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Fünftes Kapitel
Das Ende der Fronde

Dass in Paris mit Zustimmung des Parlaments tatsächlich eine Gegenregierung eingesetzt worden, das hatte auf den Hof einen sehr starken Eindruck gemacht. Die Schritte dagegen wurden mit Mazarins überlegener Klugheit getan. Alles was in Paris geschehen war, alle Beschlüsse und Ernennungen des Parlaments wie alle Verfügungen der neuen Regierung wurden vom Staatsrat aufgehoben; das Parlament selbst mit königlichem Dekret vom 31. Juli 1652 von Paris nach Pontoise verlegt. Der Generalprokurator, Nicolas Foucquet, hatte zu diesem Schritt geraten. Am 6. August wurde der Beschluss in beiden Städten verkündet; jedes Mitglied ausserdem durch ein besonderes Schreiben nach Pontoise berufen. Die Mehrzahl fügte sich nicht und beschloss mit zweiundfünfzig gegen siebenundvierzig Stimmen, dass alle, die nicht binnen zwanzig Tagen ihren Platz in Paris einnehmen würden, samt ihren Nachkommen aus den Listen gestrichen sein sollten. Es fanden sich aber fast alle Präsidenten, mehrere Pairs und Räte, im ganzen etwa dreissig, zu Pontoise ein; und schon dass Matthieu Molé an ihrer Spitze stand, gab ihnen trotz der geringen Zahl und trotz dem Spott der Hofleute Gewicht.

In seinem Schreiben an den König hatte der Herzog von Orléans es für sehr bedauerlich erklärt, dass wegen eines Mannes, eines Fremden, der dem allgemeinen Hass verfallen sei, das Reich an den Abgrund gebracht würde. Am 10. August richtete auch das Parlament von Pontoise an den König die Bitte, er möge den Minister, der dem Aufruhr den Vorwand gebe, entlassen. Mit vielen Entschuldigungen für einen so ausserordentlichen Schritt und unter Beteuerungen, dass ihnen nichts ferner liege, als das Recht der Krone, ihren Rat nach eigenem Ermessen zu wählen, antasten zu wollen, trug der Präsident von Novion, der einst anders gesprochen hatte, dem König die Bitte vor. Der König antwortete, er werde die Sache mit der Königin und im Conseil erwägen.

Sie waren sicher, mit ihrer Bitte nicht anzustossen. Der Generalprokurator, Mazarins Vertrauensmann, hatte den Antrag gestellt. Die Minister wussten, wie sie zu sprechen hatten, um den Majestäten wie ihrem Chef zu gefallen, und so war die Antwort des Königs zunächst ein Hymnus auf den Kardinal, seine Erfolge und Verdienste, seine Uneigennützigkeit, seine Treue, seinen Eifer. Dennoch sei niemand gleich ihm verfolgt, nicht sein Leben, nicht sein Gut, noch seine Ehre verschont worden. Solche Verfolgung der Unschuld könne Seine Majestät nicht dulden, und einem Kardinal der Kirche, seinem eigenen Paten und ersten Minister, nicht weigern, was dem letzten Untertan gewährt werden müsste. Darum sollte dieser Erlass – er ist vom 12. August 1652 – aller Welt bezeugen, wie zufrieden Seine Majestät mit den Diensten dieses Herrn Kardinals sei … und nur um den Rebellen jeden Vorwand zu nehmen, und die aufzuklären, die im Irrtum befangen sind, die strafen zu können, die in Bosheit und Eigensinn verharren würden, wolle sie ein zweites Mal dieses ausserordentliche Mittel versuchen und auf seine eigenen wiederholten, dringenden, seit langer Zeit gestellten Bitten heute in die Entfernung des besagten Kardinals willigen und sich der Dienste eines so treuen und gewissenhaften Ministers berauben.

Am 18. August gab Mazarin der königlichen Familie ein Abschiedsessen und begab sich dann, von Turenne selbst geleitet, über Château-Thierry nach Sedan, und von da nicht ohne Gefahr und Vorsicht, weil Reiter des Herzogs von Württemberg ihm auflauerten, nach Bouillon bei Lüttich im Gebiet des Kurfürsten von Köln, wo er während seines ersten Banns eine Weile Aufenthalt genommen hatte. Wenige Tage vor seiner Abreise war der Mann gestorben, der für ihn hätte eintreten, ihn vielleicht hätte ersetzen können: der Herzog von Bouillon war am 9. August einer ansteckenden Krankheit erlegen, die in Pontoise in den heissen Tagen ausgebrochen war und auch den Staatsekretär Brienne dem Tode nahe brachte. Mit stürzenden Tränen war Turenne durch das Städtchen an das Sterbebett seines Bruders geeilt. Ob der Tod des so fähigen und viel ehrenhafteren Staatsmannes ein Unglück für Mazarin war, wäre schwer zu sagen, vielleicht war es eines für Frankreich. Der unbedeutende Prinz Thomas wurde das Figuralhaupt des Ministeriums; zudem kam der Kanzler, froh, wieder in Gnaden aufgenommen zu werden, aus Paris und von seinem Sitz in der prinzlichen Gegenregierung an seinen Platz im Rat der Krone zurück.

Niemand nahm die Entlassung des Kardinals ernst. »Der Mazarin ist nur eine Marionette, die jetzt versinkt und demnächst wieder aufsteigen wird,« lässt Retz den Herrn von Fontenay-Mareuil sagen. In der Erwartung spanischer Hilfe und eines baldigen Sieges entschlossen die Prinzen sich nicht zur Demütigung. Am 6. September war der Lothringer wieder da; am 7. ritten seine Trompeter ein und bliesen ihre Fanfaren auf dem Pont Neuf; seine Truppen lagerten in Brie. »Gott schütze dich, Margot, du dachtest wohl nicht, mich so bald wiederzusehn!« sagte er zu seiner Schwester, als er im Luxembourg eintrat. Er ward scheel angesehen in Paris; es kam vor, dass die Leute »Werft ihn ins Wasser!« schrien, wenn er mit dem Herzog von Orléans vorüberfuhr. Vor Mademoiselle kniete er nieder und bekannte, das letztemal sei so viel verhandelt worden, dass er sich zuletzt nicht mehr ausgekannt, da sei er abgezogen: diesmal aber komme er in voller Aufrichtigkeit. Da man ihn brauchte musste man ihm glauben. Mademoiselle und die Damen besuchten das Lager; die Lothringer nähten auf ihre gelben Schärpen blaue Schnüre, die Mannschaft der Prinzen auf ihre blauen Schärpen gelbe Schnüre zum Zeichen der Verbrüderung. In der Tat hatte der Herzog die ganze Zeit hindurch auch mit Mazarin und dem Hof verhandelt, freilich nur in der Absicht, ihn zu betrügen, und Mazarin hatte mit gleicher Münze gezahlt.

Turenne war sofort nach Süden abmarschiert, um ihm den Weg nach Paris zu verlegen: er war überzeugt, der Herzog werde wiederum die Höhen von Villeneuve – Saint-Georges besetzen wollen, wo er das vorige Mal sein Lager gehabt. Dies war in der Tat seine Absicht, und um es ungestört tun zu können, liess er Turenne durch seinen Sekretär sagen, ein Waffenstillstand sei abgeschlossen, kein Teil möge sich vom Platze rühren. Aber der stämmige Marschall antwortete, hilflos im Ausdruck, aber militärisch grob und klar: »Die Versicherungen des Herrn von Lothringen und Nichts seien für ihn genau das gleiche,« und besetzte die Höhen gerade zwei Stunden, ehe die Lothringer eintrafen. Condé führte nun auch seine Truppen aus der Stadt, und er und der Herzog schlossen die königliche Armee ein und hofften sie in einer Schlacht zu vernichten.

In Paris aber gingen die Ereignisse, gleichsam ihrer natürlichen Schwerkraft folgend, weiter. Das Parlament sprach dem König für die Entlassung Mazarins seinen Dank aus und forderte die Prinzen auf, gemäss ihrem Angebot, Frieden zu machen. Die Bürgerschaft, aufs neue verbittert durch neue Verwüstungen, die die herangezogenen Truppen in der Umgegend verübten, und von geschickten Agenten geschickt bearbeitet, neigten immer mehr dem Hofe zu. »Die Prinzen sind sehr in der öffentlichen Meinung gesunken,« schreibt Dubuisson-Aubenay am 4. September in sein Tagebuch. Und nicht nur in der Meinung: am 1. September hatte der Marquis von Persan das Kastell von Montrond, ihren stärksten Waffenplatz in Frankreich, den einst Sully für sich befestigt und den der alte Prinz von Condé noch ausgebaut hatte, dem Grafen von Palluau übergeben müssen, der es seit einem Jahr belagert hielt.

Niemand glaubte mehr an die Fronde. Die Stimmung war bitter in den Kreisen der Prinzen, gehoben in denen der königlich Gesinnten. Eine allgemeine Amnestie, von der nur diejenigen ausgenommen wurden, die an den Morden im Rathaus und an den Attentaten vom 25. Juni schuldig wären, wurde in diesen Tagen durch Maueranschläge den Parisern kundgemacht und goss ein letztes Öl in die erregten oder aus Schuldbewusstsein fürchtenden Gemüter. Und obwohl wenige Meilen von der Stadt die beiden Heere einander gegenüberlagen, schien in Paris das Ende schon so nahe, so unzweifelhaft, dass es denen, die in der vordersten Reihe gestanden, an der Zeit schien, abzuschliessen und sich dem Hofe wertvoll zu machen.

Der alte Marquis von Châteauneuf hoffte von neuem: er schrieb an den Marschall von Villeroi und an die Königin selbst: er erbot sich, die Prinzen zu versöhnen und mit ihnen eine starke verlässliche Regierung zu bilden. Man dankte ihm und bemühte ihn nicht weiter.

Retz, der von der Kardinalswürde und den Folgen der begangenen Fehler gelähmt, sich selbst Zurückhaltung auferlegt hatte, war doch im Luxembourg und in der Stadt gegen den Prinzen tätig gewesen, hatte ihm und seinen Anhängern bei Monsieur durch kluge tückische Reden geschadet, indem er Monsieurs Angst und seine Eifersucht reizte und wach erhielt. Er war klug in den Mitteln, schädlich und bitter für seine Feinde, aber ohne alle wirkliche Weisheit vorgegangen. Von beiden Seiten war der Kampf der politischen Schriften erneuert worden, die wieder in tausenden von Exemplaren durch Paris verbreitet wurden; aber wenn »Die Missgeschicke des Herrn von Chavigny« den Verhöhnten vor Wut weinen machten, und die Schrift »Wahrheit und Irrtum über den Herrn Prinzen und den Kardinal von Retz« Condé selbst bedenklich stimmte, so war doch nichts als eine kleine persönliche Genugtuung für den Verfasser die Frucht. Dafür traf ihn der Hass der Partei, die das gefährliche, in ihrem Sold stehende Gesindel gegen ihn hetzte, und mehr als einmal entging er nur durch seine Unerschrockenheit und Geistesgegenwart einem peinlichen Schicksal. Als nach dem 2. Juli Condé mit seinen Regimentern in der Stadt selbst stand, ward ihm zwar nicht bange, denn Furcht war seinem Wesen fremd, aber er überlegte doch ernstlich, ob er nicht besser täte, Paris zu verlassen, und viele Freunde rieten ihm dazu. Er blieb jedoch; sein Freund Caumartin lieh dem Überschuldeten 10 000 Livres; dafür nahm er eine Leibgarde von 120 katholischen Herren aus England in Sold; die Bürgergarde der benachbarten Quartiere war für ihn; in den Türmen von Notre Dame waren Musketen, Bomben, Handgranaten in Magazinen aufgespeichert, alle Zugänge zur Insel bewacht; die ganze Gegend um die Kirche, das Kloster und den erzbischöflichen Palast war ein kleines Heerlager des künftigen Kirchenfürsten von Paris geworden.

Es hatte ihn in diesen Tagen noch ein Missgeschick betroffen, und obwohl er der Bitternis, die es hinterliess, nicht Wort haben will, verrät sie sich. Einer von Mazarins Geheimagenten in Paris, der Abbé Basile Foucquet, einer der verwegensten und gefährlichsten Menschen, von Ehrgeiz und Ränken ganz erfüllt und von nicht zu sättigenden Lüsten verzehrt, hatte ihn um die Liebesgunst des Fräulein von Chevreuse gebracht.

In diesen Tagen besann er sich, wie die ganze Stadt sich besann; in seinen Memoiren lässt er sich von verschiedenen wohlgesinnten Herren Reden halten und hält mit ihnen Rat: sie erwägen, was die Revolution Frankreich gekostet und was sie ihm gebracht: dass Gravelingen, Dünkirchen, Barcelona und Casale an die Spanier verloren gegangen, dass die Fahnen mit dem Kreuz des heiligen Andreas, die gelben Schärpen der Lothringer auf dem Pont-Neuf zu sehen gewesen, Frankreich durch Bürgerkrieg geteilt, Paris im Elend, die Vorstädte und das flache Land von Spaniern, Deutschen, Lothringern verwüstet, das Parlament zum Schatten geworden, das Rathaus eine Ruine, während der Mann, dem dieser sinnlose und verderbliche Kampf galt, zum Schein gegangen, in der Tat immer wiederkam und, vom Hof gehalten, mächtig blieb wie zuvor. Und Gondi entdeckte sein Herz: die Gesetze, das Staatswohl verlangen und gestatten, uns manchmal vom strengen Gehorsam zu entfernen; aber die königliche Autorität bleibt ein unverletzliches Heiligtum, ist es ihm immer geblieben.

In diesen Tagen, da die guten Bürger bereits Versammlungen halten, die Kaufmannschaft eine Deputation zum König schicken wollte, um ihn in seine gute Stadt Paris zurückzurufen, da hatte der Dekan des Kapitels von Notre Dame den Vorschlag gemacht, dass auch die Pariser Geistlichkeit eine Abordnung an Seine Majestät senden sollte; Joly machte den Koadjutor aufmerksam, der sich den Gedanken sogleich aneignete und sich an die Spitze der Bewegung stellte. Es war etwas anderes, etwas Besonderes, wenn Retz ging, nachdem er sich zuvor von den erwähnten Herren, dem Präsidenten von Lamoignon, dem Marquis von Fontenay-Mareuil, dem Ratsherrn de Sève zureden, von dem Karthäuser Dom Carrouges, den er in seiner Zelle aufsuchte, die Hoheit seiner Mission vor Augen führen lassen.

Als Vorwand der Reise, denn irgendeinen Schritt offen und gerade zu tun, war dem Mann und der Zeit kaum möglich, ward der Welt mitgeteilt, dass er das Kardinalsbarett aus den Händen des Königs empfangen wollte. Die Eingeweihten – ihre Zahl ist gross – wissen, dass er nach Compiègne geht, um den König mit seiner getreuen Stadt Paris zu versöhnen. All dies ist nun richtig, denn vor jener Zeremonie darf er das ersehnte Purpurkleid nicht anlegen; sein wahrer letzter Grund aber ist, als der allbeliebte künftige Erzbischof der Hauptstadt, als Gegner Condés und Berater Monsieurs, dem Hofe seine Wichtigkeit, seine Unentbehrlichkeit in diesem Augenblick zu erweisen; er, Retz, will der Versöhner, der Vermittler zwischen Hof und Volk sein: sein Weg nach Compiègne soll für den König der Weg nach Paris, für ihn der Weg ins Ministerium werden. Das weiss vielleicht nur er selbst und seine vertrautesten Berater, Joly und Caumartin. Aber Mazarin weiss es auch. Und er, der keinen Menschen so fürchtet wie Retz, sendet von Sedan warnende Briefe und Boten an die Königin.

Am 9. September zieht Retz, nachdem er vorher durch Joly und die Kurprinzessin mit dem Hofe sich verständigt – und man hat ihn kommen heissen – mit einer bunten feierlichen Schar aus den Toren, mit soviel Karossen, dass ihre Bespannung 112 Pferde erfordert, und in den Karossen die geistlichen Abgeordneten des Domkapitels, der Klöster, der Pfarrgeistlichkeit, der frommen Brüderschaften von Paris; dann kam ein persönliches Gefolge von zweihundert Edelleuten und fünfzig Garden Monsieurs zur Bedeckung. Am 10. erreichte er Compiègne, hatte noch am selben Abend eine Besprechung mit der Kurprinzessin, erhielt am nächsten Morgen von dem jungen König feierlich die Insignien und nahm die Glückwünsche des Hofes und seiner Freunde entgegen; am Nachmittag desselben Tages wurde er als Sprecher der geistlichen Deputationen empfangen. »Sire«, begann er, »alle Untertanen haben das Recht Eurer Majestät ihre Wünsche zu unterbreiten, aber nur die Kirche hat das Recht und die Pflicht, Eure Majestät an Ihre Pflichten zu erinnern … Wir kommen denn als die Diener am Wort und verkünden Eurer Majestät das Evangelium des Friedens …« und so sprach er von der Kirche von Paris, von dem Elend des Landes, von der guten Gesinnung der Stadt; er erinnerte daran, wie sein Vorfahr, der Kardinal von Gondi einst mit Heinrich IV. für den Frieden mit seinem Volke und der Kirche verhandelte; er hatte die Kühnheit, sich mit dem Bischof Ambrosius von Mailand zu vergleichen, der den römischen Kaiser zurechtwies. Es war eine schöne Rede, aber der König wusste, dass alles nur Wortgepränge und ein Vorhang für andere, ihm nicht genehme Pläne war, und er antwortete mit huldvollen und allgemeinen Worten.

Am Abend hatte Retz eine geheime Audienz bei der Königin und noch in derselben Nacht eine Konferenz mit Le Tellier und Servien: in der Wohnung der Kurprinzessin machte der kleine Kardinal, von Erwartungen brennend, dem alten, einäugigen, trockenen Minister und dem glatten, kühlen, gefährlichen Staatsekretär seine Anträge, und bekam auch von ihnen liebenswürdige und unverbindliche Antworten zu hören.

Er barg seine grausame Enttäuschung unter vermehrter äusserlicher Pracht, hielt auf der ganzen Reise »sieben gedeckte Tafeln, die allein ihn im Tag achthundert Taler kosteten,« und suchte sich mit dem lauten Beifall zu betäuben, den seine an allen Strassenecken angeschlagene Rede in Paris fand. Er war das Opfer der Komödie, die er selbst aufgeführt, und hatte die prunkvolle Ausstattung zu bezahlen. Die Pariser wünschten den Frieden, darum lobten sie seine Rede; aber die Männer, die die Gegenrevolution organisierten, der Kanonikus Le Prévost und verschiedene Bürger der Stadt, auch eine Dame, Fräulein Guérin, der Pater Faure, – ehe dieser zum Bischof von Glandèves ernannt worden war, – vor allem aber ein geschickter Mönch, der Pater Berthod, arbeiteten nicht mit ihm, sondern für Mazarin. Es galt, wie immer, neue Menschen auf den Plan zu bringen, einen Teil derer, die in der bewegten oder gleichgültigen Menge gewesen, zu Bewegern zu machen. Und sie arbeiteten geschickt unter den Kaufleuten und Handwerkern, den Schiffsführern, unter den Weibern vor allem, mit Reden von Mund zu Mund, mit Geld und mit Maueranschlägen. Die Ankunft des Lothringers hatte ihr Werk gestört, aber, da die Unzufriedenheit nur wuchs, kamen sie bald wieder vorwärts. Eifrige Frondeure, wie der Präsident Charton, hatten die Fronde satt und erklärten sich für den Hof.

Als sie so weit waren, beriefen sie für den 24. September eine Volksversammlung ins Palais Royal; Berthod gibt die Zahl der Erschienenen auf viertausend an, andere berichten nur von vier- bis fünfhundert; der Domherr Le Prévost führte den Vorsitz; er verlas einen königlichen Befehl, in dem die Bürger aufgefordert wurden, die Aufständischen zu ergreifen oder zu verjagen: ein Blatt lag zur Unterschrift auf: die meisten der Anwesenden verpflichteten sich, den Befehl auszuführen. Die Anhänger des Koadjutors machten wohl einen Versuch, ihn zum Führer der Bewegung vorzuschlagen, aber sie hatten keinen Erfolg. Niemand wagte, die Versammlung ernstlich zu stören.

Das Rathaus trat auf die Seite der Bürgerschaft; der alte Broussel musste seine Demission geben; die Bürgergarde übernahm die Wache, dass kein Soldat der Prinzen die Stadt wieder beträte. Umsonst verbot das Parlament die ungesetzlichen Versammlungen, umsonst liess Monsieur die Schöffen und Gemeinderäte in den Luxembourg kommen und hielt ihnen eine Strafrede: schon waren Abordnungen des Rathauses und der Handwerkerinnungen an den König geschickt; schon sah man überall weisse Bänder oder Papierkokarden als Abzeichen der guten Gesinnung; vergeblich rief Mademoiselle vorüberfahrend aus ihrem Wagen: »Nieder mit dem Papier! Es lebe das Stroh!«; man hörte nicht auf sie, man lachte oder drohte. Zwei Monate vorher war es gefährlich gewesen, sich ohne stroherne Kokarden zu zeigen, jetzt wurden Leute geprügelt, die kein Papier trugen; die Garden des Herzogs von Beaufort wurden, als sie durch eine Strasse marschierten, gezwungen, aus ihren Hüten auf die Gesundheit des Königs zu trinken.

»Nur die Franzosen können so schnell vom Äussersten in sein Gegenteil verfallen,« schrieb der Pater Berthod, der selbst so viel zu dieser Wandlung beigetragen hatte, und der Graf Priorato druckt in seiner Geschichte des Ministeriums Mazarin an dieser Stelle die Bemerkung an den Rand: »Das Volk ist eine Herde: wenn ein oder zwei anfangen, laufen die andern nach.«

Die Prinzen konnten mit Gewalt nicht eingreifen, weil sie nur den Hass dadurch gemehrt hätten: durch die Brutalitäten, die Plünderungen ihrer Truppen, die Not, die folgte, war ihnen Paris entfremdet worden. Noch konnten sie hoffen, draussen in der Landschaft durch den Sieg ihrer Waffen alles zu wenden, da sie Turenne und seine Armee seit Wochen mit grosser Übermacht eingeschlossen hielten. Aber Turennes Stellungen auf den Hügeln von Villeneuve-Saint-Georges waren stets solche, dass kein Angriff darauf möglich schien, zumal da Condé in Paris an einer Malaria krank lag, die er sich einst im Süden geholt hatte. Und als seiner Armee die Nahrungsmittel ausgingen, da auf den vom Herbstregen durchweichten Wegen die Zufuhr an den Fluss, über den ihm der Proviant gebracht wurde, kaum mehr durchzuführen war, rückte Turenne in der Nacht vom 4. auf den 5. Oktober, während er die Feinde durch weit ausgedehnte Feuer und kleine Abteilungen, die einen grossen Lärm machten, täuschte, heimlich ab, setzte auf einer rasch geschlagenen Schiffbrücke über die Seine und brachte seine Armee nach Corbeil in Sicherheit. Condé tobte: »Man muss Tavannes und Vallon aufzäumen, denn das sind ja Esel!« schrie er.

In diesen selben Tagen, da er kraftlos und in schlimmer Laune zu Bette lag, war ihm ein aufgefangener Brief des Abbé Foucquet an Mazarin gebracht worden, aus dem er erfuhr, dass wie Châteauneuf und Retz auch Chavigny sich – offenbar in der gleichen Illusion wie jene – dem Hof angetragen und erboten hatte, wenn der Prinz bei seinen unerfüllbaren Forderungen bleiben sollte, den Frieden ohne Rücksicht auf ihn herbeizuführen. Condé liess den »Verräter« an sein Bett rufen und sagte ihm seine Meinung mit all der brutalen, durch das Fieber gesteigerten Wut, die ihn so leicht ergriff. Chavigny war schon lange kein gesunder Mensch mehr: er hatte begonnen, zu stark zu werden; darum hatte er seit einiger Zeit nach den Vorschriften eines venetianischen Arztes aus dem sechzehnten Jahrhundert, Luigi Cornaro, zu leben beschlossen und die Nahrung auf das allergeringste Mass beschränkt. Aber er hatte nicht die Ruhe gehalten, die Cornaro zugleich vorschrieb. So war er vollkommen abgemagert und erschöpft, der Arbeit und den Aufregungen der Tage nicht mehr gewachsen; dies letzte bittere Erlebnis vernichtete ihn. Als er, von den Worten des Prinzen schwer getroffen, in sein Haus zurückkam, legte er sich selbst zu Bett. Den Ärzten schien seine Krankheit bedeutungslos, aber er starb nach wenigen Tagen, am 11. Oktober 1652, erst vierundvierzig Jahre alt. Von Reue ergriffen, kam der Prinz, der indessen genesen war, den alten Freund noch einmal zu besuchen; er fand ihn schon bewusstlos, sah ihn an und schien bewegt, aber zuletzt zog er ein Gesicht, sagte: »Er sieht verteufelt hässlich aus!« und ging.

Einst auf seinen ersten Reisen nach Paris und später wieder, ehe er ein eigenes Haus in der Stadt hatte, war Giulio Mazarini Chavignys Gast gewesen und hatte sein Zimmer im Hotel Saint Paul in der Rue du Roi de Sicile gehabt. »Signor Giulio« war der liebenswürdige junge Italiener im Hause Le Bouthilier genannt worden und er selbst hatte Chavignys Mutter, Madame Le Bouthilier gleichfalls »Mütterchen« angeredet. So herzlich hatten sie sich den Verdränger und Feind herangezogen; darum hatte Chavigny auch später einmal wütend an Mazarin geschrieben: »Sie wissen, was ich sagen kann, dass ich Ihre Kindheit kenne, Ihre Anfänge, Ihren Dienst beim Kardinal Antonio, und was Sie dort getrieben, dass ich weiss, was Sie in französische Dienste geführt hat, und wie Sie hier selbst in gleichgültigen Angelegenheiten sich verhalten haben. Zwingen Sie mich nicht, Ihr Geschichtschreiber zu werden und den Menschen zu entdecken, was Sie vor Gott gern verbergen würden …!«

Mazarin wusste jetzt den einstigen Freund noch im Tode auszunützen; er sah sich nicht nur von einem gefährlichen Gegner befreit: Chavigny war Gouverneur von Vincennes gewesen, und Mazarin nahm die Stelle für sich, die ihm ein herrliches Schloss zum Aufenthalt bot, das zugleich eine Festung und eine Schatzkammer war. Colbert hatte ihn darauf aufmerksam gemacht; mit den weisen Worten: »Euer Eminenz müssen einen sichern Platz für Ihr Geld haben; denn man kann mancher Person 60 000 Livres anvertrauen, der man 200 000 nicht mehr überlassen kann.«

Die Armee der Prinzen konnte in der Nähe von Paris nur noch eines erreichen: die Pariser noch wütender zu machen, denn sie hauste furchtbar. An dem Tage, an dem Chavigny starb, wäre der Herzog von Lothringen in einer Strasse beinahe vom Pöbel erschlagen worden, wenn nicht gerade ein Geistlicher mit dem Sakrament vorüber gekommen wäre, hinter dem er mit gezogenem Hut und betend folgte, worauf man von ihm abliess. Am 12. Oktober drängte das Parlament selbst auf den Abmarsch der Truppen, und Gaston ordnete ihn an. Condé verliess Paris »mit einer Freude, die man sich nicht vorstellen kann«, sagt Retz. Er hatte sich in der letzten Zeit sehr unglücklich gefühlt. »Wir gehen gerne,« sagte er zu Mademoiselle, »wir wollen versuchen, solange das Wetter schön ist, noch etwas zu machen. Wenn die Truppen in den Winterquartieren sind, kommen wir wieder zu den Bällen und zum Theater! Man hat schrecklich viel Plage; man muss auch etwas Vergnügen haben!« Mademoiselle war recht traurig. »Es war so schön gewesen, die grosse Allee in den Tuilerien voll eleganter Leute zu sehen, denn die Hoftrauer war zu Ende und es war die Jahreszeit, in der alle neue Winterkleider angeschafft hatten. Der Herr Prinz hatte einen besonders schönen Anzug, schwarz in grau, mit feuerfarbenen Schleifen und gold- und silbergestickter Verschnürung, einer blauen Schärpe, die er auf deutsche Art trug, und einen Leibrock, den er nicht zuknöpfte. Ich gestehe, dass ich beim Abschied weinte. Es war sehr langweilig, als die Herren fort waren.«

Sie hat auch Worte tiefer Sorge um die Unterhaltung des nächsten Winters, und man müsste über die Kindlichkeit lächeln, mit der sie an einer andern Stelle ihrer Memoiren schreibt: »Die Beweggründe fürstlicher Personen müssen der gemeinen Menge immer ein Mysterium sein,« hätte diese fürstliche Auffassung des Lebens und der Politik die Menschen nicht soviel Jammer und Blut gekostet.

Am nächsten Tag musste auch Beaufort seine Stelle als Gouverneur von Paris niederlegen, die der alte de l'Hopitâl wieder übernehme, und acht Tage nachdem der Prinz mit seinem Gefolge aus den Toren geritten war, hielt der Hof seinen Einzug. Nach der Meinung des Pater Berthod hätte er schon am zweiten kommen können; er und seine Freunde hatten einen Plan gefasst, sich der Bastille des Arsenals zu bemächtigen, das Palais Royal durch Barrikaden zu sichern, »man hätte den Herrn Prinzen gefangen nehmen können.« Offenbar gab man zu Saint-Germain mehr auf seinen Eifer und sein Wirken als auf seine Strategik, und man wollte alles Blutvergiessen in der Stadt vermeiden. Die Gendarmen und die Chevaulegers der Garde hatten schon einige Tage vorher die königlichen Schlösser besetzt. Im Louvre, der fester und sicherer erschien als das Palais Royal, wollte der Hof hinfort wohnen. In den westlichen Vororten wurden die französische Garde und die Schweizer einquartiert; die Tore von Paris wurden militärisch besetzt. Noch am Tage des Einzugs selbst, am 21., schwankte man, und auf der Brücke von Saint-Cloud wurde in der königlichen Karosse ein kurzer Kriegsrat gehalten, ob man es wagen wollte, da Monsieur noch immer in Paris war. Turenne war dafür und entschied.

Der König hatte seinen Oheim in diesen acht Tagen wiederholt auffordern lassen, sich aus Paris zu entfernen, und je nach den Schwankungen seines eignen bedrückten und geängsteten Gemüts, und je nachdem ihm seine Umgebung zuredete, wollte er bald nachgeben und gehorchen; bald, wenn Châteauneuf und Retz, die Zurückgewiesenen, ihm versicherten, auf einen Befehl von ihm würden neue Barrikaden entstehen, prahlte er wieder: »er werde die Spanierin noch tanzen lassen!«, um zuletzt, als der Herzog von Damville im Auftrag des Königs eine schriftliche Erklärung fordern kam, demütig zu erwidern: »er habe nur einen leidenschaftlichen Wunsch: den vollkommensten Gehorsam zu zeigen, und werde sich am 22. nach Limours zurückziehen!«

Mademoiselle hatte den Befehl erhalten, die Tuilerien zu räumen. Sie wollte nach dem Luxembourg übersiedeln, aber ihr Vater erklärte ihr, er habe keinen Platz für sie. Als sie ihn fragte, wohin sie gehen sollte? antwortete er: »Wohin Sie wollen!« Böse hielt er ihr vor, was sie zu Orléans und was sie am Tage von Saint-Antoine getan hatte; »seinem Rat hätte sie nicht gefolgt, nun möge sie es ausbaden!« Sie fuhr zu ihrer Hofdame, der Gräfin Fiesco, aber deren Mutter sagte: »Ich bin eine alte kränkliche Frau, ich will mich nicht mit dem Hof verfeinden; adieu, ich gehe in mein Zimmer, ich will von nichts gewusst haben.« Die Prinzessin fuhr wieder fort; eine Frau von Monmort, die Gattin eines Finanzmanns und Schwägerin einer andern ihrer Damen, nahm sie auf. Da man sie gewarnt hatte, dass sie verhaftet werden könnte, verliess sie am nächsten Morgen mit ihrem Sekretär, einer Dame und Dienerschaft, vom Grafen Hohenlohe geführt, Paris. Frau von Monmort hatte ihr eine grosse Reisekutsche zur Verfügung gestellt.

Indessen war der König am Abend des 21. Oktober bei Fackelschein unter unendlichem Jubel des Volkes in Paris eingezogen. In der Rue Saint-Honoré konnten die Garden, die an der Strassenseite gereiht standen, die begeisterte Menge kaum von dem Wagen zurückhalten, in dem Ludwig XIV. mit Karl Stuart von England und dem Prinzen Thomas von Carignan sass. Der ganze Adel erschien im Louvre, ihn zu begrüssen. Der Kardinal von Retz stand drei Stunden wartend in der Gesellschaft seiner Verwandten, der Herzogin von Lesdiguières. Turenne, der sich zu ihnen gesellt hatte, fragte ihn, ob er sich denn sicher glaubte. Er antwortete laut: »Ja, und in jedem Sinn!« In der Tat empfing ihn die Königin sehr liebenswürdig und hiess den König ihn umarmen, als den Mann, dem »er seine Rückkehr nach Paris vor allem verdanke!« In der Stadt verbreitete sich das Gerücht, er würde ins Ministerium berufen werden.

Für den folgenden Tag hatte der König das Parlament zu einem Lit de Justice in den Louvre befohlen. Der ungewöhnliche Fall erregte grosse formelle Bedenken; aber jeder fand es besser sich zu fügen und auch eine Auslegung, die es juristisch möglich machte. In einer Galerie des Louvre eröffnete der Kanzler die Sitzung; um neun Uhr erschien der König; der Kanzler und der Siegelbewahrer begrüssten ihn im Namen der Körperschaft: sie sprachen von dem Unglück, das die Völker treffe, die sich gegen ihren rechtmässigen Herrn auflehnten, von dem Glück, das der Lohn des Gehorsams sei. Dann wurde die Amnestie für alle verkündet, die binnen drei Tagen vor einem königlichen Richter erklären würden, dass sie sich vom Aufstande lossagten; alle politischen Beschlüsse des Pariser Parlaments seit dem Februar l65l, also seitdem Mazarin hatte fliehen müssen, wurden für nichtig erklärt, die Herzöge von Beaufort und Rohan, sowie einige andere Herren, mehrere Präsidenten und Räte, die sich an der Fronde besonders beteiligt und nicht nach Pontoise gekommen waren, wurden aus Paris verbannt, und dem Parlament für immer untersagt, sich um politische oder finanzielle Angelegenheiten zu bekümmern. Die königlichen Erklärungen wurden mit schweigendem Gehorsam angenommen: dies war das Ende der parlamentarischen, der verfassungsrechtlichen Fronde.

Unter den Verbannten befand sich auch der Mann, der die Bewegung vor dem Volk am meisten verkörpert hatte, der alte Broussel. Aber er verliess die Stadt nicht. Er erklärte, er habe nicht gleich den andern ein Landhaus, nach dem er sich begeben könnte; wolle der Hof sein Leben, so käme es ihm bei seinem Alter auf ein Jahr mehr oder weniger nicht an; zudem fühle er sich nicht schuldig und fürchte nichts, und er wünsche in Paris zu sterben. Er hielt sich mehr oder minder verborgen und lebte unauffällig, und der Hof wollte seine Anwesenheit nicht merken, um jede gehässige Strenge zu vermeiden, die Mazarins Absichten widersprochen hätte.

Einige Damen wurden noch aus der Stadt gewiesen, die sich besonders unruhig gezeigt hatten; sonst geschah nichts.

Am 26. Oktober rief der König Mazarin in einem Schreiben zurück, in dem er das dringendste Bedürfnis nach seinem bewährten Rat bei den Regierungsgeschäften, die grösste persönliche Ungeduld nach seinem Kommen aussprach, ihn jedoch zugleich bat, vor allem auf seine persönliche Sicherheit bedacht zu sein, da die Heimreise ihn durch feindliches oder aufständisches Gebiet führen musste.

Der Kardinal, der bei dem Einzug gerne gegenwärtig gewesen wäre und seinen Triumph genossen hätte, fand jetzt zunächst an den Grenzen Wichtigeres zu tun. Er hatte gesiegt und alle seine Gegner waren ihm erlegen. Chavigny war tot; Châteauneuf wurde nach Montrouge verbannt und starb ein Jahr später, durch die Enttäuschung verbittert und gebrochen. Nur der gefährlichste von allen, und den er am meisten fürchtete, Retz, schien noch aufrecht, im Purpur, beliebt und hoffnungsvoll. Und er gab seinen Hoffnungen wie seinem Machtgefühl Ausdruck. Er suchte sich in jeder Weise zu zeigen: die Königin pflegte alljährlich an einem bestimmten Tage in der Kirche Saint-Jacques de la Boucherie die Predigt zu hören; Retz bewarb sich darum, sie an diesem Tage zu halten, und die Brüderschaft des heiligen Carl Borromäus, die den Gottesdienst veranstaltete, setzte es, da sie sich geehrt fühlte, gegen den Widerstand des Pfarrers durch. Aber die Königin kam nicht. Am 1. Dezember predigte er zu Saint-Germain l'Auxerrois, gegenüber dem Louvre, vor der königlichen Familie, schmeichelte sich vermutlich mit der Wirkung seiner Beredsamkeit, aber die Predigt wurde »kühn« gefunden und das konnte bei Hofe keine Gunst bringen. Mazarin, der am 18. Oktober noch geschrieben hatte: »Doktoren ohne Geist – nach dem Chiffernschlüssel: ›Retz ohne die Chevreuse‹ – sind nicht gefährlich!« fürchtete ihn dennoch so, dass er in jedem Brief auf ihn zurückkam. Und da Retz durch Turenne und durch die Kurprinzessin scheinbar oder wirklich eine Versöhnung mit ihm suchte, und Mazarin immer die sanften Mittel bevorzugte, so liess er ihm den Ausweg bieten, auf dem man ein Jahr früher ihn selbst hatte beseitigen wollen: Retz sollte als französischer Gesandter nach Rom gehen; und da man wusste, wie gross seine Geldverlegenheiten waren, wurde ihm ein Gehalt von 150 000 Livres jährlich, weitere 50 000 Livres für seine Einrichtung in Rom und 100 000 Livres zur Bezahlung der dringendsten Schulden angeboten. Der kluge Caumartin und Guy Joly rieten ihm, sich in dieser ehrenvollen Weise aus unhaltbarer Lage zurückzuziehen und sich für künftige Gelegenheiten zu wahren; schon nach drei Jahren sollte ihm die Rückkehr nach Paris freistehen. Aber sein Vetter, der Herzog von Brissac und andere Herren verlangten, dass er sie nicht im Stiche lasse. Gondi war immer ein verlässlicher Freund gewesen; es war eine seiner besten Eigenschaften, und er tat sich etwas darauf zugute. Er forderte für Brissac und zwei andere Herren Statthalterschaften, für geistliche Freunde Pfründen, forderte die Ernennung Caumartins zum Staatsekretär. Das war Wahnsinn. Er wollte sich dem Hofe aufdrängen und machte sich zugleich unannehmbar und gefährlich. Man hatte schwere Beweise gegen ihn in Händen. Der Herzog von Orléans hatte, erbärmlich bis zuletzt, um möglichst gut aus der Sache herauszukommen, alle seine Freunde preisgegeben, und dem Hof mitgeteilt, dass Retz und Châteauneuf ihn noch am letzten Tag, als der König bereits einzog, zum Widerstand in Waffen aufgefordert hatten. Aus aufgefangenen Briefen ging hervor, dass Retz auch wieder mit Condé geheime Unterhandlungen führte. Immer noch waren die Kirche von Notre Dame und das Kloster und der erzbischöfliche Palast waffenstarrende feindliche Festungen mitten in Paris. Die Minister beschlossen, gegen ihn vorzugehen. Er selbst täuschte sich vollkommen über seine Stellung, und da Caumartin um diese Zeit nach Poitou reiste, um sich zu verheiraten, verlor er den besten Ratgeber. Seine Freundin, die Kurprinzessin, bestellte ihn zu Joly und riet ihm noch einmal dringend, das Angebot des Hofes anzunehmen und nach Rom zu gehen. »Was habe ich denn hier zu fürchten?« sagte er. »Alles, selbst den Tod!« sagte die Prinzessin aufstehend. Aber er glaubte es nicht. Auch von anderer Seite wurde er gewarnt, und als der Hof in diesen Tagen eine Spazierfahrt nach den Gärten von Rambouillet vor Saint-Antoine machte, kam er mit einem Gefolge von 200 Edelleuten hin, aus Vorsicht zweifellos, aber mehr noch aus Liebe zum grossartigen Auftreten und zur Demonstration. Mehr brauchte es nicht. Der Abbé Foucquet, sein persönlicher Feind aus vielen Gründen, und ein Mann, den kein Auftrag schreckte, erhielt den, sich seiner zu versichern. Da ein Angriff auf seine Wohnung schwierig und nur mit grossem Aufsehen und Blutvergiessen möglich gewesen wäre, so wollte der Abbé ihn bei einem Besuch im Hotel de Lesdiguières, in das er fast täglich kam, und dessen Eingang in einer kleinen Gasse beim Arsenal lag, festnehmen und von dort nach der Bastille bringen lassen. Joly behauptet, der Abbé hätte ihn am liebsten ermorden lassen und der Königin versichert, sie könne sich auf ihn verlassen, dass es heimlich genug geschehen würde, aber weder die Königin noch Mazarin hätten das gewollt. Dagegen wurden ihm der Kapitän im Garderegiment du Pradel mit mehreren Offizieren – Pompadour, Rubentel, Magalotti – für die Verhaftung zur Verfügung gestellt. In dem Haftbefehl, der noch vorhanden sein soll, wurde der Kapitän angewiesen, den Kardinal »lebend oder tot« in seine Gewalt zu bringen.

Siehe Bildunterschrift

Turenne,
Porträt von Philippe de Champagne; Stich von Nanteuil im Berliner Kupferstichkabinett.

Da erschien Retz unerwartet am 19. Dezember im Louvre. Die Herzogin von Lesdiguières hatte es ihm geraten: er sollte durch den Besuch den Verdacht zerstreuen. Es scheint, dass auch sie im Einverständnis mit dem Hof war und Retz preisgab. Sowie der König ihn eintreten sah, hiess er, ohne sich durch eine Miene zu verraten, den diensttuenden Gardekapitän Marquis von Villequier rufen. Inzwischen empfing er den Kardinal mit lachendem Gesicht, während die Königin sagte: »Oh, Herr Kardinal, man sagte, Sie wären krank gewesen; man sieht es auch an Ihrem Gesicht, – aber gar so schlimm wird es nicht gewesen sein?!« Retz war in diesem Augenblick totenbleich geworden. Der König aber sprach heiter von einer Komödie, die er aufführen lassen wollte; indessen war Villequier eingetreten; der König winkte ihn heran, flüsterte ihm ein paar Worte ins Ohr und fügte laut hinzu: »Vor allem darf niemand auf der Bühne sein!« Eben kam sein Beichtvater, der Pater Paulin, der einst im Clermont-Gymnasium Gondis Lehrer in der Rhetorik gewesen war, um zu sagen, dass die Messe beginne. Der König lud den Kardinal ein, sie mit ihm zu hören; dieser liess auch seinen Betschemel in die Kapelle tragen; aber irgendeine Unruhe hatte ihn ergriffen, und er verabschiedete sich plötzlich. Als er den Vorsaal durchschritt, wurde er verhaftet.

Mit so kaltblütiger Sicherheit hatte der junge Ludwig XIV. die Szene gespielt, so rasch seinen Entschluss gefasst und ausgeführt … »Oh, Gott, war ich erstaunt« schrieb der Pater Paulin an Mazarin. »Was sagt Eure Eminenz zu solcher Weisheit?«

Das war um elf Uhr vormittag gewesen; Retz speiste noch mit dem Marquis von Villequier in dessen Zimmern; um drei Uhr nachmittag führte der Graf von Miossens, wie vor drei Jahren die Prinzen, jetzt ihn auf dem gleichen Wege und unter sehr starker Bedeckung nach Vincennes. An den Toren, die passiert wurden, standen Abteilungen der Schweizer mit gesenkten Spiessen. Aber nichts rührte sich in Paris. Es scheint, dass die Fleischermeister einen Augenblick an eine Revolte für den volkstümlichen Prälaten dachten, aber man stellte ihnen die Hoffnungslosigkeit vor Augen: auf den Brücken von Notre Dame und Saint-Michel fand Retz' Stallmeister Malclerc »die Frauen in Tränen, die Männer erschreckt und tatenlos«. Es gab auch Leute, die sagten, »der König hätte sehr wohl getan, nur müsse er nun auch noch den andern Kardinal einsperren!«

Man fürchtete und überschätzte die Anhänger des Verhafteten. Der Herzog von Brissac und einige andere seiner Freunde wurden aus der Stadt gewiesen; Joly verbarg sich; Caumartin wurde nicht behelligt. Auch der greise Vater des Kardinals, der einstige General der Galeeren, Emanuel von Gondi, der seit vielen Jahren als Mönch im Seminar der Oratorianer lebte, erhielt, so ungefährlich der fromme Mann war, den Befehl, Paris zu verlassen. Sein Oheim, der Erzbischof, war vom Hofe sogleich verständigt worden; der kranke, ängstliche alte Mann brach in Tränen aus: »dass sein Neffe so unglücklich sein musste, den König zu erzürnen«; in der Tat war er auf diesen Neffen immer eifersüchtig gewesen und hatte ihn nie leiden können: er hinderte jetzt durch seine Haltung, dass Wirksames für ihn getan wurde. Denn das Kapitel und die Pfarrgeistlichkeit waren in grosser Aufregung. Vierzigstündige Gebete wurden in Notre Dame für die Freiheit ihres Koadjutors angeordnet; durch drei Tage ward das Sakrament auf dem Hochaltar ausgestellt; der Wunsch des Hofs, dass so aufsehenerregende Feierlichkeiten nicht fortgesetzt würden, blieb unberücksichtigt. Die Gekränkten forderten vielmehr, dass das Interdikt über Paris verhängt würde, aber sie brachten den Erzbischof nicht dazu, seine Einwilligung zu geben. Einige Pfarrer wollten mit all ihren Gemeindemitgliedern in grosser Prozession nach dem Louvre ziehen, um die Freiheit des Kardinals zu erbitten. Es blieb bei Deputationen; auch die Universität schickte eine solche; der König antwortete, die Verhaftung sei im Interesse des Staatswohls und der öffentlichen Ruhe nötig gewesen, und man beugte sich. Aber noch lange wurde täglich in Notre Dame nach dem Gottesdienst ein Trauerpsalm gesungen und ein Gebet für die Befreiung des Koadjutors der Diözese gesprochen.

»Es ist zu befürchten, dass der Papst Lärm macht, und wäre es nur um Ew. Eminenz zu ärgern,« schrieb der Bischof von Coutances in diesen Tagen an Mazarin. Die Beziehungen zur Kurie waren damals besonders gespannte, weil die französische Regierung eben um die Abberufung des Nuntius Bagni ersucht hatte und auch den neu ernannten Nuntius Corsini, der ebenso missliebig erschien, nicht annahm und ihm in Lyon die Weiterreise untersagt hatte. Sowohl die Regierung als die Freunde des Verhafteten hatten sogleich Kuriere nach Rom geschickt, die einen, um sich zu rechtfertigen, die andern, sich zu beklagen. Um manchem zuvorzukommen, hatte Mazarin, selbst als Kirchenfürst scheinbar mitgetroffen, während er in eifrigem Briefwechsel mit Le Tellier alle Schlösser Frankreichs in Erwägung zog, da keines ihm als Kerker seines Todfeinds sicher genug schien, an den König einen Brief geschrieben, in dem er jeden Anteil an diesem Schritt von sich wies und sich aufs wärmste für die Freilassung des Verhafteten verwendete. Dieser Brief wurde veröffentlicht, und wenn er irgend jemanden täuschte, den Vatikan täuschte er nicht. Der Papst berief Kardinäle und befragte Kongregationen; der Präzedenzfall des Wiener Kardinals Klesel wurde erörtert, der auf Schloss Ambras gefangen gesessen und dessen Freilassung die Kurie gefordert und erreicht hatte; der Monsignor Marini wurde als Kommissar nach Frankreich geschickt, um die Anklagen gegen den Kardinal von Retz zu hören und die Verweisung des Prozesses an das geistliche Gericht zu verlangen. Aber auch ihm wurde an der französischen Grenze der Eintritt verweigert, und der Papst, »um seine Autorität nicht blosszustellen«, verfolgte diesen Weg nicht weiter. Als Anfang März des folgenden Jahres der Nuntius Bagni Vorstellungen wegen der Gefangenschaft des Kardinals von Retz machte, da fragte ihn die Königin, warum, als ein Jahr vorher der Kardinal Mazarin geächtet, ein Preis auf seinen Kopf gesetzt worden, die Kurie keinen Schritt für ihn getan hätte, und der Nuntius vermochte nichts zu erwidern.

Was Mazarin, nachdem er seinen letzten Feind besiegt, noch länger fernhielt, ist nicht ganz klar; vielleicht fürchtete er die Gehässigkeit eines sofortigen Triumphs. Condé hatte in diesen Monaten die Champagne furchtbar verwüstet und mehrere feste Plätze eingenommen. »Wenn man nur Geld hätte!« jammerte Mazarin in seinen Briefen, »Wenn der Oberintendant von soviel Millionen in der Luft uns nur ein Teilchen wirklich geschickt hätte!« Munition, Mannschaft, Nahrung, alles fehlte. Es gelang seiner Energie, seiner Begabung, das kleine königliche Heer von Sedan aus zu verstärken, und Turenne und La Ferté vermochten Condé einige jener Festungen wieder abzunehmen.

Die ganze Zeit hindurch riefen ihn die Minister inständigst aus politischen, die Königin aus Liebesgründen nach Paris. »Wenn man jemandem gut ist,« schrieb sie, »so ist der Anblick derjenigen, die man liebt, doch nicht unangenehm, und wäre es nur für wenige Stunden. Ich fürchte, Ihre Liebe zur Armee ist grösser als jede andere!« »Wenn 16 wüsste, was ich leide, er wäre gerührt!« »Sie verkünden mir Ihre nahe Ankunft, aber ich glaube nicht mehr daran: ich bin schon zu oft getäuscht worden!« Colbert schrieb ihm, die Königin selber richte seine Zimmer im Louvre für ihn ein; gleichzeitig fragte er, was mit Mazarins eigenem Hause geschehen sollte, das noch immer verwüstet und leer stand, ob er »Schlösser, Scheiben und anderes sollte machen lassen, damit es bewohnbar würde?«

Sah er sich so an die böse Zeit erinnert, so mochte ihn sein Einzug am 3. Februar 1653 entschädigen. Der König selbst fuhr ihm bei strömendem Regen durch tiefen Kot drei Meilen weit bis Mesnil-Madame-Rance entgegen und führte ihn in seinem Wagen in die Stadt, in der er mit Jubel empfangen wurde. Am Abend wurde ein Feuerwerk abgebrannt, während der König seinem heimgekehrten Minister im Louvre ein Festessen gab, bei dem er auch den Nichten des Kardinals, die mit ihm zurückgekommen waren, »viel Schönes sagte«.


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