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In Paris war Jubel und ungehemmter Triumph.
Am 16. Februar, Donnerstag vor Fastnacht, trafen die Prinzen ein. Eine ungeheure Menge wogte ihnen entgegen. Bis Pontoise war die Strasse von Karossen, Sänften und Reitern voll. In Saint-Denis waren die Dächer besetzt, in allen Baumwipfeln sassen die Zuschauer. Überall spielten Musikbanden; überall wurden Böller- und Flintenschüsse abgefeuert. Bis Saint-Denis war Monsieur den Prinzen entgegengefahren. Sie stiegen zu ihm in den Wagen, in dem auch Beaufort und Retz sassen. Ein Reiter kam an den Wagenschlag: es war der alte Guitaut, der sie ein Jahr vorher verhaftet hatte und ihnen jetzt die Willkommsgrüsse der Königin brachte. Zweitausend Kavaliere und Reiter ritten dem Wagen festlich voraus. Vor dem Palais Royal machten sie Halt. Schon am Tage vorher hatte der Herzog von Orléans der Königin seinen Besuch endlich gemacht. »Unser Besuch war kurz,« schreibt seine Tochter, die gleichfalls gekommen war, »man fühlt sich bei Menschen nicht wohl, denen man, wie man wohl weiss, den Dolch ins Herz gestossen hat.« Am 16. war die Prinzessin den ganzen Nachmittag bei der Königin. »Sie war wütend, dass so viel Leute zu ihr gekommen waren, nur um den Prinzen zu sehen, und klagte unaufhörlich über die Hitze. Sie stellte sich heiter, aber niemand glaubte es und liess sich täuschen.« Die Prinzen kamen und Condé sparte den Spott nicht; fragte, ob es nicht komisch sei, dass so viele Leute da wären, als wäre der Herr Kardinal noch am Hof und der böse Prinz auf der Festung. »Die arme Königin zeigte viel Kraft.« Am Abend fand ein lärmendes Festessen im Luxembourg statt; die Gesundheit des Königs wurde mit dem Schluss: »Fort mit Mazarin!« getrunken. Männer, wie der Marschall von Gramont und der Herzog von Damville, die den Prinzen befreundet, dem Hof ergeben waren, sassen mit peinlichen Gefühlen dabei. Die Pariser, die ein Jahr vorher nach seiner Verhaftung Freudenfeuer in den Strassen angezündet hatten, zündeten sie jetzt aus Freude über seine Befreiung an; tagelang feierte man in Läden und Werkstätten; auf den Plätzen der Stadt waren Tische aufgestellt, und wer vorüberging, musste auf die Gesundheit des grossen Condé Bescheid tun.
Noch heftiger war die Orgie des Hasses, in der sich Paris gegen den gestürzten Minister erging. Nie noch war einem gefallenen Staatsmann solch ein Strom wildester Schmähung gefolgt, nie hatte sich gegen einen Mächtigen der letzte gemeinste Ausdruck der Wut so hervorgewagt, wie gegen diesen Mann, der sich nicht geachtet und auch nicht fürchterlich zu machen verstanden hatte.
Waren schon die ganzen letzten Jahre hindurch Schmähschriften, eine nach der anderen, erschienen, so überfluteten sie jetzt die Stadt; in geheimen Pressen in fernen Winkelgassen wurden sie gedruckt; in Weinkneipen oder auf dem Pont-Neuf, aber auch in den Häusern vornehmer und zahlender Gönner konnte man die notleidenden oder galligen Dichter sehen, die die Konjunktur ausnützten; aus den Winkeln der Läden kamen ihre Hefte ans Licht, wurden von den fliegenden Buchhändlern offen oder heimlich feilgeboten, mit höhnischem Eifer gekauft, und ergossen sich wie ein Strom schmutziger Wellen über das Land. Noch am selben 16. Februar erschien die »Juliade oder Rede Europens an den Herrn Herzog von Orléans über die Entfernung des Kardinals Mazarin und die Rückkehr der Prinzen«, burleske Verse, von denen etwa fünfzig hintereinander mit dem Wort »Schwindler« beginnen. Wenige Tage darauf kam die »Apotheose der Herzogin von Longueville, Prinzessin vom Geblüt«, in der der Kardinal ein »rotgekleideter Hanswurst, die Schande Frankreichs und der Abschaum Italiens« genannt wird, »ein roter Dämon«, der Frankreich verwüstet hat.
Niemand zweifelte in Paris, dass seine italienische Vergangenheit die denkbar schändlichste, seine Herkunft gemein war, dass er einen Neffen des Papstes, Francesco Pamfili, hatte ermorden lassen und aus diesen und ähnlichen Gründen aus Italien nach Frankreich hatte fliehen müssen, das er nun aussog; man warf ihm vor, dass er den Präsidenten Barillon, der im Gefängnis starb, hatte vergiften lassen; man erzählte und druckte, dass er vor kurzem erst wieder zwölf mit Gold beladene Maultiere an seinen Vater geschickt, dass er im ganzen hundertachtundsiebzig Millionen in Italien angelegt hätte. In Wirklichkeit hatte er etwa eine halbe Million in Italien liegen. »Niemand leugnet, dass er ein Dieb ist: das ist sein Beruf; aber man weiss, er ist nicht der einzige Minister, der stiehlt; man kann vielleicht sagen, dass er der Unersättlichste ist: wenn er uns langsam ausgeplündert hätte, wir wären dumm genug gewesen, nichts zu sagen, wir hätten ihm vielleicht zum Rock noch das Hemd gegeben: seine Gier hat ihn vernichtet,« heisst es in der »Vérité prononçant ses oracles sans flatteries«. Es wurde eine Schrift gedruckt: »Der Pakt Mazarins mit dem Teufel«, in der der Text des Vertrages, datiert aus Rom vom Jahr 1632, mitgeteilt wurde! Und am 11. März 1651 erschien das Pamphlet in Versen, das dieser tollen und kaum übersehbaren Literatur den Namen gegeben hat: die »Mazarinade« von Paul Scarron. Der verkrüppelte Dichter, dem einst die schöne Marie von Hautefort eine Audienz bei der Königin Anna verschafft hatte, deren »Hofkranker« er zu werden begehrte, »Malade de la reine« mit Pension, und der nach tausend Bitten nichts erreicht hatte, hasste Mazarin, den Geizigen, den er in vergeblicher Dichtung angebettelt, den Feind seiner Gönnerin, mit all der Bosheit, deren der gepeinigte, nur mit Witz und Hohn begabte Krüppel fähig war. Er stand jetzt Retz nahe, der sein Gönner geworden war, dem er seinen »Roman comique« gewidmet hatte, mit der höchsten Schmeichelei: »Au Coadjuteur – c'est tout dire!« Er hat die »Mazarinade« später verleugnet: er hatte Grund. Vielleicht ist sie trotz allem wirklich nicht von ihm, diese wenig witzige Pöbelei, der nur die Masslosigkeit ihres unflätigen Geschimpfes, die giftige Bosheit jeder Zeile eine gewisse Wucht verleiht. Da folgt Vers auf Vers wie:
»Du dümmstes Schwein aus Rom entlaufen …
Der du ein Enkel von Concini,
Nein, schlimmer noch, ein Mazarini …
Dein Aas wird, hoff' ich, ausgeweidet,
Geschleppt vom Pöbel, unbekleidet,
Das Pflaster hier mit Blut bespritzen,
Dein geiles Glied auf einer Stange sitzen …«
In diesem Ton, mit schlimmeren, viel schlimmeren Dingen, schändlichsten Anklagen widernatürlicher Vergehen aus der Vergangenheit, geht es fort zu dem Schluss:
»Geh davon, du gieriger Hund,
Rückkehr sei dir stets verweigert –
Geh und klag' im Vatikan,
Geh dir deine Möbel holen,
Die man dir bei uns versteigert,
Und was du noch sonst gestohlen,
Geh, erzähl' von deinem Wandel,
Von Mondinis schmutzigem Handel,
– Mondini war ein Abbate, der dem Kardinal seine »Pâtes« und »Eaux« aufbewahrte, die italienische Mönche für ihn bereiten mussten, –
Erzähl' von deiner Mummerei,
Von deinen Kleidern alt und neu,
Vom Pferdeschloss, das man bewundert,
Von deiner Schlafröcke zweihundert,
Von deinen Hosen, voll von Dreck,
Die du beschmutzt in deinem Schreck,
Von deinen Lügen, falschen Schwüren,
Von deinem schändlichen Verführen,
Geh, du Schwein und Sodomiter,
Geh, Hanswurst und Satansritter,
Schuft und Doktor in utroque,
Gauner, Dieb, ja Zauberer quoque,
Geh und lege Rechnung ab! –
Wenn du's getan, macht man dich kalt,
Und hänget deine Wohlgestalt
An einen Galgen faul und alt;
Man hängt dich ohne jede Scheu,
Du alter Sünder ohne Reu,
Und ohne jegliches Examen,
Dann ist man mit dir fertig. Amen.«
Der Erfolg der Schrift, die anonym aus Holland kam, war ein ungeheurer. So wie man vermutete und bestätigte, dass Scarron der Autor wäre, druckten die anderen ihre Schandwerke unter seinem Namen. Alle sind kennzeichnend für die Stimmung des Tags; nur einige wenige unter den Hunderten und Hunderten haben ernsten Gehalt oder Witz. So der Mazarinsche Katechismus, »Instruction à la loi Mazarine,« der Bussy zugeschrieben wurde, mit den zehn Geboten des Mazarinismus und dem Glaubensbekenntnis: »Ich glaube an einen allmächtigen König, der alle Dinge regiert, um meines Nutzens willen, und an Mazarin, seinen einzigen Günstling, der da empfangen wurde aus dem Geiste der Geldgier und geboren vom Kardinal Richelieu, der gelitten unter Gaston und der Fronde, und gestorben für sein Ministerium, hinabgestiegen zur Hölle und sass zur Rechten Luzifers, von wannen er wiederkehren wird, um zu verfolgen die Lebendigen; ich glaube an seinen Geist und die Kirche des Bösen, oder vielmehr an die Gemeinschaft der Steuerpächter, die Regierung des Staates, die Leitung der Finanzen, die Auferstehung der Steuern und die Ewigkeit der Ausbeutung. Amen. – Frage: Wie lautet das Gebot der Nächstenliebe? – Antwort: Du sollst deinen Nutzen lieben über alles und deinen Nächsten, indem du sein Gut begehrst. – Frage: Was ist die Erbsünde? – Antwort: Ein Frondeur sein. – Frage: Kann man sich von dieser Sünde lösen? – Antwort: Ja, für eine grosse Summe Geldes und durch Anbetung des Bildes Mazarins. – Frage: Welches werden die letzten Dinge für den Mann Mazarin sein? – Antwort: Vier: das Gericht, die Marter, der Tod und die Hölle.« Doch dies sind Ausnahmen; das erbitterte Volk verlangte nur einen Ausdruck für seinen Hass. Man mag sich das brüllende Gelächter vorstellen, wenn in einem Wirtshause der »Preistarif für den, der Frankreich vom Mazarin befreien wird« verlesen wurde, den Marigny, der Dichter beliebter Strassenlieder, verfasst hatte: »Wer ihn tötet, ihm den Kopf abschneidet und durch die Strassen von Paris trägt, bekommt 100 000 Taler, kann ihn auch in allen Städten, Dörfern und Flecken des Königreichs zeigen, um die Gebühr einzuheimsen, die man denen auszahlt, die den Kopf eines Wolfes bringen. Wer ihm, wenn er die Parade seiner Regimenter abnimmt, statt zu salutieren, eine Musketenkugel durchs Herz jagt, 5000 Taler, wird auch geadelt, samt seinen Nachkommen. Wer ihn in der Kirche arkebusiert, braucht keine Gewissensbisse zu fürchten, siehe die Erklärung der Sorbonne, und bekommt 6000 Taler. Wer eine Granate in sein Zimmer, in seinen Wagen oder seine Sänfte wirft, 50 000 Taler. Dem Kammerdiener, der ihn in seinen Bettüchern erstickt, ihn mit einem Handtuch erwürgt, ihm beim Rasieren den Hals abschneidet, 70 000 Taler. Dem Apotheker, der ihn mit einem Lavement vergiftet, 20 000 Taler. Dem Kutscher oder Postillon, der ihn an einem Abgrund umwirft, 15 000 Taler …« So geht es durch viele Seiten fort. Für das Volk Witz genug.
Während so der Hass eines ganzen Landes gegen diesen Mann losbrach und ihm jede gemeinste und verletzendste Schmähung nachrief, die Wut und Verachtung ausdenken können, sass im Palais Royal eine Prinzessin des Hauses Habsburg, die Mutter des Königs unter allen Königen, in bitterster Liebestrauer um ihn und sagte zu ihrer Hofdame: »Ich wollte, es wäre immer Nacht um mich …« Waren je im Schicksal eines Menschen solche Gegensätze?
Die Schmähungen trafen nicht nur ihn: die Kinder, die er hatte kommen lassen, um seine Macht durch sie zu erhöhen, stellten ihn noch mehr bloss und mehrten die Stellen, an denen man ihn verwunden konnte. Cyrano von Bergerac schrieb den »Abgeblitzten Staatsminister«, »Ministre d'état flambé«: nachdem Mazarin selbst genug verhöhnt scheint, fährt der Autor fort:
»Und Sie brachten Ihre Nichten,
Die zum Bettelsack geboren,
Nährten ihre magern Leibchen
Hier, wo sie doch nichts verloren.
Abschied hatten sie genommen
Von dem römischen Lumpenpack,
Sich zu paaren – ein Skandal! –
Mit Richelieu und mit Candale,
Und den ganzen Affenschnack
Würdig bei uns einzurichten!«
Sie haben ihre eigene Literatur, »Die schönen Mazarinetten«, das »Ballet Ridicule der Nichten Mazarins oder der Einsturz ihres Theaters in Frankreich«, »Abschied der Nichten von ihrem Onkel«, »Ballet, getanzt vor dem König und der Königin-Regentin von dem Mazarinischen Trio, um von Frankreich Abschied zu nehmen, in burlesken Versen«, »Unverschämte Anmassung des Kardinals Mazarin bei der Vermählung seiner Nichte«, »Aufgefangener Brief an Jules Mazarin von seinen Nichten«, »Bericht eines grossen Kampfes zwischen den Damen der Stadt Köln und den zwei Nichten des Kardinals Mazarin über die gegenwärtigen Zeitläufte« und viele andere. »Heringshändlerinnen«, »Dreckprinzessinnen«, »stinkende Nattern«, »Judenschlampen« sind die Ausdrücke, die darin wiederkehren.
Es war gut, dass sie beizeiten geflüchtet waren. Es wurden Häuser durchsucht, in denen sie sein sollten, wie das der Frau von Ampus; die Menge drohte, sie zu zerreissen und alles zu Stücken zu schlagen, wenn man sie irgendwo fände.
In den Sälen des Luxembourg konnte man die Ehrenfräulein Strassenbänkel singen hören, die man auf den Kardinal gedichtet und komponiert hatte, zur herzlichen Freude des Herzogs von Orléans, der seit langem den Minister, wenn er von ihm sprach, nur den »Sizilianischen Hanswurst« nannte.
Auch in den Provinzen war der Jubel gross: in Bordeaux wurden auf allen Plätzen Stroh- oder Leinwandpuppen, die einen grotesken Mazarin darstellten, verspottet und verbrannt.
Seine Feinde trafen ihn nicht nur mit Schimpf und Drohungen, sie trafen ihn, wo er am empfindlichsten war: in seinem Vermögen. Am 20. Februar ordnete das Parlament die Beschlagnahme all seiner in Paris befindlichen Besitztümer an. Vergeblich kamen die wenigen, die es wagten, zu Hilfe, die Kostbarkeiten und Sammlungen zu retten. Der Präsident Tubœuf erwarb, unter dem Vorwand, dass der Kardinal ihm noch den Kaufpreis für sein Haus schulde, in vielleicht sehr zweifelhaften Absichten, ein erstes Pfandrecht, und der verzweifelte Bibliothekar, der Doktor Gabriel Naudé, übergab ihm die ganze herrliche Bibliothek. Es war umsonst, das Parlament erklärte das Vorzugsrecht Tubœufs für nicht zu Recht bestehend. Der Kriegsminister Le Tellier liess einen Teil der Möbel des Palais Mazarin in die königlichen Möbelmagazine bringen, aber für alle war nicht Raum, und kein Privatmann wollte den Rest übernehmen. Von den Statuen und auch den Möbeln wurde immerhin ein grosser Teil gerettet, indem sie den Gläubigern verpfändet wurden, die sich von allen Seiten meldeten, »Gläubiger, deren Namen ich nie gehört habe«, schreibt der verzweifelte Kardinal in einem Brief, während die Schuldner verschwanden und von nichts wussten.
Die Leute, die mit der Vermögensverwaltung des Kardinals betraut waren, taten, was sie konnten, um von den Trümmern zu retten, was möglich war. Unter ihnen befand sich seit dem Anfang des Jahres 1650 ein etwa zweiunddreissigjähriger Mann, der Sohn eines Tuchhändlers in Rheims, der erst in Kaufhäusern und Banken beschäftigt, dann infolge einer entfernten Schwägerschaft mit dem Staatssekretär Le Tellier – ein Onkel von ihm hatte die Schwester des Ministers, der gleichfalls nicht von Familie war, zur Frau – Beamter im Kriegsministerium geworden und kürzlich vom Kardinal übernommen worden war. Er hiess Jean Baptiste Colbert, war ein unliebenswürdiger, ungemütlicher Gesell, der nun mit seiner eisernen Arbeitskraft und seinem erbitterten Strebertum für Mazarin tätig war. Ein ausserordentlich fähiger Mensch, wusste er zugleich jeden verdächtig zu machen und zu verdrängen, der ihm irgend im Wege stand; er verdächtigte den wackeren Bibliothekar, und den ehrlichen alten Verwalter des Kardinals, Jobart, hatte er in kurzer Zeit an die Wand gedrängt. Seine Briefe und Berichte sind eifervoll, hart und mitleidlos im Inhalt. Er schreibt, dass auch Tubœuf ein zweifelhafter Helfer gewesen, der von den Möbeln, Wandteppichen und anderen Kostbarkeiten, die er sich als Pfand zusprechen lassen, ein Inventar aufzunehmen nicht gestatten wollte, der jedenfalls, als Mazarin ihn zum Syndikus seiner Gläubiger wünschte, für diese Ehre vorsichtig dankte. Ein berüchtigter Finanzmann der Zeit, ein gewisser Perrachon, versammelte die Gläubiger und schlug vor, dass man die Beschlagnahme der im königlichen Schloss aufbewahrten Möbel verlangen sollte, falls die Königin nicht etwa die Schulden des Herrn Kardinals bezahlen wollte. »Einer solchen Unverschämtheit«, schreibt Jobart, »ist nur dieser Mensch fähig.« Ein gewisser Le Comte wurde schliesslich vom Parlament zum Syndikus der Gläubiger ernannt, und es gelang Colbert, zu erreichen, dass er nach seinen Weisungen vorging.
Mazarins Palast stand leer und geplündert.
Er selbst in seinen Briefen klagt bitter über die Not, in der er sich befindet; nicht nur in der ersten Zeit; noch am 2. Mai schreibt er an Le Tellier: »Ich habe keine 10 000 Taler mehr; ich habe 24 000 Pistolen in Vincennes verborgen gehabt; ich habe 600 Livres nur für neue Pferde ausgeben müssen«; die Vorgänge in Paris schnitten ihm in die Seele; immer wieder rechnet er vor, was er im Staatsdienst verloren: »es wird sich zeigen,« schreibt er am 26. Mai von Brühl an Lionne; »dass ich, bevor ich in den Staatsgeschäften war, bei Cantarini und Serrantoni 393 000 Livres hatte, abgesehen von 100 000 Talern, die ich in Rom hatte, und etwa 10 000 Pistolen im Hause, abgesehen von allen schönen Möbeln, Edelsteinen, Silbergeschirr, die ich nicht mehr habe, weil ich sie teils für den Dienst des Königs verwendet, teils alles in Paris tumultuarisch verkauft worden ist … 100 000 Taler habe ich der Republik Venedig gegeben, 300 000 Livres der Königin von England geliehen, 100 000 Taler nach Deutschland geschickt, als die Weimarische Kavallerie meuterte; wie vielen Offizieren habe ich geholfen!« Er will eine Mazarinade schreiben lassen: »Diebstähle und Geldverschleppungen des Kardinals Mazarin oder die Reichtümer, die man bei ihm entdeckt hat«. Den Wert der Möbel, die man ihm verkauft hat, gibt er selbst mit 800 000 Livres an; noch am 5. September schrieb er an den Staatssekretär Grafen von Brienne: »Nächste Woche muss ich meine Garde entlassen, meine Edelleute bitten, dass sie gehen, meine Nichten ins Kloster schicken!« Und in all diesen Sätzen ist Aufrichtigkeit und Lüge unentwirrbar vermengt: viele seiner Angaben lassen sich widerlegen, schwer aber sagen, was richtig ist, denn wir können ihm nicht mehr nachrechnen. Es ist wahr, dass er stets bereit war, aus eigener Kasse die Gelder vorzustrecken, die in diesen drängenden Zeiten dem Staat oder dem königlichen Hause nötig und nicht vorhanden gewesen; aber er verschweigt, wie er mit dem Staat rechnete, wie er selbst am Staat zu verdienen verstand. Schon damals erschienen seine Vermögensverhältnisse Colbert eine »kaum entwirrbare Masse«, die Zahl der Prozesse eine »furchterregende«, um so mehr, da das Pariser Parlament, bei dem die meisten anhängig waren, mehr Partei gegen den Kardinal als ein Gericht schien. Ein Verzeichnis der Schulden, das Colbert ein Jahr später zusammenstellte, berechnet sie auf 400 000 Livres, und sie werden damals gewiss nicht geringer gewesen sein. Colbert arbeitete mit der ihm eigenen beinahe erbitterten Hingabe an die Sache: er schilt des Kardinals bisherige unordentliche Wirtschaft und die seiner Verwalter; er schreibt, »es kann nicht die Sache eines Privatmannes sein, einem Staat die Subsistenzmittel geben zu wollen«; er bestürmte die Königin, den Finanzminister, die Parlamentsmitglieder; er verlangte, dass Mazarins Advokaten, Herrn von Massac, der ein ehrenwerter, aber viel zu langsamer Mann sei, ein jüngerer Anwalt beigesellt werde, ihn anzuspornen; er hatte unzählige Intrigen zu durchdringen und hatte besondere Mühe, weil auch die Freunde und Diener des Kardinals miteinander in Streit lebten und jeder dem anderen misstraute. Im Augenblick schien durch die Plünderung der Schätze des Kardinals, die Beschlagnahme seines Hauses, die Sperrung der Einkünfte aus seinen zahlreichen Pfründen und Ämtern alles verloren. Colbert gelang es, Quellen zu öffnen, Forderungen einzutreiben; der Finanzminister von Maisons versprach in Tilgung der der Krone gegebenen Vorschüsse dem Kardinal jährlich 300 000 Livres: 100 000 zum Lebensunterhalt, 200 000 zur Tilgung seiner Schulden auszubezahlen; aber das Versprechen wurde nicht eingehalten. So war Mazarin in Sorge und Not, aber nicht in solcher Not, wie er behauptet. Am 19. August, wenige Tage vor jenem Notschrei vom 5. September, schreibt ihm Colbert: »Ich schicke Ihnen 60 000 Livres mit dem nächsten Postkurier!« Kleider und Betten waren ihm trotz allen Schwierigkeiten, ebenso wie Silbergeschirr und anderes Gerät unter sicherer Bedeckung geschickt worden: »Ich habe das chinesische Bett mitgeschickt,« schreibt Jobart am 29. Juli; Uhren, Diamanten wurden gesandt; die Königin hatte mit eigenem Geld ein Diamantkreuz, das er verpfändet hatte, für ihn ausgelöst. Der Kardinal hatte Edelsteine, besonders Diamanten immer geliebt und gesammelt, auch mit ihnen Handel getrieben, zum mindesten Tauschgeschäfte. Ein Paket mit Diamanten wurde von der Zollbehörde abgefasst; aber Colbert forderte sie durch das Finanzministerium zurück und erhielt, da sie bereits versteigert waren, den Ersatz zugesichert. Alles, was im Palais Royal untergebracht war, Möbel, Webereien und Teppiche wurden allmählich nachgeschickt; nur das Küchengeschirr war zum grössten Teil von den königlichen Küchenjungen gestohlen worden. Einzelne besonders wertvolle Stücke befahl der Kardinal ihm nicht nachzusenden, sondern zu versetzen, um mehr Bargeld in die Hand zu bekommen. Die nötigen Kleider und die Wäsche für seine Nichten kamen gleichfalls auf Umwegen, nicht ungefährdet nach Brühl – denn überall gab es Leute, die lauerten, was »dem Mazarin« gehörte, abzufangen. So schwierig und geheimnisvoll musste all dies geschehen, dass Mazarin seine Briefe nach Paris – soweit sie nicht besonders vertraute Kuriere übernahmen oder Fabert sie besorgte – an einen gewissen Luigi Martini richtete, welcher sie, mit der Aufschrift: »An Herrn Octavio Cardon, Kaufmann in Marseille« versehen, einem Herrn Bottini übergab, der sie wieder an Colbert beförderte, bis dieser sie endlich den wirklichen Empfängern zukommen liess.
Am 17. August schreibt der Kardinal an Jobart: »Ich habe gar keine Wäsche mehr, die taugt; man müsste mir zwei Dutzend Taghemden besorgen und zwei Dutzend Nachthemden mit besonders kleinen Spitzen, vier Dutzend Taschentücher mit kleiner Spitze, sechs Paar Leintücher; und da ich nicht glaube, dass Sie in diesen Dingen Erfahrung haben, so wünsche ich, dass Sie Frau von Beauvais aufsuchen, der Sie diesen meinen Auftrag mitteilen werden und sie bitten, sie möge sich die Mühe nehmen, Ihnen bei obigem zu helfen, damit Sie nicht betrogen werden. Wenn sie etwa die Leute verwenden wollte, bei denen sie selbst bezieht, und täte, als wäre die Wäsche für ihren Mann oder sonst jemanden bestimmt, könnten Sie ihr das Geld geben, das sie Ihnen als das, was die Wäsche gekostet hat, nennen wird; aber Sie müssen ihr sagen, dass sie so wenig als möglich dafür ausgeben soll, da ich sehr arm bin. Es wird gut sein, wenn Sie dabei Gelegenheit nehmen, ihr meine Lage noch schlimmer darzustellen, als sie ist!«
Wie er alle Hebel ansetzte, die Leute, die in Paris mächtig waren, sich günstig zu stimmen, suchte er auch ihr Mitleid zu erregen. Wie er am 27. April an Frau von Brégy schrieb: »Ich danke Ihnen für die Freundschaft, die Sie einem armen Verfolgten gewähren«, so galt es ihm vor allem, das Mitleid der Königin rege zu halten, die ohnedies aufs tiefste für ihn fühlte. Die Beauvais war ihre erste Kammerfrau. »Man muss der Königin oft sagen, was ich leide, und dass es Ehrensache für sie ist, meine Ehre wiederherzustellen,« schreibt er am 19. April an seinen Agenten Milet.
Das Merkwürdigste aber ist, dass Mazarin bei seiner Flucht die französischen Krondiamanten mitgenommen hatte, so dass die Königin ihm am 21. Februar in grosser Sorge schreiben lassen musste, er möge sie doch um Gottes willen wieder zurückschicken und bedenken, welch ein schlechtes Licht dadurch auf ihn und sie fallen könnte. Am folgenden Tag wiederholte sie die Bitte: »er möge die Kronjuwelen, um die sie in äusserster Angst sei, durch Herrn von Ruvigny zurücksenden«. Ob dies geschehen ist, oder ob sie erst viel später wieder in den Besitz der königlichen Familie gelangten, ist nicht bekannt. Wir kennen auch seine Absicht nicht, vielleicht sollten die Steine in seinen Händen ein Pfand sein, aber wahrscheinlicher ist – da er ja in den ersten Tagen die Flucht der königlichen Familie aus Paris bestimmt erwartete –, dass er auf einen langen inneren Krieg und dann vielleicht auf die Krönung des Königs rechnete, als ein Mittel zu seinen Plänen, und die Kronjuwelen darum vorsorgend mit sich nahm, sie jedenfalls nicht in die Hände der Prinzen fallen lassen wollte.