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2. Kalendervignette. 16. Jahrhundert

Vorwort des Verlegers

Jedes Buch hat seine Geschichte. Und die Geschichte der meisten Bücher ist interessant, wenn auch oft nur für Autor und Verleger. Für weitere Kreise interessant aber erscheint mir die Geschichte des vorliegenden Werkes, und ich glaube auch, eine Verpflichtung dem Leser gegenüber zu haben, ihm diese Geschichte hier zu geben und damit diese neue Publikation einzuleiten und zu begründen.

Der Vorläufer dieses Werkes ist »Das erotische Element in der Karikatur«. Nach dem Erscheinen des Fuchsschen Werkes »Das erotische Element in der Karikatur« im Jahre 1904 ist man in zahlreichen mündlichen und schriftlichen Bitten und Anregungen an den Verfasser und an mich herangetreten, dieses nur in einer begrenzten Auflage erschienene und ausschließlich für Subskribenten bestimmte Werk neu aufzulegen und einem weiteren Leserkreise zugänglich zu machen. Diese Wünsche und Anregungen stammten fast nur aus wissenschaftlichen und bibliophilen Kreisen, und sie erhielten eine Bestätigung durch die Tatsache, daß innerhalb der ersten Wochen nach Erscheinen des Buches nahezu an tausend Nachbestellungen einliefen. Diese Wünsche und Anregungen haben niemals aufgehört, anfangs verging kaum eine Woche, und obgleich heute nun fast vier Jahre seit dem Erscheinen des Werkes verflossen sind, so tritt immer wieder derselbe Wunsch an den Verfasser oder den Verleger heran.

Aber so wenig die genannten festen Nachbestellungen geliefert werden konnten, – das Werk war genau in der Auflage der bis zum Druckbeginn eingelaufenen Subskriptionen gedruckt worden –, so wenig konnten wir uns entschließen, diesen Anregungen nachzugeben und einen Neudruck zu veranstalten. Das Werk war mit der ausdrücklichen Erklärung angezeigt und veröffentlicht worden, daß ein Neudruck nicht gemacht wird, und an diese Erklärung hielten sich die Herausgeber gebunden. Die gesamte Satzform wurde daher nach dem Druck auseinandergenommen. Und wenn die spätere französische Ausgabe in Wien und nicht in Paris herauskam, so geschah dies ganz gegen den Willen der Herausgeber. Die französische Ausgabe war nach Paris verkauft worden, aber der französische Verleger hatte seine Rechte nachträglich nach Wien weiterverkauft, was zu hindern nicht in unserer Macht stand, da wir damit beim Verkaufe nicht gerechnet hatten.

Die große wissenschaftliche Bedeutung des Buches stand unbedingt fest. Sie war von einer Reihe wissenschaftlicher Autoritäten mit Begeisterung anerkannt worden. In der Presse freilich nur hin und wieder, weil wegen des Charakters des Privatdruckes prinzipiell davon abgesehen worden war, das Werk zur Kritik an die Presse zu versenden. Die Anerkennungen bestanden dagegen um so mehr in brieflichen Zustimmungen an den Autor und Verleger. Aus diesen Zustimmungen möchte ich hier einige charakteristische einschalten, wobei ich jedoch von allen in überschwenglichem Tone gehaltenen Beurteilungen absehe, weil dieser häufig in der Briefform seine Begründung hat. Professor Theodor Löwenfeld, der angesehene Münchener Rechtslehrer, ließ dem Buch in einem ausführlichen Brief an den Verfasser die folgende eingehende Würdigung zuteil werden:

»Längere Abwesenheit von München und sodann Überhäufung mit Berufsarbeiten haben mich bisher verhindert, Ihnen ein Wort zu sagen über Ihr Werk ›Das erotische Element in der Karikatur‹, wie ich dies wiederholt mündlich und schriftlich über Ihre anderen Arbeiten auf dem Gebiete der Karikatur getan, insbesondere über Ihre beiden großen Bände, welche ›Die Karikatur der europäischen Völker‹ behandeln. Ich freue mich, daß ich Sie seinerzeit in dem Entschlusse, die Geschichte der Karikatur zu Ihrer Lebensaufgabe zu machen, bestärkt habe. Die allgemeine Anerkennung, die Ihre Arbeiten in der ernsten Presse erfahren, haben Ihnen gezeigt, daß Sie sich auf dem rechten Wege befinden und daß Sie der Kulturgeschichte durch diese Arbeiten, in welchen Sie keinen Vorgänger haben, einen großen Dienst erwiesen. Diese Anerkennung ist meines Erachtens auf den vorliegenden Ergänzungsband über ›Das erotische Element in der Karikatur‹ zu erstrecken. Daß Sie diesen Band als ›Privatdruck‹, und damit unter Ausschluß der Öffentlichkeit in gewissem Sinn, erscheinen ließen, wird hoffentlich seiner Wirkung als wissenschaftliches Hilfsmittel ersten Ranges keinen Abbruch tun.

Zweierlei ist mir in diesem Bande besonders wichtig erschienen. Erstens: Der Nachweis der Verschiedenheit des Inhaltes der öffentlichen Moral in den verschiedenen Perioden der europäischen Kulturgeschichte, den Sie durch die von Ihnen zusammengetragenen Karikaturen und Stimmen von Zeitgenossen erbracht haben. Sie haben hiermit zur Darlegung und Befestigung einer wissenschaftlichen Wahrheit einen erheblichen Beitrag geleistet. Immer noch ist die Neigung verbreitet, aus dem Gebiete der Moral – als › unmoralisch‹ – Anschauungen und Lebensgewohnheiten anderer Zeiten und Völker auszuweisen, weil sie heutigen Moralanschauungen widersprechen, während auf dem verwandten Gebiete des Rechtes das gleiche Verfahren als unzulässig gilt. Einem Rechte, das die Kindesaussetzung erlaubte oder das die Feststellung der Wahrheit auf dem Wege der Folterung herbeiführen oder von dem Ausgang eines Zweikampfes oder eines künstlich herbeigeführten Unglückes (wie beim Wasserordal) abhängig machen wollte, wird in der Rechtsgeschichte die Qualität als Recht nicht abgesprochen. Daß aus einem scheinbar so fern liegenden Gebiete wie dem der Karikatur die Überzeugung abgeleitet werden konnte, welch verschiedenartige Zustände der einheitliche Moralbegriff umfaßt, bedeutet daher eine Förderung der Wissenschaft. Zweitens war mir von großem Interesse die Erklärung des Zusammenhanges der verschiedenartigen Ausdrucksformen innerhalb der erotischen Karikatur mit den großen staatlichen und gesellschaftlichen Bewegungen und damit, wie man wohl sagen darf, mit der jeweiligen Kultur und ihren Grundlagen. Wie die geschichtlichen Dokumente, als welche sich in diesem Rahmen die Karikaturen erweisen, ästhetisch auf moderne Menschen wirken, ist meines Erachtens ebenso völlig belanglos wie etwa die ›ästhetische‹ Wirkung eines anatomischen Präparates. Die Hauptsache ist der Aufschluß, den sie uns für die Entwicklungsgeschichte der Menschheit erweisen. Was, vereinzelt an Kirchen, Schlössern, Stadthäusern oder aber in Sammlungen gesehen, möglicherweise nur als eine bloße Kuriosität sich darstellt, gewinnt in Ihrer durch rastlosen Sammelfleiß zum erstenmal ermöglichten systematischen und historischen Zusammenfassung den Charakter bedeutsamer Geschichtsquellen. Daß Sie bei dieser Arbeit, wie bei früheren, die Unterstützung einer Reihe von öffentlichen Stellen fanden, ohne welche dieses Werk wohl überhaupt nicht zustande hätte kommen können, beweist die Würdigung, die Ihrer Arbeit in wissenschaftlichen Kreisen entgegengebracht wird. Diesen Kreisen ist wohl bekannt, daß die reichsten in Sammlungen verwahrten Urkundenschätze – und zu diesen gehören die Karikaturen – wertlos sind, verloren für die Wissenschaft, wenn sie nicht den Interessenten, den beteiligten wissenschaftlichen oder künstlerischen Arbeitern zugänglich gemacht werden im Wege der Veröffentlichung. Dies gilt in vermehrtem Maß in heutiger Zeit, wo das geschichtliche Material von niemand mehr völlig umfaßt, geschweige denn völlig aus den Fundstätten beigeschafft werden kann, wo jeder Forscher vielmehr durch die zunehmende Massenhaftigkeit des Stoffes genötigt ist, sich auf ein bestimmtes Gebiet zu beschränken und im übrigen Arbeiten anderer für seine Zwecke heranzuziehen. Daß Sie bei Ihrer Arbeit durch ›Privatdruck‹, soweit an Ihnen lag, dafür gesorgt haben, daß sie nicht in unberufene Hände gelange, ist zu billigen, vorausgesetzt, daß Ihr Werk wenigstens an allen großen Bibliotheken immer zu haben ist für diejenigen, deren Zwecken es dienen soll, das sind alle die, welche die Fortschritte der Kulturgeschichte verfolgen oder daran mitarbeiten wollen. Für alle diese haben Sie ein hervorragend nützliches und wichtiges Werk geschaffen! Hoffentlich beschränkt der ›Privatdruck‹ seine Benützung nicht zu sehr …«

Dr. Arthur Weese, Professor für Kunstgeschichte an der Universität Bern, schreibt: »Mit dem größten Interesse habe ich gesehen, daß wir auch hier von Ihrer großen Sachkenntnis an ganz unbekannte Quellen geführt werden.« Der medizinische Leiter eines norddeutschen Seemannshospitals schreibt:

»Ihr letztes Werk hat mich als wahres, hochbedeutendes Document-humain ungemein interessiert. Welchen Fleiß, welche ernsthaften Studien haben Sie da wieder entfaltet! Ich habe in einer kleinen Woche das Buch durchgelesen, und es hat mich zu vielem Nachdenken und wichtigen Betrachtungen angeregt. Eins muß ich erwähnen, daß ich nämlich für ›Kuriosa‹ (von Pornographia ganz zu schweigen) absolut kein Interesse habe. Verstehen Sie mich nicht falsch bitte: Ihr Werk rubriziere ich doch nicht etwa unter die ›Kuriosa‹!!! Aber, bei meiner Abneigung vor diesen ist es gerade ein vortrefflicher Erfolg des Buches, daß es mich gefesselt hat. – … In unserer widerwärtigen Zeit, wo man die natürlichsten physiologischen Funktionen, das höchste Lustgefühl des Menschen als ›Unzucht‹ bezeichnet, ist man glücklich, Ihren fröhlichen Mut zu finden … Jedenfalls sammeln Sie auch weiter, und wir bekommen noch einmal eine vermehrte Auflage der ›Erotik in der Karikatur‹.

Dr. Heinrich Schneegans, Professor der Geschichte an der Universität in Würzburg, schrieb an mich:

»Ich habe mit größtem Interesse das Fuchssche Buch studiert. Ich halte es für eine wertvolle Ergänzung der beiden ersten Bände … Nirgends läßt sich auch in Fuchs' Werk irgendeine Tendenz bemerken, die auf das Erregen niederer Instinkte spekulierte. Im Gegenteil, aus Fuchs' Werk geht für jeden Verständigen hervor, welche Gefahren für ein ganzes Volkstum das Aufgehen in sinnlichen Ausschweifungen birgt. Die Kapitel über das Ancien régime und das Second Empire machen einem das besser klar als seitenlange Beschreibungen. Fuchs weiß sehr gut den Unterschied zwischen wollüstiger Sittenlosigkeit und kraftstrotzender Sinnlichkeit hervorzuheben. Die Renaissancezeit mit ihrer lebenatmenden, kraftvollen erotischen Karikatur, ebenso wie die Zeit des selbstbewußten emporstrebenden Bürgertumes in England sticht deutlich ab von der ausgemergelten Rokokozeit und dem Kokottenzeitalter des Second Empire. Das sind alles außerordentlich lehrreiche Bilder, die für die Wissenschaft von großem Werte sind.«

Ebenfalls an den Verlag gerichtet ist ein Urteil in einem Schreiben des Leipziger Rechtsanwaltes Dr. Kurt Hezel:

»Der dritte Band des Werkes stellt sich, ebenso wie die beiden vorhergehenden Bände, geradezu als kulturgeschichtliches Standard work dar … Wenn es ein Buch überhaupt gibt, welches durch seinen streng wissenschaftlichen Charakter, durch die restlos objektive Erfassung seines Darstellungsgegenstandes, die Natur dieses Darstellungsgegenstandes selbstverständlich als ganz gleichgültig dahingestellt, vor der Vermutung, ein unzüchtiges Buch zu sein, voll geschützt sein muß, so ist es das Werk des Herrn Fuchs.«

Selbst aus Richterkreisen erhielt der Autor eine Reihe Zustimmungsschreiben, so schrieb u. a. ein höherer süddeutscher Richter:

»… enthält doch gerade dieser dritte Band Ihrer Geschichte der Karikatur eigentlich zugleich das Fundament und die Krönung des ganzen imposanten Werkes, dessen Bedeutung für kulturhistorische Belehrung ich als ganz unschätzbar bezeichnen muß.«

Dies sind, wie gesagt, nur wenige der vielen Zuschriften und Danksagungen, die an Autor und Verlag ohne deren Zutun gelangt sind.

Bekannt ist, daß trotz dem offenkundig ernst wissenschaftlichen Charakter des Werkes infolge einer Denunziation eine Anklage gegen das Buch erhoben worden ist. Zu der Hauptverhandlung vor dem Berliner Landgericht I waren drei Sachverständige geladen: Professor Karl Voll, München, der schon genannte Professor Heinrich Schneegans, Würzburg, und der Präsident der Gesellschaft der Bibliophilen in Deutschland, Fedor von Zobeltitz. Die Urteile aller dieser drei Herren bewegten sich in derselben, den hohen wissenschaftlichen Wert des Buches betonenden Richtung. So sagte z. B. Professor Voll in seinem ausführlichen Gutachten über die kunstgeschichtliche Bedeutung des Werkes dem Sinne nach:

»Das Werk ist das eines Outsiders. Darum kann man als strenger Fachgelehrter mit zahlreichen kunstgeschichtlichen Urteilen des Verfassers nicht einverstanden sein. Aber die Werke von Outsiders sind es öfters gewesen, die in der Kunstgeschichte die neuen Wege gewiesen haben, und zu diesen Werken gehört unbedingt das von Fuchs.«

Aber nicht nur die wissenschaftliche Kritik hat so geurteilt. Das Berliner Landgericht, das bekanntlich zu einem freisprechenden Urteile gelangte, ist zu seinem Freispruch auf Grund derselben Überzeugung gelangt und hat dies in einer ausführlichen Urteilsbegründung eingehend entwickelt. Da sich die Urteilsbegründung des Berliner Landgerichtes ebenso durch ihre glänzende juristische Logik wie durch ein gründliches Verständnis für die wissenschaftliche Bedeutung des Werkes auszeichnet und diesem dadurch die höchste Rechtfertigung verschafft, die ihm je zuteil wurde, so lasse ich hier die entscheidenden Stellen folgen. Von den ebenso gründlichen und überaus geschickt gewählten Kommentaren aus dem Fuchsschen Werke, mit denen die einzelnen Abschnitte gestützt werden, sehe ich hier natürlich ab.

Nach Ansicht der Anklage ist das Werk unzüchtig. Die Angeklagten bestreiten dies und messen dem Werke wissenschaftlichen und künstlerischen Wert bei. Das Gericht ist der Auffassung der Angeklagten beigetreten.

Der Verfasser hat sich, wie er in seinem Zirkular und in dem Vorworte des Werkes ankündigt, die Aufgabe gestellt, ein kulturhistorisches Werk zu schaffen, und er hat diesen Vorsatz auch in die Tat umgesetzt.

Es kann sich zunächst fragen, ob der in dem Buche behandelte Gegenstand überhaupt ein wissenschaftliches Interesse bietet und eine wissenschaftliche Behandlung erheischt. Dies ist zu bejahen. Jedes Gebiet ist wert, geschichtlich behandelt zu werden. Das geschlechtlich Sinnliche spielt sowohl auf kulturellem wie auf künstlerischem Gebiet eine hervorragende Rolle. Die Erotik ist das befruchtendste Element der Kunst. Ebenso äußert sich der Witz mindestens zu verschiedenen Perioden und bei einer Anzahl von Völkern am intensivsten in bezug auf geschlechtliche Verhältnisse. Auch die Geschichte des Witzes und Humors müßte ihrem wesentlichen Inhalte nach unerörtert bleiben, wenn es nicht zulässig wäre, den Witz auch, soweit er sich auf grobsinnlichem Gebiete bewegt, zur Darstellung zu bringen. Eine spezielle Art witziger Darstellungen ist die Karikatur. Ihr enger Zusammenhang mit der bildenden Kunst, der Malerei und Plastik, liegt auf der Land, und so mag die Geschichte der erotischen Karikatur als ein Stück Kunst- und Kulturgeschichte angesehen werden.

Es bleibt die weitere Frage: ist der an sich wissenschaftliche Gegenstand auch wissenschaftlich behandelt und ist dies in einer Weise geschehen, daß dadurch dem Werk in seinem Ganzen der Charakter des Unzüchtigen genommen wird? Auch dies muß, wie gesagt, bejaht werden.

Das Werk bildet als Band 3 zusammen mit den voraufgegangenen Bänden, deren wissenschaftlicher Charakter außer Frage steht, ein einheitliches Ganzes.

Das ganze Werk gipfelt in einer Reihe von wissenschaftlichen Grundgedanken, die aus dem gebotenen Material abgeleitet wurden. Verfasser vertritt die Auffassung, daß die Karikatur ein sehr bedeutsames Hilfsmittel für die Geschichtsforschung im allgemeinen sei. Sie spräche die Sprache ihrer Zeit, weil in ihr die Leidenschaften der Zeit fortleben; sie korrigiere dadurch die offiziellen Geschichtsdokumente, welche die Sache häufig nicht richtig, sondern so gäben, wie man sie beurteilt zu sehen wünschte; sie hebe in ihrer Eigenschaft als vielgeübtes und wirksames Kampfmittel im Streite der Parteien das Charakteristische einer Person, einer Sache, einer Institution besonders hervor, indem sie dasselbe durch Übertreibung erkennbar mache, woraus sich auch erkläre, daß sich die Karikatur in bewegten Zeiten vervielfache (Reformation, Revolution).

Eine große kunst- und kulturgeschichtliche Bedeutung der Karikatur sieht der Verfasser darin, daß durch sie neue Gebiete für die Kunst erschlossen, neue Techniken vorbereitet und die jeweiligen sittlichen Auffassungen und Vorstellungen oft geradezu klassisch enthüllt würden, hierbei zeigte es sich, daß kraftvolle Zeiten (Renaissance) eine kräftige aber gesunde Expansion der erotischen Karikatur, Zeiten des Niederganges (Rokoko, Absolutismus) hiergegen Schwächen, Kompliziertheit, Raffiniertheit und Unnatur zeitigten, und daß trotz aller Schwankungen die Kulturentwicklung zu einer reineren sittlichen Auffassung emporstrebte.

Die Methode der Beweisführung, deren sich der Verfasser bedient, ist eine rein wissenschaftliche, das Material sachlich auswählende. Um die enge Beziehung der erotischen Karikatur mit dem ganzen Geistes- und sozialen Leben der Zeit darzutun, werden aus gleichzeitigen literarischen Werken Belagsstellen für die öffentlich sittlichen Zustände und Auffassungen gesucht, die allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Zustände und Tendenzen der Zeit skizziert, und wird dann die Karikatur des betreffenden Zeitalters in Wort und Bild vorgeführt und, soweit erforderlich, nach ihrem Gegenstande, dem Anlaß und der Art ihrer Entstehung und nach ihrer Bedeutung für ihre Zeit erläutert, womit die gesetzte wissenschaftliche Aufgabe im wesentlichen als gelöst zu erachten ist.

Was nun die zahlreichen in das Werk eingereihten Abbildungen und wiedergegebenen Darlegungen von Zeitgenossen betrifft, so muß allerdings zugegeben werden, daß dabei manches mit unterläuft, was nicht gerade einen reinen ästhetischen Genuß bereitet, und auch manches, was zu den heute herrschenden Anschauungen von Zucht und Sitte im Widerspruch steht. Aber weder der Maßstab der Ästhetik noch der der heutigen Moral ist an jene Bilder und Zitate anzulegen. Denn es handelt sich dabei um die geschichtlichen Quellen und Beweisstücke, auf deren Wiedergabe der Historiker nicht verzichten kann, wenn er den wissenschaftlichen Zweck, die Sittenzustände der verschiedenen Zeitalter erkennen zu lassen, erreichen will. Wie denn auch der Verfasser in seinem Vorworte mit Recht bemerkt, daß die ernste Forschung sich bei einem solchen Gegenstande niemals mit der einfachen Konstatierung, dem immer subjektiven Urteil eines einzelnen Autors begnügen könne, vielmehr das unbedingte Recht habe, Demonstrationen zu fordern, da die eingehendsten Referate und die pointierendsten Urteile, mögen sie auch noch so zutreffend sein, ohne den kontrollierbaren Beweis den Verfasser zu nichts verpflichteten und dem Leser die Möglichkeit beließen, daraus alles und nichts zu kombinieren.

Im übrigen ist nicht zu leugnen, daß den reproduzierten Originalen in ihrer ganz überwiegenden Mehrheit wirklicher Kunstwert beiwohnt und daß auch die Reproduktionen selbst in wirklich künstlerischer Weise ausgeführt sind. Auch die Anklage verkennt dies nicht. Sie will aber aus der Häufung der Bilder und aus dem Umstande, daß sie aus den sorgfältig gehüteten Schränken und Mappen der Privatsammler und den der Allgemeinheit verschlossenen Abteilungen der öffentlichen Kunstsammlungen herausgezogen seien, den unzüchtigen Charakter des Werkes herleiten. Dies ist offensichtlich verfehlt. Die Sammlung der Bilder, auch der bisher etwa verborgen gebliebenen, wird ja gerade durch den wissenschaftlichen Zweck des Verfassers bedingt, und darin, daß derselbe das Bildmaterial zusammengebracht, gesichtet und wie in einem Museum zusammengestellt hat, liegt das Bedeutsame seiner wissenschaftlichen Arbeit, wodurch der Charakter des Unzüchtigen ausgeschlossen wird …

Anzuerkennen ist auch, daß der Verfasser bei Auswahl der Bilder mit Takt und Zurückhaltung verfahren ist, und daß er, wo ihm eine größere Gruppe von charakteristischen erotischen Bildern desselben Malers oder derselben Örtlichkeit über denselben Gegenstand zur Verfügung stand, die weniger anstößigen Bilder ausgesucht hat …

Einer gleichen Zurückhaltung hat sich der Verfasser, wie er dies an einem umfangreichen Material veranschaulicht hat, bei Wiedergabe von Schilderungen und Erzählungen befleißigt.

Dieser nicht nur vereinzelt, sondern prinzipiell vom Verfasser geübten Zurückhaltung gegenüber fällt es schwer, dem Gedanken Raum zu geben, daß derselbe auf die Erregung wollüstiger Empfindungen und auf ein dabei zu machendes Geschäft spekuliert hat und seinem Werke nur einen pseudowissenschaftlichen Mantel umgehängt habe, um unter demselben ungestraft den angegebenen Zweck erreichen zu können.

Am das Werk richtig zu würdigen, wird man auch nicht außer acht lassen können: einmal die bisherige rein wissenschaftliche Betätigung des Verfassers, sodann die gewaltige Arbeitsleistung, deren Bewältigung die Verstellung des Werkes erheischte, der sehr umfangreiche Quellenstudien und auf Studienreisen mit erheblichen pekuniären Opfern gewonnene Sammlungen voraufgingen, bei denen dem Verfasser überall von den öffentlichen Kunst, und wissenschaftlichen Instituten in der bereitwilligsten Weise Entgegenkommen gezeigt worden ist; endlich auch die vielen Anerkennungen, die dem Verfasser für sein Werk von berufener Seite zuteil geworden sind.

Vor allem aber muß man sich gegenwärtig halten, daß die obszönen textlichen und bildlichen Belagstücke nicht für sich allein, sondern im Zusammenhange mit den überall gänzlich unanstößigen und wissenschaftlich gehaltenen Darlegungen des Verfassers zu betrachten sind. Bei solcher Betrachtungsweise, bei der das Grobsinnliche der Darbietungen durch die vorherrschende künstlerische Idee und wissenschaftliche Behandlung des Gegenstandes völlig in den Hintergrund gedrängt wird, werden sie auf ein normales sittliches Empfinden nicht verletzend wirken. Solcher Beurteilung kann sich das Gericht um so weniger verschließen, als die vernommenen Sachverständigen übereinstimmend und in überzeugender und entschiedener Weise diese Auffassung als die ihrer Ansicht nach allein zulässige zum Ausdruck gebracht haben.

Die Anklage steht nun auf dem Standpunkte, daß das Werk mit Rücksicht auf die Art seiner Verbreitung als unzüchtig anzusehen sei. Denn diese dränge zu dem Schlusse, daß sein Absatz nicht auf wissenschaftliche Kreise und zu kulturhistorischen Studien beschränkt, sondern daß es dem großen Publikum als pikante Unterhaltungslektüre habe zugänglich gemacht werden sollen. Allein solche Absicht des Verfassers und des Verlegers ist nicht erwiesen, vielmehr spricht alles gegen die Unterstellung einer solchen Absicht.

Der Verlag von Hofmann ist, wie gerichtsbekannt, einer der ersten und vornehmsten Berlins, und es läßt sich ohne weiteres annehmen, daß er ganz gegen seine sonstige Gewohnheit darauf ausgegangen sei, mit schmutziger Literatur Geschäfte zu machen und dabei seinen guten Ruf aufs Spiel zu setzen.

Viel näher liegt die Annahme, daß er vor Herausgabe des Werkes unter Rücksprache mit dem Verfasser genau geprüft hat, ob sich das Werk überhaupt zur Verbreitung eigne und in welcher Art und in welchem Umfange die Verbreitung zulässig sei. Eine solche Prüfung hat auch erwiesenermaßen stattgefunden; und ist vonseiten des Verfassers und Verlegers alles geschehen, was geschehen konnte, um die Verbreitung des Werkes auf den Kreis zu beschränken, für den es geschrieben war, nämlich auf den Kreis der gebildeten gereiften Männer, der Kunsthistoriker, Sammler und Bibliotheken, bei denen ein Verständnis für die rein kulturgeschichtliche Bedeutung des Werkes vorausgesetzt werden konnte …

Nach dem Gutachten der Sachverständigen besteht ein Weg, ein solches Werk sicherer an die dafür in Betracht kommenden Kreise gelangen zu lassen als durch die Subskription, nicht, und bietet dieser Weg bei der vorzüglichen Organisation des deutschen Buchhandels auch eine hinlängliche Gewähr dafür, daß derartigen Intentionen des Verfassers und des Verlegers nachgekommen wird, wenngleich er nicht ausschließt, daß auch einmal ein Sortimenter das in ihn gesetzte Vertrauen mißbraucht, und daß hin und wieder ein Exemplar an Unberufene gelangt.

Soweit die richterliche Begründung in ihren entscheidenden Hauptsätzen. Sie ist, wie man nach dem Lesen zugeben muß, gleich ehrend für das Gericht wie für die Freigesprochenen.

Man wird mir beipflichten, daß nach alledem, und besonders nach dem gerichtlichen Freispruch und der daraus sich ergebenden Freigabe des Buches für den Handel, die Verlockung sehr groß war, das Werk nachträglich nun doch der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Stimmten doch alle maßgebenden Urteile darin überein, daß es sich hier im Gegensatze zu so vielen Privatdrucken nicht um eine Publikation für »Kenner«, sondern um ein wichtiges und in gewisser Hinsicht unentbehrliches wissenschaftliches Hilfsmittel handelt. Ein besonderes Gewicht bekamen die Anregungen zu einem Neudrucke noch durch den Umstand, daß der Preis des Werkes, in dem es im Antiquariatsbuchhandel ausgeboten wurde, in ganz kurzer Zeit ein ganz exorbitanter wurde, für die gewöhnliche Ausgabe wurde bis zu 120 Mark, für die Luxusausgabe bis zu 200 Mark verlangt, und bis heute ist das Werk ununterbrochen eines der teuersten Bücher des Antiquariatsbuchhandels geblieben. Damit ist das Buch natürlich späteren wissenschaftlichen Interessenten absolut unerreichbar geworden, denn solche Preise vermögen wohl Liebhaber, aber keine wissenschaftlichen Arbeiter, deren Rüstzeug aus einer ganzen Bibliothek bestehen muß, zu erschwingen. Und damit war die Absicht der Herausgeber, wenigstens nach dieser Richtung, in ihr Gegenteil verkehrt worden. Aber gleichwohl konnten sich dieselben nicht entschließen, den Charakter des einmaligen Privatdruckes aufzuheben. Sie hielten sich an ihre freiwillig eingegangene Verpflichtung gegenüber den Subskribenten nach wie vor gebunden.

 

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Eine andere Frage tauchte jedoch im Laufe der Zeit auf, und das war die einer Weiterführung des Grundgedankens. Indem »Das erotische Element in der Karikatur« als einmaliger Privatdruck erschien, verzichtete sein Verfasser natürlich nicht darauf, das dort behandelte Thema und die dort aufgerollten Fragen weiterzuführen, auszubauen und später in erschöpfenderer Weise zu begründen; eine Verpflichtung, dieses Thema nun für alle Zeiten fallen zu lassen, war damit nicht ausgesprochen, und es wäre dies auch eine Sinnlosigkeit gewesen. Hatte er sich also dieser Rechte nicht begeben, so wurde die Erfüllung dieser Aufgabe, ganz abgesehen von den ständigen Aufforderungen aus den Leserkreisen des »erotischen Elementes in der Karikatur«, für ihn zu einer zwingenden Notwendigkeit, als ihn seine ununterbrochenen Studien auf dem Gebiete der Sittengeschichte nicht nur zu einer tieferen Einsicht in das Wesen dieser Fragen führten, sondern ihn auch zu der Überzeugung kommen ließen, daß ohne die Darstellung und Begründung der großen immanenten Gesetze des gesamten künstlerischen Schaffens dem Werke immer noch seine letzte und wichtigste Grundlage fehle. Diese Grundlage hat Fuchs nun im Laufe der letzten drei Jahre aufgebaut, und zwar in einer Skizzierung einer »Naturgeschichte der Kunst« und in einer Analyse des »Lebensgesetzes der Kunst« – das ist das Ergebnis, zu dem ihn die Weiterführung der Grundgedanken des »erotischen Elementes in der Karikatur«, ihre Anwendung auf die ernste Kunst leitete. War ehedem die Schilderung die Hauptsache, so wurde es damit die Entwicklung und Darstellung der Gesetze. Es hätte sich nun darum handeln können, diese neuen Ergebnisse allein vorzuführen. Aber diese neue Grundlage führte von selbst zu mancherlei Revisionen und wichtigen Erweiterungen des erotischen Elementes in der Karikatur, somit wäre ohne dieses die neue Arbeit auch wiederum nur unvollendetes Stückwerk geblieben. Denn wie der zweite Teil den ersten voraussetzt, so bedingt der erste den zweiten als Ergänzung. Die Karikatur ist ein absolut untrennbarer Bestandteil der gesamten Kunstgeschichte, und beide Teile gehören vor allem da zusammen, wo es sich um die Entschleierung der Zusammenhänge des künstlerischen Schaffens mit der Gesamtkultur handelt, um die Gesetze, die Inhalt und Form der Kunst bedingen. Ist in der ernsten Kunst die Form stets das Entscheidende, so ist in der Karikatur die Form zwar nicht Nebensache, aber der Inhalt, das Stoffliche ist die Voraussetzung. Es sind in gewissem Sinne die beiden Seiten der Sache.

So entstand das vorliegende Werk, das somit etwas ganz Neues geworden ist.

Ist der Inhalt des ersten Buches »Das erotische Element in der ernsten Kunst« durchweg neu, so ist im zweiten Buche selbstverständlich der alte Kern erhalten geblieben. Aber in welchem Umfang auch hier das Neue hinzutritt, erhellt daraus, daß es kaum eine Seite der früheren Arbeit gibt, die nicht durch kürzere oder längere Einschaltungen – insgesamt rund 200! – eine Erweiterung oder Vertiefung erfahren hätte. Ganz abgesehen von den unzähligen kleineren Korrekturen. An verschiedenen Stellen haben natürlich auch Streichungen stattgefunden. Ebenso hat dieser Teil eine wesentlich strengere Gliederung erhalten durch Verschiebung in der früheren Einteilung und durch Einschaltung neuer Kapitel. Der frühere Umfang des Buches hat sich dadurch fast verdoppelt.

Das gleiche gilt vom Bildmaterial. Enthält der erste Teil von den darin vorgeführten 100 Abbildungen nur knapp anderthalb Dutzend, die schon im »erotischen Element in der Karikatur« enthalten gewesen sind, so weist auch der zweite Teil in jedem einzelnen Kapitel illustrativ eine große Erweiterung oder Verschiebung auf. Es ist auf eine Reihe Bilder verzichtet worden, die nach reiflicher Überlegung sich entweder als entbehrlich erwiesen oder sich durch charakteristischere Proben ersetzen ließen, andererseits wurde die Bilderzahl in jeder Richtung vermehrt. Um dies an einigen Beispielen zahlenmäßig zu belegen, führe ich hier nur an: Das Kapitel »Altertum« enthielt früher 20 Illustrationen, jetzt 30, davon neu 11; »Das bürgerliche Heldenzeitalter« enthielt früher 23 Illustrationen, jetzt 48, davon neu 33. Bei den Beilagen fand dieselbe Verschiebung und Erweiterung statt; sie sind durch eine ganze Anzahl kostbarer Stücke vermehrt worden. Das Gesamtresultat ist, daß den 234 Illustrationen der ersten Bearbeitung dieses Werkes heute 420 gegenüberstehen, wovon rund 250 neu sind. Erwähnt mag noch werden, daß zu dem vorliegenden Werke die Klischee auch von denjenigen Bildern neu angefertigt wurden, die aus dem »erotischen Element in der Karikatur« übernommen wurden. –

Dies ist die Geschichte des vorliegenden Werkes, und damit übergebe ich es der Öffentlichkeit. Freilich wiederum in begrenzter Weise. Ich will es, um eine Paradoxon zu gebrauchen, der Öffentlichkeit übergeben mit Ausschluß der Öffentlichkeit. Ich will der Wissenschaft die Möglichkeit geben, die Erkenntnisse der Forscherarbeit von Eduard Fuchs zu prüfen, zu verwerten und im Dienste der Wissenschaft auszubauen, aber ich will auch nach wie vor jede Spekulation aufs strengste vermieden haben, die immer mit einer derartigen Publikation getrieben werden kann. And dies nicht zuletzt aus Achtung vor der hier geleisteten Arbeit. Man kann die Schlußfolgerungen des Verfassers ablehnen, aber der Ernst seiner Arbeit muß immer die größte Achtung abnötigen.

Berlin, Sommer 1908.
Rudolf Hofmann.

 

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