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Drittes Kapitel
Mazarins Ende

Mazarin war ein zunichte gearbeiteter, todkranker Mann. Die Friedensverhandlungen hatten ihn aufgerieben. Die ganze Rückreise nach Paris hatte er auf Matratzen und Decken liegend, in den Wagen und aus dem Wagen gehoben, zurücklegen müssen. Aber es war ihm noch gegönnt, sein Werk mit letzter Kraft zum völligen Abschluss zu bringen. Welche Schatten an ihm haften mögen, er gehörte zu den Menschen, die ihrem Werk leben und sich ihm opfern.

Im Herbst 1660 wurden die spanischen und französischen Kommissionen ernannt, um die neuen Grenzen zwischen beiden Reichen festzusetzen. Noch während der Konferenzen auf der Fasaneninsel waren die Kongresse zu Kopenhagen und zu Oliva zusammengetreten, die Kriege im Norden und Osten Europas zu beenden. Frankreichs Macht offenbarte sich. Seine diplomatischen Vertreter, der Chevalier von Terlon und der Präsident von Lombres, waren dort die ausschlaggebenden Männer, und es waren die Gedanken Mazarins, die sie durchzusetzen hatten. In den im Mai 1660 abgeschlossenen Friedensverträgen wurden die Artikel, die Schweden, Polen und Brandenburg betrafen, von Frankreich garantiert.

In England war Karl Stuart, wie Mazarin vorausgesehen, nicht durch seine Klugheit oder Führung, sondern durch die Flut der Ereignisse auf den Thron gehoben worden. Und er, der, tapfer und träge, den Verlust seiner Krone und die Wechselfälle des Schicksals sehr gelassen ertragen hatte, lebte als König seiner Unterhaltung und seiner lässigen Sinnlichkeit, ein gebildeter und freundlicher Herr, der mit einem skeptischen Lächeln und Achselzucken, einem Witzwort die Dinge abtat oder ihren Gang gehen, ein Sodom an seinem Hofe und finstern Unmut in seinem Lande wachsen liess. Vorläufig herrschte noch Jubel über seine Wiederkehr, aber unsinnige Ränke begannen an seinem Hof, noch ehe er recht König war, die zum Teil von der Umgebung seiner Mutter ausgingen. Er selbst hatte von der französischen Regierung manche Kränkung erfahren: der Präsident von Bordeaux, der bei Cromwell Gesandter gewesen, wurde gezwungen, England zu verlassen und Retz wurde in London aufgenommen; ein Bruch mit Frankreich schien möglich. Das wurde vermieden. Lord William Crofts kam nach Paris, die Thronbesteigung Karls II. mitzuteilen, und Olympia Mancinis Gatte, der Graf von Soissons, wurde in feierlicher Sondergesandtschaft nach London geschickt, ihn zu beglückwünschen. Während hiezu die Vorbereitungen getroffen wurden, ward der kluge Ruvigny, der bei Karl II. besonders beliebt war, über den Kanal gesandt, die Beziehungen völlig zu glätten. Wieder war davon die Rede, dass der englische König Hortense Mancini heiraten sollte, und es scheint, dass Mazarin dies jetzt gewünscht hätte, obschon er seine Karten, wie immer, vorsichtig mischte, seine eigenen Agenten täuschte, die vieldeutigsten und widerspruchsvollsten Briefe schrieb, um zuletzt nicht der gewesen zu sein, der das Angebot gemacht. Der vertriebene König hatte um viele Frauen vergeblich geworben, um Mademoiselle, um die schöne Herzogin von Châtillon; er, der soviel auf Weiberschönheit gab, musste sich zuletzt mit der hässlichen Prinzessin Katharina von Braganza verheiraten, und auch diese unglückliche Ehe hat Mazarin angebahnt. Durch ihn wurde auch die Heirat zwischen Henriette von England und dem jungen Herzog von Orléans vorbereitet, die für die beiden Vermählten wenig erfreulich, eine grosse politische Bedeutung gewann. Durch die Hände der Prinzessin, die mit ihrem Bruder wie mit Ludwig XIV. gleich intim war, gingen die Fäden vertrauter und geheimer Verbindung zwischen beiden Höfen, wurde jene Gemeinsamkeit der englischen und französischen Politik, jene Vorherrschaft Frankreichs über England eingeleitet, die dauerte, solange der Stuart in England regierte.

Im Innern Frankreichs war die politische Regung zu Geflüster geworden; aber die religiöse Bewegung kam nicht zur Ruhe; der Gegensatz der Meinungen über die Gnade, mehr noch das unerbittliche Wesen der Menschen, das mit allen grossen und kleinen Mitteln erzwingen will, dass jeder sich füge und keiner sich absondere, brachte Mönche, Prälaten, Pfarrer und Laien in Kämpfe; Kapitel standen wider ihre Bischöfe: Prozesse, Streitschriften, Intrigen und Denunziationen nahmen kein Ende; an einzelnen Orten kam es zu Ausschreitungen. Mazarin erlaubte den Jansenisten, ihre Schriften zu drucken, er verbot allzugehässige Pamphlete ihrer Gegner; aber er wog nach dem Nutzen; hier konnte er gefahrlos dem römischen Stuhl gefällig sein, den er oft brauchte, und mit dem er manche Unstimmigkeit hatte; der Hof liebte die Sekte nicht; die Mehrzahl der Bischöfe war gegen sie; der Erzbischof von Toulouse Pierre von Marca bekämpfte sie mit dem ganzen Eifer des Strebers, und mit dem subtilen Wissen und der polemischen Gewandtheit, die eine lange Übung ihm gab; der Kanzler Séguier, der Oberintendant Foucqet waren Freunde der Jesuiten. Die strengen Männer von Port Royal ihrerseits waren nur empört, wenn der Kardinal den jansenistischen Bischöfen Liebenswürdigkeiten sagte, wenn er dem König versicherte, die Herren seien ausserordentlich, sie »hätten alles vorgebracht, was zugunsten einer verlorenen Sache gesagt werden könne«. Sie wünschten sich diese glatte Weltmannsform in Sachen des Glaubens nicht; ihnen dünkte es Gotteslästerung, dass ein Mazarin in der Versammlung der Bischöfe das »Veni Sancte Spiritus« anstimmen durfte, er schien ihnen mehr in seiner Rolle, wenn er den Prälaten ein Festessen gab. Ihn aber ärgerte wieder, dass in der Pariser Diözese nicht Ruhe ward, dass die Pfarrer und Domherren an dem flüchtigen Retz festhielten, der seine Demission hartnäckig weigerte, dass dieser letzte Feind aus seinem Exil ihn immer wieder ärgern konnte. Immer wieder fanden sich Hände, die die Kundmachungen des verborgenen Erzbischofs nächtens an die Häusermauern von Paris anschlugen; selbst bei dem Einzug des Königspaares waren Schriften des entflohenen Kirchenfürsten verteilt worden und hatten die Festfreude gestört.

Mehr noch als der Kardinal wollte der König Einheit und Unterwerfung. Er missbilligte es, wenn man in politischen oder religiösen Fragen anders dachte, als er guthiess. Mazarin, dem Glaubensfragen gleichgültig waren, hatte sich den Protestanten, wo es anging, freundlich gezeigt, und sie hatten sich in den Unruhen fast immer königstreu erwiesen. Ludwig XIV. verhehlte seine Abneigung nicht, und in der Form, in der er es tat, lag eine kalte missbilligende Feindseligkeit, die bereits die Art der Zeit, die kommen sollte, andeutete.

Aber dies alles war gleichsam unterirdisch und galt nur denen, die sich von der grossen Zahl absonderten. In der Gesellschaft und bei Hof gab es nur Glanz, Feste und Bälle ohne Ende. Und doch sah man auch hier einer grossen Wandlung entgegen.

Eine kleinere Wandlung kam noch vorher, die sehr bedeutsam hätte werden können. Marie Mancini hatte noch die Genugtuung zu erfahren, dass die kindlich einfache blonde Spanierin den König langweilte und dass er nach wie vor sie liebte, dass er eifersüchtig war, weil sie den jungen Herzog von Lothringen – den späteren Befreier Wiens –, der ihr jetzt auf ihren Spaziergängen in den Tuilerien ehrfürchtig folgte, gerne zum Mann genommen hätte. Sie hatte noch einen andern seltsameren Bewerber; der sechzigjährige alte Herzog von Lothringen, der seinen Neffen nicht leiden konnte und ihm die Vorteile solcher Heirat nicht gönnte, hielt um sie an. Mazarin lehnte den Oheim mit Ironie, den Neffen mit Ernst ab. Er wünschte, Marie zu entfernen und wünschte die Ehe mit dem Konnetabel Colonna, dem Enkel Don Filippos, in dessen Haus er in so bescheidener Stellung aufgewachsen war.

Es war ihm sicherlich kein geringer Genuss, dass der Erzbischof von Amasia, einst als Don Carlo Colonna, Herzog der Marsen, ein wilder Reiterführer, vor dem er sich als junger Mensch Gott weiss wie oft tief und demütig gebückt hatte, jetzt seinerseits bescheiden und dringend um Mariens Hand für seinen Neffen warb. Der König von Spanien hatte die Werbung unterstützt: »Der Herr Kardinal«, sagte er, »hat unsere Tochter so gut verheiratet; es ist nur billig, dass wir auch seiner Nichte jede Befriedigung schaffen.« »Es sei eine ›Alleanza senza pari‹, die ihn beglücke«, schrieb Mazarin vierzehn Tage vor seinem Tode an den Kardinal Colonna, mit dem er einst nach Spanien gegangen war. Der Glanz der Colonna war der erste stärkste Kindheitseindruck gewesen; diese Ehe schloss die Bahn seines Ehrgeizes ab.

Marie Mancini hatte endlich eingewilligt, aus merkwürdigen weiblichen Gründen, weil sie dem König zuliebe nur einen Mann nehmen wollte, der ihr völlig gleichgültig, dem sie im Grunde abgeneigt war, und weil sie ihm nicht zuliebe tun wollte, was er jetzt von ihr begehrte. Nach dem Tode des Kardinals sprachen sie sich offen aus, und in Gegenwart der erschrockenen und empörten Königin-Mutter sagte er ihr, da ihre Abreise herannahte, »das Schicksal, das mächtiger sei als die Könige, habe gegen beider Neigung und Willen entschieden, aber in welchem Lande sie auch weilen würde, werde er ihr die Beweise seiner Achtung, seiner unveränderten Zuneigung geben« und wieder, wie vor zwei Jahren, nahm er tief ergriffen und seufzend an ihrem Wagen von ihr Abschied. So endete dieser seltsame Jugendroman, der Ludwigs XIV. sultanartigem Liebesleben vorausging. Seine Neigung war leidenschaftliche Sinnlichkeit, leicht und heftig entflammt und bei seiner grossartigen Erscheinung, seiner ritterlichen Liebenswürdigkeit, immer verführerisch; aber sie barg schrankenlose Selbstsucht und eine kaltherzige Eitelkeit; ein später Groll erwuchs in ihm gegen Marie Mancini, weil sie sich ihm entzogen hatte, wie er auch dem jungen Herzog von Lothringen dauernden Hass nachtrug. Ihr kam die aus Stolz und Liebesverdruss geschlossene Ehe nicht zu gute: sie ist eine unglückliche Frau geworden, die auf schmerzliche und tragische Abwege geriet.

Das war später: der Kardinal unterzeichnete ihren Ehevertrag auf dem Totenbett. Vorläufig regierte er noch und arbeitete; viele Blicke sahen nach ihm, wenn er des Abends in den erleuchteten Sälen des Louvre am Spieltisch sass, spielte, lächelte und betrog und immer magerer, bleicher und schwächer wurde. Und immer öfter sah man ihn nicht am Spieltisch; immer länger musste er zu Bette liegen; er konnte nur mehr Milch und Kraftsuppen zu sich nehmen, die aus zerkochten Rebhühnern bereitet wurden, musste Opiumpillen schlucken, um die unerträglichen Schmerzen zu übertäuben.

An seinem Bette in seinem Zimmer, in dem er manchmal mit seinem Äffchen oder mit seinem Grasmückchen spielte, sass der junge Brienne, der Sohn des Staatsekretärs. Mazarin liebte den alten Brienne nicht, der, in anderer Gesellschaft erfreulicher, ihm gegenüber pedantisch und verdrossen war, und arbeitete lieber mit dem Sohne, nach Saint-Simons Zeugnis dem begabtesten und liebenswürdigsten jungen Mann am Hofe. Seine Erinnerungen aus diesen Tagen sind so plastisch und so einfach mitgeteilt, dass man, soweit es eigene Erinnerungen sind, kaum zweifeln kann. Er erzählt, wie er einmal, schon im Winter vorher in Toulouse, aus den vielen Kassetten mit Akten, die in Reihen zu je sechs geordnet, auf zwei Tischen am Bette des Kardinals standen, ein mit gelbem Band verschnürtes Aktenbündel holen sollte, und in der Kassette, die offenbar an falscher Stelle stand, statt dessen ein Paket mit blauem Bande fand, und er versichert, Abmachungen mit Don Luis de Haro über die Wahl Mazarins zum Papst gelesen zu haben, wenn Alexander VII. sterben sollte. Ein andermal habe Mignard, der in diesen Jahren aus Rom zurückgekehrt war, den Kardinal gemalt und, während dieser mit Brienne sprach, ihm im Bilde mit ein paar raschen Pinselstrichen das päpstliche Barett aufgesetzt; er, Brienne, habe sogleich Glück gewünscht, der Kardinal hätte gelacht; dann sei der König eingetreten und habe mit seinem Gefolge lächelnd der Schmeichelei des Künstlers zugestimmt. Gerüchte davon müssen weitergedrungen sein, denn am 3. Dezember 1660 schreibt Guy Patin an Falconet: »Es heisst, dass der Herr Kardinal Mazarin Papst werden und zu diesem Zweck die Priesterweihen nehmen will.«

Wenn Mazarin wirklich daran gedacht hat, so war nicht mehr Zeit dazu. Das matte Licht verflackerte rasch. Er konnte nur mehr gehen, wenn man ihn stützte. Sein Geiz nahm krankhaft zu. Er wollte der jungen Königin nicht genug Spielgeld geben. »Es ist das Blut des Volkes!« jammerte er. Die lächelnde Maske, die er trug, ward ihm schwerer und fiel bisweilen nicht nur seiner Familie und seinen Untergebenen gegenüber. Die besorgte Liebe der Königin-Mutter, die jetzt stundenlang an seinem Bette sass, ward dem müden Mann, der ein Leben lang den Liebhaber einer alternden Frau gespielt hatte, unerträglich. Ihre ewigen Andachtsübungen wie ihre üppige Esslust hatten ihn oft gereizt. »Dieses Weib bringt mich noch um!« rief er, »wird sie mich denn nie in Ruhe lassen!« Eines Tages, als die Königin ihn besuchte und fragte, wie's ihm gehe, streckte er sein nacktes fleischloses, fast violettes Bein aus dem Bett: »Schlecht!« schrie er, »Diese armen Beine büssen, dass ich Frankreich die Ruhe wiedergab!« Die Königin stiess einen Schrei aus und begann zu weinen. Alle Anwesenden waren bestürzt und betroffen; niemand sprach ein Wort.

Und all das hinderte nicht das Fortdauern der Feste, die Aufführung von Theaterstücken und Opern mit neuen Musikern, neuen Dekorationen, neuen Maschinen, die er aus Italien hatte kommen lassen. Am 26. Oktober liess er sich von der Truppe Molières im Louvre den »Etourdi« und die »Précieuses ridicules« vorspielen. Die beiden Königinnen und ihre Damen sassen um ihn. Der König war incognito anwesend und erschien von Zeit zu Zeit hinter der Chaiselongue, in der der Kardinal, geschminkt, juwelengeschmückt, in der roten Seidenrobe, müde lächelnd zusah, Beifall klatschte und dem glücklichen Direktor und Verfasser, der in beiden Stücken die Rolle des Mascarille spielte, 3000 Livres, ein ungewöhnlich hohes Spielhonorar, aus der Königlichen Kasse bezahlen liess. Anfang Februar 1661 wollte er der jungen Königin ein grosses Tanzfest geben. Durch die Unachtsamkeit eines bei den Vorbereitungen beschäftigten Arbeiters brach in der Nacht zum 6. Februar Feuer aus, das sich in der mit leichten Stoffen und Behang ausgeschmückten Galerie rasch ausbreitete. Brienne, der jenseits der Seine wohnte, vom Feuerlärm geweckt, sah die Menschenmenge in den Strassen, sah den Louvre in Flammen stehen, sah auf der grossen Treppe die Schweizer Wassereimer von Hand zu Hand reichen, und kam gerade oben an, als der zitternde, todbleiche Kardinal, von seinem Gardekapitän gehalten, aus seinem Zimmer geleitet und auf einem Stuhl unter dem brennenden Gebälk der Galerien die Treppe hinabgetragen wurde. Die Leute drängten sich um ihn, aber der Kranke konnte sie nur verstört ansehen, nicht sprechen.

Viel wertvolle Malereien und Bilder gingen bei diesem Brand zugrunde; der Louvre ward nur dadurch gerettet, dass ein mutiger Mönch, ein Laienbruder von den Augustinern, sich an einer Eisenkette von oben herabliess, den brennenden Zierrat und die glühenden Balken herausriss und hinunterschleuderte, wo sie im übergegossenen Wasser verzischten.

Der Kardinal war durch die rue Richelieu nach seinem Palast getragen worden, in dem er nun zum ersten und letzten Male wohnte. Dort sah ihn Brienne, der sich hinter einem der Scipioteppiche barg, wie er auf schlürfenden Pantoffeln, sich mühsam an Tischen und Stühlen aufstützend, weiterschob und seine Kostbarkeiten betrachtete, und hörte ihn flüstern: »Das alles muss ich lassen! Das werde ich nicht mehr sehen!« Am Tage nach dem Brand hatte eine Beratung der Ärzte stattgefunden und Guenaud, der Leibarzt des Königs, hatte dem Kardinal auf seine Frage gesagt, dass er noch zwei Monate zu leben habe. Sie verlangten, dass er nach Vincennes übersiedle, um bessere Luft zu haben. Dort liess er sich täglich, rot und weiss geschminkt, mit gekräuseltem Bart und Schnurrbart, parfümiert und wohlriechende Pillen kauend, um den unerträglichen Atem, der niemanden nahekommen liess, zu verbessern, in einer Sänfte durch den Park tragen, damit, wie er mit schwacher Stimme scherzend sagte, »die Synagoge in Ehren zu Grabe gebracht werde«. »Eso Señor rapresenta muy bien el defunto Cardenal de Mazarin,« »Dieser Herr stellt den verstorbenen Kardinal von Mazarin recht gut dar«, sagte mit düsterem Witz der spanische Gesandte Graf Fuensaldaña, als er ihn durch die Säle tragen sah. Und doch war er starkgeistig genug, um viele Stunden lang zu arbeiten, letzte Staatsverträge abzuschliessen, Familienanordnungen zu treffen, lange politische Gespräche mit dem König zu führen, dem er viele Ratschläge, besonders für die äussere Politik gab, die diktiert und aufgezeichnet wurden.

Unendliches Geflüster umgab den Sterbenden. Das Leben wogte fort, und eine grosse Erbschaft schien zu winken; die möglichen Nachfolger wurden erörtert; der kluge Le Tellier, der unbedeutende Villeroy, selbst Retz wurde immer noch genannt. Einer rechnete darauf, Nicolas Foucquet, der zu Vaux, zu Saint-Mandé, im Hotel de Narbonne, wo er, um dem Kardinal im Louvre nahe zu sein, seine Amtswohnung genommen hatte, ehrgeizige, weit gesponnene Pläne verfolgte. Mit unendlicher Arbeit überlastet, unter seinen Bauten und Sammlungen, seiner pretiösen Geselligkeit, in dem Wust und der Last der Geschäfte, des Glanzes und der Genüsse rechnete und wartete er, nervös, unruhig und mit dem steten Gefühl der Gefahr. Während er sich und seine junge Gattin als Cléonime und Artemire von Sappho, von Herminius oder Megastes in Versen feiern liess und in Versen erwiderte, während er mit gelehrten Jesuiten lateinische Devisen oder Familienangelegenheiten, mit seinen Künstlern neue Gemälde oder Feste besprach, erhielt er täglich Geheimberichte aus der Umgebung des Königs und des Kardinals. Wer sich am Hofe gewinnen oder kaufen liess, arbeitete für ihn. Im Sommer l659 war er plötzlich aufgeregt nach Saint Jean de Luz gekommen. Postbeamte, die er bestochen, hatten Briefe Colberts und des Generalkontrollors Herwarth geöffnet, die ihn anklagten, und er war gekommen, sich über die Machenschaften gegen ihn zu beschweren; der Kardinal hatte ihn beruhigt, hatte zwischen den verfeindeten Mitarbeitern einen scheinbaren Frieden gestiftet. Jetzt, da es mit dem Kardinal zu Ende ging und alles sich ändern musste, standen die Strebenden schon wie lauernde Raubtiere gegeneinander.

Siehe Bildunterschrift

Ludwig XIV.,
Stich von Nanteuil nach einem Porträt von Vaillant im Kupferstichkabinett zu Berlin. Der Stich ist aus dem Jahre 1666; aber Ludwig XIV. erscheint darauf jugendlicher als auf früheren Stichen; vielleicht war das Porträt schon einige Jahre früher gemalt.

Der sterbende Minister war gleichfalls gut und noch besser berichtet; er kannte Art und Ziele der einzelnen Männer, die unter ihm gedient, kannte vor allem den König, über den Foucquet sich völlig täuschte. In seinen langen Unterredungen empfahl er ihm Le Tellier, Lionne und vor allem Colbert, als verlässliche Diener; was er ihm über Foucquet sagte, können wir nur vermuten. Aber es scheint, dass er vor ihm gewarnt hat. Das Schicksal des Finanzministers war mit der Empfehlung Colberts entschieden. Man hat es später oft beachtet, dass auf all den Decken- und Wandgemälden Le Bruns in Schloss Vaux sich die Schlange, das Wappentier Colberts, hinter dem Eichhörnchen Foucquets herringelt. Eine düstere Tragödie bereitete sich am Bette des sterbenden Mannes vor.

Ihn aber beschäftigte, ausser den politischen Ereignissen und Gestaltungen nach seinem Tode, die Fortdauer seines Namens und seiner Familie, seines riesenhaften Vermögens. Es gehört zu jenen Ungeheuerlichkeiten, die sich dennoch immer wieder ereignen, dass Mazarin und Colbert dem König die Schätze Foucquets wiesen und den viel gewaltigeren Raub, den der Kardinal mit Colberts Hilfe angehäuft hatte, in Sicherheit brachten.

Immerhin mussten sie ihre Befürchtungen haben; es war Colbert, der dem Kardinal riet, das ganze ungeheure Gut dem König als Schenkung zu übergeben, mit der Bitte, bei der Verfügung seine Wünsche zu berücksichtigen. Wie sie erwartet hatten, nahm der König die Schenkung nicht an. Das Testament, das am 3. März 1661 von den Notaren Le Vasseur und Le Fouyn aufgenommen wurde, die den »Herrn Kardinal zu Bette, krank am Körper, aber gesund an Geist, Gedächtnis und Verständnis« fanden, beginnt mit dieser Schenkung, da er »all seine Besitztümer nur der Freigebigkeit und Grossartigkeit Seiner Majestät verdanke«; dann erst kommt das wirkliche Testament, ein Foliant für sich. Zu S. 577. Das Testament Mazarins ist vollständig abgedruckt im Nachtrag zum 2. Band von Cosnacs »Mazarin et Colbert«. Ein Dank an den Schöpfer, der ihn in der heiligen katholischen Religion hatte geboren werden lassen, für diese Gnade und alle Erfolge, und eine schale Reue, dass er nicht mehr zur Erleichterung des Elends im Land habe tun können, leiten es ein. Es folgen bescheidene Schenkungen an Spitäler, Klöster und Arme; 600 000 Livres werden dem Kampf gegen die Türken gewidmet. Dann funkelt das Papier von den von ihm so sehr geliebten Juwelen. Seine achtzehn grossen Diamanten, die »schönsten Europas«, die nach seinem Wunsch die »achtzehn Mazarins« genannt werden sollten, sowie eine Reihe von Gemälden und Teppichen schenkte er der Krone; der Königin-Mutter in einem Kodizill Ringe mit dem Diamanten »Rose von England« und dem Rubin »Cabochon«, der jungen Königin einen Strauss aus fünfzig Diamanten, Monsieur einunddreissig Smaragde, und dem König, wie den Mitgliedern der königlichen Familie Juwelen, Kunstwerke und gemünztes Gold. Sehr bedeutende, aber sehr verschiedenartige Vermächtnisse, Apanagen und Besitzungen, Einkünfte jeder Art sind für seine Nichten, die Prinzessin von Conti, die Herzogin von Modena, die Gräfin von Soissons, für »Mademoiselle Marie Mancini«, die kleine Marianne und die Kinder der Herzogin von Mercœur bestimmt; dann Legate, die mehr als Andenken zu betrachten sind: Don Luis de Haro vermacht der Kardinal »zum Angedenken der Freundschaft, die sie bei den Friedensverhandlungen geschlossen«, die Flora von Tizian; der Erzbischof von Amasia erhält die »grosse Uhr Maria von Medici's«; ähnliche Geschenke der Graf von Fuensaldaña, der Präsident von Lamoignon, die Kardinäle Sacchetti und Albizzi, der Konnetabel Colonna und Don Lelio Orsini. Dem Marschall von Gramont vermachte er 100 000 Livres, dem Kardinal Antonio Barberini werden seine Schulden erlassen. Der Abbate Benedetti und andere Angestellte Mazarins, sowie sein Rechtsanwalt von Gomont erhielten mehr oder minder grosse Legate; Frau von Venel ist nicht vergessen; seinen drei Sekretären hinterliess er je einen Diamanten im Wert von 4000 Livres; 70 000 Livres werden unter die Dienerschaft verteilt; Literaten, die bisher vom Kardinal unterstützt wurden, sollen nach der Liste Colberts weiter Unterstützung erhalten; Colbert selbst werden Haus und Garten, das er bewohnt, zu eigen gegeben; mehr noch bedeuten die eindringlichen Worte, mit denen er dem König empfohlen wird.

All dies sind Legate; zum Haupterben und Erben seines Namens machte er nicht Philippe Mancini, den er bis zuletzt missachtete und zurücksetzte, sondern den Gatten Hortense Mancinis, Armand Charles de la Porte, den Sohn des Marschalls de la Meilleraye, dem sie in den letzten Tagen angetraut worden, und der den Titel Herzog von Mazarin und das Wappen Mazarins, die silbernen Fasces mit dem Beil im blauen Feld mit übergelegtem rotem Balken und drei goldenen Sternen darauf annehmen musste. Immerhin erhielt Philippe Mancini das Herzogtum Nevers, die Hälfte des Pariser Palastes und den Palast in Rom, sowie letztwillige Mahnungen, ein Mensch mit Pflichtgefühl zu werden. Der so übermenschlich gearbeitet hatte, hasste den müssigen Geniesser. Bis zu Philippes Grossjährigkeit sollte Colbert seine französischen Güter, sein Oheim, der Kardinal Mancini, die römischen verwalten. Die Linien Mazarin und Mancini-Nevers werden einander substituirt.

Eine besondere Verfügung bestimmte den Betrag von zwei Millionen und eine Rente von 45 000 Livres für die Gründung des »Collège des Quatre Nations« zur Erziehung adeliger Knaben aus den unter Mazarins Ministerium neu erworbenen Provinzen, für das er gleichzeitig die Statuten gab, dem er seine Bibliothek vermachte und in dessen Kapelle seine Reste bestattet werden sollten.

Zu Testamentsvollstreckern wurden der Minister Le Tellier, der Erste Präsident von Lamoignon, der Bischof Ondedei, Colbert und mit einem letzten Trug Nicolas Foucquet ernannt. Die Aufnahme eines Inventars ist im Testament verboten.

Nun, da alles Irdische geordnet war, liess der Kardinal den Pfarrer von Saint-Nicolas des Champs, Claude Joly kommen, dass er seine Seele auf das mögliche Unirdische vorbereite; er gestand ihm, dass er eine eigentliche Reue über seine Sünden nicht fühlen könne. Manchmal erschüttert, fasste er ihn an und rief »Sprechen Sie mir von Gott! von Gott!« Er liess sich den Sinn des Messopfers erläutern, da »er die Messe vielleicht nie in der rechten Verfassung gehört«. Aber er gestattete ihm nicht, von seiner Verwaltung oder von seinen Reichtümern und ihrem Erwerb zu sprechen und wies die Mahnung, dem Kardinal von Retz zu vergeben, zurück. Staatsangelegenheiten habe er bereits mit dem König und seine Sünden mit seinem Beichtiger, dem Pater Angelo, ins reine gebracht. Den in Paris versammelten Bischöfen, sowie dem Parlament, liess er sich höflich empfehlen; er »sterbe als ihr ergebener Diener«. Und bis zuletzt liess er sich ankleiden, schminken, frisieren und womöglich aufsetzen; bis zum vorletzten Abend standen die Spieltische in seinem Zimmer, und er spielte und wog die gewonnenen Goldstücke in der Hand und schob die leichteren beiseite, um sie wieder ins Spiel zu setzen.

Noch am 7. September unterschrieb er Depeschen; an diesem Abend spielte der Komtur von Souvré für ihn und sagte ihm, er gewinne. »Komtur«, erwiderte er, »ich verliere hier im Bett mehr, als ich am Spieltisch gewinnen kann.« »Schön!« sagte der Komtur, »aber man soll ja doch die Synagoge in Ehren zu Grabe tragen!?« »Ja«, erwiderte der Sterbende auf den harten Witz, »aber ihr werdet sie zu Grabe tragen und ich die Begräbniskosten zahlen!« Am 8. diktierte er noch einen Geschäftsbrief; um fünf Uhr nachmittags schollen Trompetentöne an seine Fenster, da ein letzter Erlass gegen Retz auf den Kreuzwegen und Plätzen von Paris kundgemacht wurde, und auf die Lippen des sterbenden Kardinals trat ein befriedigtes Lächeln. Am selben Tage hatte er in seinem Zimmer die Messe gehört und die päpstliche Indulgenz in articulo mortis erhalten. Dann empfing er die Sterbesakramente; in seinem Zimmer war niemand mehr als der Pfarrer von Sankt-Nicolas; der König und Le Tellier traten von Zeit zu Zeit ein; in einem dunklen Gang zwischen dem Sterbezimmer und dem Vorzimmer stand Colbert und schrieb die Namen der Besucher auf, die sich zu erkundigen kamen. Drinnen stöhnte Mazarin: »Mut, Mut, man muss eben leiden!« Er starb zwei Stunden nach Mitternacht, am 9. März 1661, den Namen Jesu auf den Lippen …

Einige Stunden später, da es Tag geworden war, stand Brienne im Vorzimmer des Kardinals, als der König mit den Marschällen von Gramont und Villeroy und dem Gardekapitän Grafen Noailles eintrat. Weinend fiel der König Gramont um den Hals und sagte: »Marschall, wir haben einen guten Freund verloren!« Nach wenigen Worten ging er sogleich wieder und hiess Brienne ihm folgen. Unten traten die Garden des Kardinals ins Gewehr; Besmaux, ihr Kapitän, liess sie die Waffe bei Fuss nehmen und warf sich vor dem König nieder, der ihn in seine Dienste nahm. Dann gab er Brienne verschiedene Aufträge, vor allem, den Finanzminister sofort und für den nächsten Morgen alle Minister um sieben Uhr zu einer Konferenz zu berufen. Auf seinem Wege fuhr Brienne an Foucquet vorüber, der zu Fuss durch die Gärten nach Vincennes kam, liess halten und teilte ihm den Tod des Kardinals und die Aufträge des Königs mit. Foucquet war sehr aufgeregt. »Ich müsste der erste sein, der da ist«, sagte er; Brienne begleitete ihn einige Schritte und fuhr dann nach der Stadt, in der sich die Nachricht vom Tode des Ministers verbreitete. Am andern Morgen um sieben Uhr fand der Ministerrat statt, in dem Ludwig XIV. die Worte sprach: »Herr Kanzler, ich habe Sie, sowie meine Minister und Staatsekretäre, berufen, um Ihnen zu sagen, dass ich bisher gerne meine Angelegenheiten vom verstorbenen Herrn Kardinal habe wahrnehmen lassen. Nun ist es Zeit, dass ich sie selbst in die Hand nehme. Sie werden mich mit Ihrem Rat unterstützen, wenn ich Sie darum fragen werde …«

Vor seinem Tode hatte der Kardinal seine Kassenschlüssel Colbert übergeben; der Abbé Choisy versichert, dieser hätte fünfzehn Millionen Bargeld, die in Paris und Vincennes verwahrt lagen, dem König ausgehändigt, der sie gerne genommen. Der Vorgang ist mehr als wahrscheinlich; der Betrag mag ungenau sein. Die Lehre begann zu herrschen, dass der König der Eigentümer aller Güter im Reiche sei; und den Erben blieb genug. Jedenfalls war Colbert mit seiner kleinen schwarzen Sammettasche unterm Arm in bescheidener Beflissenheit stets um den König zu sehen. Nachher wurde gegen die Anordnungen des Toten, die sonst genau befolgt wurden, ein Inventar aufgenommen.

Er hatte verfügt, dass er ohne Prunk bestattet werden sollte; aber die ganze königliche Familie, der Hof, die Körperschaften, ganz Paris folgten dem Sarge, der vorläufig in der Kapelle von Vincennes beigesetzt wurde, um 1684 in die des Kuppelgebäudes seiner Gründung, des Collège des Quatre Nations am Eingang der Rue Mazarin, in dem heute das Institut de France ist, überbracht zu werden, wo über ihm das Grabmal von Coysevox errichtet wurde.

Der König und die Königin-Mutter machten dem Neffen und allen Nichten des Toten Beileidsbesuche und weinten sehr und trösteten sich rasch. Die jungen Herren und Damen werden das königliche Beileid mit höflichen Trauermienen empfangen haben: »Endlich ist er krepiert!« waren die Worte Philippe und Marie Mancinis gewesen, als sie die erste Nachricht vom Tode des grossen Oheims erhalten hatten. »Ich war selbst durchaus nicht mehr betrübt,« schreibt Hortense, »und wenn Sie wüssten, wie er uns behandelte, würden Sie nicht erstaunt sein.« Der Mann, der nur Verstand gewesen und alles nach dem Nutzen gemessen hatte, für den Seele und Herz nur Rechnungswerte gewesen, erntete denn auch dort, wo sonst Schmerz und Liebe den Toten folgt, kalte Berechnung. In den Herzen hatte er nur Unheil gesäet. Jede Ehe, die Mazarin gestiftet, ist den Gatten zum Fluch geworden. Dass er statt des leichten aber liebenswürdigen Mancini den Gatten Hortensens zum Erben seines Namens und Vermögens machte, war ein schwerer Irrtum; denn der neue Herzog von Mazarin war ein bösartiger, frömmelnder Narr, der das Vermögen verschwendete, die herrlichen Statuen des Palastes mit eigener Hand verstümmelte und seine Frau quälte, so dass sie ihm nach wenigen Jahren entlief. Die ungeheuren Reichtümer schmolzen rasch dahin; die herrlichen Pferde seiner Stallungen wurden verkauft, die Wagen seines Triumphzuges endeten als armselige Postkutschen. Der Palast selbst wurde 1719 an den Schotten John Law verkauft, der ihn umbauen liess und seine ungeheuerliche Notenbank darin einrichtete. Zu S. 583. Nach Laws Zusammenbruch stand der Palast eine Zeitlang leer, bis 1722 die königliche Bibliothek darin untergebracht wurde. Seine schönen Nichten Mancini, die alle glänzend und unglücklich vermählt waren, haben mit ihren Schicksalen und Torheiten die Welt ergötzt und empört und den Namen in Verruf gebracht. Dagegen war Philippes Enkel, der letzte Herzog von Mazarini-Nivernais ein liebenswürdiger und fein gebildeter Edelmann, Mitglied der Akademie, wiederholt Gesandter, und zuletzt Minister. Er starb zu Paris am 7. Ventôse – dem 27. Februar – 1798. Zu S. 583. Philippe Jules Mancini, Herzog von Nevers, der Neffe des Kardinals, verheiratete sich 1670 mit Diane de Damas-Thianges, einer Nichte der Marquise von Montespan. Sein Sohn Philippe Jules François – alle führten den Vornamen des Kardinals – heiratete Maria Anna Spinola, Prinzessin von Vergagna, so dass die Verbindung mit diesem Hause, wenn nicht in der Vergangenheit, so doch in der Zukunft, die der Kardinal nicht mehr erlebt hat, bestand. Deren Sohn war Louis Henri Jules Mancini-Mazarini, Herzog von Nivernais. Den Namen Mazarini erhielt er offenbar kraft der Substitution nach dem Aussterben der letzten männlichen Nachkommen Hortensens, und Herzog von Nivernais nannte er sich zum Unterschied von seinem Vater, der ihm noch bei Lebzeiten seinen Herzogstitel abtrat. Bis dahin hatte er den Titel Prinz von Vergagne geführt. Er war erst französischer Gesandter in Rom, dann 1755-56 Gesandter in Berlin am Hof Friedrichs des Grossen, dann Gesandter in London und 1787-89 unmittelbar vor der Revolution Minister im Kabinett Loménie de Brienne's. Während der Revolution eingekerkert, wurde er durch den Sturz Robespierres am 9. Thermidor gerettet. Er starb 1798 in Paris. Sehr jung, im Jahr 1730, war er mit Helene von Pontchartrain, einer Urenkelin La Vrillières, der unter Mazarin Staatsekretär gewesen, verheiratet worden und hatte aus dieser Ehe nur zwei Töchter, von denen die eine, das Fräulein von Nevers, den Grafen von Gisors, einen Urenkel Foucquets, die zweite, Fräulein von Mancini, den Herzog von Brissac heiratete. So spielen alle die Namen, die zu Mazarins Zeit solche Bedeutung für ihn hatten, wie in einem Schattentanz wieder in die Nachkommenschaften hinein. S. L. Pérey's Werk »Le duc de Nivernais«.

Von Marie Mancini leben Nachkommen: von ihr stammt der Zweig der Fürsten von Stigliano des Hauses Colonna; von Olympia Mancini stammt das italienische Königshaus.

Das lag in der Zukunft. Jetzt folgte das übliche Summen seinem Tod; in der Öffentlichkeit, in der »Gazette de France«, in Lorets »Muze«, in den Nachrufen Schmerz und Trauer und höchste Lobpreisungen; insgeheim wurden grimmig-satirische Grabschriften verfasst, darunter eine wahrhaft furchtbare in ehernen lateinischen Sätzen, die der Doktor Hermant mitteilt: »Ingenio humili et abjecto,« heisst es darin, »sed vasto, flexibili, tortuoso, ad serviendum et imperandum juxta idoneo … nihil famae, nil honestati, nil fidei, nil acceptis beneficiis dare, ne ultioni quidem, cuncta praesenti utilitate metiri …« Vieles in dem Bilde ist übertrieben oder falsch, vieles richtig, aber immer nur von einer Seite gesehen. Wie nach Richelieus Tod, sah man das Unleidliche im Wesen des Toten, nicht seine ausserordentliche Leistung. Das Ergebnis seiner äusseren Politik war die Ohnmacht der bis dahin weltgebietenden habsburgischen Länder Spanien und Österreich und die Vorherrschaft Frankreichs, das volkreicher als die andern, mit einem glänzenden Heer und zahlreichen Bundesgenossen, die alle schwächer waren und seiner Führung unterworfen, übermächtig dastand: Ludwig XIV. hat dieses Ergebnis, diese Lage, die er vorfand, in seinen Memoiren dargestellt: was er darin nicht erwähnte, war das innere Elend, die vollkommene Zerrüttung der Finanzen, Staatschulden von fast einer halben Milliarde, ein ungeheurer Betrag für den Geldwert jener Zeit; die Steuerlasten um 60 % auf fast 90 Millionen gestiegen und doch für die ordentlichen Ausgaben von 60 Millionen völlig ungenügend, weil der Schuldendienst zwei Drittel davon verschlang.

Das aber brachte Colbert in Ordnung. Eine neue Zeit begann, die grosse, strahlende und zugleich ertötende Glanzzeit des Sonnenkönigs. Der wilden inneren Bewegung folgte eine grosse Stille. Eine militärisch-höfische, dekorative Kultur begann, ein orientalisches, serailgeschmücktes und doch von Geist und Bildung leuchtendes Despotentum in Europa, ein Theater in heroischem Barock, auf dem, weithin sichtbar, der starkwillige, pflichtbewusste Selbstherrscher durch seine Liebenswürdigkeit und seine Majestät alle Herzen gewann und alle Sinne beugte, die Welt aber durch seinen Stil und seine Macht in Erstaunen setzte und zur Nachahmung zwang. Bis durch Masslosigkeit die Macht zerschellte, an seiner Kälte das innere Leben erstarrte, und wühlende Regungen des alten unruhigen gallischen Geistes unter Flitter und Zerfall neue Zeiten und Stürme vorbereiteten.

 

Bemerkungen: Aus technischen Gründen als Fußnoten eingepflegt. Re für PG

 

Verzeichnis der Quellenwerke

Diese Zusammenstellung bietet keine vollständige Literaturangabe; es sind nur die tatsächlich benutzten Werke genannt.

 

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Gedruckt für den Verlag Georg Müller in München von Mänicke und Jahn in Rudolstadt.
Den Einband besorgte nach Entwurf von Paul Renner die Buchbinderei Hübel und Denck in Leipzig

 


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