohes Lob.

Wenn die neuen Grenzen und die mit ihnen erworbenen Gebiete für Frankreich wertvoll waren, der grösste, damals wohl noch nicht in seinem ganzen Ausmass zu übersehende, Gewinn lag im Unwägbaren, Ungreiflichen: in der Machtverschiebung, durch die Frankreich in Europa an Spaniens Stelle trat und die Vormacht wurde, in der Politik, in der Sprache, der Kultur, in allen Formen des Lebens. Die französische Zeit Europas begann. Wohl war dies ein Werk des französischen Geistes, aber Mazarin hatte seine Kräfte gleichsam politisch organisiert und zur Wirkung gebracht. Auf den Wogen der Macht strömten alle anderen Einflüsse über den Erdteil.

Das Werk war getan: eine Folge ungeheuren, blutigen Ringens von Jahrzehnten, lag es jetzt in seiner Quintessenz in den Gesprächen und Abmachungen der zwei klugen alten Staatsmänner in dem gemeinsamen Konferenzsaal auf der Insel in der Bidassoa umschlossen, die Lionne und Don Pedro Coloma in schriftliche Form gebracht hatten. Alles andre war Gepränge, in dem der Jubel über den endlichen Frieden und die neuerworbene Macht Ausdruck fand.

Am 12. November fand die fünfundzwanzigste und letzte feierliche Sitzung statt, die dem Abschied, den gegenseitigen Glückwünschen und dem Austausch von Geschenken gewidmet war. Wenn die Zeit bösartig war, ihre Formen wenigstens waren ritterlich und schön. Don Luis machte dem Kardinal jene herrlichen Brügger Wandteppiche zum Geschenk, die die zwölf Monate darstellten; Mazarin schickte ihm berühmte Gobelins aus seiner Sammlung. Die Königin sandte kleine Geschenke: Handschuhe, Seidenstrümpfe, Dosen, Hüte mit Agraffen und Juwelen geschmückt, wie es damals üblich war. Ein besonders kostbarer, mit Diamanten besetzter Federhut wurde Don Antonio Pimentel überreicht, während Lionne von den Spaniern nicht sonderlich bedacht wurde. Don Luis de Haro wurde von Philipp IV. in den Herzogstand erhoben und erhielt den Titel »Fürst vom Frieden.« Das rasch errichtete Holzgebäude, in dem die Verhandlungen stattgefunden hatten, sollte zur dauernden Erinnerung auf gemeinsame Kosten ausgebaut und unterhalten werden, und ein grösserer Betrag wurde dem Baron Wattenwyl übergeben, der als Gouverneur von Guipuzcoa zu San Sebastian in der Nähe seinen Amtsitz hatte. Ob dieser das Geld für sich oder für dringendere öffentliche Ausgaben verwendete, der Auftrag blieb jedenfalls unausgeführt. Zwei Jahrhunderte später liessen Napoleon III. und Isabella von Spanien auf der Insel einen kleinen Garten anlegen und ein Denkmal errichten.

Schon Ende September war der Marschall von Gramont aus dem nahen Bidache aufgebrochen, die Werbung nach Madrid zu bringen. Er hatte nicht Zeit gehabt, die nach damaligen Vorstellungen nötige Pracht eines Gesandten, der in solchem höfischen Auftrag reiste, zu entfalten, wie auch Mazarin sich bei Don Luis entschuldigte, dass nicht Zeit gewesen, einen Prinzen vom Geblüt als Freiwerber zu schicken. Gramont musste eilen, und wurde doch in Irun durch einen Befehl Mazarins zurückgehalten, weil Schwierigkeiten entstanden waren, Schwierigkeiten, in denen Don Luis, als er von dem Aufenthalt erfuhr, sogleich entgegenkam. Auf raschen Maultieren ritt der Marschall mit seinem Gefolge durch das heisse Land; er, sein Sohn und andre erkrankten infolge der Hitze und setzten doch ihren Ritt fort. Er selbst in seinen Memoiren, sowie in Briefen der Abbé Berthaut, der Bruder der Motteville, der mit war, haben die Reise geschildert. Am 16. Oktober trafen sie in Alcobendas bei Madrid ein, wo ihnen ein Vertreter des Generalpostmeisters mit sechs Oberkurieren und acht Postillonen, sowie zahlreichen gesattelten Pferden entgegenkam. Der Marschall hatte beschlossen, als Kurier anzukommen; das schien ihm die schicklichste und geschickteste Lösung. In grossem Galopp, die spanischen Postillone in rosaseidenen silberverschnürten Jacken voran, ritt die Gesandtschaft in Madrid ein, durch dichtgefüllte Strassen, in denen alle Balkone von Damen besetzt waren. An den Toren des Escurial stiegen sie vom Pferd. Frauen, Dirnen drängten sich neugierig an die geputzten Franzosen, rissen ihnen Bänder und Federn ab; mühsam machten sie sich Bahn. Der Marschall übergab dem König das Schreiben, der es wortlos entgegennahm. Während der ganzen Audienz, bei der Ansprache des Marschalls und als dieser sein Gefolge vorstellte, blieb er vollkommen unbeweglich; nur beim Eintritt des Gesandten und als dieser wieder ging, erhob er die Hand schweigend zum Hut. Immer wieder, auch bei den folgenden Empfängen und Gottesdiensten fiel den lebhaften Franzosen diese Etikette der Starrheit und des Schweigens auf. Die Königin und die Infantin, denen der Marschall die Werbung »mit galanter Rede« vortrug, erwiderten kein Wort. Die Einrichtung der Audienzsäle und des Schlosses fanden die Franzosen »kläglich«. Am nächsten Tag gab der Admiral von Kastilien ihnen ein Essen zu vierundzwanzig Gedecken, bei dem achthundert Schüsseln aufgetragen wurden. Am 19. hörten sie die Messe, am 20. verabschiedeten sie sich, und bei dieser Audienz sagte der König dem Marschall, dass »er sich freue, ihn kennengelernt zu haben und schon viel Gutes von ihm gehört hätte,« und zu seinem Sohn, dem Grafen von Guiche, sagte er »Buen mozo!« »Netter Junge«. »Das ist für eine Statue nicht wenig gesprochen,« sagt Berthaut. Am nächsten Morgen traten sie die Rückreise an, erreichten die Grenze noch vor dem Schluss der Verhandlungen, und gleichzeitig mit dem Friedensvertrag wurde am 7. November auch der Ehekontrakt von den beiden Ministern unterzeichnet.

Seit Ende August war der Hof in Bordeaux. Die Königin besuchte Kirchen und Klöster, der König hielt Paraden ab, ritt spazieren und spielte. Man hatte nicht erwartet, dass die Verhandlungen so lange währen würden, und der Hof übersiedelte nach Toulouse, um der Grenze näher zu sein. Kurz vorher hatte die Königin einen besonders vertrauten Diener, einen gewissen Du Boscq mit irgendeinem Auftrag zum Kardinal geschickt, der nicht wiederkam, sondern in Saint-Jean de Luz erkrankte und starb. Daraufhin meldete der Stallmeister der Königin, ein Herr von Beaumont, er hätte jenem Du Boscq dreihundert Goldstücke anvertraut, die er jetzt brauche und die sich in einer Kassette befänden, die Du Boscq in Verwahrung gehabt. Die Königin erwiderte, die Kassette dürfe nur in Gegenwart des Kardinals geöffnet werden und schlug dem Stallmeister auch die Bitte ab, das Geld aus den Bezügen, die Du Boscq noch zustanden, auszahlen zu lassen. Als man in Toulouse ankam, war die Kassette verschwunden. Zornrot im Gesicht erklärte die Königin Beaumont, der seine Unschuld beteuerte, vor dem ganzen Hof für den Dieb. Der Stallmeister hatte eine, wie der Hofklatsch sagte, allzu gute Freundin in der Kammerfrau der Königin, Frau von Beauvais, die sich manches herausnehmen durfte und die ihrer Herrin »eine derartige Szene machte, dass der König sich schämte.« Die Diener, die befragt wurden, wussten von nichts; ein Wachtmeister wollte unterwegs einen schwarzgekleideten Mann in grauem Mantel mit der Kassette gesehen haben; die Königin wurde immer erregter, sie schlief die Nacht nicht: am andern Morgen stand die Kassette an ihrem gewöhnlichen Platze. In Gegenwart des Marschalls von Villeroi und des Staatsekretärs Le Tellier geöffnet, fand sie sich völlig unversehrt; Beaumont erhielt sein Geld und die Königin, noch immer sehr aufgeregt, entschuldigte sich bei ihm. Der Vorfall, den der junge Brienne in einem Brief an seinen Vater sehr lebendig schildert, wurde nie aufgeklärt. Die Aufregung der Königin war begreiflich: in dieser Kassette lagen ausser den Chiffreschlüsseln zur diplomatischen Korrespondenz die Liebesbriefe des Kardinals an sie und der Chiffreschlüssel zu ihnen. Was wir erst heute wissen, hätte damals vorzeitig und verhängnisvoll bekannt, ein europäischer Skandal werden und Mazarins Sturz herbeiführen können.

Als er davon erfuhr, schrieb er ihr einen Brief, in dem er seine Leidenschaft und Treue für sie beteuerte.

Er hatte indessen durch den Herzog von Créqui die Nachricht von dem glücklichen Abschluss der Verhandlungen an den Hof bringen lassen, und traf selbst am 22. Oktober, festlich empfangen und gefeiert, in Toulouse ein. Aber die Hochzeit, die der König mit Ungeduld erwartete, musste verschoben werden; der spanische Hof wollte in der rauhen Jahreszeit nicht ins Gebirge reisen, und der Vatikan, verletzt durch die Nichtzulassung zu den Friedensverhandlungen, verzögerte die Dispens.

Die Zwischenzeit brachte manches Ereignis und für Mazarin Arbeit genug. Die Ausführung des Friedensvertrags bot Schwierigkeiten, die Stände in Flandern und Brabant protestierten gegen die Gebietsabtretungen, der spanische Kommandeur in den Niederlanden wollte die Truppen Condés nicht heimsenden; infolgedessen konnte die französische Armee nicht sofort auf den Friedenstand gebracht und es mussten ihr Winterquartiere in den erschöpften Grenzprovinzen angewiesen werden.

Im Norden Frankreichs waren neue Unruhen ausgebrochen. Edelleute, die für die aufständischen Bauern eintraten, wurden zum Tode verurteilt, einer von ihnen, ein Herr von Bonnesons, im Dezember hingerichtet. Es scheint, dass Colbert mit seinem bittern Eifer, den er bei jeder Arbeit zeigte, auch diese blutigen Prozesse betrieb. Im Frühjahr gab es kleinere Aufstände im Süden, letzte Regungen der alten Selbständigkeit. Marseille hatte Konsuln gewählt – diesen römischen Titel führten die Stadtvorstände in der alten »Provinz« – die ihrem Statthalter, dem Herzog von Mercœur, nicht genehm waren, und weigerte den Gehorsam. Der Hof erschien mit einem kleinen Heer, in der Mauer wurde eine Bresche geöffnet, durch die der König einritt, der Grundstein zu einer Zwingburg wurde gelegt und mehrere Bürger hingerichtet. Dann wurde noch ein Miniaturkrieg gegen Orange geführt, das dem Hause Oranien unter französischer Lehenshoheit gehörte und dessen Gouverneur, ein Graf Dohna, den König nicht einlassen wollte, weil die alte Fürstin von Nassau-Oranien, die Witwe Friedrich Heinrichs, des Statthalters der Niederlande, es nicht haben wollte.

Am 3. Februar 1660, dem Tage, an dem Ludwig XIV. zu Aix der Friedensvertrag mit der Ratifikation durch den König von Spanien übergeben wurde, starb zu Blois sein Oheim, der alte Monsieur, Gaston von Orléans, erst zweiundfünfzig Jahr alt, ein längst gebrochener und schon halb vergessener Mann, nach einem wüsten und von einer Art kläglichen Glanzes erfüllten Leben. »Mein Vetter,« schrieb Madame in wenigen Zeilen an Mazarin, »dieser Edelmann bringt Ihnen die Nachricht von dem Unglück, das mich getroffen hat … Tränen ersticken mich und zwingen mich zu schliessen. Ihre wohlgewogene Cousine, Margarete von Lothringen.« Sie musste ihren Hofstaat auflösen, weil ihr keine Mittel blieben, da die Krongüter wie die Titel dem Bruder des Königs zufielen. Mademoiselle schwelgte im Glanz ihres Trauergepränges, aber sie dachte nicht daran, der Stiefmutter zu helfen, die sie nicht leiden mochte.

Zu Aix erschien auch Condé zum erstenmal wieder bei Hof. Er hatte schon nach Toulouse einen seiner Vertrauten, den »kleinen Guitaut« geschickt, der Comminges' Neffe und des Prinzen Anhänger war; dieser war geschickt genug gewesen, als er vor den jungen König trat, vor Erregung nicht sprechen zu können; vielleicht konnte er es wirklich nicht: Ludwig XIV. hatte, so jung er war, eine Art aufzutreten, vor der den meisten die Sprache stockte. Zu Aix erschien der Herr Prinz selbst. Der ganze Hof wartete mit begreiflicher Spannung; aber bei den ersten Audienzen war niemand zugegen und öffentlich sah man nur liebenswürdiges Entgegenkommen, »amitiés«; der Prinz selbst, was er auch empfinden mochte, wahrte seine Haltung und zeigte sich befriedigt und heiter. Er wohnte beim Kardinal, unterhielt sich viel mit dem König und Mademoiselle; acht Tage später fuhr er nach Paris. Sein Gehorsam wurde sogleich in kleinen Dingen geprüft: er hatte seine Wagendecke mit Ziernägeln versehen lassen, und der junge Herzog von Orléans beklagte sich darüber, weil dies ein Vorrecht der »fils de France« wäre; der Kardinal schickte Colbert zu ihm, und der Prinz liess die Ziernägel sofort entfernen. In Paris wurde er mit Ansprachen empfangen, die dem Hof missfielen; man liess es ihn wissen, und er versprach, in der Bourgogne, seiner Statthalterschaft, dafür zu sorgen, dass ähnliche Ungehörigkeiten nicht vorkommen sollten. »Zwei Stunden lang«, schrieb Colbert am 6. März an den Kardinal, »habe der Herr Prinz sich in Beteuerungen erschöpft, wie gut er sich hinfort mit Sr. Eminenz stellen werde.« Der furchtloseste und rücksichtsloseste aller Menschen war vollkommen gebeugt, war hinfort, wie Saint-Simon sagt, »die verkörperte Angst; er kroch nicht nur vor dem König, sondern auch vor den Ministern.« Seine Rückkehr beunruhigte Turenne, der durch den glanzvollen Nebenbuhler fürchtete, in Schatten gestellt zu werden; in mehreren Briefen musste Mazarin ihn dauernder Gunst versichern, und am 5. April 1660 wurde er zum Generalfeldmarschall – »maréchal général des camps et des armées du roi« – ernannt. Vor ihm hatte nur der Marschall von Lesdiguières diesen Titel geführt, der auch der letzte Connetable gewesen war. Das hatte Turenne zu werden gewünscht, aber dieses Kronamt galt in seiner Machtfülle für gefährlich, auch hätte man es nie einem Protestanten gegeben; es wurde im Etat weitergeführt, blieb aber stets unbesetzt. Dagegen wurde Turenne mit der neuen Charge ein Vorrang vor allen andern Marschällen verliehen, der früher nicht damit verbunden war. Nur die Marschälle von Villars und von Sachsen haben nach ihm noch diesen Titel erhalten.

In der unendlichen Korrespondenz des Kardinals nimmt die eigene Familie Raum ein. Philippe Mancini, der in Breisach verzweifelte und dem selbst die Fürbitte des Königs nicht die Freiheit hatte verschaffen können, hatte im August einen Fluchtversuch gemacht und war auf Befehl des Kardinals in der Festung in Haft gesetzt worden. Erst im Frühjahr 1660 durfte er nach Aix an den Hof zurückkommen. Seine Schwestern waren im Januar von der Seeküste nach Paris übersiedelt, wo, wie vorher, alles sich mit Aufmerksamkeiten an sie drängte. Schon deshalb hielt der Kardinal den König in Südfrankreich zurück. Er wünschte auch nicht, dass die Mädchen in Paris viel Verkehr haben sollten, und schrieb genau vor, welche Damen der Hofgesellschaft sie besuchen, mit wem sie ins Theater gehen dürften; Frau Colbert sollte sie unter ihre Obhut nehmen. Diese tat was sie konnte, sie zu unterhalten; und da damals Molière im Petit-Bourbon mit seinen »Précieuses ridicules« den ersten grossen Erfolg hatte, liess sie ihnen das Stück in ihrem Hause durch Marionetten vorspielen. Mazarin kümmerte sich um alles; er ermahnte Hortense, sich geradezuhalten, das Tanzen und Hofknixe ordentlich zu erlernen; Marianne sollte nicht soviel Geld ausgeben; Marien hatte er empfohlen, Seneca zu lesen. Jeder Besuch wurde ihm gemeldet; Turenne, die Herzoge von Guise, von Lothringen und Beaufort und andre Herren liessen sich nicht abweisen, Condé sagte sich an und kam. Aufmerksamkeit wie Neugier lockten, die vielbesprochenen jungen Damen zu sehen. Bei jedem Empfang strahlte Hortense durch ihre Schönheit, die kleine Marianne durch ihren Witz und Geist; Marie wahrte ihre Haltung. Sie wohnte im Louvre, wo alles sie an die Vergangenheit erinnerte. »Ich habe den Frieden teuer bezahlt,« sagte sie bitter, da Paris in diesen Wochen von Neuigkeiten erfüllt war, die ihr qualvoll waren, alle Welt von der bevorstehenden Hochzeit im Königshause sprach. In ganz Frankreich war in diesem Frühling Festgedränge; überall läuteten die Glocken, wurden Hochämter gefeiert; Empfänge, offene Bewirtung, Weinbrunnen auf den Plätzen, Feuerwerke, Strassendemonstrationen und Aufzüge ohne Ende folgten aufeinander, durch jedes offene Fenster drang der Jubel, der sie daran erinnerte, was sie verlor. Colbert, in dessen Haus sie so oft kam, war wieder überbeschäftigt mit den Vorbereitungen, mit der Sorge, die geforderte Pracht mit der gewünschten Sparsamkeit zu vereinigen. Lieferanten und Juweliere drängten sich in seinem Haus. Schon rollten die Staatskarossen und die Lastwagen mit Stoffen, Kleidern, Teppichen, Möbeln, dem ganzen überreichen Hochzeitstaat nach dem Süden; ein Gardekapitän mit besondrer Bedeckung brachte die Brautgeschenke und Juwelen für die junge Königin nach der Grenze. Mazarin war bereits wieder in Saint-Jean de Luz, mit Don Luis den Plan der Feierlichkeiten zu entwerfen. Frau von Motteville in ihren Memoiren schildert die schneegekrönten Bergketten, die schroffen himmelragenden Felsen und die wohlbebauten grünen Täler, die in Frühlingsblüte lagen. Dort entfaltete sich jetzt der ganze Prunk des siebzehnten Jahrhunderts; spanische Feierlichkeit und Stille an dem einen Ufer der Bidassoa, französische Farbenfreude, Trompeten und Trommellärm am andern. Noch trugen die Spanier ihre starre Seidentracht mit dem kleinen spanischen Hut, die ihre Herrschaft einst ganz Europa zur Mode gemacht hatte, die Franzosen schon die weite farbig glänzende Barockkleidung mit langem Tressenrock, weiten Beinkleidern, mit Bändern, Stulpstiefeln und Federhüten; die spanischen Damen den steifen, weit ausladenden Vertugadin, die enge Taille, die Halskrause, den erstaunlichen Kopfputz, während von der Hüfte der Französinnen freie Seide floss. Und jeder Seite erschien das Gewohnte schön, der Aufzug der andern lächerlich.

Mit Staunen sahen französische Herren, die über die Grenze gegangen waren, am 27. Mai, dem Fronleichnamstag, zu San Sebastian die seltsamen Aufzüge: Schwerttänze weissgekleideter Basken, die Glöckchen an den Beinen trugen; dann viele kleine Knaben mit Larven und Trommeln, dann kamen die heiligen drei Könige und Sankt Christophorus, haushoch mit riesigen Köpfen, fahrende Puppenwagen mit klingendem Spiel, ein Drachen, gross wie ein Walfisch, auf dem wilde Männer tanzten, und nach diesem Mummenschanz der Erzbischof von Pampeluna, ein ausserordentlich dicker Herr im vollen Ornat, feierlich unter einem Baldachin, mit dem Sakrament, und König Philipp IV. von Spanien, gross, hager, kahlköpfig und majestätisch.

Am 3. Juni vollzog der selbe Erzbischof von Pampeluna, dem Zongo Ondedei, der Bischof von Fréjus, assistierte, die Trauung der Infantin mit Don Luis de Haro, der sie als Vertreter Ludwigs XIV. zur Frau nahm. Nur Mademoiselle wohnte mit einigen französischen Damen incognito dieser Feier bei. Am nächsten Tag sahen die Königin Anna und ihr Bruder sich nach fünfundvierzig Jahren zum erstenmal wieder. Die Königin wollte ihn umarmen und küssen; steif und ernst wich der spanische König aus und drückte nur ihre Hände. Sie unterhielten sich durch zwei Stunden und redeten viel von dem furchtbaren Krieg: »Ay, Señora, es el diablo che lo ha hecho!« sagte der König, »Ach, gnädige Frau, es war der Teufel, der das gemacht hat.« Sie bat auch ihren Bruder um Verzeihung, dass sie eine so gute Französin geworden, aber er lobte sie darum. Heimlich hatte Ludwig XIV., der seine Frau endlich zu sehen wünschte, sich als Kavalier unter das Gefolge seiner Mutter gemischt und wurde natürlich bemerkt. »Tengo lindo hierno,« »ich habe einen schönen Schwiegersohn,« sagte Philipp IV. Selbstverständlich wurde auch die junge Königin gefragt, wie ihr der schöne Kavalier gefalle, nicht anders als auf einer Dorfhochzeit. Als die Barke mit dem König und seiner Tochter nach Fontarabia zurückfuhr, sprengte Ludwig XIV. dem Ufer entlang der Barke nach, den Hut in der Hand, beständig winkend und grüssend.

Zwei Tage darauf trafen die beiden Könige im Beratungszimmer auf der Insel zusammen. Die rotgelben spanischen Garden standen auf dem französischen, die französischen Garden in Blau und Gold auf dem spanischen Ufer gereiht. Philipp IV. und Ludwig XIV. knieten jeder auf ein Kissen nieder; der Kardinal im Bischofsmantel und Chorhemd stellte ein Kruzifix und ein Evangelium auf den französischen Tisch, der Patriarch von Indien tat das gleiche auf der spanischen Seite; der französische Staatsekretär Graf Brienne und der spanische, Don Fernando Ruiz de Contreras, nahmen jeder eine Abschrift des Friedensvertrages, jeder verlas ihn in seiner Sprache; dann legten beide Könige die Hand aufs Evangelium und schworen, die im Vertrag enthaltenen Bedingungen treulich zu halten. Dann umarmten sie einander und schworen ewige Freundschaft. Ehe sie sich trennten, stellten sie einander ihr Gefolge vor; als Turenne an die Reihe kam, sagte Philipp IV.: »Das ist ein Mann, der mir manche schlechte Nacht bereitet hat.« Das war Sonntag den 6. Juni 1660. Am Montag übergab Philipp IV. seine weinende Tochter der Königin Anna und ihrem Sohn, die sie mit allem Prunk abholten; viele Tränen flossen beim Abschied; dann fand am 9. mit grösster Pracht die französische Hochzeitsfeier statt. Ludwig XIV. fand die kleine blonde Infantin, die lieblich, gutherzig und kindlich einfach war, schön; seine Sinne verlangten die Vermählung, die Politik verlangte diese Ehe; die alte Königin strahlte und sah »völlig verjüngt« aus, und so umgab der Pomp durch einige Monate eine glückliche Familie. Am 15. verliess der Hof das Grenzstädtchen und begab sich langsam über Bordeaux, Poitiers, Orléans nach Fontainebleau und Vincennes; ein Schleier von Festen legte sich über Frankreich, bis am 26. August der feierliche Einzug des Königspaars in Paris stattfand. Wieder waren ungezählte Schaugerüste errichtet, Balkons und Fenster mit Zuschauern gefüllt, als der König am Morgen einritt, vom waffenglänzenden Zug der Haustruppen gefolgt, die junge Königin in schwarzem goldgestickten Brokatkleid auf einem offenen, von sechs falben Pferden gezogenen Triumphwagen, und sie in der rue Saint-Antoine die Ansprachen des Adels, der Geistlichkeit, der Universität und aller erdenklichen Körperschaften, der Bürgergarden – selbst der Bettler von Paris – entgegennahmen, die alle in ihren reichen bunten Trachten und Ornaten erschienen. Zu unzähligen Rangstreitigkeiten und darum neben allem Jubel zu ungezählten Kümmernissen und Verärgerungen hatten diese Feste Anlass gegeben. Schon zu Saint-Jean de Luz hatte Mademoiselle tief gelitten, weil die junge Königin sie nicht küssen sollte, weil sie die Schleppe der Königin gemeinsam mit der Kurprinzessin hätte tragen sollen, die doch im Rang weit unter ihr stand; endlich weil die Kurprinzessin auch eine lange Hofschleppe am Kleide tragen sollte; das wenigstens setzte sie durch, dass die Schleppe der Kurprinzessin verboten wurde, und diese vielgekränkte Dame hatte sich wie in Lyon zu Bette gelegt und war nicht zur Hochzeit erschienen. Beim Einzug in Paris fehlten fast sämtliche Herzoge, weil sie nicht hinter den »fremden Fürsten«, und die alten Herzoge nicht neben den neuernannten schreiten wollten. Zu S. 565. »Fremde Fürsten«, »Princes étrangers« war die meist sehr bestrittene Rangstufe jener Herren am französischen Hof, die zugleich einem souveränen Hause angehörten, wie die Guise oder der Kurprinz von der Pfalz, oder irgendwo souveräne Fürsten waren, wie die Bouillon in Sedan (auch die Longueville in Neufchâtel, die Gramont in Bidache), oder diesen Anspruch stellten, wie die La Tremouille, die Fürsten von Tarent und Erben des Königreich Neapel zu sein behaupteten. Die Herzoge und Pairs haben ihren Vorrang immer bestritten und das Parlament hat den Rang als solchen nie anerkannt. Der in Rangfragen besonders empfindliche Saint-Simon ereifert sich gegen sie und behauptet, dass die französischen Herzöge und selbst die Marschälle von Frankreich mit den deutschen Kurfürsten und Reichsfürsten stets als gleiche verkehrt hätten. Aber alle, die mitschritten und die fehlten, wurden überglänzt von einem, der gleichfalls nicht im Zuge war, weil schwere Gicht und Nierenschmerzen ihn daran verhinderten: »Nun aber begann«, schreibt der venezianische Gesandte Nani, »mit ungeheurem Prunk der Aufzug des Herrn Kardinals«: zuerst kamen zwei Trompeter in Grün, dann zweiundsiebzig Maultiere, von fünfundzwanzig Männern in grüner Livree an der Hand geführt; vierundzwanzig von den Maultieren trugen rotgestickte Schabraken, die nächsten vierundzwanzig herrliche, am Boden schleppende Decken aus Seidengewebe mit Stickereien, die letzten Decken aus karminrotem Sammet mit dem Wappen Mazarins in Gold oder Silber gestickt; Schmuck und Zaumzeug waren aus Goldblech oder massivem Silber und jedes Tier trug auf dem Rücken einen mächtigen Busch von roten und weissen Straussfedern. Dann kamen seine Stallmeister Fontenelles und Moreau mit vierundzwanzig reich gekleideten und wohl berittenen Pagen; zwölf spanische Rosse mit Decken aus karminrotem Sammet, ganz mit Gold und Silber bestickt, folgten, von zwölf Berittenen in Livree an der Hand geführt, dann elf sechsspännige Wagen von verschiedener Art, darunter ein kleinerer Wagen von acht herrlichen Rossen gezogen, die meisten waren leer, und neben seiner eigenen, in Gold und Email funkelnden Karosse ritten, obgleich niemand drin sass, dennoch »wohl fünfzig Herren von hohem Rang,« sagt Nani; nach andern Berichten war es nur reichgekleidete Dienerschaft. In einem der Wagen sass Colbert, der den Zug, vermutlich wohlberaten, angeordnet hatte. Den Schluss machten hundert berittene Musketiere von Mazarins Garde mit silberverschnürten karminroten Jacken und weissen und roten Straussfedern an den Hüten, die der Kapitän von Besmaux führte. »Mit unendlicher Befriedigung« sah der Kardinal vom Balkon der Frau von Beauvais in der rue Saint-Antoine, wo er neben der Königin-Mutter und der Königin von England und ihrer Tochter sass, dieser öffentlichen Entfaltung seines Reichtums zu. Zu S. 566. Das schöne Hotel de Beauvais, von dessen Balkon Mazarin dem Festzuge zusah, ist heute No. 68 der rue François Miron. Le Paultre hat es erbaut; seine Lösung der Raumschwierigkeiten durch den merkwürdig abgerundeten Hof ist berühmt. Es war damals gerade fertig geworden; daher findet es sich auf dem Gomboust'schen Plan von 1652 noch nicht, während es in den Plan von Jouvin de Rochefort aus dem Jahr 1675 sehr hübsch eingezeichnet ist. Die Herzogin von Orléans, Liselotte von der Pfalz, versichert, dass die Beauvais die Mitwisserin der heimlichen Ehe zwischen Mazarin und der Königin gewesen wäre. Das würde erklären, dass sie sich ihrer Herrin gegenüber soviel herausnehmen durfte und Reichtümer sammeln konnte. Die Königin machte ihr Geschenke, über deren Kostbarkeit Mazarin sich ärgerte.

Sein Hochzeitsgeschenk für die Königin hatte aus Juwelen im Wert von 1 200 000 Livres, einem goldenen Tafelservice und zwei prachtvollen Wagen bestanden, von denen der eine mit rotem Sammet und Silber ausgeschlagen und mit sechs russischen Pferden bespannt war, der andere mit grünem Sammet und Gold und von sechs indischen Pferden gezogen. Diese Märchenpracht des reichsten Mannes der Christenheit wirkte überwältigend und skandalös zugleich, wenn man bedachte, dass er, ein Kirchenfürst und Minister, diesen Reichtum in wenigen Jahren aus dem beherrschten Lande gezogen hatte, in dem er ein Fremder war.


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