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Mazarin hatte gesiegt. Bordeaux widerstand noch eine Zeit, Condé kämpfte noch lange, aber nicht als französischer Prinz, nur als spanischer Feldherr. Die Ideale, die viele, ob unklar, zum Kampf bewogen hatten, waren zertrümmert. Die falsch verstandene, schlecht geführte Bewegung, ein Aufzucken des Volkes aus seinem Elend, ein kurzer Versuch des Bürgertums und des niederen Adels, Verfassung und Verwaltung in Frankreich vernünftig zu wandeln, war durch die Torheit und den Eigennutz der Führer an dem zähen schlauen Widerstand des Ministers gescheitert. Vier Jahre war umsonst gekämpft, das Land umsonst blutig verheert worden; die Not war so furchtbar, so viel empfindlicher geworden, als alles andere, dass Bürger und Bauern die politischen Rechte, um die sie gekämpft, verzweifelt über Bord warfen und sich sklavisch der Regierung, nicht nur des Königs, sondern des verhassten Fremden fügten. Es war alles verloren und nichts gewonnen worden in dieser unrühmlichen Revolution: eine überdeutliche Lehre, dass, wo politische Führer und Parteien ihr Ideal vom Interesse aller preisgeben für das Ideal, das sie von ihren Einzel- oder Standesinteressen haben, beides zuletzt in Trümmer geht.
Das Volk war durch sein Elend entschuldigt: dieselbe Verzweiflung, die es in den Aufstand getrieben, trieb es zur Unterwerfung. Wenn eine verfehlte Gesetzgebung und Verwaltung bewirkten, dass fruchtbare Länder den denkbar geringsten Ertrag boten, so bewirkten der gesellschaftliche Aufbau und die Verteilung des Grundeigentums, dass auch dieser im Vergleich zur Mühe und den Kosten unendlich geringe Ertrag einer kleinen Schicht fast ganz zufiel und denen, die das Land bebauten, fast nichts blieb. Der Boden von fast ganz Frankreich war gebunden und gehörte der Geistlichkeit, dem Adel und den reichsten Bürgern. Güter und Pfründen waren mit ihren für eine bestimmte Zeit mehr oder minder feststehenden Einkünften auf wenige verteilt, so dass der hohe Adel und das reiche Bürgertum im Glanz lebten, eine kleine teils adelige, teils bürgerliche Mittelschicht in Sorgen, das Volk in Hunger, Krankheit, Kriegselend und Misshandlung. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts waren die Löhne ständig gesunken und die Lebensmittel, sowie Kleidung, Wohnung und Heizung ständig teuerer geworden; insbesondere die Landbevölkerung war immer mehr ins Elend gekommen. Da von der Zahlung der von rein fiskalischen Gesichtspunkten eingeführten unerträglichen Steuern, die zudem unter Missbräuchen und Quälereien erpresst wurden, fast jeder befreit war oder sich befreien konnte, der genug besass, und »nur die Armut als Befreiungsgrund nicht zugelassen war«, da alle Rechte in der Form von Privilegien bestanden, deren friedliche Abschaffung gar nicht möglich, nicht durchführbar war, so gab es für das Volk auch keine Erlösung. Unter der wahrhaft weisen, erstaunlich modernen Verwaltung Heinrichs IV., des einzigen Königs, der sich um das Los des niederen Volkes gütig und ernstlich kümmerte, hatte es eine Zeit aufgeatmet; nach seinem Tode war das Elend sofort wiedergekommen. Richelieu war als Staatsmann in der inneren Verwaltung mit Sully nicht zu vergleichen, der nicht nur ein grosser Artillerist und ein grosser Finanzminister, sondern auch ein weiser Volkswirt war. Richelieu war die furchtbare Persönlichkeit, der gewaltige Bändiger und Organisator der Kräfte, der rücksichtslose Zerbrecher der Widerstände, und er hat eine Reihe grosser hindernder Trümmer vernichtet, er war schöpferisch in der Politik und ihren Machtmitteln, aber er war kein Erschliesser von Quellen, kein Mann, der fruchtbare Werte erstehen liess; er wollte alles durch Befehle und Verordnungen schaffen. Seine Meinung war, »es dürfe den Leuten gar nicht gut gehen, sonst würden sie unbotmässig,« und für eine geordnete Finanzwirtschaft hatte er weder Zeit noch Sullys Begabung.
Und er brachte den langen Krieg. Man muss denken, dass es die Truppen des Dreissigjährigen Krieges waren, die »gemenschten Wölfe« Grimmelshausens, die in Frankreich einrückten, und dass die französischen Truppen nicht besser waren und im eigenen Land um nichts besser hausten. Es war üblich, dass »unter der flatternden Fahne« vom Land gelebt wurde, und in der Regel blieb den Offizieren und Soldaten auch gar nichts anderes übrig, weil sie ihren Sold nicht erhielten.
Und nun zogen und lagerten diese Armeen, die dem Bürger und Landbewohner gegenüber nur wohlorganisierte, unwiderstehliche Räuberbanden waren, durch zwanzig Jahre in den unglückseligen Grenzprovinzen, in Flandern, in der Picardie, der Champagne, in Lothringen und Burgund. Jedes Kommen, jedes Durchziehen eines Armeekorps, eines Regiments, einer Schwadron, auch wenn gar nicht gekämpft wurde, bedeutete ein Brandschatzen, Plündern und Misshandeln; für das Futter der Pferde wurde weithin alles Getreide, reif oder unreif, abgemäht, Nahrung, und die beste, gefordert für die Leute, Geld erpresst, alles Brauchbare mitgenommen. Schlimmer und entsittlichender noch war die Grausamkeit und das mutwillige Zerstören. In der Stadt Angers wurden im Jahr 1648 – nicht im Krieg noch aus militärischen Gründen, sondern als fiskalische Massregel, weil die Stadt eine Steuer nicht hatte bezahlen können, – 32 Reiterkompagnien in Garnison gelegt, die »wie die Türken hausten«; es machte ihnen Spass, ihre Pferde in Schlaf- und Wohnzimmern zu ebener Erde einzustellen. Das war in jener Zeit Regierungsweisheit im Frieden! »Auf meinem Gut sind alle Bauern zu Krüppeln geschlagen«, schreibt ein Edelmann in der Nähe von Paris nach einem Durchzug der Truppen. »Jedes Mädchen, jede Frau in einem Dorf ist verloren,« heisst es in einem Bericht. Was sonst an orgienhafter Grausamkeit oder an Foltern, um verborgene Schätze zu finden, verübt wurde, darf man nicht beschreiben.
Im Tagebuche des Bürgermeisters Lehault von Marle in der Picardie, einem Flecken, der damals nicht 1 200 Einwohner zählte, wird der Schaden, den ein paar versprengte Infanterieabteilungen in einer Nacht anrichteten, auf 10 000 Livres geschätzt. Fünf Regimenter des eigenen Heeres, die vierzehn Tage teils dort lagen, teils durchrückten, kosteten das Städtchen 90 000 Livres. So ging es durch viele Jahre unaufhörlich fort. Darum standen in Burgund im Jahre 1646 von 212 Dörfern 20 völlig leer und verödet; in einem Dorf, das besser davongekommen war, waren von 417 Häusern 120 unbewohnt. In Lothringen, das in den Friedenszeiten unter seinen trefflichen Herrschern Karl III. und Heinrich dem Guten ein blühendes Land gewesen war, standen 80 Dörfer verlassen, verbrannt, menschenleer: in wenigen sind mehr als 15 Häuser noch bewohnt – die Leute, die noch da sind, leben von Eicheln und Wurzeln; wenn sie ein Pferde- und Hundeaas finden, so ist es ein Festessen für sie, nicht selten assen sie Menschenfleisch; die Wölfe haben sich in den leeren Häusern eingenistet, sie fressen Frauen und Kinder, wo sie sie finden; die berühmten Glasbläsereien, die Fabriken, Gewerbe sind völlig vernichtet, selbst der Adel und die Geistlichkeit sind zu Bettlern geworden. Die Berichte, in denen dies mitgeteilt wird, stammen von Beamten, deren Wunsch, deren Interesse es war, die Lage günstig darzustellen! In anderen Gegenden verwilderten die Bauern, die sich in die Wälder geflüchtet hatten, o, dass sie jeden totschlugen und ausraubten, der in ihre Hände fiel, ganz gleichgültig, zu welcher Partei oder welchem Stande er gehörte.
Es gab Generale, deren Namen, wie später die französischer Heerführer in der Pfalz, zu Fluchnamen unter der Landbevölkerung wurden, und unter diesen waren Männer wie die Deutschen Erlach und Rosen, die dem Unheil gerne gesteuert hätten; aber da sie vom Staat kein Geld bekamen, und ihre Offiziere und Soldaten nicht bezahlt wurden, so war die Ordnung nicht zu erhalten. In einem Brief aus dem Jahr 1650 schreibt Colbert an den Kriegsminister, dass der Oberst des Regiments Piemont, eines der ältesten und berühmtesten französischen Regimenter, zu Saint-Jean de Losne »Sr. Eminenz mit Tränen in den Augen das Elend seiner Offiziere schilderte, das in der Tat sehr gross ist.« Erlach opferte sein ganzes Vermögen, um seine Leute zu bezahlen, und starb vor Kummer im gleichen Jahre. Am 3. Januar 1651 protestierten vier französische Generale, Fabert, Noirmoutiers, Bussy-Lameth und Montaigut gegen die Verwüstung, die die Truppen Rosens anrichteten. Fabert war vielleicht der einzige General, der vollkommene Mannszucht hielt und Offiziere wie Soldaten erbarmungslos hängen liess, die sich Raub oder Plünderungen zuschulden kommen liessen, so dass die Champagne, in der er kommandierte, sich wieder ein wenig erholte.
Die Fronde trug den Schrecken und die Verwüstung der Truppenzüge von den Grenzprovinzen über das ganze Land, so dass das Elend allgemein wurde. Wo die Armeen durchkamen, kam der gleiche Jammer in ihrem Gefolge. Condés Truppen wie die königlichen frassen die südwestlichen Provinzen auf; dann kam der Prinz verwüstend durch Berry; ihm folgte der Hof mit seiner Armee und es wurde noch schlimmer. Anjou wurde auf Befehl verwüstet zur Strafe für den Aufstand, und ohne dass man etwa untersucht hatte, ob ein Dorf sich an dem Aufstand beteiligt hatte oder nicht; Angers entging der Plünderung, die die erbitterte Königin den Bedingungen der Übergabe entgegen anordnete, nur durch die Fürbitte seines liebevollen Bischofs Henri Arnauld. In den Jahren 1649 und 1652 raste der Krieg um Paris selbst, und die Stadt wie ihre Umgebung hatte es grässlich zu fühlen. »Wo der Hof durchkam,« erzählt La Porte, des Königs Kammerdiener aus dem Jahr 52, »da eilten die armen Bauern heran und glaubten sich gerettet: sie brachten all ihr Vieh mit, das sogleich Hungers starb; dann starben sie selbst, denn sie hatten nichts als die Almosen des Hofes, die recht mässig waren, weil jeder zuerst an sich dachte; wenn die Mütter tot waren, starben die Kinder nach; auf der Brücke von Melun sah ich, als wir vorüberkamen, drei Kinder auf der toten Mutter liegen, von denen eines noch an ihren Brüsten sog. Dieses Elend ergriff die Königin sehr, und da man zu Saint-Germain davon sprach, seufzte sie und sagte: die schuld wären, hätten vor Gott eine schwere Rechenschaft abzulegen; und sie bedachte nicht, dass sie selbst die Hauptschuld trug!«
In Paris war es nicht besser: am 3. Juli, dem Tag nach der Schlacht von Saint-Antoine, hatten die Armen ein Fest: sie fanden so viele Pferdeleichen in den Vorstädten!
Während des innern Kriegs stockten und verfielen die Gewerbe und der Handel hörte auf, die Fabriken schlossen; die Post verkehrte gar nicht oder höchst unregelmässig; während des ersten Kriegs war sie auf Befehl der Regierung vollkommen unterbrochen worden, um die Stadt gefügig zu machen; die Folge war Bankrott auf Bankrott, die reichsten Kaufleute gingen zugrunde; die Arbeiter streikten. Dreimal musste das Pariser Parlament die gesetzliche Stundung aller Wohnungsmieten in der Stadt anordnen, weil niemand sie zahlen konnte. In den Jahren nach dem Kriege litt besonders der kleinere Mittelstand, da Arbeiter und Handwerker spärlich und darum gesucht waren und viel verdienten.
Im Süden plünderten die Seeräuber die französischen Küsten wie einst im Mittelalter; die Getreideausfuhr nach Italien und Spanien, der Warenverkehr nach der Levante, die Geld nach Frankreich gebracht hatten, mussten aufhören. Im Kanal plünderten englische Kaperschiffe. Die Jahre waren an sich schlimm durch strenge Winter, auf die nasse Frühlingsmonate folgten; alle Ströme und Flüsse Frankreichs traten aus und Überschwemmungen kamen, wie man sie nie gesehen, die in jenen Zeiten, da man gar keine Vorkehrungen dagegen traf, doppelt furchtbar waren; das »Jahr der Sündflut« hiess das Jahr 1651 in der Erinnerung des Volkes. Bei der schlechten Ernährung und der noch schlechteren Hygiene folgten den Truppenzügen ansteckende Krankheiten nach, die sich in der elenden Bevölkerung furchtbar ausbreiteten und die Menschen hinrafften: die Pest, die in jenen Jahrhunderten Europa nie ganz verliess, kam hinzu: in Rouen starben in vierzehn Tagen viertausend Menschen; die wenig gerüsteten Spitäler waren überfüllt. In den Dörfern lagen die Kranken in den zerschossenen und niedergebrannten Häusern auf der Erde, auf dem Mist, ohne Decken, ohne Kleider, oft genug ohne Hemd, ohne Feuer im Winter und ohne Nahrung, ohne Pflege. Die Sterbeziffern stiegen, die der Geburten und Heiraten sanken, soweit man es in den Gemeinde- und Pfarrbüchern verfolgen kann, wie nie im Jahrhundert. Fünfzigtausend Menschen sollen in diesen vier Jahren der Fronde in Paris allein der Not erlegen sein. Auch in der Umgebung der Hauptstadt gab es im Jahr 1652 ausgestorbene Dörfer; in Lagny haben drei Väter der Mission 180 Kranke, 89 Waisen, 450 Notleidende zu versorgen; in Villeneuve Saint-Georges zählen die Geistlichen vom Seminar des heiligen Nikolaus 78 Kranke, 39 Waisen, 63 Hungernde; in Saint-Denis sind es zusammen 271, auf dem Mont Valérien 229 Kranke, 74 Waisen: die Notleidenden »lohnt es nicht zu zählen, weil man ihnen doch nicht helfen kann!«
Obwohl die Menschen jener Zeit noch härter waren, als die von heute, obwohl sie den Anblick der Not und des Hungers, den der Bettler und Kranken, die Paris bevölkerten, gewohnt waren, so folgte doch dem Übermass des Elends ein Strom der Wohltätigkeit, die, wie unzureichend sie sein mochte, dennoch gross und wundersam war. Sie ging zunächst von frommen Männern aus dem reichen Bürgertum, aus den Kreisen der Parlamente aus, die dem jansenistischen Kloster von Port-Royal nahestanden. In Port-Royal hatten sie während der Belagerung von Paris soviel Menschen mit ihren Habseligkeiten und ihrem Vieh aufgenommen und geschützt, dass selbst die Kirche die ganzen Wochen hindurch von den Armen und deren Vieh bewohnt war. Die Mère Angélique Arnauld, die berühmte Äbtissin, erfand ein Rezept einer besonders billigen und nahrhaften Suppe, die sich im grossen herstellen liess, und teilte es ihren wohltätigen Freunden mit. Der Richter Charles Maignart de Bernières in Rouen wurde der »Anwalt der verwüsteten Provinzen«, der Rat du Gué Bagnols und andere in Paris folgten ihm. Seit dem September 1650 gab Maignart de Bernières Berichte über das Elend heraus, die zu tausenden verbreitet, in ihrer nackten Fürchterlichkeit die Menschen erschütterten. Die Königin verkaufte, als ihr der erste dieser Berichte vor Augen kam, ihre Ohrgehänge, viele Damen ihr Geschmeide. Ein Frauenkomitee bildete sich, an dessen Spitze die Präsidentin von Lamoignon stand, sowie die fromme Mutter des Generalprokurators, Madame Foucquet, die Präsidentin von Herse, Madame Joli, und die schöne Frau von Beauharnais-Miramion, die Bussy einst frech hatte entführen wollen.
Sie taten, was sie konnten; aber alle übertraf ein wunderbarer Mensch, der, wenn einer, mit Recht heilig gesprochen wurde, Vincenz De Paul, wie er richtig hiess, der Sohn eines Bauern bei Dax in Südfrankreich. Er hatte als Knabe die Herden seines Vaters gehütet, war dann in einem Franziskanerkloster unterrichtet und im Jahr 1600 zum Priester geweiht worden, war auf einer Reise von Seeräubern gefangen und in Algier Sklave gewesen, wurde befreit, Almosenier der Königin Margarete von Valois und später Erzieher im frommen Hause des Admirals von Gondi, Erzieher des Herzogs von Retz und des Koadjutors. Mit groben bäurischen Zügen und einem heiligen Herzen, das in einer harten Zeit von übergrosser Milde und Mitleid schwoll, nahm er sich aller Gequälten an und entflammte ganz Frankreich, arbeitete mit nie ermüdendem Eifer, schrieb Berichte und Briefe ohne Zahl, sammelte, gründete Missionen, schickte Bruderschaften und Schwesterschaften aus, denen Priester und Nonnen anderer Orden sich helfend anschlossen, oft genug todgeweihte, da sie unter Pest und Gefahr wirken müssten; der König, der ihm zuletzt feierlich durch einen ausdrücklichen Erlass das Amt der Wohltätigkeit für Frankreich gleichsam übertrug, musste seine Geistlichen und Pfleger durch Androhung der Todesstrafe vor den verwilderten Soldaten schützen.
»Monsieur Vincent« – so ward er damals genannt und bekannt, war ein trefflicher Organisator, voll Energie und Güte, und er fand unter Geistlichen und Laien ausgezeichnete Helfer. Magazine wurden angelegt, immer wieder über das Elend berichtet und gefordert und gegeben; Frau von Miramion verkaufte ihre Perlen und ihr Silbergeschirr, andere Damen ihren Schmuck; arme Leute gaben wie immer im Verhältnis zu ihrer Habe noch mehr. Der Geist, der zehn Jahre später Bossuet bei einer neuen Hungersnot in einer berühmten Predigt dem Hof und der Gesellschaft die Worte zurufen liess: »In den entfernten Provinzen wie in dieser Stadt, mitten unter Ihren Lüsten und Ausschweifungen, erliegen zahllose Familien dem Hunger und der Verzweiflung. Möge keiner mehr fragen, wieweit die Pflicht, den Armen zu helfen, gehe: der Hunger hat jeden Zweifel beseitigt … Jesus leidet und stirbt in jedem Armen …!«, derselbe Geist hatte schon damals einen Teil der Gesellschaft ergriffen. Die Leistung wäre aber lange nicht so gross, die Durchführung nicht möglich gewesen, wäre nicht vorgearbeitet worden. Etwa seit dem Jahre 1630 bestand in Frankreich eine merkwürdige geheime Gesellschaft, die sich die Gesellschaft des heiligen Altarsakraments nannte, und, von einem unbekannten Zentral-Komitee geleitet, in allen Provinzen und Städten Tochtergesellschaften und Gründungen besass – die zumeist gar nicht wussten, wem sie ihre Entstehung verdankten – und so eine mächtige Organisation über ganz Frankreich ausgebreitet hatte. Mit heiligem Eifer besuchten ihre Mitglieder Gefängnisse und Spitäler, überwachten und verhüteten Missbräuche, retteten Verlorene, gründeten Gesellschaften und Heime zum Schutz der jungen Mädchen, die nach Paris um Arbeit kamen, nahmen sich der Galeerensklaven an, boten geistlichen Trost und leibliche Hilfe und übten unendliche Wohltaten. Fanatische Vorkämpfer der katholischen Kirche, weisen sie auch zugleich ein anderes Bild und übten noch eine ganz andere, unpreiswürdige Tätigkeit; sie bekämpften die Protestanten und alle Freidenkenden; sie breiteten ein geheimes Netz über Frankreich, Spionage und Denunziation wurden selbstverständliche Mittel; so bereiteten sie den grossen Umschwung vor, der sich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in Frankreich vollzog: die Aufhebung des Edikts von Nantes, die Vertreibung der Protestanten, die Frömmelei des Hofs ward ihr Werk.
Damals aber waren ihre Leistungen, die auf vielen Gebieten sehr wesentliche Neuerungen waren, ausserordentlich. Ihre Mitglieder, die sich überall, in allen Ständen und Klassen, Geistlichen und Laien, Erzbischöfen und Pfarrern, Männern wie Frauen, im höchsten Adel wie unter Schustern und Schneidern, fanden, waren es, die jetzt mit dem heiligen Vincenz de Paul arbeiteten, sein Werk förderten, wenigstens zu helfen suchten.
Aber Wohltätigkeit ist immer unzureichend. Nur tiefgreifende Veränderungen, nur eine neue soziale und politische Verfassung, eine vollkommene Umwälzung hätte dem französischen Volk wirklich helfen können, und gerade diese hatte die Fronde für lange unmöglich gemacht. Wäre das Bürgertum bewusst und kühn an die Seite des durch eigenes Elend erschütterten Provinzadels getreten – denn die durchziehenden Kriegsvölker schonten niemanden –, der nicht nur nach der ersten Vertreibung Mazarins, sondern auch im Jahr 1652 es wiederum zum Bündnis aufforderte, um die Einberufung der Generalstände zu erzwingen, es hätte wie in England, ein Weg gefunden werden können, Kraft und Selbständigkeit zu erhalten. Aber seine Blüte, sein Stolz, die privilegienreichen und talentreichen Beamten, die alte berühmte »Magistrature« hatte das Standesinteresse über das der Gesamtheit gesetzt, und war nun gleichfalls gesunken. Der hohe Adel, selbstsüchtig und untreu, verriet seine Bundesgenossen, wie er das Königtum verriet. Er zögerte damals ebensowenig, sich mit dem Landesfeind gegen die Dynastie zu verbinden, wie er sich bei der zweiten Revolution mit ihm gegen die Republik verband. Die Leistungen des französischen Adels waren in jener Zeit gross auf geistigem, auf militärischem Gebiet: seine Politik war sinnlos und für das Land verderblich, von bereits getrübten Rechtsanschauungen aus der Feudalzeit, ohne jeden Sinn für das Werdende und Notwendige, und von einem erschreckenden Mangel an jeder Sittlichkeit bestimmt.
Die grossen Herren, die Führer, die glänzenden Persönlichkeiten, die im Drama der Fronde ihre unpreiswürdigen Rollen spielten, waren auch nicht unter den Helfern des heiligen Vincenz zu finden.
Sie hatten keine Zeit, sich mit dem Unglück zu beschäftigen, das sie schufen oder vermehrten. Und sie haben im Grunde alle Unglück über Frankreich gebracht, weil ihnen allen die eigene Stellung und Vorteile oder irgendwelche übernommenen ungeprüften Begriffe wichtiger waren als Frankreich und sein Volk. Auch der sieghafte Jüngling mit dem grossen Herrscherbewusstsein, der am 8. September 1651 in jenem glänzenden Zuge seine Autorität dem Lande und der Welt verkündete. Er hielt den Glanz für ihm gebührend und opferte Frankreich seinem Glanz auf. Schon jetzt fiel es wenigen Denkenden auf, dass bei der allgemeinen bittern Not die kostspieligen Festlichkeiten bei Hofe, die Maskenzüge, Balletts und Reiterspiele kein Ende nahmen: ein Unbekannter schrieb ein Pamphlet »Das gequälte Frankreich«, in dem das Land dem jungen König sein Elend vorhält und er antwortet:
»Si la France est en deuil, qu'elle pleure et soupire,
Pour moi, je veux chasser, galantiser et rire!«
Man kann ihm nicht aufbürden, was seine Mutter und Mazarin in seinem Namen getan hatten. Die Illoyalität des Hofes und der Regierung während dieser vier Jahre der inneren Kämpfe waren die Krönung des Gebäudes von Illoyalitäten, das die Fronde war. Er zog die Folgen und übernahm den Gewinn: sie hatten ihm den Thron errichtet, »bewahrt«, wie sie meinten; aber er ging eigene Wege und eröffnete eine neue Zeit, nach Mazarin.
Der König, seine Mutter und ihr regierender Minister sahen alles im Glanze, weil sich alles vor ihnen beugte. Die politischen Folgen und Zerstörungen der Fronde, die Demütigung der Seelen waren schlimmer als das greifbare und sichtliche Elend, das sie früher oder später unfehlbar steigern mussten.
Und so war die Rechnung, die Mazarins Sieg Frankreich gekostet hat, in jedem Sinn eine viel zu grosse.