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Fünftes Kapitel
Die Verwaltung

Während die Prinzen und der Adel, die eben noch im ganzen Land mit widerspenstigen starrenden Schwertern gestanden, im Hof aufgingen und alle Autonomien gleichsam in sich zusammensanken und ihre Kraft verloren, wurde die Verwaltung des Staates straffer und geordneter. Die schweren Schäden mittelalterlicher Unordnung verschwanden mit den mittelalterlichen Freiheiten. Eine lang vorbereitete, lang begonnene tiefe Umwälzung der Regierungsform vollzog sich. An die Stelle jener grossen Würdenträger der Krone, die sich immer wieder gegen den König erhoben und blutige Unruhen ins Reich getragen hatten, war das Ministerium getreten, das in der bestehenden Reichsverfassung – soweit von einer solchen gesprochen werden kann – zunächst keine rechtliche Stellung hatte, das ein privates Werkzeug der Krone war. »Das Ministerium schwebt in der Luft, es ist nicht etatmässig und hat keine wirkliche Existenz«, schrieb Saint-Simon. Aber es hatte die Macht: die papierene Begründung folgte nach. Und, da es ein Werkzeug vor allem gegen den hohen Adel sein sollte, und auch weil für die Bedürfnisse der Verwaltung rechts- und schreibkundige Männer nötig waren, wurde es wesentlich aus Bürgerlichen oder doch Männern von bürgerlicher Abkunft gebildet. »Un long règne de vile bourgeoisie«, nannte Saint-Simon die Regierungszeit Ludwigs XIV. So war die Zeit der Unterdrückung zugleich eine solche bedeutsamer Neuerungen.

Der eigentliche Vorsitzende des Ministeriums wäre der Kanzler gewesen. Sein Amt, ungefähr dem des heutigen Justizministers gleich, nur mit ganz andrer Machtfülle und Ehrenvorrechten, ragte aus der alten Zeit in die neue Ordnung hinein. Einst war er der geringste unter den Kronbeamten, der Schreiber, gewesen, als das Schwert noch alles war; nun war er allein von ihnen übriggeblieben, und unter den neuen Dienern der erste geworden. Er war unabsetzbar; ward er verbannt, wie während der Fronde Pierre Séguier, so trat ein Siegelbewahrer an seine Stelle oder neben ihn, wie damals Matthieu Molé, der ihm an Rang und Macht nicht gleich war. Das Ministerium war unvollkommen und von unklarer und unsicherer Zusammensetzung, wie die meisten staatlichen Einrichtungen der Zeit. Staatsminister war ein Titel, der durch ein königliches Patent für besondere Verdienste verliehen wurde. Richelieu hatte seinerzeit den Titel »Principal ministre d'état« erhalten. Nach seinem Tode wurde durch das Patent vom 5. Dezember 1642 das Ministerium im Amt belassen und Mazarin in das Ministerium berufen. Nach dem Tode des Königs ernannte ihn die Königin zum »Chef du Conseil«.

Dass es einen die Politik leitenden ersten Minister überhaupt gab, darin sah man eine Ungebühr und einen Missbrauch. Dazu hatte man ja nach der uralten Vorstellung eben den König. Ein erster Minister war ein »Günstling« und musste notwendig ein Schädling sein. Die meisten Frondeure wünschten, der König möge wieder selber regieren; die Revolutionäre verlangten das persönliche Regiment wie in der guten alten Zeit. So spielten Vergangenheit und Zukunft unentwirrbar ineinander. Und in der Tat hat Ludwig XIV. nie einen ersten Minister ernannt, wenn auch Colbert tatsächlich oder doch nahezu die Stellung eines solchen hatte.

Minister im heutigen Sinn waren zunächst die vier Staatsekretäre. Hundert Jahre vorher waren auch sie noch einfache Schreiber, Expeditionsbeamte des Königs gewesen. »Secrétaires de ses commandements et finances, ayant la charge des expéditions en ses affaires d'état«, heisst ihr Titel in der Ordonnanz Heinrichs II. vom 1. April 1547. Beim Abschluss des Friedens von Cateau-Cambresis, zwölf Jahre später, hatte Claude de l'Aubespine bemerkt, dass der Sekretär des Königs von Spanien sich Staatsekretär nannte: das klang zweifellos besser und bedeutender, er wollte nicht zurückstehen und von nun an wurden von dem langen Titel nur das erste und das letzte Wort gebraucht. Die Zahl dieser königlichen Sekretäre war auf vier bestimmt und jedem die Expeditionen für eine bestimmte Gruppe von Provinzen und Ländern zugeteilt. Ihre Stellung wurde in naturgemässer Entwicklung eine immer bedeutsamere. Seit 1588 leisteten sie den Eid nicht mehr in die Hände des Kanzlers, sondern dem König selbst, die Einteilung nach Provinzen ging in eine sachliche Arbeitsteilung über, ihr Amt näherte sich dem der heutigen Minister. Aber noch lange sassen sie bei den Sitzungen des Kronrats an einem Seitentisch, als die Sekretäre.

Dort, im »Conseil du roi«, in feierlichen Sitzungen der Herren mit Federhüten, Perücken und Degen, oder der einfacheren Gewandung der Beamten und Abbés, wurden die Beschlüsse der Regierung gefasst; der Kardinal erschien in der roten Simarra. Der Conseil versammelte sich als »Conseil secret«, an dem nur der König, die Königin und Mazarin teilnahmen, und die Prinzen oder Minister, die der König, das heisst Mazarin, dazu berief. Am »Conseil de guerre« nahmen ausser dem König und den Staatsministern die anwesenden Marschälle von Frankreich teil und jene Generalleutnants, die allenfalls dazu kommandiert wurden. Für Steuerangelegenheiten tagte – unter Ludwig XIV. zweimal wöchentlich – der »Conseil des finances«, zu dem der König, anfangs auch Prinzen und Grosse des Reichs, wesentlich aber der Kanzler, der Oberintendant der Finanzen, die Finanzdirektoren und Generalkontrolleure, sowie eine ganze Reihe geringerer Finanzbeamter, Schatz- und Zahlmeister sich versammelten. Die Angelegenheiten, die vor diesen Rat kamen, wurden erst der »grossen« sowie der »kleinen Finanzkommission« vorgelegt und dort bearbeitet. Der »Conseil des dépêches«, an dem der Kanzler, die Staatsminister und Staatsekretäre, der Oberintendant der Finanzen, aber auch jeweils Statthalter, Intendanten und andere Beamte teilnahmen, beriet unter dem Vorsitz des Königs über die Erledigung der Depeschen, die aus allen Teilen des Reiches eingingen: es war eine Art erweiterter Ministerratssitzung für die inneren Angelegenheiten. Im Justizpalast tagte unter Vorsitz des Kanzlers der »Conseil privé ou des parties«, der ein oberster königlicher Gerichtshof war und zugleich Fragen der Justizverwaltung entschied. Denn die Kompetenzen dieser Räte, soweit sie nicht wie beim Kriegsrat durch die Sache völlig gegeben war, sind vielfach verworren, willkürlich, durch Brauch und Zufall abgegrenzt. Und alle sind nur gleichsam erweiterte und gelegentliche Sitzungen neben dem sogenannten »Conseil d'en haut«, an dem, ausser dem König und der Königin, Mazarin, der Kanzler, der Oberintendant der Finanzen und die anderen Staatsminister und Staatsekretäre teilnahmen. Der »Conseil d'en haut« entspricht dem heutigen Ministerrat und er wurde in dieser Zeit entscheidend.

Durch die Aufteilung der Provinzen unter sie waren die vier Staatsekretäre zunächst jeder Minister des Innern für einen Teil des Reichs. Aber ihre Macht und Befugnis war in dieser Richtung keine weitgehende. Auch in ihren »besonderen Geschäften« – dies war der amtliche Ausdruck – war ihre Stellung und ihr Einfluss sehr ungleich. Die Persönlichkeit entschied. Die Herren du Plessis-Guénégaud und de la Vrillière, von denen der eine für die königlichen Haustruppen und die geistlichen Sachen, der andere für die Angelegenheiten der protestantischen Kirche zuständig war, spielten keine grosse Rolle. Die äusseren Angelegenheiten leitete Mazarin selbst und er beriet sie vornehmlich mit Servien und Lionne. Lionne wurde 1659 zum Staatsminister ernannt und nach Mazarins Tode leitete er als solcher die äussere Politik Frankreichs, obwohl der Graf von Brienne nach wie vor Staatsekretär des Äussern blieb. Brienne hatte auch unter Mazarin meist nur zu unterschreiben gehabt. Man begreift, dass der Ton seiner Memoiren der steter Kränkung ist.

Eine ganz andre, eine grosse geschichtliche Rolle spielte der Staatsekretär des Krieges Michel Le Tellier. Nach allen Schilderungen ein Mann von angenehmer Erscheinung und liebenswürdigem Auftreten, dabei kalt, glatt, verschlossen, und wie viele behaupten, nicht ungefährlich, aber immer ruhig und unbewegt, führte er ein erfolgreiches bürgerliches Leben, begann als kleiner Beamter, heiratete eine reiche Frau, die in seinem Hause herrschte, und starb als Kanzler von Frankreich unter Ludwig XIV. In seinem menschlichen Bilde ist nichts Strahlendes oder Erwärmendes, aber der Beamte Le Tellier war ein klarsehender, zielbewusster, unermüdlicher Arbeiter, der, ohne hervorzutreten, Erstaunliches geleistet hat. Er war zwei Jahre Intendant der in Savoyen kämpfenden Armee gewesen, als er 1643 zum stellvertretenden, und zweieinhalb Jahre später endgültig zum Staatsekretär des Krieges ernannt wurde. Mit gleichmässigem, zähem, unerbittlichem Willen fortarbeitend, mit sicherem Urteil über Verhältnisse und Menschen, soweit ihr Wesen für ihn in Frage kam, hat er unter den schweren Verhältnissen dieser Zeit aus den wenigen halborganisierten Regimentern und den vielen zügellosen, unregelmässigen Haufen, die er vorfand, eine Armee geschaffen. Er hatte, als er sein Werk begann, keine Autorität; keine Tradition des Gehorsams erleichterte seine Aufgabe: der Staatsekretär hatte der Armee alles Nötige zu schaffen, aber jede Einmischung in die militärischen Angelegenheiten verbaten sich die Generale und Kommandanten.

Le Tellier schuf eine einheitliche militärische Rangordnung, die im wesentlichen bis heute die gleiche geblieben ist, und machte alle Offiziere vom König abhängig; er verbesserte die Rekrutierung, die Besoldung, Bewaffnung und Bekleidung der Truppen, ihre Kantonierung, die Versorgung mit Lebensmitteln und Munition, schuf gebundene Marschrouten über ganz Frankreich, wodurch in die Truppenbewegungen erst Ordnung kam, einen Etappendienst und Magazine, verbesserte den Sanitätsdienst und die Militärgerichtsbarkeit – so verbot er, dass die Militärgerichte in Streitigkeiten zwischen Soldaten und Einwohnern entschieden, die endlos waren, und überwies sie den bürgerlichen Gerichten, und ebenso die bürgerlichen Vergehen der Militärpersonen, doch musste ein Vertreter der Truppe bei den Verhandlungen anwesend sein. Er schuf einen Stab von Militärbeamten und legte die Registratur und Archive des Kriegsministeriums an. Er ordnete den Dienst im Frieden, sorgte für die Mannszucht, verbot die eigenmächtigen Entfernungen und masslosen Beurlaubungen der Offiziere, und tat das Äusserste, um Schlimmeres zu unterdrücken. Denn da die Armee zum grossen Teil durch Anwerbung von Seiten der einzelnen Kommandierenden rekrutiert wurde, die Obersten und Hauptleute Unternehmer waren, so suchten sie am Staat, wie an der Truppe zu verdienen, die sie stellen, bezahlen, bekleiden und ernähren sollten, und betrogen beide. Sie warben untaugliches Gesindel für wenig Geld oder weniger Mannschaft, als die Rollen auswiesen, und stellten bei den Musterungen für den Tag bezahlte Leute ein; sie liessen die Truppen plündern und erpressten selber mehr, als ihnen zukam. Gegen all dies und viel andere Missbräuche, die sich immer wieder und allerorten ereigneten, vorzugehen, erforderte eine aufreibende, bittere, immer wieder von vorne beginnende Kleinarbeit.

Und Le Tellier durfte es nicht wagen, wie Richelieu, mit eiserner Strenge durchzugreifen, dazu waren die Zeiten zu schwierig, seine Macht zu gering; er musste die Gelegenheiten elastisch nützen, immer liebenswürdig bleiben, um, so wie es einmal möglich erschien, hart und unerbittlich zu werden. Und wenn zuletzt alles noch unfertig war, und viel Missbräuche fortbestanden oder wieder vorkamen, so war doch eine Armee von 70-100 000 Mann organisiert, und eine vom Kommando unabhängige Armeeverwaltung geschaffen, die mit ihren Intendanten und Kommissaren das ganze Gefüge durchsetzte, alles, was nicht reine Kriegführung war, überwachte, und das Heer in Abhängigkeit von der Regierung erhielt. Man mag denken, wie schwierig es war, diesen bürgerlichen Beamten Macht gegenüber den meist adeligen und hochadeligen Offizieren zu schaffen; aber die Regierung trat unbedingt für sie ein. Der Intendant kam gleich nach dem Höchstkommandierenden und konnte diesem unangenehm werden. »Ich war nicht schmiegsam genug, um bloss Profoss des Intendanten zu sein,« schreibt Bussy in seinen Memoiren, »und kehrte an den Hof zurück,« und Coligny-Saligny manches Jahr später: »Wenn man nicht der gehorsame Diener der Minister ist, so ist es verlorene Zeit, sich dem königlichen Dienst zu widmen.«

So hat Le Tellier die moderne Armee begründet; sein Sohn und Nachfolger Louvois und Ludwig XIV. haben sein Werk fortgesetzt und entwickelt. Von Mazarin wurde er hierbei unterstützt, aber auch gehemmt. Der Kardinal war zu beschäftigt, von den politischen Zielen, für die Armee und Krieg nur Mittel waren, zu sehr beherrscht, von den steten Geld- und andern Nöten zu sehr gedrängt, um nicht Missbräuche und Unordnungen immer wieder zu dulden, ja zu schaffen, wenn dadurch einer augenblicklich dringenden Not abgeholfen wurde. Mazarins Mitarbeiter hatten es nach keiner Richtung leicht.

Innerhalb seines Wirkungskreises verstand Le Tellier sich sehr tüchtige Helfer und Werkzeuge zu schaffen. Der Lebensmittelkommissar Jacquier, mit dem man, wie Turenne sagte, »eine Armee führen konnte, wohin man wollte«, der Lieferant Falcombel, »ein Ehrlicher unter einer Menge Unehrlicher,« der Pulverfabrikant François Berthelot, der »premier commis de la guerre«, Timoléon Le Roy sind berühmt geworden. In seinem Beamtenstab sassen neun seiner Verwandten und er hebt diese Eigenschaft in den Begleitschreiben an die Kommandanten hervor. Was heute bedenklich erscheinen würde, war damals unvermeidlicher Brauch, um mächtigen und organisierten Widerständen vollkommen ergebene und abhängige Personen entgegenzustellen. Le Tellier und seine Verwandten wurden reiche Leute; aber sie mussten für die Sache arbeiten.

Die Conseils, die Staatsekretäre und Minister hatten ihre Bureaus. Die höheren Beamten der Bureaus, die Staatsräte, Schatzmeister, Sekretäre und Intendanten wurden vielfach aus der Zahl der Maitres des Enquêtes und des Requêtes ernannt, so dass sie eine Doppelstellung als königliche Beamte und als Mitglieder der autonomen – wie es damals hiess: »souveränen« – Höfe hatten. Die Parlamente in ihrer körperschaftlichen und selbstrechtlichen Gestaltung bildeten wie die autonomen Behörden und Körperschaften der Provinzen und Städte Hindernisse für die einheitliche Verwaltung. An Würde, Rechten und Verdiensten hatte es ihnen nicht gefehlt. Die alte französische »Magistrature« war in ihrer Art etwas Grossartiges gewesen. Sie hatte dem Königtum gegenüber die ungeschriebene Verfassung Frankreichs, die Rechte des Volkes oft gewahrt. Richelieu hatte sie mit seinem eisernen Willen, der »Rechte« nicht kannte, zerdrückt. Jetzt machte sie ihre unklare Stellung, ihre vielfachen Aufgaben als Gerichtshöfe, Staatskanzleien und Verwaltungsbehörden ungenügend zur Kontrolle, aber stark genug zur Störung.

Und weil die Beschlüsse der Regierung auf dem weiten langsamen Weg in die Provinzen vor diesen und andern Hindernissen immer wieder versagten und undurchgeführt blieben, so schickte die Regierung in die Provinzen wie zur Armee Beamte, die ihre Durchführung überwachen und erzwingen sollten, die Intendanten, eine Art von Kommissaren mit ausserordentlichen und oft fast unbeschränkten Vollmachten, die mit der Zeit ständig wurden und gegen die die alten Behörden und die Parlamente, obwohl sie wieder zumeist aus ihren Reihen hervorgingen, einen erbitterten Kampf führten. Während der Fronde hatte das Pariser Parlament ihre Abschaffung erzwungen; nach dem Sieg der Regierung wurden sie wieder entsendet. So wurden überall auf das alte Gebäude neue Einrichtungen im Rahmen der alten Formen gesetzt. Im Grunde vollendete sich in all diesen inneren Kämpfen, diesen Zersetzungen und Neubildungen eine uralte Entwicklung. In England hatten sich Adel und Bürgertum gegen das anfangs übermächtige Königtum geeint, in Frankreich hatten die anfangs so ohnmächtigen Könige mit dem Bürgertum vereint, den Adel bekämpft. Der Adel ward auf das Militär und Ehrenvorrechte beschränkt; Verwaltung und Judikatur waren mehr und mehr dem reichen Bürgertum zugefallen, das seinerseits in den Adel strebte. In der Fronde hatten Bürgertum und Adel sich einen Augenblick wie in England gegen das Königtum zu einigen gesucht. Nach seinem Siege verwendete das Königtum die aus dem Bürgertum hervorgegangene Bureaukratie gegen beide. Diese Beamten hatten all ihre Befugnisse von der königlichen Gewalt; was fehlte, war eine unabhängige Kontrolle. All diese Veränderungen schritten unter Mazarins Ministerium fort, durch den Zug der Zeit und die natürliche Entwickelung. Er hat keine Reformen eingeführt, dem Volke keine Erleichterung, der Staatswirtschaft und Verwaltung aus eigenem Tun keine Verbesserung gebracht; aber er hat, wo er es irgend konnte, die fähigsten Leute angestellt.

Der Minister, von dessen Leistungen die geordnete Tätigkeit aller abhing, sass nicht unter den Staatsekretären. Für die Finanzverwaltung bestand der Conseil des finances. Die Verwendung der Staatsgelder hatte der Oberintendant der Finanzen anzuordnen, der nur dem König verantwortlich war. In seinen Händen lag eigentlich nur die Liquidation der Staatsausgaben – die Anordnung, Einziehung und Überwachung der Eingänge war den Generalschatzmeistern übertragen; der Staatsschatz, die »Épargne« wurde besonders geführt, und all dies war unendlich verwickelt, ungeordnet, und die Abgrenzung der Befugnisse schwierig. Man kann auch nicht immer und unbedingt den Oberintendanten als Finanzminister bezeichnen. Da das Ministerium »in der Luft schwebte«, entschied die Persönlichkeit. D'Emery war, wie nachmals Colbert, als Generalkontrolleur der wirkliche Leiter der Staatsfinanzen und der gleichzeitige Oberintendant von Bailleul war ohne Macht gewesen, aber in der Regel war der Oberintendant der Minister im heutigen Sinne des Wortes.

Er verfügte über die Staatsgelder, aber sie gingen nicht durch seine Hand. Die Schatzmeister, die »Trésoriers de l'épargne« leisteten Zahlungen auf die vom Oberintendanten ausgestellten Anweisungen. Wenn ein Forderungsberechtigter – ein Beamter, der seinen Gehalt, ein Armeezahlmeister, der den Truppen den Sold zu überbringen hatte, ein Unternehmer, der dem Staat Geld vorgeschossen hatte, – eine Anweisung erhielt, so war durch die Unterschrift des Finanzoberintendanten die Schuld des Staates anerkannt; die Auszahlung konnte aber erst dann erfolgen, wenn auf die Anweisung noch eine besondere Ordre geschrieben und vom Finanzoberintendanten unterschrieben war, durch die der Fonds – eine Steuerkasse, eine Domäne, Zolleingänge – angewiesen wurde, aus dem der Betrag entnommen werden sollte: ein Zeichen und eine natürliche Folge der schlechten Lage des Staatsschatzes, in dem es nie oder beinahe nie einen allgemein verfügbaren Bargeldvorrat gab.

Die Schatzmeister, die auch alle Eingänge eintrugen und quittierten, hatten bei jeder Zahlung den Betrag, den Fonds, auf den sie angewiesen war, und das Datum einzutragen. Ihre Abrechnungen wurden vom Generalkontrolleur geprüft und dem Rechnungshof vorgelegt. Der Entstehungsgrund und der Zweck der Zahlung waren für den weitaus grösseren Teil der Staatsausgaben aus den Rechnungen der Schatzmeister nicht ersichtlich und blieben dem Rechnungshof verborgen, der nur die Verrechnung an sich auf ihre Richtigkeit zu prüfen hatte. Dagegen wurden im Fondsregister, in dem die Eingänge und Auszahlungen der einzelnen Fonds erschienen, auch die Begründung jeder einzelnen Anweisung des Oberintendanten eingetragen. In dieses Register hatte ausser dem Oberintendanten nur der König Einsicht, so dass der Rechnungshof im Grunde nur das formale Zahlenskelett der Staatsfinanzen kennen und prüfen konnte, während ausser dem Finanzminister nur der König und statt seiner Mazarin die wirkliche Finanzgebarung, die Natur der Ausgaben und den erreichten Erfolg kennen konnte. Was man heute den »Dispositionsfonds« nennt, umfasste damals den grösseren Teil der öffentlichen Gelder. Die drei Schatzmeister sowie der Fondsregisterführer wurden vom König direkt ernannt.

Da alle Gelder verspätet, unregelmässig und unsicher eingingen, da in jener Zeit der Finanznot die Eingänge oft schon Jahre vorher aufgebraucht waren, so waren auch die Fonds meist erschöpft, die Kassen der Schatzmeister leer, und diese gaben für die Anweisungen nicht Bargeld in Zahlung, sondern neue Anweisungen, sogenannte »billets de l'épargne«, Kassenscheine auf einen Steuerpächter oder sonst einen Schuldner oder Borger. Diese Anweisungen waren je nach der Güte des Fonds oder des Schuldners sehr verschiedenwertig und konnten in ihrem Wert steigen oder sinken. Konnten sie nicht rechtzeitig eingelöst werden, so mussten sie erneuert oder etwa auf einen andern Fonds überwiesen werden. Für eine grössere Anweisung des Oberintendanten wurden zahlreiche und trennbare Kassenscheine ausgegeben. All dies führte zu Verwirrung und zu Missbräuchen. Vom Wohlwollen des Finanzministers, von den guten Beziehungen, die man hatte, hing es ab, ob man an gute oder schlechte Fonds gewiesen wurde. In den Anweisungen wurde spekuliert. Alte Anweisungen galten als minderwertig, weil ihre Einlösung, der neue dringende Staatsausgaben im Wege standen, schwieriger war. Die Finanzleute aber kauften alte wertlose Anweisungen zu billigem Preise auf und forderten ihre Einlösung, ehe sie dem Staat, der die langsamen Eingänge nicht abwarten konnte, neue Summen vorstreckten. Das Geld wurde zu sehr hohen Zinsen geliehen; der gesetzliche Zinsfuss von etwas über 5½ % wurde umgangen, indem Quittungen über weit grössere Beträge ausgestellt wurden, als der Staat tatsächlich erhielt. Um diese Fehlbeträge in der Kassenführung zu decken, wurden Scheinanweisungen ausgestellt, so dass die Verrechnung der Schatzmeister dennoch stimmen konnte. War eine Anweisung des Oberintendanten aus irgendeinem Grunde erloschen oder zurückgezogen worden, so mussten die bereits dafür ausgegebenen Kassenscheine entwertet werden, da sie sonst gültig blieben, und da sie sich längst in andern Händen befanden oder durch neue ersetzt waren, so war die Entwertung schwierig, unterblieb sehr oft, und der Staat wurde geschädigt. Die Finanzleute, denen für ihre Vorschüsse die Steuern verpachtet wurden und die ihre Einhebung in eigene Regie nahmen, bewucherten den Staat nicht nur direkt, sie und ihre Angestellten sogen auf der andern Seite auch die Steuerträger furchtbar aus, so dass sie doppelten Gewinn hatten, die Finanzkraft des Landes doppelt geschädigt wurde.

Kurz vor Mazarins Rückkehr war der Oberintendant der Finanzen, der Herzog de la Vieuville, am 2. Januar 1653 gestorben. Er hatte das Amt erhalten, weil sein Sohn der Geliebte der Kurprinzessin war; sie hatte den Abschluss des Vertrags mit der Fronde vermittelt, durch den Condé gestürzt worden war, und sich diese Ernennung dafür ausbedungen. Der Präsident von Maisons, der vor La Vieuville Oberintendant gewesen war, die Marschälle de l'Hôpital und von Villeroy, der Gesandte in London, Herr von Bordeaux, der bereits Finanzintendant war – zwölf Finanzintendanten arbeiteten im Schatzmeisteramt – Mazarins alter Mitarbeiter Abel Servien und der Generalprokurator Foucquet bewarben sich um die vielbegehrte Stellung. Im Rechnungshof waren die Sympathien für Servien; Foucquet hatte dem Kardinal während der Fronde grosse Dienste erwiesen. Beide wurden zuletzt ernannt, wie das schon mehrmals geschehen war, zu gemeinsamer Führung der Geschäfte, vielleicht zur gegenseitigen Überwachung. Servien war ein bedeutender, aber kein angenehmer Mensch, finster, schweigsam, einäugig; er gehörte zu den Menschen, die auf alles zunächst »nein« sagen; die Königin hatte ihn im Conseil nicht ertragen können. Seine Redlichkeit war anerkannt, seine Erfahrungen lagen auf dem Gebiet der äusseren Politik. Foucquet war liebenswürdig, beredt, von feinster Bildung, klug, gewinnend, in seinem Wesen lag ein grosser Zug und zugleich etwas Gefährliches. Als Generalprokurator hatte er unbedenklich für die Regierung und für den eigenen Erfolg gearbeitet. Das strenge Recht kam für ihn nicht in Frage, er fühlte sich ganz und gar als politischer Beamter. Er besass eine ausserordentliche Gewandtheit und Kühnheit; je länger er in den politischen Wirbeln jener Tage arbeitete, je höher er stieg, desto mehr schwanden die Bedenken für ihn. Bei seiner Ernennung war der Schatz erschöpft, die Lasten wie die Bedürfnisse übergross, der Staatsbankrott wurde von Mazarin mehrmals in Erwägung gezogen. Es galt weit weniger die Staatsausgaben zu verwalten als dem Staat überhaupt Einnahmen zu schaffen. Servien vermochte das nicht: durch seine barsche Strenge verdarb er es mit den Finanzleuten, und innerhalb der korrekten Grenzen und Formen sahen sie kein Geschäft. Schon am 24. Dezember 1654 wurde Servien mit den Ausgaben betraut, Foucquet sollte für die Einnahmen sorgen, insbesondere die Verhandlungen mit den Finanzleuten wurden ihm zugewiesen.

Er sollte Geld schaffen »für die Armee, die Flotte, die Artillerie, die Gesandtschaften, die Zahlungen an fremde Fürsten und Staatsmänner, an den Schweizer Bund, für die Hoffeste und die Hofhaltung«. »Morgen Abend, wenn wir gezahlt haben,« schrieb Mazarin am 19. Juli 1653 an Colbert, »wird es keinen Pfennig mehr bei Hof geben; drängen, beschwören Sie die Herren Oberintendanten, dass sie uns sofort mindestens 100 000 Francs schicken, und wenn sie meine Edelsteine brauchen, um das Geld leichter zu bekommen, so geben Sie sie ihnen.« Oder Colbert schreibt: »Ich beschwöre Euer Eminenz um Gottes willen  … die Grenzfestungen haben keine Lebensmittel mehr … man muss die Herren Oberintendanten drängen, dass sie für die übrigen fünf Monate Brot vorsorgen.« Und immer wieder schreibt Mazarin an Foucquet selbst: »Ich weiss, dass es schwer ist, Geld zu finden, aber wir müssen es haben.«

Der Staat hatte keinen Kredit. Foucquet war ein reicher, wohlverheirateter und weit verschwägerter Mann aus alter Beamtenfamilie, beliebt und angesehen, hatte Verbindungen und Beziehungen nach allen Seiten, seine Verlässlichkeit und Redlichkeit war anerkannt: er, Herr Nicolas Foucquet, hatte Kredit. Er lieh und bürgte denn selbst, und die Goldströme flossen. Unaufhörlich von Mazarin gedrängt, gebeten, beschworen, mit Dankesversicherungen überhäuft, drängte, bat und belohnte er selber, nach den Bedingungen wurde nicht mehr gefragt; Foucquets gewandter Geist entwickelte sich zu einem phantastischen Gründergenie; er wies den Finanzleuten die Geschäfte, die Verdienstmöglichkeiten; gewandte Agenten, wie Gourville, kamen und vermittelten; die Finanzleute boten dem genialen und liebenswürdigen Minister ihr Geld und nahmen bedenkliche Garantien und unendliche Gewinne; in dieser Weise ging es immer und ging in gleicher Weise fort. Im Jahr 1658 wurden für ein Kapital von 7 200 000 Livres Renten ausgegeben, von dem der Staat infolge aller möglichen Abzüge nur 800 000 Livres, also den neunten Teil des Betrags, erhielt. Der Staat schuldete dafür 400 000 Livres jährlich, den Geldgebern wurden 400 000 Livres Geschäftskosten zugestanden, während sie für die fehlenden sechs Millionen von den Schatzmeistern Quittungen erhielten, die ihrerseits durch eine Anweisung des Finanzministeriums in gleicher Höhe gedeckt waren. Ungeheure Vermögen entstanden in diesen Tagen, und der Glanz des Reichtums und der Feste neben dem allgemeinen Elend war erschreckend. Ordnung war bei dieser Art des Staatshaushalts unmöglich, gab es eigentlich längst nicht mehr. Foucquet wusste und fühlte es, schrieb manchmal einen raschen Plan für eine bessere Ordnung der Finanzen, für wirtschaftlichere, gerechtere Steuern hin; der Marschall von Fabert, einer der gedankenreichsten, tatkräftigsten und zugleich bescheidensten Männer, die in der Öffentlichkeit standen, reichte Mazarin eine wohlüberlegte Schrift über eine planmässige Steuerreform ein, gestufte Steuern auf Grund eines genauen Katasters, mit einfacher Erhebung, eine Reform, die die armen Schichten entlastet, dem Staat weit mehr eingebracht und ihm das Heer der hunderttausend kostspieligen und schädlichen Steuereintreiber erspart hätte – aber augenblicklich war nicht Zeit, solche Pläne auszuführen. Foucquet tat manches für den Handel und die Handelsmarine, die Fischerei des Landes wie für die Kolonien, aber das waren Anfänge und Wege mit weiter Sicht: der Staat und der Kardinal brauchten sofort und ununterbrochen zuströmendes Geld. Foucquet selbst wurde Gläubiger des Staates für Riesensummen: ihm wurde geliehen, er bürgte, er legte aus; und er fand es billig und dem Brauch gemäss, dass auch er verdiente. Auch Mazarin hatte dem Staat oft geborgt; Le Tellier hatte für die Bedürfnisse der Armee, wenn es nicht anders ging, Geld vorgestreckt; Turenne in dringender Not während des Feldzugs sein Tafelsilber verkauft, um die Truppen oder Munition bezahlen zu können. Aber die Kasse Foucquets und die Staatskasse waren nicht mehr klar zu unterscheiden.

Mazarin selbst hatte für eine geordnete Finanzverwaltung weder Zeit noch Sinn: der Staat und der Hof mussten das Geld haben, das sie brauchten, und er selbst vor allem musste Geld bekommen. Er schrieb Anweisungen aus, auf denen stand: »Ich kenne den Zweck dieser Ausgabe«; mehr wurde nicht gebucht: die 300 000 Francs für den ersten Präsidenten Bellièvre wurden so behoben; und er liess sich selber Beträge anweisen, die er nicht zu bestätigen pflegte. Foucquet wurde bei diesem Spiel sehr reich, Mazarin noch reicher. Foucquet kaufte zu den Gütern, die er besass, das Herzogtum Penthièvre in der Bretagne, kaufte mit Mazarins Bewilligung in der gleichen Provinz die Inselfestung Belle-Isle vom Herzog von Retz, dem Bruder des flüchtigen Kardinals. Die Käufe wurden unter Decknamen, durch Freunde oder Untergebene des Oberintendanten durchgeführt, ein Zeichen der Besorgnis, des nicht völlig reinen Gewissens. Er besass ein schönes neues Haus in dem Vorort Saint-Mandé und liess sich in Vaux-le-Vicomte bei Melun ein herrliches Barockschloss mit wundervollen Gärten bauen. Er war ein ebenso verständnisreicher Kenner und ein besserer Geniesser als Mazarin selbst. Auch er besass eine berühmte Bibliothek, und in seinen Schlössern grossartige Sammlungen von Kunstwerken, Kostbarkeiten jeder Art, Edelsteinen, Prunkstücken, unvergleichliche Treibhäuser und Blumengärten. Er hatte sich gewöhnt, wie es Menschenart ist, für den Staat und für sich selber, mit Millionen zu rechnen, wie früher mit geringeren Beträgen, und er ermass auch bisweilen, wieviel grösser bei der immer schneller und weiter kreisenden Bewegung die Gefahr des Sturzes wurde. Er hatte ungeheuere Reichtümer und ungeheuere Schulden. Er nahm und gab mit gleicher Unbekümmertheit. Er liebte die schönen Frauen und wurde von ihnen geliebt, und er liebte den Verkehr mit geistvollen Menschen. Dichter und Künstler fanden keinen grossartigeren, verständigeren und liebenswürdigeren Gönner als den Finanzoberintendanten; die beiden Corneille, der alte Boisrobert und der verkrüppelte Scarron, der verträumte junge La Fontaine und der in diesen Jahren in Paris aufglänzende Molière waren ihm dankbar verpflichtet; Nicolas Poussin, Le Brun, Puget, Anguier, Levau und Lenôtre arbeiteten für ihn. In der Pariser Gesellschaft huldigten dem mächtigen Manne, wo er erschien, ehrfürchtiges Schweigen oder laute Lobpreisungen, demütige Bettelei und kriechendes Schranzentum, aber auch ernste und dankbare Freundschaften. »Quo non ascendam?« »Wohin steige ich nicht?« war die kühne Devise in seinem Wappen, das ein rotes Eichhörnchen in silbernem Felde wies. So lebte er ein berauschendes Dasein und ging einen gefährlichen Weg von grossen Plänen, Kämpfen, Sorgen und Genüssen einem dunklen Schicksale zu.

Sein Amtsgenosse Servien, der mit ihm arbeiten, ihn überwachen, für eine redliche Verwaltung sorgen sollte, ward von seiner lebendigen Kraft lahmgelegt und beiseite geschoben, von seinem Glanz verdunkelt, Mazarin selbst überging ihn, und er beklagte sich nie laut. Dagegen sah ein anderer Mann dem ganzen Treiben mit finsterem Verdruss, Neid und Zorn zu, ein Mann, der seine Pläne, seine Verwaltungsenergie und Gabe zur Zeit auf einem kleineren Feld übte und dadurch fast täglich mit dem Finanzminister zu tun hatte: das war der Verwandte des Staatsekretärs Le Tellier, der ehemalige Kaufmannsgehilfe Jean Baptiste Colbert, der Vermögensverwalter Mazarins. Er konnte dem Kardinal, der ihm vertraute, sagen und schreiben, was niemand erfuhr, und er hielt mit seiner Meinung nicht zurück.


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