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Als er sieben Jahre alt war, sagte seine Mutter eines Tages, sie wolle mit ihm über die Bucht fahren. In dem Hause, das er da in der Ferne auf dem Deiche sähe, wohne ein kleines Mädchen, das wäre gerade so alt wie er. Er ging mit seinen aufmerksamen, ein wenig ängstlich verwunderten Augen neben der Mutter nach dem Bollwerk hinunter, die Hand nach seiner Gewohnheit fest in ihrem Rock. Eine frische Brise wehte ihnen entgegen.
Am Bollwerk stand Pe Ontjes Lau, und zwar in Wollmütze und Holzschuhen. Niemand sonst an der ganzen Bucht trug diese Kleidungsstücke. Es war aber eines Tages, vom Weststurm gejagt, ein jütischer Ewer in die Bucht von Hilligenlei gelaufen und hatte da drei Tage am Bollwerk gelegen. Einen ganzen Tag lang hatten der Jütländer und Pe Ontjes sich stumm und unbeweglich gegenüber gesessen, der Jütländer in Wollmütze und Holzschuhen auf der Luke, Pe Ontjes an Land auf einem Pfosten, beide die Hände bis zum Ellbogen in den Hosentaschen. Am andern Tage hatte Pe Ontjes die Verhandlung angefangen. Plattdänisch und plattdeutsch, dazu die Hände: so war es sehr gut gegangen. Sechzehn gute Groschen hatte Pe Ontjes in die gelbe harte Hand des Jütländers gelegt, mit zusammengebissenen Zähnen. Aber wahrhaftig: nach einem halben Jahr waren Wollmütze und Holzschuhe richtig angekommen, nicht sehr säuberlich eingepackt, nicht mit der Post, sondern von Ewer zu Ewer geschickt, von Jütland über die ganze Nordsee bis Hamburg, und von Hamburg wieder hinauf nach Hilligenlei, und die Adresse war mündlich gewesen: »In Hilligenlei an Bullwark, da steiht 'n Jung von twölf Jahr, denn hört ditt.« Von Stund an trug er die Tracht, wenn ein kühler Wind wehte, sobald er von der Schule nach Hause kam. Er trug sie mit Selbstverständlichkeit, daß er keinen Spott zu leiden hatte.
Er stand breitbeinig auf der Brücke und biß in ein großes Stück Schwarzbrot, das er mit gebratenen Kartoffelstücken belegt hatte. Wegen des steifen Windes, damit die Kartoffeln nicht wegwehten, hatte er sie mit schwarzem teerartigen Sirup auf das Brot geleimt. Mit ruhiger, väterlicher Miene betrachtete er den kleinen, scheuen Nachbarn, der sich immer an der Mutter festhielt, und fragte: »Was willst du werden?«
Der Kleine sah aus seinen tiefen, blauen Augen forschend zu ihm auf und fragte: »Was willst du werden?«
Da wunderte sich Pe Ontjes und bekam ein wenig Achtung, und sagte: »Ich geh' natürlich zur See. In vier Jahren geh' ich aus der Schule und dann mit Laeiz nach Südamerika.«
»Du hast dir das beste Wetter nicht ausgesucht,« sagte der Hafenmeister zu Male Jans. »Der Wind geht nach Nord hinüber.«
»Du mußt bis nach dem Dänensand hinaufkreuzen, Vater,« sagte die Wollmütze. »Dann kommst du leicht wieder herein.«
»Ja,« sagte der Hafenmeister Lau bedächtig. »Dann wird es dunkel und wird kalt und spät. Das ist nichts für den Kleinen.«
Sie stießen ab und kamen gut vorwärts. Pe Ontjes stand am Ufer und sah ihnen nach.
»Du behandelst deinen Jungen, als wenn er dreißig Jahre alt wäre,« sagte die kleine Male Jans streitsüchtig.
»Ja,« sagte Lau, »da hast du recht wie immer. Sieh, ich bin eines Tagelöhners Sohn aus Eiderstedt und habe in meiner Jugend weder schreiben noch lesen gelernt. Dann bin ich Matrose geworden und weit in der Welt umher gekommen, aber ich habe mich um nichts gekümmert, als um Essen und Rostklopfen. Es war mir freilich manchmal, als wenn so eine dumpfe Stimme sagte: ›Rühr dich, Mensch! Steig ein wenig!‹ Aber ich rührte mich nicht. Erst als ich so um vierzig war, da erwachte ich ein wenig und sah mich um und lernte ein wenig, und machte das Examen für kleine Fahrt, und bekam den kleinen Hafenmeisterposten hier. Weiter kann ich es nicht bringen. Siehst du: Darum freue ich mich über jede Frage, die Pe Ontjes tut, und rede ernst und bedächtig mit ihm, als wenn ich mit einem Gleichalterigen spreche. Er ist von Natur schwerfällig und in der Schule kein Held, ganz wie ich, aber weil er einen so guten, verständigen Freund hat, sollst du sehen: es wird ihm leichter als mir, und er wird weiter kommen als ich.«
Als Male Jans mit ihrem kleinen Jungen an der Hand auf die saubere Diele des Lehrerhauses trat und niemand erschien, wurde sie rot vor Scham und wäre fast wieder leise aus der Tür geschlichen; da kam von der hinteren Stube her eine Stimme: »Bist du es, Male? Komm her ... ich kann nicht aufstehen.«
Da gingen die beiden auf Zehenspitzen durch die Diele und Küche, und fanden Helle Boje auf dem Stuhle am Fenster im losen, geöffneten Kleid, und ein Neugeborenes lag an ihrer Brust, und der helle Schein von draußen stand um das liebliche Bild.
Male Jans schlug die Hände zusammen und sagte: »Nein! ... und davon weiß ich nichts!«
»Siehst du!« lachte Helle Boje. »Ich dachte, daß du es nicht wüßtest, und freute mich schon über deine Verwunderung. Sieh mal, ein großes Mädchen ... das ist nun schon Nummer drei, Male.«
Lehrer Boje kam herein. Er kam, da es Mittwoch nachmittag war, von seinen Büchern. Der Abglanz fremder großer Zeiten und gewaltiger Menschenschicksale stand in seinen schönen stählernen Augen und in seiner frischen, frohen Haltung. Er rief den kleinen Jungen an sich heran und bog ihm den Kopf zurück und sagte zu seiner Frau: »Sieh mal, wie ein alter Deutscher sieht er aus. So einer aus Siegfrieds Gefolge, nicht von den Adligen, sondern unter den Bauern. Ich wette, er wird so ein Grübler wie sein Vater.« Und da er das sagte, dachte er an jene Nacht vom Feuerschiff: »Wahrhaftig, ich riskiere es!« Und er lachte.
»Wo sind denn die beiden Ältesten?« sagte Male Jans. »Sie sind doch nicht krank?«
»Die ... und krank!« sagte Boje und stand auf und führte den Kleinen durch die Küche, öffnete die Außentür und zeigte auf zwei Kinder, Knabe und Mädchen, die am Rande des Teiches im hohen Grase lagen, daß man nur eben die hellen Köpfe sah. Sie sahen aus grauen Augen scharf auf den fremden Jungen. »Hier ist der kleine Kai Jans! Wenn ihr nicht freundlich mit ihm seid, gibt es Haue.« Damit ging Boje wieder zu seinen Büchern.
Kai Jans blieb an der Küchentür stehen, und die beiden am Teich blieben auf dem Bauche liegen, die Hälse hochgereckt, wie Rebhühner im jungen Hafer, und sahen nach ihm.
»Du,« sagte Anna zu Piet, »das ist ein Bangbür.«
»Ach, du liebe Zeit!« sagte Piet. »Also das ist er! Es ist ein richtiger Arbeiterjunge! Sieh mal, seine Schuhe sind gar nicht für ihn gemacht. Das hätte Mutter uns auch sagen können.«
»Wir können dich jetzt nicht brauchen,« sagte Anna; »aber ich erzürne mich nachher mit Piet, dann will ich mit dir spielen ... so lange kannst du da stehen bleiben und zugucken.«
Er fand es ganz begreiflich, daß die beiden ihn so behandelten, da ihre Umgebung und sie selbst ihm so großartig erschienen. Er legte sich am Rande des Grases in die Knie und sah ihnen zu.
Sie waren dabei, Binsen zu flechten, um eine spitze Mütze zu machen. Da sie beide an einem und demselben Stück flochten, kamen sie allerdings bald in Streit. »Du kannst nichts,« sagte Piet, »geh' man weg.«
»Die Mütze gehört dir nicht allein,« sagte Anna in auffahrendem Zorn.
»Ist mir ganz einerlei,« sagte Piet, »geh' weg oder ich hau' dich.« Und er schlug zu.
Sie wich ein wenig zurück und sah auf den Binsenhut. Man sah deutlich den Zorn in ihrem trotzigen Gesicht, wie er aufstieg und dann wieder verging. Dann sah sie auf und sah Kai Jans da sitzen, und sagte zu ihrem Bruder: »Komm, laß uns ihn verhauen; was sollen wir sonst mit ihm?«
Piet erinnerte sich der väterlichen Mahnung und sagte: »Hauen wollen wir ihn nicht, wir wollen ihm bange machen.«
Und plötzlich sprangen sie auf und liefen wie geübte Wegelagerer auf ihn zu, und griffen ihn, und schleppten ihn an den Teich. »Wir wollen dich in'n Teich schmeißen,« sagte Piet. »Hilligenleier Jungs schmeißen wir immer in'n Teich.«
»Hundert liegen da schon,« sagte Anna.
Er schrie nicht; er sah sie nur mit großer Neugier forschend an. Piet hielt ihn an der Jacke und Anna, die längelang im Grase lag, am Knöchel. »Erzähl uns was,« sagte sie, »sonst mußt du in den Teich.«
»Von Pe Ontjes Lau!« sagte er rasch.
»Den kennen wir,« sagte Anna, »ein giftiger Jung.«
»Er ist mal so groß als ich,« sagte er, »und steht immer am Bollwerk, und guckt übers Wasser und ... hat eine Wollmütze auf ... und will Kaptän werden. Dann will er weit wegfahren, ganz weit und ... und ..
»Er weiß nicht mehr,« sagte Piet.
»Dann soll ich mit ihm fahren, ganz weit weg ... Da sind Löwen ... und Elefanten ... und dann ... dann soll ich da König werden. Ja ...«
Anna strich sich mit beiden Händen das helle Haar aus der Stirn und sah ihn aufmerksamer an. Der Kleine wurde heiß und eifrig. Wie die junge Lerche, die im Nest in der Ackerfurche vom Wiesel aufgescheucht in der Angst zum erstenmal auffliegt, und gleich, da sie merkt, daß sie kann, die Angst vergißt, und der neuen, wunderbaren Kraft froh wird: so zwitscherte er mit großen, verwunderten Augen: »Ich bau mir'n Haus bis nach'm Himmel und alles von Gold. Und mein Vater und meine Mutter und Pe Ontjes Lau und alle Menschen wohnen darin, und alle lachen und singen immerzu und freuen sich ... Es hat keiner Husten, du ... Und es bleibt keiner tot ... Willst du mit?«
Aus seinem klugen, niedersächsischen Gesicht brach ein Strom von Güte.
Aber sie riß ihn am Fuß, daß er hinfiel, und nahm den Binsenhut und drückte das ungeschickte Flechtwerk auf seinen Kopf: »So,« sagte sie, »das ist deine Krone.«
Er kümmerte sich gar nicht darum. »Wenn du mit mir willst,« sagte er mit leuchtenden, gütigen Augen, »kannst du mitkommen. Willst du mit?«
»Und ich?« sagte Piet und stand auf.
Da merkte er, daß der hellhaarige Junge mit den raschen Augen wieder gewalttätige Gedanken bekam: er sah wirr um sich, wie ein jäh geweckter, sprang auf und lief nach der Küchentür und in die Stube; die beiden andern hinter ihm her.
»Wir haben uns gut vertragen,« sagte Piet gleich und laut.
»Er will König werden,« sagte Anna, »und das ist seine Krone.«
Lehrer Boje griff seinen Kindern ins helle Haar und sagte: »Was wollt ihr denn werden?«
»Das weißt du ja,« sagte sie, »wir wollen Nachbar Martens werden. Soviel Pferde und Kühe, wie der hat, wollen wir auch haben.«
»Wenn ich nun kein Geld habe?«
»Das ist uns einerlei,« sagte Anna. »Wenn wir doch Nachbar Martens werden müssen?!«
»Wer sagt denn, daß ihr's müßt?« fragte Boje fast ärgerlich.
»Der liebe Gott,« sagten sie beide.
»Macht, daß ihr wegkommt,« sagte Boje zornig. »Sie kommen zuletzt immer mit dem lieben Gott. Aber sie machen ihn zum Diener ihres eigenen Willens.«
Er schob die beiden hinaus. Als sie in der Tür standen, schien die Sonne auf ihre hellen, trotzigen Köpfe. Das Haar hatte einen Schein wie frischgespaltenes Eschenholz.
»Die Kinder machen uns Sorge, Male,« sagte Helle Boje. »Gute, liebe Kinder; aber sie sind so rasch in Zorn und Tat, und so hochfahrend in ihren Gedanken. Wenn wir Vermögen hatten und große Leute wären, so könnten wir ihnen zu einem stolzen Weg verhelfen; aber nun sind wir arm und haben gar noch Schulden. Wenn sie nun aus diesen kleinen Verhältnissen ins Leben hineinstürmen, so feurig und wild, so werden sie gegen schwere Hindernisse anstürmen, auf schlechtem Weg gegen kalten Wind, und werden sich heißlaufen und werden stürzen. Sieh, Boje und ich waren auch solche Leute, hatten die Köpfe voll von den hohen Gedanken. Was habe ich in meiner Stube am Deich für Wunder gesehn! Da kam das größte Wunder für uns beide: wir sahen uns und bekamen uns. Da sind wir still und zufrieden geworden. Aber werden unsere Kinder solch ein Glück finden?«
Die kleine Male Jans sah schüchtern von einem zum andern und dachte: ›Was ist in kurzen sechs Jahren aus den beiden jungen Menschen geworden, die sich im Saal von Ringerang heimlich die Hand drückten und nur den einzigen Gedanken hatten, einer den andern zu besitzen?‹ Sie stand auf und sagte, sie wolle gehen, Hafenmeister Lau solle nicht auf sie warten, und sie müßte noch das Abendbrot besorgen. Da nahm sie Abschied und verließ mit ihrem Kleinen das Haus.
Als Thoms Jans abends mit dem Spaten nach Hause kam und hörte, daß sie im Lehrerhaus soviel Sorge hätten, weil die Kinder so herrisch wären, sah er in Gedanken vor sich auf den Tisch und sagte spöttisch, und seine tiefliegenden kleinen klugen Augen funkelten: »Die Sorge brauchen wir nicht zu haben; unser Junge ist so duckerig wie ein geschlagener Hund.«
Da fuhr die kleine Male Jans zornig auf: »Dann hast du keine Augen und keine Ohren,« sagte sie; und redete mit scheuer, zitternder Stimme von dem heimlichen Leben ihres Kindes und erzählte, wie er gesagt hatte, er wolle König werden. »Er ist ebenso stolz wie die Bojekinder; es ist bloß ein anderer Stolz und sitzt ganz tief in der Seele ... Er will ein anderes Königtum als die.«
»Was denn für eins?« sagte Thoms Jans verwundert. »Was denn für eins? Eins im Mond?«
*
Am andern Tag hatte er zum erstenmal den Mut, bis in die Mitte der Straße zu gehen und mit vorgebeugtem Kopf in das Dunkel der Schmiede hineinzusehen, woher statt Hammerschlag und Feuersausen wieder einmal helle Unterhaltung klang.
Pe Ontjes hatte ihn gesehen, kam heraus und sagte: »Komm man herein.«
Er trat hinein und sah sich um. Jan Friech saß in seiner ganzen Größe und Schwärze, in seiner poltrigen Lederschürze auf dem Amboß, den Hammer bequem unterm Arm; Scheinhold, der Geselle, stand am Blasebalg. Sie sahen alle drei auf Tjark Dusenschön, der auf der Drehbank saß und mit seinen nackten Füßen hin und her fuhr, daß die Hosenbeine schlenkerten.
»Warum soll ich das grüne Halstuch nicht tragen,« sagte Tjark Dusenschön, »wenn der Herr Bürgermeister es mir geschenkt hat?«
»Er lügt,« sagte Pe Ontjes, »er hat das Geld von seiner Großmutter bekommen. Und wie er das sagt: Der Herr Bürgermeister!! Sag doch Daniel Peters, Mensch; so nennt ihn doch ganz Hilligenlei!«
»Der Herr Bürgermeister hat es dir geschenkt?« sagte Jan Friech und zog seine Brauen hoch, »dann ...« und er rührte sich in seiner steifen Lederhaut, daß es durchpolterte, als wenn ein Bergwerk einfiel, »dann ... dann muß ich allerdings auf meine alte Mutmaßung zurückkommen.«
»Welche Mutmaßung, Meister?« sagte Scheinhold, der Geselle, und plinkte so stark mit den Augen, als wäre in jedes ein Brummer geflogen.
»Schweig still!« sagte Jan Friech. »Mit dir rede ich nicht ... Meine alte Mutmaßung ist, daß Tjark Dusenschön der natürliche Sohn vom Bürgermeister ist. Da habt ihr's! ... Hätten wir bloß die alte Postkarte noch! Es war nicht recht, Pe Ontjes, daß du sie in den Hafen schmissest.«
Pe Ontjes nickte langsam mit dem Kopf und sagte: »Man immer los! Immer los! Halb unklug ist er schon; nun macht ihn ganz verrückt.«
Tjark Dusenschön war glücklich, daß er wieder einmal Gegenstand der Unterhaltung war, und drehte sich und schlenkerte mit den weiten Hosen und bog die großen Zehen nach unten, daß dem kleinen Kai Jans angst und bange wurde.
»Seht seine Beine!« sagte Jan Friech. »Wer hat so gerade Beine? Beine wie Ulanenlanzen? Der Bürgermeister von Hilligenlei hat sie! ... Wer hat dies hochstrebende Wesen?«
Scheinhold, der Geselle, riß an seinen Augen und sagte: »Es kann auch davon kommen, daß er aus königlichem Geschlecht ist.«
Pe Ontjes stand auf und wollte hinausgehen. »Ich mag den Quatsch nicht mehr hören,« sagte er. »Was ist er? Ein uneheliches Kind ist er; und seine Großmutter ist ein altes verdrehtes Weib; und Rieke Thomsen schilt ihn beinahe jeden Tag, daß er die fünfzehn Groschen Wickelgeld noch nicht bezahlt hat. Das ist er.«
»Ja,« sagte Jan Friech und ließ die Lederschürze schwer und dumpf poltern; »das gebe ich zu: die Gegenwart ist dunkel; es leuchtet aber ein Stern der Hoffnung.«
»Wo?« sagte Pe Ontjes. »Willst du die fünfzehn Groschen für ihn bezahlen?«
Der Meister schüttelte traurig den Kopf. »Ich kann es nicht,« sagte er, »das weißt du; ich habe Frau und Kinder, und habe Schulden. Aber du hast allerdings recht: so lange die Hebammengebühr nicht bezahlt ist, fehlt ihm das Ansehen; es fehlt ihm gewissermaßen und um es richtig auszudrücken: das volle Bürgerrecht.«
»Jeden Tag kann ich mich von der großen alten Hexe ausschelten lassen,« sagte Tjark Dusenschön und sah mit blanken, braunen Augen um sich. »Wenn das nicht aufhört, wird nichts aus mir.«
»Wenn du gewollt hättest,« sagte Pe Ontjes, »dann hättest du die fünfzehn Groschen längst selbst bezahlen können. Ein Junge von fünfzehn Jahren kann doch fünfzehn Groschen verdienen; aber du kaufst dir ein verrücktes Halstuch, oder du kaufst einem Domschüler so'ne alte blaue oder rote Kappe ab. Oder so was.«
»Wenn ich vielleicht der Sohn vom Bürgermeister bin,« sagte Tjark und seine Augen gleißten und glänzten, »so kann ich nicht einhergehen wie Hans und Franz.«
»Da hat er wieder recht!« sagte Jan Friech. Pe Ontjes stand wieder auf und ging nach der Tür: »Ich will nichts mehr mit euch zu tun haben,« sagte er, »ihr seid alle drei unklug. Komm, Kai.« Und er ging hinaus nach seinem Hause zu.
Nach einigen Schritten blieb er stehen, sah sinnend vor sich hin und sagte dann mit einem großen Entschluß: »Es ist doch das beste, ... ich bringe die Sache aus der Welt ... Tjark! ...«
Tjark Dusenschön sprang barbeinig und lautlos aus der Schmiede.
»Ich mag das Geschimpfe und Gequäse über dein Hebammengeld nicht mehr hören,« sagte Pe Ontjes. »Zehn Jahre höre ich es nun schon. Ich will die Sache aus der Welt schaffen.«
»Ich werde dir immer dankbar sein,« sagte Tjark Dusenschön.
»Mensch,« sagte Pe Ontjes, »tühn nicht! Dankbar? Ist ein Mensch dankbar? Dankbar ist ein Wort, das kommt in der Schule vor; aber ein gesunder Mensch ist nicht dankbar!« Er suchte in seiner Geldtasche, ging mit den beiden den Deich schräg hinauf nach dem langen Haus und sagte zu Kai Jans: »Nun geh du hinein und sieh zu, ob sie da in ihrem großen Stuhl sitzt, und ob sie die Feuerkieke unter sich hat, und ob sie in Gedanken ist, und ob sie die Pantoffeln so handlich zum Wurf neben sich hat. Sag' ein Wort zu ihr und schieb die Pantoffeln ein wenig weg. Dann komm wieder heraus und laß die Tür offen.«
Der Kleine ging hinein und kam wieder heraus und sagte leise: »Es ist alles in Ordnung.«
Da holte Pe Ontjes hoch Luft, sprang in die Stube, hob die geballte Faust und schlug die fünfzehn Groschen fast in die Tischplatte hinein: »Hier hast du die fünfzehn Groschen Wickelgeld für Tjark Dusenschön; ... und nun hört das verdammte Geschimpfe ja wohl auf.«
Die Alte hatte sich entsetzt zurückgebogen. Dann erschien sie auf der Schwelle.
»Du wetterwend'scher Bengel ...«
Tjark rief wehleidig aus der Ferne: »Sie soll nun nicht mehr davon reden!«
»Was?« rief die Alte, »ich soll nicht mehr davon reden? So'n Lump, wie du bist? Andere Leute müssen dein Wickelgeld bezahlen? ... Steht Kai Jans da auch bei euch? Na, der fängt früh an; aus dem wird auch nichts! Komm' du noch einmal in meine Stube, du Lump!«
Pe Ontjes schüttelte den Kopf und sagte bedrückt: »Die fünfzehn Groschen sind weggeworfen ...« Dann plötzlich packte ihn der Zorn, er trommelte mit beiden Fäusten auf seine Schenkel und rief: »Ich will mich doch in meinem ganzen Leben nicht wieder um diesen elenden Tjark Dusenschön kümmern. Wo ist er?«
Der hatte Unheil geahnt und war in Sprüngen auf die Tür seiner Großmutter zugelaufen. Stiena Dusenschön stand schon mit flatternden Haubenbändern in der Tür: »Tjaark ... Tjaark ... komm' rasch zu deiner Ohma, mein Kind.«
»Ich will dir was sagen,« sagte Pe Ontjes, »ich will in Zukunft bloß mit dir verkehren.«
Der Kleine sah fröhlich zu ihm auf: »Ja ..., aber du sollst mir versprechen, wenn du Kaptän bist, sollst du mich mitnehmen.«
»Du bist ein drolliger Kerl,« sagte Pe Ontjes, »wo willst du denn hinfahren?«
»Das wirst du ja sehen,« sagte er mit großem Ernst. »Weißt du ... wir wollen in ein ganz, ganz wunderschönes Land fahren.« Und er stampfte vor Eifer mit dem Fuß auf die Erde.
»Denn man los!« sagte Pe Ontjes und klopfte ihm auf die Schulter.
Und er gewann den Kleinen lieb und hatte ihn immer um sich. Und der Kleine erstarkte in seinem Umgang.